Marcus Krall
· 20.05.2023
Von außen gilt sie als Ikone des Yachtdesigns. Ihr Inneres hüteten die Eigner bislang wie einen Schatz. Nach 25 Jahren öffnete „Enigma“, Ex-„Eco“, nun alle Decks für BOOTE EXCLUSIV.
Der Hafen ist voll, doch sie stiehlt allen die Show. Vielleicht weil sie nicht so hoch gebaut ist wie die anderen modernen Formate und damit den wirklichen Wohlstand ihres Eigners demonstriert? Vielleicht weil ihre Scheiben so ungewöhnlich geformt sind, dass sie eher an ein Raumschiff als an eine Yacht erinnern? Oder vielleicht weil sie auch über ein Vierteljahrhundert nach ihrer Ablieferung etwas Geheimnisvolles umgibt? Journalisten an Bord? „No access“, hieß es bislang. „Enigma“, die ehemalige „Eco“ oder „Katana“, blieb privat. Staunen von außen: ja. Von innen durch die Fenster schauen: nein. „Yachtbau, radikal“ titelte BOOTE EXCLUSIV 1991, als das Martin-Francis-Design „Eco“ sein Dock bei Blohm+Voss verließ und man – unweit der Redaktion – am Hamburger Hafen auf der Lauer lag. Über den Küstenklatsch wurden Details zu Rumpf und Antrieb bekannt und veröffentlicht. Dann senkte sich Funkstille über die Yacht mit der Baunummer 956.
Bis eines Tages, im Spätherbst 2016, das Handy klingelt. Martin Francis ist dran: „Falls du noch an einem Besuch interessiert bist, wir treffen uns um 15 Uhr auf dem Vordeck.“ Francis, einer der ganz Großen des Yachtdesigns und Lehrmeister heute sehr erfolgreicher Kollegen wie Espen Øino, Dan Lenard oder Jonny Horsfield, wirkt dort fast ein wenig emotional. „Ich habe Jahre meines Lebens mit der Gestaltung und Umgestaltung dieser Yacht verbracht. Dass wir dieses Ergebnis jetzt endlich einer breiten Öffentlichkeit zeigen dürfen ist einfach wunderbar.“ Die Sonne knallt vom Himmel, doch wir bleiben draußen stehen; die extrem gebogenen Scheiben wirken wie ein Magnet. Wer erstmals vor ihnen steht, muss sie einfach berühren. 19 Millimeter dick sind sie, glänzen und schützen das Innere vor jeglichen äußeren Einflüssen.
Die Inspiration dafür nahm Francis von Pariser Bussen. Er präsentierte sie dem Auftraggeber von „Eco“, Emilio Azcárraga, in einem sogenannten Design-Pitch, an dem auch Jon Bannenberg und der berühmte Industrie- und Automobildesigner Giorgio Giugiaro teilnahmen. Der mexikanische Milliardär, der sein Vermögen unter anderem mit Hotels, TV-Sendern und einer Fluglinie erworben hatte, entschied sich für Francis’ Vorschlag, wenngleich er bereits zwei Bannenberg-Entwürfe – die 46-Meter-Feadships „Azteca“ und „Paraiso“ – parallel fuhr. „Mein Entwurf“, so Francis, „war der radikalste. Vielleicht bekam ich deshalb den Zuschlag.”
Als Werft wurde Blohm+Voss gewählt, als Lieferant für die Gläser engagierte Francis den deutschen Automobilzulieferer Flachglas. „Es war eine Entwicklung ins Blaue. Solche Scheiben hatte noch niemand zuvor realisiert“, erinnert sich Francis. Würden zudem Rumpf und Aufbauten so steif bleiben, dass die Fenster nicht brechen würden? Der halbrunde Look erstreckt sich schließlich über drei Decks, wobei die Brücke mit jeglicher Elektronik am empfindlichsten, nämlich auf dem Hauptdeck, platziert ist. Darüber thront die Eignerkabine, wiederum darüber dann die Lounge des Sundecks. Eine Auflage der Klassifikationsgesellschaft Lloyd’s bestand deshalb darin, Rahmenverstärkungen mitzuführen, um insbesondere die Ruderhausscheiben bei schlechtem Wetter zu stabilisieren. „Die Crew führt sie immer noch mit“, so Francis, „benutzt werden sie aber nie.“ Vielmehr erhöhe der Kapitän bei mehr Seegang und überkommendem Wasser den Speed, sodass der Rumpf ähnlich einem Wavepiercer durch die Wellen schneidet. „Wir haben ja schließlich genug Kapazität im Maschinenraum.“
Die Daten beeindrucken tatsächlich. Mit zwei je 3680 Kilowatt starken Deutz-MWM-Dieseln, die auf zwei Kamewa-Waterjets wirken, bringt es die 74,50 Meter lange und nur 11,20 Meter breite „Enigma“ auf ihre Reisegeschwindigkeit von 18 Knoten und eine Reichweite von 2200 Seemeilen. Ist dagegen etwas mehr Tempo gefragt, schaltet der Kapitän die General-Electric-Gasturbine hinzu, die in einer derartigen Dimension bis dato nur im Marineschiffbau eingesetzt wurde. Zusätzliche 13 800 (!) Kilowatt beschleunigen die Konstruktion aus hochfestem Spezialstahl und einem nur 28 Tonnen schweren Aufbau aus GFK dann auf bis zu 35 Knoten. Allzu häufig wurde die CODAG-Konfiguration (Combined Diesel and Gas) in den vergangenen 25 Jahren indes nicht benutzt. Während die beiden – kürzlich überholten – Hauptmotoren rund 22 000 Betriebsstunden aufweisen, kommt die Gasturbine auf nur knapp 3000 Stunden.
Schließlich ist „Enigma“ bei über 30 Knoten nicht eben genügsam: Dann verlieren die Bunker mit einer Kapazität von 240 000 Litern rund 5500 Liter Diesel die Stunde. 43 Stunden könnte die Yacht mit diesem Speed unterwegs sein, die Reichweite beträgt mit eingerechneter Reserve so 1200 Seemeilen.
„Einmal“, erinnert sich Martin Francis, „lagen wir mit der Yacht vor Palma, sie war gerade ausgeliefert worden. Plötzlich sagte der Eigner, dass er gern abends in Porto Cervo wäre. Das war die ultimative Probefahrt.“ Während der Kapitän die Yacht durch den beachtlichen Schwell steuerte, gab es ein langes mexikanisches Mittagessen. „Danach schauten wir Filme, speisten und legten gegen Mitternacht an. In der Straße von Bonifacio funkte uns die Küstenwache an. Die hatten noch nie ein Speedobjekt dieser Größe auf dem Radar erlebt.“
Wir bewegen uns nun langsam in Richtung Interior, dessen erster Entwurf von Francis und François Zuretti stammt. „Viel hat sich nicht verändert“, sagt Francis und überrascht damit. Die Einrichtung wirkt auf den ersten Blick modern und freundlich und in keinster Weise aus der heutigen Zeit gefallen. Schaut man sich die Dokumentation der Refits an, listet sie für das Interior hauptsächlich den Austausch technischer Komponenten und neue Belederungen. Aufgrund der flachen Silhouette und der schmalen Breite der Yacht sind die Räumlichkeiten etwas gemütlicher als auf herkömmlichen 70-Meter-Formaten; der Ausblick aus den Flachglas-Scheiben ist indes spektakulär und verleiht jedem Raum, der sie besitzt, einen Extra-Kick. Wir genießen ihn zunächst auf der Brücke, die den vier Gästekabinen voraus im Bug des Hauptdecks installiert ist. Was bei der Ablieferung von „Eco“ als vollkommen unmögliche Platzierung eines Ruderhauses galt, hat sich in 25 Jahren bewährt. „Zudem“, ergänzt Martin Francis, „hatten wir gar keine Wahl. Emilio Azcárraga wollte seine Kabine ein Deck höher haben, um dort oben eine bessere Aussicht zu erleben.“
Der Look der Brücke jedenfalls passt zu ihrem Job; schwarzes Leder, ein Teakboden, fünf Bildschirme und beleuchtete Gashebel verströmen eine technisch-maskuline Atmosphäre. Von hier wird über die Hälfte des Unterdecks und ein Teil des Tankdecks kontrolliert – so viel Volumen nehmen Antriebsanlage, Generatoren und weitere Komponenten ein, die für den Betrieb einer solchen Yacht notwendig sind. Zur Navigation und Kommunikation setzt die 21-köpfige „Enigma“-Crew übrigens auf Equipment von Raytheon Anschütz, Saab, Furuno und B&G.
Hinter den Gästekabinen auf dem Hauptdeck schließen sich ein Kino und weiter achtern zwei interessante Features an, die der zweite „Enigma“-Eigner, der sportbegeisterte Larry Ellison, einbauen ließ. Er taufte „Eco“ in „Katana“ um. „Larry benötigte ein Gym, das wir rundum verglast auf das Achterdeck stellten“, erklärt Francis. Zudem ließ er das Wasserflugzeug, das Azcárraga achtern geparkt hatte, entfernen und einen Basketballkorb an die Stirnseite des Aufbaus hängen. „Sobald die Tender im Wasser waren, konnte gespielt werden“, schmunzelt Francis.
Ellison kaufte die Yacht übrigens erst, nachdem Azcárraga gestorben war. Der Mexikaner liebte „Eco“ so sehr, dass er die letzten Monate seines Lebens auf ihr verbrachte.
Wir stehen in der Eignerkabine, in der er starb, als Francis dies zum Besten gibt. Zuvor hatte sein Auftraggeber mit „Eco“ sechsmal den Atlantik passiert und war in nur einer Saison von Hamburg über St. Petersburg, die Balearen, die Karibik und den Panamakanal bis nach Los Angeles gereist. Zur Kraftstoffversorgung fuhr ein in Dänemark erworbener Tanker mit, sodass mitten auf dem Atlantik Diesel nachgeschüttet werden konnte.
Azcárraga jedenfalls lag mit seiner Entscheidung goldrichtig, seine Kabine über der Brücke einzurichten. Der Blick durch die konvexen Flachglas-Fenster ohne jede Verzerrung ist noch besser als auf der Brücke. Auf diesem Deck steht zwischen Suite und Salon der Speiseplatz, der für bis zu zehn Gäste ausreicht und mit den Jahren aus dem Salon entfernt wurde. Dort steht nun eine Sofalandschaft. Eine weit zu öffnende Schiebetür verbindet das Innere mit dem Außendeck, wo unter einem fest installierten Sonnensegel an zwei Tischen al fresco gespeist werden kann. Dies ist der Bereich, der vornehmlich den Gästen zugestanden wird, denn die vordere Lounge auf dem obersten Deck kann vom Eigner abgeriegelt werden, sodass aus seiner Kabine ein Maisonette-Apartment wird.
Als wir uns auf die Daybeds in den Nocks dieses Decks setzen, wird klar, warum auch der inzwischen dritte und recht scheue „Enigma“-Eigner diese Option sicher manchmal zieht. Es ist der vielleicht schönste Platz an Bord – und das sogar noch vor der Verglasung.
Dieser Artikel erschien in der BOOTE EXCLUSIV-Ausgabe 02/2017 und wurde von der Redaktion im Mai 2023 überarbeitet.