Unbekannt
· 08.06.2012
Abseits der Hauptsaison liegt tiefe Ruhe über Mecklenburgs Kleinseenplatte. Wir erlebten im Spätsommer einen Törn voller stimmungsvoller Momente.
Samt Schindeldach und Wetterfahne streckt sich der Kirchturm aus dem Frühnebel. Erstes Laub bedeckt den Grund der Lindenallee, und Spinnennetze voller Tautropfen glitzern wie Kristallkunstwerke in der Morgensonne. Stille. Doch da drängt sich plötzlich ein Knattern in die Idylle: Mit blauer Zweitakt-Fahne fegt ein Trabi vorbei und verschwindet hinter der nächsten Biegung.
Der Altweibersommer hat Einzug gehalten an der Grenze zwischen Mecklenburg und Brandenburg, genauer gesagt in Buchholz am Müritzsee. Der kleine Ort ist die erste Station auf unserem Chartertörn über Müritz und Mecklenburgische Kleinseenplatte. Die Hauptsaison ist längst vorbei, der Oktober hat begonnen, und wir erhoffen uns ein paar goldene Stunden und ganz viel Einsamkeit auf dem Wasser.
Südwärts über die Müritz
Unter blauem Himmel starten wir am Morgen zuvor in der Marina Eldenburg bei Waren. Die hübsche Ferienanlage am kleinen Reecksee (der zwischen Binnenmüritz und Kölpinsee liegt) ist außerdem Stützpunkt von Yachtcharter Schulz, zu dessen Flotte unser Boot, ein Stahlverdränger vom Typ Gruno 35 Classic, gehört.
Nach dem verregneten Sommer scheint das Wetter zum Glück noch einiges gutmachen zu wollen, und da zudem das Wochenende in vollem Schwung ist, müssen wir am Anfang auf die Einsamkeit etwas warten – jedes Boot, das noch im Wasser liegt, ist offenbar unterwegs.
Von der Binnenmüritz geht es auf annäherndem Südkurs zunächst am Tonnenstrich entlang an Schloss Klink vorbei und anschließend in südöstlicher Richtung auf die offene Müritz hinaus. Hindurch zwischen den Untiefen Rosenberg und Rodenberg (die rot-weiße Tonne „Müritz Mitte“ markiert die Mitte des Fahrwassers) und weiter bis zur kleinen Müritz.
Danach folgen wir dem schmalen Müritzarm zum Müritzsee und haben selbst am späten Nachmittag noch freie Platzwahl zwischen den Fingerstegen des Wasserwanderrastplatzes Buchholz. Neben Wasser und Strom am Steg bietet der Anleger mit der „Gelben Welle“ auch eine Wassertankstelle für Benzin und Diesel. Für unseren 11,40 m langen Stahlverdränger bezahlen wir 16,50 Euro Liegegebühr, Strom inklusive. Die Anmeldung erfolgt im Restaurant „Windrose“ am Südufer der Bucht. Wer das Abendessen mit einem Spaziergang verbinden möchte, kann für Zander und Soljanka auch im „Gasthaus zu den drei Linden“ an der Dorfstraße einkehren. Backfrisches liefert der Brötchenwagen am Morgen (Zeiten am Hafen erfragen).
Richtung Rheinsberg
Das Wochenende ist vorbei, und an der Schleuse Mirow macht sich die Nebensaison dann zu unserer Freude deutlich bemerkbar: keine langen Schlangen, nur ein anderes Charterboot vor uns, und nach zwanzig Minuten sind wir durch, die Kleinseenplatte liegt vor uns!
Wir folgen der Müritz-Havel-Wasserstraße über Zotzensee, Vilzsee und Labussee. Die Schleusen Diemitz und Canow sind ähnlich verwaist. Im Kleinen Pälitzsee biegen wir nach Süden ab auf die Rheinsberger Gewässer. Die verkürzten Schleusenzeiten ab dem 1. Oktober (aktuell für 2012 unter www.elwis.de) haben wir im Auge und erreichen die letzte Schleuse des Tages in Wolfsbruch früh genug. Hüttenkanal, Jagowkanal und Schlabornsee folgen noch, dann erreichen wir den großen Rheinsberger See.
Wir scheren aus dem Fahrwasser aus und halten auf das bewaldete Ufer im Westen zu. Keine fünfzig Meter vom Schilfgürtel entfernt klatscht unser Anker in das drei Meter tiefe Wasser. Das Rasseln der Kette verhallt im nahen Wald, am Mast brennt das weiße Rundumlicht. Es ist ein guter Platz für die Nacht, deren Schatten von Westen schon weit über den See greifen.
Am nächsten Morgen liegt das Wasser wie ein dunkler Spiegel um uns herum, auf dem gelbe Blätter treiben. Nebel wallt in den Buchten, über dem offenen Wasser steht feiner Rauch. Der Sonnenaufgang malt den Herbst über den Uferwald, in dem Eicheln und Kastanien fallen.
Wir gehen ankerauf und motoren durch den goldenen Morgen zurück zum Fahrwasser und weiter nach Süden in den Grienericksee, an dem Rheinsberg mit seinem Rokoko-Schloss liegt, und wo auch die Wasserstraße endet. Im Yachthafen reiben sich die wenigen Chartercrews gerade den Schlaf aus den Augen, als wir für einen kurzen Stadtbummel festmachen. Natürlich eignet sich der Hafen sonst auch gut zum Übernachten: Strom und Wasser gibt’s am Steg, die Liegegebühr beträgt 1,50 Euro pro laufenden Meter.
Dazu liegt die Anlage sehr zentral, in fünf Minuten kommt man zu Fuß bequem zum Markt mit dem „Ratskeller“ und zum Schloss, das aus den Jahren des Preußenkönigs Friedrichs des Großen stammt. Wer ein bisschen Zeit mitbringt, sollte sich den Schlosspark nicht entgehen lassen, der sich bis zum Westufer des Sees erstreckt. Vom Obelisken dort hat man, besonders am Abend, einen großartigen Blick auf das Stadtpanorama.
Unser Charterboot ist allerdings schon wieder Richtung Norden unterwegs, und am Nachmittag sind wir zurück auf der Müritz-Havel-Wasserstraße. Vor der Schleuse Strasen haben wir dann doch ein paar Boote vor uns und müssen eine halbe Stunde warten; kein Vergleich jedoch mit den fast endlos langen Schlangen, auf die man in der Hauptsaison vor diesem Nadelöhr treffen kann.
Am nun folgenden Ellenbogensee liegt Priepert, unser nächstes Ziel. Hier mündet die Müritz-Havel-Wasserstraße in die Obere Havel-Wasserstraße, die von Neustrelitz im Norden nach Osten und Süden weiter in Richtung Berlin führt.
An dieser wichtigen Kreuzung herrscht auch jetzt noch einiger Verkehr, einen Platz finden wir im Yachthafen Priepert aber dennoch – auch wenn es der letzte ist. Auch hier gehören Strom und Wasser natürlich zur Ausstattung, und im Kiosk bezahlen wir wieder 16,50 Euro für den Liegeplatz plus 2 Euro für den Strom (Einwurf am Steg). Diesel kann ebenfalls gebunkert werden, für sonstigen Bedarf sorgt der Kiosk.
Weiter nach Neustrelitz
Noch einmal stehen wir früh auf, um die Morgenstimmung mitzubekommen, denn der Wetterbericht kündigt für die nächsten Tage deutlich herbstliche Töne an. Die Dämmerung lässt sich gerade erahnen, als wir die Leinen loswerfen, um uns für das Frühstück einen schönen Ankerplatz auf dem Ellenbogensee zu suchen.
Mit gerade einmal eingekuppelter Maschine teilt unser Bug die Nebelschleier, die dicht über dem Wasser schweben. Geräuschlos geht es voran, während das Himmelsblau kräftiger wird und im Osten in Türkis und sanftes Gelb übergeht. Keine zwei Kilometer von Priepert entfernt finden wir einen guten Ankerplatz im Schutz dicker Eichen, und während die Sonne endlich über den Baumspitzen aufsteigt, zieht der unwiederstehliche Duft von Kaffee, Rührei und gebratenem Speck über den Ellenbogensee ...
Unser Tagesziel ist jedoch Neustrelitz. Wir passieren Priepert und nehmen nun die Obere Havel-Wasserstraße in Richtung Norden unter den Kiel. Noch zeigt sich keine Wolke am Himmel. Wir überqueren den Großen Priepertsee und schneiden die westliche Ecke des Wangnitzsees (der sonst nach Osten hin komplett für Maschinenantrieb gesperrt ist).
Auf dem nächsten Havelabschnitt steht die Sonne dann hoch genug, ihre Strahlen erreichen nun auch die Wasseroberfläche zwischen den aufragenden Bäumen und zerpflücken die letzten Nebelfahnen.
Der Finowsee, dessen schmalste Stelle von einer geschlossenen Holzbrücke überspannt wird, ist komplett von Wald umringt, mit Schilf gesäumt und bietet einige gut geschützte Ankerplätze.
Wer hier eine Pause einlegt, sollte auch beim Fischereihof Ahrensberg vorbeischauen, dessen Hütte (mit Picknickgelände) gleich nördlich der Brücke auf dem Westufer steht. Anlegen sollte man hier nur mit kleinen Sportbooten (oder mit dem Beiboot), dafür bekommt man neben Frisch- und Räucherfisch auch Spezialitäten, wie eingelegten Brathecht im Glas.
Wer selbst im Revier angeln will, benötigt neben Fischereischein eine örtliche Angelkarte, die auch vorab bestellt und zugesandt werden kann. Informationen gibt es bei der Seenfischerei „Obere Havel“ in Wesenberg (Tel. 039832-202 68, www.fischerei-wesenberg.de). Wer alle Papiere dabei hat, kann Begegnungen mit der Fischereiaufsicht entspannt entgegenblicken – deren Beamte sind im Revier nämlich mit einem roten RIB unterwegs.
Der Stadt Wesenberg, die nach der gleichnamigen Schleuse folgt, statten wir diesmal keinen Besuch ab. Gute Liegeplätze gibt es jedoch in der Marina Wesenberg am Ostufer nördlich der Schleuse, rund einen Kilometer vom Zentrum entfernt (Strom und Wasser am Steg, Tankstelle mit Super und Diesel, Liegegebühr: 1,10 E/m, www.marina-wesenberg.de).
Mit vier Kilometern Länge gehört der Woblitzsee, an dessen südlichem Ende Wesenberg liegt, zu den größeren Seen der Region. Im Nordwesten mündet die Quassower Havel ein, die bis zum großen Labussee zwar schiffbar, bei 0,90 m garantierter Fahrrinnentiefe aber nur für kleine Boote als Abstecher geeignet ist.
Für uns geht es dagegen im Nordosten weiter, über den Kammerkanal und über die Schleuse Voßwinkel. Hinter dieser wartet mit der alten Eisenbahnbrücke schon das Hindernis mit der niedrigsten Durchfahrtshöhe (3,42 m) des Törns auf uns. Doch wir lassen uns nicht überraschen und legen Verdeck und Mast unserer Gruno rechtzeitig nieder.
Wind aus Nordwest kommt auf, als wir den Zierker See erreichen, und treibt die inzwischen dichten, grauen Wolken vor sich her. Spärliche Birken grenzen an die seichten, moorigen Ufer. Der See ist sehr flach, so flach, dass die betonnte Fahrrinne unbedingt eingehalten werden muss. Einzelne Sonnenstrahlen lassen die Tonnen dramatisch leuchten.
Kurz darauf liegen wir mit dem Heck zur Hafenmauer hin in einer Box im Stadthafen von Neustrelitz, der selbstverständlich ebenfalls über Strom und Wasser verfügt. Für den Liegeplatz bezahlen wir 13,50 E, Strom eingeschlossen. Hafenbüro, Toiletten und Duschen sind in einem sehr komfortablen, modernen Gebaüde direkt am Anleger untergebracht.
Es ist zwar der Tag der Deutschen Einheit, der Sommer ist jedoch endgültig vorbei. Kurze Hosen sieht man noch, aber auch schon die ersten Mäntel. Dennoch ist viel los an diesem Feiertag, und auch der kleine Hafen mit seinen restaurierten Backsteinspeichern füllt sich noch zum Abend hin. Gemütlich und einladend leuchten
die Fenster im „Live am Hafen“, einem netten und entspannenden Bar-Restaurant in einem der Speicher – unser Tipp für Neustrelitz.
Vor uns liegt jetzt nur noch die Rückfahrt nach Waren; vielleicht werden wir noch einmal Anker werfen. Der Herbst hat uns eingeholt. Als wir vor der Schleuse Voßwinkel darauf warten, dass sich das Tor für uns öffnet, fegt ein kalter Wind aus dem bleiernen Himmel. Die Luft ist klar. Blätter wehen durch den Niedergang und sammeln sich am Fuß der Treppe.
WAS SKIPPER WISSEN MÜSSEN
Die Firma Yachtcharter Schulz verfügt auf den mecklenburgischen und märkischen Gewässern und an der Boddenküste über fünf Charterstützpunkte, zwischen denen auch Einwegfahrten möglich sind. Die vielseitige Flotte umfasst Boote bis hin zu 14 Kojen. Zu den Typen gehören kleinere Kajütboote, Wassercamper, Stahlverdränger und sportliche Mo-toryachten. Kontakt: Yachtcharter Schulz, An der Reeck 17, 17192 Waren, Tel 03991-12 14 15, www.bootsurlaub.de
Das Boot Unterwegs waren wir mit einer Gruno 35 Classic KR. Bei einer Länge von 11,40 m bot der Stahlverdränger in zwei komfortablen Doppelkabinen mit jeweils eigener Nasszelle und Dusche Platz für vier Personen. Für den Urlaub war das geräumige Boot voll ausgestattet. Zu den weiteren Extras gehörten unter anderem Bug- und Heckstrahlruder. Wochenpreise: 1140 bis 2340 E.
Unser Fotoboot Als praktisches Beiboot für Fotoaufnahmen dient uns seit dem vergangenen Jahr ein 2 m langes Schlauchboot des österreichischen Herstellers e-Sea vom Typ Sport Yachting 200. Informationen: www.e-sea.at
Motorisiert ist es mit einem Elektro-Außenborder vom Typ Torqeedo Travel 1003 mit 3 PS und integriertem Bordcomputer. Infos: www.torqeedo.com
Das Revier Auf dem gesamten Streckenverlauf gilt die Charterbescheinigung. Das Revier ist für Anfänger absolut geeignet, Berufsschifffahrt ist kaum unterwegs. Die befahrenen Wasserstraßen im Törnverlauf:
* Höchstgeschwindigkeit gegenüber dem Ufer auf Seen und seeartigen Erweiterungen mit Breite von mehr als 250 m außerhalb des ufernahen Schutzstreifens.
Die Törnliteratur
Die Törnetappen (in km)