Marcus Krall
· 28.09.2019
Wenn sich Performance-Eigner zum Poker-Run treffen, ist ein Tag voller Adrenalin garantiert. BOOTE drückte am Gardasee die Hebel gen Armaturenbrett
Fünfhundert Meter sind wir vielleicht von der West Garda Marina entfernt, als uns auffällt, dass wir gar keine Fender an Bord haben. "Egal", sagt Wolfgang, "wird auch so gehen, ich will jetzt los." Ole nickt, Sven – noch ein Bootsneuling – bewegt auch irgendwie den Kopf, der Abend gestern war scheinbar ein bisschen länger.
"Mach doch mal Musik an", sagt Ole zu Wolfgang, der nun den Schalter umlegt, der irgendwie aus einem Powerboot erst ein Powerboot macht. "Exhaust thru prop" steht da drauf: Die Auspuffklappen sind geöffnet, und unter dem Geblubber der über 400 PS starken 8,2-Liter-Mercurys checken wir die Karte.
Wer in der näheren Umgebung noch nicht wach war, ist es spätestens jetzt. Von Padenghe müssen wir nach Sirmione zu Nautica Bisoli, einem kleinen Privathafen, wo heute der zweite Performance Poker Run starten soll.
Wie schon in der West Garda Marina ist auch in Sirmione gefühlt jedes zweite Boot eine Performance. Und zugelassen sind heute ja auch nur Modelle der deutsch-italienischen Marke; waren im vergangenen Jahr acht Boote angemeldet, sollen es heute schon 14 Stück sein.
Das Prozedere des Runs sieht dabei wie folgt aus: Es werden in der südlichen Hälfte des Gardasees fünf verschiedene Tankstellen angelaufen, an denen die Crews jeweils eine Pokerkarte ziehen und die Blätter dann im Ziel vergleichen – die beste Hand gewinnt!
Theoretisch ist das Tempo auf dem 51 Kilometer langen und 17 Kilometer breiten Gewässer also zweitrangig, da schließlich das Blatt über den Sieg entscheidet. Doch wer bei Nautica Bisoli den Gesprächen lauscht, merkt, dass viele Eigner – jetzt, zu Beginn der Saison – ihre Boote wieder einmal ausfahren möchten.
Dieser und die nächsten beiden Tage sind schließlich als "Das schnellste Wochenende der Welt" tituliert; und nicht umsonst lautet der Performance-Slogan "Life begins at 40 knots".
Dass es für uns noch weitaus mehr werden, ahne ich noch nicht und frage einen Eigner, wie viele Liter Kraftstoff er denn für diesen Tag einkalkuliert. "Keine Ahnung", sagt er. "Wenn Sie sich darüber Gedanken machen, müssen Sie ein anderes Boot kaufen."
Es geht so langsam los. Eckhard Spoerr begrüßt die Crews – drei haben leider kurzfristig abgesagt – und drängt zum Aufbruch. Er erwarb die Marke vor zwei Jahren mit Wolfgang Gehrlicher, nachdem sie ins Straucheln geraten war. Der ehemalige Freenet-Eigentümer Spoerr war Performance schon zuvor durch sein eigenes Boot verbunden und steigt samt Familie und Gästen nun auf seine 1107.
Wolfgang, Ole, Sven und ich haben mit unserer knallorangefarbenen 801 bei ihm längsseits festgemacht – Spoerr hat natürlich Fender an Bord – und legen ebenfalls ab. Vor der Marina versammeln sich die elf Boote, von der 701 für rund 100 000 Euro bis zur 1401, die eine knappe Million wert ist.
Wolfgang dreht das Cap auf seinem Kopf einmal um 180 Grad. Aus welchem Stallone-Streifen kannte man dies noch einmal? Richtig: "Over the Top".
Sekunden später jedenfalls prescht das Führungsboot mit der Pokerrun-Flagge los und die PS-strotzende Flotte setzt sich in Bewegung. "Festhalten", brüllt Wolfgang, als er durch die Hecksee der anderen prescht. Nur für einen kurzen Augenblick ist das Fotografieren möglich, dann gilt es, den eigenen Körper so zu verbarrikadieren, dass er nirgendwo gegenschlägt.
Sven, unser Bootsneuling, guckt etwas angestrengt und Ole, der vorn im Sitz steht, juchzt vor Begeisterung. Er ist ein langjähriger Weggefährte Spoerrs und führt inzwischen unter anderem die Geschäfte von Performance Marine; unserem Fahrer Wolfgang gehören sogar 50 Prozent des Unternehmens.
Auf diesen wenigen Quadratmetern Boot zählen heute jedoch weder Status noch Portemonnaie, irgendwie gilt die stille Abmachung, dass wir vier Männer einen coolen Tag erleben. Und dafür scheint eine Performance auch zumindest zur Hälfte gebaut zu werden…
Wir ziehen die nächste Karte im Porto Bruno Manfredi und dann im Nautica Roccavela, wo ein Zwischenstopp mit Mittagspause eingeplant ist. Hier bekommen wir von einem anderen Teilnehmer sogar zwei Fender geliehen, das macht das Anlegen plötzlich wesentlich entspannter. Der Adrenalinspiegel hat ob der beiden Etappen noch keinen wirklich kritischen Pegel erreicht, doch die Marlboros glühen und erste Proseccos perlen um die Wette.
"Gleich gebe ich mal richtig Gas", sagt Wolfgang und schaut dabei entschlossen. Das Cap hat er in Stallone-Manier immer noch falsch herum aufgesetzt. Was er bislang gemacht hat, wage ich nicht zu fragen, entscheide mich aber spontan ebenfalls für einen Prosecco. Der wirkt beruhigend. Wer nicht jeden Tag Powerboot fährt, für den war der heutige Tag bereits jetzt eine Achterbahnfahrt hoch zwei.
"Alles gut verstauen", rät Wolfgang nun, als wir uns langsam durch das Performance-Feld manövrieren und uns sogar noch vor das sogenannte "Pace-Boot" legen. Als dort die berühmten Hebel gegen das Armaturenbrett gepresst werden, ruft Wolfgang "Achtung" und drückt scheinbar so fest er kann. Es sieht beinahe so aus, als möchte er die rund 30 Zentimeter lange Stahlstange im GFK versenken. Unser orangefarbener Performance-Renner lässt es jedenfalls unter der Motorenklappe laut und kräftig rumoren, dann katapultiert er uns bis an die Spitze.
"50 Knoten" brüllt Ole gegen den Fahrtwind, der so langsam die Gesichtshaut zum Flattern bringt. "52", höre ich noch, dann beginnt der Tunnelblick: Welle – in die Knie gehen, Kurve – Körper ausbalancieren, sonst gilt vor allem festhalten, festhalten, festhalten.
Die dritte Karte ziehen wir in der Marina di Bogliaco und sind die ersten dort. Ole schmunzelt: "Mann, war das ein Ritt." Trocken-hanseatisch füge ich hinzu: "Also, ein Törn war das jedenfalls nicht", und das Adrenalin, das uns unterwegs wahrscheinlich schnapsglasweise in die Adern geschossen ist, lässt uns in schallendes Gelächter ausbrechen. Wolfgang scheint zufrieden, unser Ziel haben wir erreicht.
Über den Porto di Monniga, die vierte Zwischenstation, steuert die Flotte am frühen Nachmittag dann die West Garda Marina an. Es ist eine kurze letzte Etappe, was jeder zu wissen scheint. Während an den anderen Tankstellen noch immer brav auf alle Teilnehmer gewartet wurde, prescht nun jeder sofort nach der Karten-Ziehung los. "Schnell, schnell", sagt Wolfgang, als wir an der Reihe sind.
Kaum liegt der Umschlag in der Schlupkabine, mobilisiert er auf den letzten Meilen noch einmal jede Leitung der amerikanischen Mercury-Motoren. Der Rumpf schneidet – wie schon den ganzen Tag – butterweich durch das norditalienische Wasser, als bereits nach wenigen Minuten die Marina vor uns auftaucht.
Wolfgang dreht noch eine Runde durch die aufgewühlte Bucht, in der ein älterer Herr seelenruhig in seinem Schlauchboot sitzt und die Sonne genießt. Auch das ist Wassersport, und wir tun es ihm gleich.
Drehzahlmesser auf Null, Kronkorken abhebeln – "Erstmal ein Manöverbier", sagt Ole. Dass wir, so stellt sich später heraus, beinahe das schlechteste Blatt gezogen haben, wird zur Nebensache – es gewinnt ein "Flush". "Nächstes Jahr", sagt Wolfgang, "da ziehen wir alle ab." Ob auf dem Wasser oder am Pokertisch, bleibt irgendwie offen…
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