BOOTE und YACHT wollten auf der Nordsee die jeweils „andere Seite“ kennenlernen – mit Sturm hatte dabei aber niemand gerechnet
Draußen am Rumpf rauscht das Wasser vorbei. Gischt schlägt über das längliche Salonfenster in Lee, so sehr neigt sich die Yacht vor dem steifen Wind nach Steuerbord. Im Rigg heult und orgelt es. Schwerwetter unter Segeln – so, wie man es sich vorstellt. Doch die Sache hat einen Haken: Wir sind noch gar nicht auf See. Wir liegen fest vertäut im Hafen, ohne Tuch, mit blankem Mast.
Ein schwerer Weststurm hat die Nordsee so fest im Griff, dass er sogar in der relativen Geborgenheit der Seaport Marina von IJmuiden für gehörige Unruhe sorgt. Seine orkanartigen Böen mit mehr als 50 Knoten in der Spitze sind dafür verantwortlich, dass unser knapp 13 Meter langer Fahrtensegler selbst am Schwimmsteg "Fahrt" durchs Wasser macht.
Geschützt vor dem peitschenden Regen und dem feinen Sand, der vom Strand über die Dünen herübergeblasen wird, können wir es uns wenigstens unter Deck bequem machen und bei einem Bier die Lage beraten. Dafür gibt es guten Grund, denn eigentlich war diese Geschichte ganz anders geplant. Zusammen mit der YACHT wollten wir von BOOTE auf einem gemeinsamen Törn mit zwei Schiffen selbst erleben, was die jeweils "andere Seite" ausmacht. Wir als Motorbootfahrer würden dafür auf den Segler umsteigen, meine segelnden Kollegen ihrerseits auf die Motoryacht. Natürlich hatten wir dabei in erster Linie die positiven Aspekte im Kopf, bei gutem Wetter, versteht sich. Eine ganz normale Ausfahrt, nur auf jeweils anderem Kiel. Wir wollten Kurse vergleichen, Fahrzeiten, Verbrauch. Vor allem aber wollten wir verstehen, worin der Reiz des "Fremden" liegt.
"Der direkte Kontakt mit Wind und Wetter war für mich das aufregendste Erlebnis – und wie schnell die Dinge an Bord einer Segelyacht deshalb häufig ablaufen müssen. Das schweißt die Crew zusammen. Andererseits muss es ja nicht immer gleich Sturm sein." – Christian Tiedt, BOOTE-Redakteur
Bei den Booten fiel die Wahl auf zwei bereits von den Redaktionen getestete Modelle: eine C-Yacht 12.50i für uns, ein hochwertiges Tourenschiff mit Mittelcockpit, Rollgenua und Rollgroßsegel; und eine Elling E4 für die Segler, bei 15 Meter Länge eine äußerst stattliche Erscheinung, mit markanten Linien, starkem Turbodiesel und – zum Glück – CE-Kategorie A. Da beide Yachten in den Niederlanden gebaut werden, bot sich IJmuiden als Starthafen an – für einen Kurztrip nach England, inklusive English breakfast in einem Pub in Great Yarmouth oder Lowestoft, bevor wir wieder Kurs auf die holländische Küste nehmen würden. Soweit der Plan.
Allerdings hatten wir die Rechnung ohne das Sturmtief gemacht. An diesem Ziel festzuhalten, hätte bedeutet, den ganzen Weg zur Insel voll gegenan zu knüppeln, was für die Segelyacht selbst bei 6 Beaufort schon zeitraubendes Kreuzen erfordert hätte. Bei 10 Windstärken wäre es die reinste Qual – und unseemännischer Irrsinn.
Mit den beiden Skippern fassen wir deshalb den Beschluss, die Nacht noch im Hafen abzuwettern und erst am nächsten Tag auszulaufen, wenn der Sturm etwas nachgelassen hat. Dann soll es losgehen, so oder so. Nur nicht wie ursprünglich beabsichtigt nach England, sondern auf günstigerem Kurs mit rauem Wind an der Küste entlang nach Norden. Das Ziel: Oudeschild auf der Insel Texel.
"Die größte Überraschung war für mich, dass wir bei diesen Bedingungen mit der Motoryacht überhaupt auslaufen konnten – und dass ich trotzdem schon nach kurzer Zeit so viel Vertrauen
in die Seetüchtigkeit des Bootes fassen würde." – Jochen Rieker, YACHT-Chefredakteur
Auf der Motoryacht: Anton van den Bos hat es sich nicht nehmen lassen, selbst dabei zu sein. Er liebt Abenteuer und strahlt ein Urvertrauen in seine Boote aus, das weit über das erwartbare Marketinggedöns hinausgeht. Fast könnte man meinen, er habe sich schweres Wetter gewünscht für diesen Törn. Vor ein paar Jahren ist er mit drei E4 und reichlich Zusatztanks schon über den Atlantik geschippert. Voriges Jahr ließ er sich in seinem Flaggschiff festgurten und per Kran einmal auf den Kopf drehen, dokumentiert von einem Dutzend Kameras. Er habe zeigen wollen, dass seine Boote selbstaufrichtend konstruiert sind, sagt er vergnügt, "genau wie Segelyachten". Das beruhigt – jedenfalls ein bisschen. Genau wie die Tür zum Ruderhaus, die schwer wie ein Tresor ins Schloss fällt. Genau wie der Bootsname: "Fortuna". Wird schon schiefgehen.