ReportagePedrazzini - Die Künstler vom Zürichsee

Unbekannt

 · 12.02.2016

Reportage: Pedrazzini - Die Künstler vom ZürichseeFoto: Henri Thibault und Pedrazzini-Familienarchiv
Pedrazzini

Seit 1914 baut Pedrazzini Boote in der Nähe von Zürich. Und das Familienunternehmen läuft. Ein Rückblick auf rund 100 Jahre italienischer Kreativität und schweizerischer Zuverlässigkeit.

Man schreibt das Jahr 1906, als Augusto Pedrazzini seiner Heimat am Comer See den Rücken kehrt, um sein Glück an einem anderen Ort zu suchen. Was die direkte Entfernung in Kilometern betrifft, ist die Distanz nicht groß, aus kultureller Sicht jedoch schon: eine halbe Weltreise trennt den katholischen Norden Italiens von der protestantischen, deutschsprachigen Schweiz.

Doch es sind nun einmal die Bootswerften am Zürichsee, bei denen der 22-Jährige sein Talent und seine Erfahrung im Holzbootbau unter Beweis stellen möchte.

Kenntnisse, die er bei Giuseppe Abbate gesammelt hat, einem Spezialisten für Arbeitsboote, dessen Familienname in der Szene noch heute einen großen Klang hat – nicht zuletzt dank seines Großneffen Tullio Abbate, dem bekannten Bootsbauer und Rennboot-Champion. 1914 schließlich gründet Augusto unter dem stolzen Familiennamen seine eigene Firma.

Manchmal muss man genau hinschauen, um einen Neubau von einem alten Modell zu unterscheiden, denn an der feinen Holzverarbeitung hat sich nichts geändert.
Foto: Henri Thibault und Pedrazzini-Familienarchiv


Meisterhandwerk

Bei der Auswahl und Montage der verwendeten Hölzer gelten bei Pedrazzini von Beginn an höchste Standards bis ins kleinste Detail – egal ob sichtbar oder unsichtbar. Gleichzeitig vergrößert die noch junge Werft ihre Bekanntheit am Markt mit immer neuen Modellen. Design-Elemente werden zu Markenzeichen.

Nach der „Superleggera“, einem sehr erfolgreichen kleinen Dingi mit Außenborder, folgt Mitte der Fünfzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts die „Capri“, ein etwas größeres Runabout, das noch heute im Katalog zu finden ist.

Das markante abgerundete Heck der Capri ist eine echte Pionierleistung, die erstmals den bequemen, direkten Zugang zum Wasser ermöglicht, etwa zum Baden oder Wasserskilaufen – ein Trend, der in der Folgezeit viele Nachahmer finden wird.

1965 präsentiert Augustos Sohn Ferruccio mit der größeren „Aquamar“ das erste Pedrazzini-Runabaout, das von zwei Motoren angetrieben wird, nun seinerseits inspiriert von Carlo Riva und seiner „Aquarama“ aus Italien, die bereits drei Jahre zuvor vorgestellt wurde.

Die Schweiz ist für ihre Bodenständigkeit und für ihr besonderes Nationalgefühl berühmt, beide Aspekte prägen das Leben ihrer Bürger in vielerlei Hinsicht. Das führt auch dazu, dass heimische Marken bevorzugt werden. Bei Pedrazzini kann man sich deshalb ebenso wie bei den Kollegen von Boesch auf eine gesunde Wirtschaftslage der Region und eine ausgeprägte Loyalität der Kunden verlassen, die hochwertige, in der Heimat hergestellte Produkte bevorzugen.

Im Kielwasser des "Dolce Vita"

Die traditionelle Art, mit der das Familiengeschäft von einer Generation an die nächste übergeben wird, ist für viele Pedrazzini-Liebhaber fraglos von großer Bedeutung. Als Ferruccio 1993 stirbt, überlässt er seinem Sohn Claudio ein kleines, aber sehr aktives Unternehmen, das seine Boote nicht nur nach ganz Europa exportiert, sondern sogar nach Nordamerika. Zwei miteinander verknüpfte Herausforderungen bestehen jedoch: die Bewahrung der Tradition des Holzbootbaus einerseits und die behutsame, schrittweise Erneuerung des Angebotskataloges.

Nach dem Jahr 2000 beschließt Claudio, drei unterschiedliche Modelle in den Mittelpunkt zu stellen, jedoch ohne dabei die Kontinuität zu brechen. Und so startet die "Capri" zeitgemäß überarbeitet eine zweite Karriere, während mit der doppelmotorisierten, knapp neun Meter langen "Vivale" – die Claudio nach seinen beiden Kindern Viviana und Alessandro benennt – ein völlig neuer Entwurf hinzukommt. Den Spitzenplatz des Trios, im Hinblick auf Größe, Stärke und Preis, übernimmt die "Special", die 10,30 Meter misst und auf Bestellung gebaut wird. Die Nettopreise für die jeweiligen Grundversionen mit V8-Benzinmotoren liegen bei 270 000, 455 000 und 542 000 Euro.

Könige des Mahagoniholzes

Nach technischen Spielereien sucht man bei Pedrazzini-Booten vergeblich. Die Werft hat keinen anderen Anspruch, als beim traditionellen Holzbootbau aus Mahagoni international führend zu sein. Unverzichtbare Grundlage dafür sind die Qualität der verarbeiteten Holzarten sowie die außergewöhnliche Sorgfalt und Geduld in jeder Produktionsphase, vom Zuschneiden der Hölzer über den Trocknungsprozess bis zum Zusammenbau. Jeder Arbeitsschritt wird nach wie vor von Hand ausgeführt, vom Zeichenbrett bis zum letzten Polieren. In den Werkshallen herrscht eine Mischung aus ernster Konzentration und ehrlicher Freude über das Geschaffte.

Eine verlässliche Quelle für das benötigte Mahagoni ist dabei unverzichtbar, um Qualität und Haltbarkeit des Endproduktes zu sichern. Die Baumstämme, die besonders gerade gewachsen sein müssen und eine Länge von etwa elf Metern haben sollten, stammen aus Afrika. Angekauft werden sie in Deutschland, bevor sie in der Schweiz für vier Jahre zum Trocknen gelagert werden. Das Edelholz im Lager der Werft reicht in der Regel für ein Jahr.

Der Rumpf einer typischen Capri, Vivale oder Special entsteht um ein Gerüst herum, dessen einzelne Elemente in einem Stück aus solidem Holz ausgesägt werden. Die Rumpfseiten bestehen aus drei Holzschichten aus einzelnen Streifen, die unter Berücksichtigung des Faserverlaufes in Längsrichtung oder diagonal gelegt werden, um der Struktur die größte Stabilität zu geben. Die Stärke beträgt insgesamt 13 Millimeter, am Rumpfboden sind es, je nach Modell, 12,5 bis 15 Millimeter aus maximal elf Schichten.


Fünfzehn Arbeiter – darunter mehrere Lehrlinge – stellen auf diese Weise sechs bis sieben Rümpfe pro Jahr her. Derzeit entspricht das ungefähr dem, was das Auftragsbuch der Werft ausweist. Vor knapp zehn Jahren habe man zwar noch über die zwei- bis dreifache Anzahl von Aufträgen verfügt, berichtet Claudio, dazu kämen heute jedoch noch Lagerung, Wartung, Restauration und Pflege von bis zu dreißig weiteren Runabouts auf dem Gelände.

Drei Glückssterne

Rund 100 Jahre nach der Firmengründung blickt man bei Pedrazzini deshalb durchaus zuversichtlich in die Zukunft. Etwa 2000 Boote sind in dieser Zeit am Zürichsee gebaut worden, eine Baunummerierung führte Ferruccio allerdings erst 1958 ein. Das derzeit letzte ausgelieferte Runabout trägt daher „erst“ die Nummer 1155.
Es ist kein Zufall, dass das Original-Pedrazzini-Steuerrad, angefertigt von der berühmten Firma Nardi, von drei Sternen geziert wird: das Glückssymbol, das auf dem Stander am Mast flattert, gilt als Schutzzeichen in einer Welt, die zwar komplizierter wird, aber zum Glück noch immer Wert auf perfektes Handwerk legt – von Generation zu Generation.