Ein Text von Norman Kietzmann
Das Wohnen streckt seine Fühler immer mehr ins Freie aus. Outdoor-Sitzgruppen werden als vollständige Erweiterung ihrer Innenraum-Pendants verstanden. Da liegt es auf der Hand, dass Möbelfirmen neben Garten, Terrasse und Poolkante auch die nautische Welt ins Visier nehmen. Schließlich ist die Trennung zwischen drinnen und draußen hier schon lange über Bord geworfen worden. Der Vorteil des Transfers: Außenmöbel sind gegen Feuchtigkeit und Salzluft gleichermaßen gewappnet. Nun werden sie an einen Ort überführt, der alles andere als statisch, sondern ständig in Bewegung ist. Und das bedeutet: Die Möbel brauchen eine andere Erdung. Entweder werden sie wie bei großformatigen Sofalandschaften, deren Position ohnehin nicht variiert, am Boden fixiert. Oder sie müssen an Gewicht zulegen, damit Wind und Wellen ihnen nichts anhaben können.
Genau in diese Richtung tendiert der Klappstuhl „Skipper“, den das Designstudio La Conca für Visionnaire gestaltet hat. Das Möbel erzeugt eine Balance zwischen Solidität und Leichtigkeit. „Wie der Mast eines Bootes, der die Kraft der Segel trägt, sorgt sein solider Rahmen aus Iroko-Holz für Stabilität, während das technische Gewebe der Sitzfläche und der Rückenlehne Flexibilität und Komfort gewährleistet“, so das italienische Unternehmen.
Ledereinsätze bilden raffinierte Details, die vor allem am Rand der Sitzfläche sowie an den leicht gepolsterten Armlehnen hervortreten und vom Savoir-faire handwerklicher Verarbeitung zeugen. Die mechanische Klappstruktur ist aus Stahl und Aluminium gearbeitet. So bringt sie nicht nur die nötige Masse auf die Waage, um unter extremsten Wetterbedingungen zu funktionieren. Die Metallelemente erhöhen zudem die Langlebigkeit des Möbels, das an Bord einer Yacht ebenso Bella Figura macht wie auf der Veranda am Strand.
Mit der Zwiespältigkeit zwischen Land und See spielt die Kollektion „Exteta x Riva“, eine Kooperation des italienischen Outdoor-Möbel-Herstellers und der legendären Werft, deren Boote bis heute als Inbegriff nautischer Eleganz gelten und die zugleich das verkörpern, was jedem beim Begriff Dolce Vita in den Kopf kommt. Die von Massimo Castagna entworfene Kollektion umfasst Sitzmöbel und Tische, die den Stil historischer Riva-Boote aufgreifen. Das zeigt sich in edlem Sapeli-Mahagoni mit meisterhaft verarbeiteten, glänzenden Oberflächen, die von schimmernden Edelstahl-Elementen akzentuiert werden. Auch Sessel und Sofas gehören zur Kollektion. Einen Kontrapunkt zu den voluminösen Sitzkissen und Rückenlehnen setzen hölzerne Armlehnen, deren schwungvolle Konturen an die markante Silhouette der ikonischen „Riva Aquarama“ erinnern.
Polstermöbel versuchen erst gar nicht, mit schlanken Proportionen zu punkten. Sie setzen auf betont voluminöse Formen, die so viel Weichheit und Komfort ausstrahlen, dass sie regelrecht dazu animieren, sich in sie hineinzuwerfen. Auf diese Weise werden vollwertige Sitzlandschaften außen realisiert, die ihren Pendants im Interieur an Größe in nichts nachstehen. Im Gegenteil: Sie legen in ihren räumlichen Dimensionen sogar deutlich zu – so wie die Polsterserie „Baia“, die der französische Designer Christophe Pillet für Ethimo gestaltete. Die Polstermodule ermöglichen eine Vielzahl von Sitzkonfigurationen, um gesellige Zonen zu schaffen und sich an verschiedene Raummaße anzupassen. Filigrane Füße lassen die Möbel leichter erscheinen. So entsteht eine „vermöbelte“ Metaebene, die über dem Deck zu schweben scheint. Passende Sonnenliegen und Couchtische mit Marmorplatten runden die Kollektion ab. Auch hier geht es darum, das Gefühl der Außenmöblierung zu verändern: weg vom Sammelsurium von Einzelteilen und hin zu einer Komposition an Elementen, die perfekt aufeinander abgestimmt sind und harmonieren.
An dieser Stelle werden auch die kommunikativen Qualitäten erhöht. Das neue Sofa aus der Kollektion „Erica“ – ein Entwurf von Antonio Citterio für B&B Italia – punktet mit einer „geknickten“ Sitzfläche. Sie verstärkt den Blickkontakt der Sitzenden und beflügelt so die Konversation. Dasselbe gilt für das Sitzprogramm „Bézier Cord Outdoor“ von Minotti. Der Name ist eine Anspielung auf eine parametrische Kurve des französischen Mathematikers Pierre Bézier, die hier als Grundlage für Sofas und Sessel mit fließender Formensprache dient. Die Gestaltung lag in den Händen des brasilianischen Architekten Marcio Kogan (Studio MK27), der sonst eher auf kubische Formen setzt. Doch hier wollte er näher an die Natur rücken: mit Möbeln, die wie vom Wasser rund geschliffene Kieselsteine anmuten und dem Körper beim Berühren schmeicheln. Indem die Sofa-Tiefen variieren, lassen die Möbel eine Vielzahl an Sitzpositionen zu.
Dass kubische Polster nicht das Maß aller Dinge sind, beweist das Daybed „Trampoline“ von Patricia Urquiola für Cassina. Die Sitz- und Liegeflächen sind asymmetrisch gebogen. Zudem warten sie mit weich abgerundeten Enden auf, was der Chaiselongue eine Nierenform verleiht. Die Rückenlehne ist aus Polypropylen- und Nylon-Seilen geflochten. Für die Füllungen der Polsterkissen kommen PU-Schaum und Polsterwatte aus recycelten PET-Fasern zum Einsatz. Auch für den wasserabweisenden Bezugsstoff wird jener Kunststoff wiederverwertet, der vor allem für Getränkeflaschen Verwendung findet und damit auf drängende Müllprobleme Bezug nimmt.
Die Typologie des Ohrensessels meistert den Sprung hinaus ins Freie. Indem der Kopf von seitlichen Stützen gehalten wird, entsteht ein akustischer Rückzugsort, der störende Geräusche aus der Umgebung wirkungsvoll herausfiltert. So wie beim Sessel „Seashell Grand“, den Jean-Marie Massaud für Dedon entworfen hat. Das Möbel definiert eine bequeme Rückzugsinsel. Dabei kommt die vom Hersteller selbst entwickelte Faser „EcoCycle“ zum Einsatz, die zu neunzig Prozent aus pflanzlichen Ressourcen besteht. Bei diesem Produktionsverfahren wird Zuckerrohr ausgepresst, um daraus jenen Saft zu gewinnen, der anschließend in Rohrzucker umgewandelt wird. Die aussortierten Fasern werden zu Ethanol verarbeitet, aus dem biobasiertes Polyethylen entsteht, das Kernmaterial der „EcoCycle“-Faser. Durch die Weiterverarbeitung von Abfällen aus der Lebensmittelproduktion reduziert sich der CO2-Fußabdruck der Möbel spürbar, während in puncto Haptik und Witterungsbeständigkeit keine Nachteile entstehen.
Outdoor ist kein Ort, vielmehr eine Haltung, das Wohnen entspannter und lockerer zu machen. Das zeigt sich auch in der formalen Sprache von Draußen-Möbeln. Flechtwerk und feine Gitterstrukturen lassen Blicke passieren. Sie geben den Sitzmöbeln Leichtigkeit. Zudem entfachen durchlässige Strukturen raffinierte Schattenspiele, die sich mit dem Sonnenstand verändern und über das Deck hinweg wandern. Nautische Bezüge liegen auf der Hand. So werden die locker platzierten Rückenkissen beim Sessel- und Sofaprogramm „Oasis“ von Flexform (Design: Antonio Citterio) von einem Flechtwerk eingefasst, das entfernt an historische Fischernetze erinnert. Die Struktur besitzt Charakter und Wärme. Zugleich lässt ihre Verarbeitung keinen Zweifel, dass sie dem Wohngefühl im Freien ein Upgrade an Raffinesse und Feinheit gibt.
Auch Farbe spielt al fresco eine tragende Rolle. Mit „Orson“ interpretiert der Mailänder Designer Gordon Guillaumier für Roda die Typologie des klassischen Regiestuhls neu. Für einen zeitgenössischen Auftritt sorgt ein Jacquard-Bezug aus Acrylgarn. In einer Kollaboration mit Missoni ist das Möbelgewand nun in den ikonischen Zickzack- und Streifenmustern des italienischen Modehauses erhältlich. Die Stühle sind keine unscheinbaren Gesellen; sie treten selbstbewusst in den Vordergrund: statt als selbstverliebte Naturen als Begleiter für eine Reise auf See, die durch ihre Gesellschaft mit Sinnlichkeit und Wärme aufgeladen wird. Frei nach dem Motto: Wer weiter mit eintönigen Bezügen vorliebnimmt, ist selbst schuld.
Was es noch braucht? Das richtige Licht natürlich. Kerzen anzuzünden, kann auf einer Yacht zur nervenaufreibenden Angelegenheit werden. Hier sorgen bewegliche Leuchten für eine von Wachstropfen befreite und von Windböen unabhängige Illumination. Dank integrierter Akkus werden sie kabellos platziert – ob auf dem Esstisch oder direkt im Beachclub. Sehr schöne Exemplare entwarf Kensaku Oshiro für Poltrona Frau. Seine japanischen Laternen aus der „Sparkler“-Kollektion erzeugen mit geflochtener Struktur aus Polypropylenseilen faszinierende Licht- und Schattenwürfe. Gleichzeitig greifen sie nostalgische Formen traditioneller Weinschläuche auf, die seit Jahrhunderten mediterrane Gärten schmücken. Ein perfekter Mix aus Orient und Okzident für den auf Okinawa geborenen Gestalter, der seit Jahren in Mailand lebt und arbeitet.
Für einen Hingucker an Deck sorgt der italienische Küchenhersteller Officine Gullo mit einer neu lancierten „Nautical Collection“. Statt Speisen im Verborgenen zuzubereiten und schließlich nur die fertigen Teller zu präsentieren, rückt der gesamte Prozess in den Mittelpunkt. Kochen wird zum Happening – und die Gäste sind direkt dabei. Dafür sorgt ein erhöhter Tresen, der die Kücheninsel an drei von vier Seiten umfasst und den gepolsterte Barhocker flankieren. Die Kollektion beschränkt sich nicht auf frei stehende Lösungen und bietet ebenso ausgestattete Wände für Koch- und Kühlgeräte sowie professionelle Grills und Systeme, die Küchen von Sternerestaurants an Bord holen. Das steigert den Genuss, doch viel wichtiger: Die Küche wird so zum Herzen des sozialen Lebens an Bord. Sie verkörpert einen Ort der Geselligkeit und der Interaktion. Genau da sind wir wieder beim Transfer vom Land zum Wasser. Das Leben an Bord wird wohnlicher in allen Facetten – einem Upgrade der Außenbereiche sei Dank.