BootspraxisSeegängige Motorboote - Einmal über den Atlantik

Julian Buss

 · 03.08.2017

Bootspraxis: Seegängige Motorboote - Einmal über den AtlantikFoto: BOOTE
Seegehende Motoryachten

Langfahrten und Ozean-Überquerungen von Seglern sind heute an der Tagesordnung. Doch geht das auch mit Motorbooten?

Eine Auszeit von ein, zwei oder drei Jahren haben. Und dann mit dem eigenen Motorboot zu den Kanalinseln, zu den Kapverden, vielleicht Island oder sogar über den Großen Teich in die Karibik? Und zwar ohne Segel, dafür mit stetiger Geschwindigkeit und unabhängig vom Wind. Ist das wirklich möglich? Jedes Jahr überqueren viele Segelyachten den Atlantik. Und es ist selbstverständlich, dass Segelboote jeder Größe auf jedem Meer unterwegs sind.

Wenn man dagegen einem durchschnittlichen Sportbootfahrer erklärt, man möchte mit dem eigenen Motorboot der Zehn- bis Fünfzehn-Meter- Klasse den Atlantik überqueren, so wird man in der Regel für verrückt gehalten.

Dabei haben Reisen über offenes Meer und sogar Ozeane mit dem Motorboot eine lange Tradition: Schon 1975 brachte Robert P. Beebe eine Reihe von Konzepten für seegehende Motorboote in seinem Klassiker "Voyaging Under Power" zu Papier. Und er hatte seine Ideen vorher in seinem eigenen Boot, der "Passagemaker", bereits 1963 verwirklicht und damit in fünf Jahren 50 000 Seemeilen über alle Meere der Welt zurückgelegt.

  Atlantik-Überquerungen mit Motoryachten, wie hier einer Nordhavn, sind durchaus machbarFoto: BOOTE
Atlantik-Überquerungen mit Motoryachten, wie hier einer Nordhavn, sind durchaus machbar

Mittlerweile bezeichnet der Begriff "Passagemaker" in den USA eine eigene Bootsklasse: Seegehende Motorboote, die nicht nur jedes Wetter auf offener See überstehen, sondern auch die Reichweite haben, um Ozeane zu überqueren. Prominente Beispiele dafür sind Yachten von Nordhavn oder Kadey Krogen.

So hat beispielsweise eine Nordhavn 40, kaum mehr als zwölf Meter lang, von 2001 bis 2002 einmal die Welt umrundet und dabei 24 000 Seemeilen zurückgelegt.

In Europa jedoch stößt die Vorstellung, mit einem zwischen zehn und fünfzehn Meter großen Motorboot die Ostsee, Nordsee oder gar den Atlantik oder Pazifik zu bereisen, fast immer auf Unverständnis. Aber warum sollen solche Reisen denn nur mit dem Segelboot machbar sein? Hauptsächlich gibt es zwei Gründe. Erstens die Reichweite: Das Segelboot verbraucht keinen Brennstoff und kann daher theoretisch beliebig weit fahren.

  Rolldämpfsysteme, hier Flopperstopper, können auch vor Anker gute Dienste leisten und für eine ruhige Nacht sorgen.Foto: BOOTE
Rolldämpfsysteme, hier Flopperstopper, können auch vor Anker gute Dienste leisten und für eine ruhige Nacht sorgen.

Zweitens das Verhalten im Seegang: Ein Segel stabilisiert das Boot bei den meisten Winden so, dass es zwar noch stampft, aber nur noch sehr wenig rollt – was die Reise erheblich angenehmer macht. Motorboote dagegen verbrauchen nach allgemeiner Meinung so viel Brennstoff, dass eine übliche Reichweite in Hunderten von Seemeilen gemessen wird, was sicherlich nur für küstennahe Fahrt ausreicht.

Und der Seegang! Motorboote rollen je nach Welle so heftig, dass die Besatzung zwangsweise seekrank oder zumindest so beansprucht wird, dass das sichere Führen des Bootes kaum noch möglich ist.

Und doch: Beide Punkte lassen sich überraschend einfach abstellen.

Ein seegehendes Motorboot verbraucht wenig Brennstoff

Zuerst zum Brennstoffverbrauch. Dieser hängt von zwei Faktoren ab: der Art des Bootes, also Gleiter, Halbgleiter oder Verdränger, und der Geschwindigkeit, mit der es fährt. Um einen Gleiter oder Halbgleiter auf Geschwindigkeit zu bringen, ist sehr viel Energie nötig. Deswegen verbrauchen sie schnell 50 Liter pro Stunde oder mehr bei über 20 Knoten (also über 2,5 Liter pro Seemeile).

Eine übliche Route über den Großen Teich misst in etwa 2500 Seemeilen. Mit 20 Knoten wäre man dann zwar schon in etwas über fünf Tagen am Ziel, würde aber um die 6250 Liter Kraftstoff verbrennen. Das sind über sechs Tonnen zusätzliches Gewicht. Und wie soll ein Gleiter so viel Brennstoff tragen?

Ein Verdränger dagegen kann sehr leicht einen Verbrauch von einem Liter pro Seemeile oder weniger erreichen. Und einige Tonnen mehr Gewicht sind für einen Verdrängerrumpf viel leichter zu tragen als für einen Gleiter oder Halbgleiter.

Dann ist bei einem Verdränger die Reisegeschwindigkeit entscheidend. So wird beispielsweise ein 12-Meter-Boot bei 5 Knoten Fahrt 0,8 Liter pro Seemeile oder noch weniger verbrennen, während das gleiche Boot bei 7 Knoten um die 1,2 Liter oder mehr verbrauchen wird. Ein guter Kompromiss sind dann um die 6 Knoten Fahrt mit 1 Liter Verbrauch pro Seemeile. Für oben genannte Strecke werden dann 2500 Liter Brennstoff benötigt, dessen Gewicht von 2,5 Tonnen plus Reserve der Verdrängerrumpf gut tragen kann.

Schluss mit der Schaukelei


Stabil gebaute Verdränger-Motorboote sind grundsätzlich nicht weniger seefest als Segelboote. So ist beispielsweise Harald Paul mit seiner Gypsy Life (Smelne) auch bei Starkwind im nördlichen Atlantik unterwegs. Doch das ist nur etwas für ganz Hartgesottene. Denn bei mehreren Metern hohen Wellen rollt so ein Boot so heftig, dass die Crew an Bord schnell völlig erschöpft und kaum noch zum Führen des Bootes fähig ist.

Daher war schon für den eingangs erwähnten Pionier Robert P. Beebe klar, dass ein seegehendes Motorboot unbedingt gegen Seegang und spe­ziell gegen das Rollen stabilisiert werden muss. Er hat sich dazu von amerikanischen Fischern ein einfaches, aber sehr wirksames System abgeguckt: die Flopperstopper (siehe dazu auch BOOTE 7/15).

Dabei werden an langen Auslegern Konstruktionen (die Flopperstopper) im Wasser nachgeschleppt, die schnell untergehen, aber nur sehr schwer wieder raufgezogen werden können. Wenn das Boot nun wegen einer Welle rollen möchte, setzt immer einer dieser Flopperstopper der Rollbewegung einen Widerstand entgegen.

Dieses System funktioniert so einfach und gut, dass es auch heute noch vielfach verwendet wird. Zum Beispiel an der MY Lena bei einem Törn durch das Mittelmeer, zu den Kapverdischen Inseln und von dort über den Atlantik in die Karibik, oder der MY Kaniva von Deutschland über die Nordsee nach Schottland, dann nach Irland und über den Atlantik nach Neufundland und zurück.

  Flopperstopper werden an langen Auslegern quer zum Boot gefahren. Man spricht hier auch von Paravanes oder Birds.Foto: BOOTE
Flopperstopper werden an langen Auslegern quer zum Boot gefahren. Man spricht hier auch von Paravanes oder Birds.

Wem Flopperstopper zu umständlich sind, der kann Stabilisatoren in Form von aktiven Flossen verwenden, wie wir sie in BOOTE 7/15 beschrieben haben. Dabei werden Flossen am Rumpf installiert, die von einer Hydraulik bewegt werden. Eine Elektronik im Boot prüft ständig, in welche Richtung das Boot rollen möchte, und steuert die Flossen so, dass sie eine entsprechende Gegenkraft erzeugen. Ergebnis: Das Rollen wird um bis zu 90 % reduziert.

Allerdings nur, wenn das Boot auch einige Knoten Fahrt macht. Denn die Flossen können nur eine Gegenkraft erzeugen, wenn sie angeströmt werden. Flopperstopper an Auslegern dagegen funktionieren auch, wenn das Boot ruht – also beispielsweise vor Anker. Flopperstopper kommen auch ohne jede Elektronik und Hydraulik aus. Sie sind daher relativ schnell und günstig zu installieren und es gibt wenig, was daran Probleme machen kann.

  Aktive Finnen wirken computergesteuert den Rollbewegungen des Bootes entgegenFoto: BOOTE
Aktive Finnen wirken computergesteuert den Rollbewegungen des Bootes entgegen

Flossen sind technisch komplexer, aber dafür jederzeit auf Knopfdruck einsatzbereit und können sich dem jeweiligen Seegang gut anpassen. So hat jedes Prinzip seine Vor- und Nachteile, in jedem Fall aber lassen sich die unangenehmen Bootsbewegungen im Seegang so wirksam reduzieren, dass tage- oder sogar wochenlange Passagen nicht mehr quälend, sondern komfortabel und angenehm sind.

Die Vorteile des Motorbootes

Nachdem Brennstoffverbrauch und Seegang also keine Hindernisse mehr sind, können auch die Vorteile des Motorbootes gerade auf langen Passagen über offene See aufgezählt werden:

• große Unabhängigkeit von Wind und Wetter
• konstante Reisegeschwindigkeit und damit planbare Ankunftszeiten
• Für das Leben an Bord steht immer genug Energie zur Verfügung

Vor allem der Wind ist dabei wichtig. Auf einem Segelboot bedeutet eine Flaute Stillstand und zehrt schnell an den Nerven. Und wenn der Wind weht, dann oft aus der falschen Richtung, sodass der Kurs geändert werden muss und eine Passage schnell mal ein paar Tage länger dauern kann.

Mit dem Motorboot dagegen kann ein direkter Kurs genommen werden. Tage mit wenig Wind sind nicht störend, sondern versprechen eine ruhige Fahrt und sind daher im Regelfall sehr willkommen.

Auch unter Motor ist die Reisegeschwindigkeit nicht immer gleich: Wind, Seegang und Strömung können das Boot schneller oder langsamer machen. Die Abweichungen sind aber meistens vergleichsweise gering, und das Boot fährt ver­lässlich seinem Ziel entgegen. Natürlich verliert eine lange Passage damit den Charakter, voll von den Elementen abhängig zu sein. Ob das schlecht oder gut ist, kann jeder für sich selbst entscheiden.

In jedem Fall ist es sehr praktisch, dass die Batterien nicht durch mehr oder weniger zuverlässige Windkraft oder Solarzellen aufgeladen werden müssen: Die Maschine läuft ja ohnehin und produziert Strom im Überfluss. Gespeichert wird in den Batterien.

Eine oder zwei Maschinen?

Klar ist: Wenn die Maschine als einziger Antrieb mitten auf einem großen Meer, womöglich auch noch bei viel Wind, ausfällt, kann das zu unangenehmen Situationen bis hin zur Seenot führen. Muss ein seegehendes Motorboot also zwangsläufig mit zwei Maschinen ausgerüstet sein?

Viele Ozean-Überquerer beweisen das Gegenteil. Die Lena, die Kaniva oder die Gypsy Life – sie alle haben nur eine Diesel-Maschine.

Und das mit gutem Grund: einen gut gepflegten und gewarteten Schiffsdiesel im Betrieb kann nur sehr wenig zum Stillstand bringen, so lange sauberer Diesel sowie ausreichend Kühlung und Öl vorhanden sind.

Für den sauberen Diesel gibt es Doppel-Filteranlagen und Tagestanks. Und die anderen Probleme, die unterwegs auftreten können, lassen sich fast immer durch passende Ersatzteile und etwas handwerkliches Geschick lösen. Auf Motorbooten für den gehobenen Geldbeutel findet sich alternativ oft auch eine sogenannte "Coming-home"-Maschine: Ein kleiner, zweiter Diesel mit eigener Schraube, der im Notfall das Boot manövrierfähig hält und kleine Fahrt erlaubt. Letztlich steht diese Maschine aber fast immer unbenutzt herum und muss trotzdem viel Pflege und Wartung erfahren, damit sie im Fall des Falles auch wirklich funktioniert.

Ob und wann das sinnvoll ist, muss jeder für sich selbst sowie seinen Geldbeutel entscheiden. Die genannten Praxisbeispiele zeigen, dass es auch ohne geht.

Mit dem eigenen Motorboot überall hinkommen


Es gibt aber noch ein paar wichtige Eigenschaften, die seegehende Motorboote mitbringen sollten. Ein Maschinenraum mit viel Bewegungsfreiheit beispielsweise ermöglicht regelmäßige Kontrollen von unterwegs. Auch ein zuverlässiger Autopilot sollte an Bord sein, denn niemand möchte tagelang selbst steuern. Entscheidend jedoch sind ein niedriger Brennstoffverbrauch und die Stabilisierung im Seegang.

Dann ist die Fahrt über ein Meer oder sogar einen Ozean natürlich immer noch echte Seefahrt mit all ihren Herausforderungen an seemännisches und navigatorisches Können. Aber sie ist mit einem geeigneten Motorboot nicht nur möglich, sondern kann sogar sehr angenehm sein.

Und so lassen sich Sehnsuchtsziele wie die eingangs erwähnten Kanalinseln, Island oder die Karibik also auch mit einem Motorkreuzer erreichen – komfortabel und sicher.