RettungswestenSchwimmen, atmen, abwarten - 24 Automatik-Westen im großen Vergleichstest

Die Spraycap schützt bei starkem Seegang vor Wasser in den Atemwegen
Foto: YACHT/J. Kubica
Wird die Rettungsweste gebraucht, geht es um Leben und Tod. Platz für Kompromisse gibt es dann nicht mehr. Wir haben 24 Exemplare der 150-Newton- und 275-Newton-Klasse getestet. Wir zeigen im ersten Teil der Reihe, worauf ihr bei Rettungswesten achten müsst

Alle Inhalte in diesem Sicherheits-Special:

Jeder besitzt eine Rettungsweste, die oft nicht genug Aufmerksamkeit erhält, obwohl sie vor dem Kauf gründlich geprüft und regelmäßig gewartet werden sollte. Im besten Fall wird sie sogar regelmäßig getragen. Denn im Ernstfall muss die Rettungsweste einwandfrei funktionieren, sich automatisch aufblasen und den Kopf der ins Wasser gefallenen Person über Wasser halten.

Die Auswahl bei den Ausrüstern ist groß, was ist also die richtige Wahl? Laut Norm EN Iso 12402 gibt es für Seereviere die Auftriebsklassen 150 und 275 Newton. Wobei die Werte den jeweiligen Mindestauftrieb markieren. Eine Rettungsweste aus der 150er-Kategorie kann folglich auch weit mehr Auftrieb mitbringen, was bei vielen Modellen schon im Produktnamen beworben wird. Es gibt jedoch ein Pro­blem, die Norm sieht für Rettungswesten mit 150 Newton Auftrieb nicht das Tragen von Ölzeug vor. Erst bei der 275-Newton-Klasse heißt es: „Hochsee unter extremen Bedingungen sowie in Kombination mit Bekleidung, in der sich Luft ansammeln kann.“ Ölzeug soll zwar dicht sein, diese Eigenschaft ist im MOB-Fall aber hinderlich, denn die Luft kann nicht schnell aus den Kleidungsstücken entweichen. Diese Luftpolster in Jacke und Hose verändern jedoch die Schwimmlage einer Person erheblich, und sie wirken damit unter Umständen dem Auftrieb der Rettungsweste entgegen.

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So haben wir getestet

Die Schwimmlage wird überprüft
Foto: YACHT/J. Kubica

Der Test teilt sich in zwei Bereiche: an Land und im Wasser. Im ersten Teil wurden Verarbeitung des Gurtzeugs und Tragekomfort unter besonderer Berücksichtigung einfacher Verstellbarkeit ausprobiert. Außerdem spielt viel Platz im Nacken eine entscheidende Rolle für bequemen Sitz. Im zweiten Teil ließ sich unser Tester im Schwimmbad immer auf die gleiche Weise ins Wasser fallen. So war ein wiederholbarer Versuchsaufbau gewährleistet. Besonders bei den Modellen der 275er-Klasse ist dieser wichtig, um das Drehverhalten beurteilen zu können. Hier muss der Tester bäuchlings ins Wasser fallen. Danach wurden Schwimm­lage, wenn vorhanden Sitz der Spraycap und der Freibord ermittelt.


Konkret heißt das: Wer auf dem Bauch im Wasser liegt, wird nicht zuverlässig gedreht

Nur in Rückenlage kann frei geatmet werden. Die Westen der 150-Newton-Klasse können der Norm zufolge niemanden, der mit Ölzeug bekleidet ist, in eine ohnmachtssichere Rückenlage drehen. Das haben auch unsere praktischen Versuche bestätigt. Deswegen ist die Unterscheidung dieser Auftriebsklassen im Test entscheidend. Entgegen der in der Iso-Norm vorgesehenen Badebekleidung für die Erprobung der 150-Newton-Westen haben wir mit Ölzeug und Segelschuhen getestet.

Im Test vertreten sind 15 Modelle der 150er- und neun der 275er-Klasse. Die meisten Hersteller haben mehrere Versionen in den verschiedenen Auftriebsklassen, wir haben uns für neue oder aktuelle Modelle entschieden, die wir noch nicht getestet haben. Deswegen ist etwa von Secumar die Rettungsweste Bolero, speziell ausgestattet für Compass, dabei, aber nicht das Modell Survival 220, das in der 150-Newton-Kategorie 2019 den Testsieg holte.

So straff wie möglich, so lose wie nötig: Verschlussarten der getesteten Rettungswesten

Steckschnallen aus Edelstahl sind am weitesten verbreitet. Sie halten zuverlässig, nur mit klammen Fingern kann es hakelig werden
Foto: YACHT/J. Kubica

Des Weiteren sind die Eigenmarken von den Ausrüstern Compass, SVB und Decathlon am Start. Wobei sich Decathlon mit der Tribord LJ180 Air Offshore ein besonders spannendes Gurtkonzept überlegt hat: Gurtzeug und Auftriebskörper können per Reißverschluss getrennt werden, und so lässt sich nur der leichte Harness bequem mit einer Sicherheitsleine zum Sichern an Deck tragen.

Mit Spinlock, Marinepool, Crewsaver und Baltic sind weitere etablierte Hersteller vertreten. Ganz neu und zum ersten Mal dabei sind die Rettungswesten von TeamO. Das britische Unternehmen hat den Backtow Harness entwickelt. Per Zug an einem Gurtband kann die Sicherung des Lifebelts auf der Brust geöffnet werden, und der Gurt setzt dann im Nacken an. Die Idee ist, dass, wenn man eingepickt außenbords geht, nicht mit dem Gesicht voran durchs Wasser geschleift wird, sondern in der Rückenlage.

Ein ähnliches System bietet die Deckvest 6D 275N von Spinlock mit dem Harness Release System (HRS). Per Zug an einem kleinen Griff kann die ganze Gurtschlaufe des Lifebelts ausgeklinkt werden. So soll im Notfall auch eine schnelle Trennung von der Sicherung möglich sein. Neben diesen besonderen Merkmalen liegen die größten Unterschiede im Gewicht und der Ausstattung.

Zwischen der leichtesten und der schwersten Rettungsweste liegen 1.052 Gramm

Die leichteste Version ist die Spinlock Deckvest Lite+ 170N, ein Modell, das in der Ausstattung sehr reduziert ist und für Binnenreviere und Motorbootfahrer konzipiert wurde. Das gleiche Modell mit dem Zusatz Sail bietet eine Spraycap und ein Notlicht und bringt 142 Gramm mehr auf die Waage. Die schwerste Weste ist die Ergofit+ 290 von Crewsaver mit knapp zwei Kilogramm. Sie kommt mit großem Auftrieb, Spraycap, Notlicht, Gurtschloss und komfortablem Gurtsystem.

Zwischen diesen Extremen liegen viele Testkandidaten, die ebenfalls gut ausgestattet sind. Und auch wenn das Gewicht eine wichtige Größe ist, der Tragekomfort kann bei einer schweren Weste mit bequemem und gut einstellbarem Gurtzeug ebenfalls hoch sein. Und der Komfort ist im Bordalltag entscheidend, denn er entscheidet im Unterbewusstsein darüber, ob die Weste regelmäßig getragen wird.

Sonderausstattungen der getesteten Rettungswesten

Extra-Fach für eine Personal Locator Beacon (PLB) mit Sichtfenster zur Kontrolle des Status bei der Ergofit+ 290 von Crewsaver
Foto: YACHT/J. Kubica

Deswegen haben auch die 150er-Rettungswesten trotz ihres Nachteils bei der Ohnmachtssicherheit eine Daseinsberechtigung, weil sie häufig kleiner, leichter und bequemer sind. Und eine 150er-Weste, die ständig getragen wird, ist der 275er überlegen, die nur im Schapp liegt. Daher wurde der Tragekomfort mit 20 Punkten im Test ebenbürtig mit Funktion und Schwimm­lage bewertet.

Für hohen Komfort entscheidend ist ein gut sitzender und einfach zu justierender Brustgurt sowie ein bequemer Sitz der Weste auf Schultern und im Nacken. Wird die Kopfdrehung behindert oder drückt es im Nacken, wird das auf Dauer als extrem störend empfunden. Bei den Rettungswesten der 150er-Klasse erwiesen sich die Deckvest 6D 170N, Crewfit+ 180N, Athena 165 und LJ180N Air Offshore als besonders bequem. Bei den Modellen mit mehr Auftrieb waren es die Ergofit+ 290 (trotz ihres hohen Gewichts), die Legend 305 und die Bolero 275. Doch neben dem Tragekomfort im Bordalltag ist natürlich die Performance im Ernstfall entscheidend. Hier zeigt sich unter dem Bewertungspunkt Funktion und Schwimmlage, wie gut der Auftriebskörper im aufgeblasenen Zustand sitzt. Dabei ist entscheidend, dass er nicht hochrutscht (hier ist die Einstellung des Gurtzeugs wiederum wichtig), und dass die beiden Enden des Auftriebs auf der Brust gut abschließen. Bleibt hier ein Wellenkanal, wird das die Atmung erschweren oder unmöglich machen.

Gut geschützt durchatmen: Spraycaps der Modelle

Die Spraycaps der Baltic-Modelle haben eine bogenförmige Versteifung, die sie schön aufspannen und Platz an der Stirn lassen
Foto: YACHT/J. Kubica

Denn Wasser wird bis zum Mund schwappen. Hier kann die Spraycap helfen. Sie muss aber selbstständig angelegt werden und hilft im Fall einer Ohnmacht nicht weiter. Bedingt durch guten Sitz und Schwimmlage soll die Rettungsweste den Kopf so weit wie möglich aus dem Wasser heben. Der daraus resultierende Abstand zwischen Mund und Wasseroberfläche ist der Freibord. Je mehr davon, desto besser. Darum gab es auch dafür bis zu 20 von insgesamt 100 Punkten.

Die entscheidende Frage ist: Welche Weste dreht die Person in eine ohnmachtssichere Position?

Von neun Offshore-Westen mit mindestens 275 Newton Auftrieb schafften das acht. Nur das Modell von TeamO versagte in dieser wichtigen Disziplin. Bei den Rettungswesten der 150er-Klasse konnte das sogar die Tribord LJ180N Air Offshore durch den sehr weit von der Brust nach vorn ragenden asymmetrischen Auftriebskörper. Dennoch kann man sich darauf nicht zu 100 Prozent verlassen. Diese Weste bietet auch keine Spraycap, was bei einer Offshore-Rettungsweste wesentlich ist. Testsieger ist bei den 150ern die Crewsaver Crewfit+ 180N Pro und bei den 275ern die Baltic Legend 305 geworden. Entscheidend waren gute bis sehr gute Ergebnisse bei Tragekomfort, Funktion und Schwimm­lage sowie Freibord. Bei den 275-Newton-Modellen ist auch die Ausstattung mit Spraycap und Notlicht ausschlaggebend. Dennoch finden sich im Test weitere Kandidaten, die ebenfalls gute Bewertungen einfuhren. So bleibt neben den Testsiegern eine schöne Auswahl, wobei auch individuelle Vorlieben beim Tragekomfort mit einfließen werden. So ist zum Beispiel das Modell Athena 165 von Baltic speziell für die Anatomie von Frauen optimiert und konnte auch im Test punkten.

Kopf hoch: Unterschiede bei den Auftriebskörpern

Die Legend 305 von Baltic hat den längsten Auftriebskörper. Damit dreht sie zuverlässig und schützt den Mund vor Wasser
Foto: YACHT/J. Kubica

Preislich gehen die Testkandidaten stark auseinander, die Spanne reicht von 75 bis 469 Euro. Bei Preis und Leistung können die Modelle von Marinepool überzeugen. Sowohl die 180N Racer als auch die 300N Pro 3D sind unter diesem Gesichtspunkt empfehlenswert.

Von 24 Modellen im Test haben 14 Rettungswesten 65 Punkte und mehr erreicht. Ein gutes Ergebnis. Hier empfiehlt es sich, selbst beim Ausrüster anzuprobieren, die Einstellung zu testen und dann die Entscheidung zu treffen. Je besser die Weste passt, desto häufiger wird sie getragen. Und dann ist die Crew bestens gerüstet.

Die ausführlichen Testergebnisse:


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