Kristina Müller
· 01.05.2024
September 2020. Die Crew einer deutschen Yacht stellt auf dem Weg von England zu den Azoren einen Wassereinbruch fest, der mit Bordmitteln offenbar nicht unter Kontrolle zu bekommen ist. Sie ruft Hilfe. Ein Hubschrauber nimmt die drei-köpfige Crew auf, das Boot wird sich selbst überlassen.
Derart dramatische Fälle sind glücklicherweise die Ausnahme. Immerhin sei „Yachtsport eine der sichersten Freizeitaktivitäten“, schreibt Keith Colwell in seinem Buch „Sicherheit auf See – im Notfall richtig reagieren“. Dennoch: „Wie in jedem Sport, der uns an die Grenzen unserer Fähigkeiten bringt, gibt es ein Restrisiko an Unfällen und Verletzungen. Gut vorbereitet, fällt es uns leichter, mit Notfällen umzugehen, und erhöht signifikant die Chance, zu überleben“, so Colwell weiter.
Wie aber sieht diese gute Vorbereitung aus? Und vor allem: Wie können sich kleine Crews für den Notfall wappnen? Inwiefern müssen sie sich und ihr Boot präparieren?
Notrollen sind sinnvoll, um in solchen und anderen Fällen den nötigen kühlen Kopf zu bewahren und das Richtige zu tun. Die Checklisten für vier verschiedene Szenarien sind dafür eine gute Grundlage. Es ist jedoch ratsam, für das eigene Boot individuelle Notrollen zu erarbeiten und regelmäßig durchzugehen.
Bert und Marlene Frisch plädieren darüber hinaus dafür, einen Lehrgang zum Thema Medizin und Sicherheit auf See zu besuchen, wie sie etwa von Seefahrtsschulen, privaten Anbietern oder von Trans Ocean angeboten werden. Jens Kohfahl stimmt zu: „Man kann nur jedem, der auf See geht, empfehlen, mal einen Überleben-auf-See-Kurs zu absolvieren.“
Optimal ist es, mit dem frisch erworbenen Wissen dann zeitnah und mit wachen Augen übers Boot zu gehen und die Sicherheitsvorkehrungen an Bord an die eigene Crew und deren Fähigkeiten und Möglichkeiten anzupassen. Dazu gehört auch, die Mitfahrer richtig einzuschätzen.
Eine Automatik-Rettungsweste tragen beide immer, „auch beim An- und Ablegen!“, betonen sie. Für den Fall der Fälle haben sie ihre 150-Newton-Modelle mit jeweils einem AIS-MOB-Sender und einem Handfunkgerät ausgestattet. „Mit dem Funkgerät könnte die Person im Wasser das Boot zurückdirigieren.“ Zusätzlich würde der AIS-Sender bei Wasserkontakt auslösen und die Position des Schwimmers übermitteln. Damit dessen Kopf im Wasser besser gesehen würde, tragen beide auf See gern neongelbe Mützen.
„Wir gehen bei dem Szenario davon aus, dass derjenige im Wasser mithelfen kann“, so Frischs.„Niemand darf über Bord gehen!“, lautet das oberste Gebot auch auf Jens Kohfahls Boot. Er betont zudem, wie elementar wichtig ein Schrittgurt an der Rettungsweste ist: „Der ist essenziell, ohne ist das Ding wertlos!“
Weitere Präventionsmaßnahmen für ein Mann-über-Bord-Manöver sind einsatzbereite Badeleiter, Rettungsring und Suchscheinwerfer, aber auch die regelmäßige Wartung und Kontrolle all dieser Ausrüstungsgegenstände.
Gerade für medizinische Laien ist Vorsicht die beste Vorsorge gegen Verletzungen und Unfälle, die einen Törn böse enden lassen können. Chris Tibbs rät in seinem Vortrag dazu, gerade diesen Punkt ernst zu nehmen und beispielsweise konsequent Schuhe an Deck zu tragen.
Das von Jens Kohfahl überarbeitete Buch „Medizin auf See“ sei zudem eine gute Hilfe für Laien. Damit die Anleitungen darin im Ernstfall auch etwas nützen, sollte man es hin und wieder in die Hand nehmen und sich damit beschäftigen.
Zudem sei es ratsam, den Erste-Hilfe-Kurs aufzufrischen. Jeder sollte aber nicht nur wissen, wie man eine Blutung stoppt, sondern auch, wie man das Schiff beidreht, um sich in Ruhe um einen Verletzten kümmern zu können und weitere Maßnahmen einzuleiten. Kohfahl macht Mut: „Wenn jemand gefordert ist, dann fällt er nicht gleich um. Dann kann man mehr, als man denkt, und auch mal Blut sehen.“
Kommt es zum Wassereinbruch von außen, beginnt ein Wettrennen gegen die Zeit. Eine sinnvolle Aufteilung für kleine Crews kann sein, dass sich einer sofort auf Lecksuche begibt, während der andere Lenzpumpe und Maschine startet und sich um Funk und Manöver kümmert.
Einfache Maßnahmen für diesen Fall der Fälle sind eine saubere Bilge, ein Plan aller Außenborddurchlässe sowie die regelmäßige Kontrolle aller Schlauchschellen und vor allem des Zustands der Seeventile. Jens Kohfahl hat sogar einige Alubleche in der Backskiste, um diese falls nötig zum Abdichten eines Lecks in die Bordwand schrauben zu können.
Fast noch schlimmer als Wasser im Schiff ist Feuer an Bord. Bert und Marlene Frisch haben daher nicht nur eine allgemeine Notrolle für dieses Szenario, sondern unterteilen sie in die verschiedenen Schiffsbereiche, in denen ein Brand wüten könnte. Darin sind die Positionen der Feuerlöscher – insgesamt vier Paare aus Schaum- und CO2-Löschern – sowie die dringlichsten Handgriffe vermerkt. Der richtige Umgang mit den Löschern wird in Sicherheit-auf-See-Kursen geübt.
Schließlich nützt die beste Sicherheitsausrüstung nichts, wenn die Crew damit nicht umgehen kann. Sinnvoll ist es daher, sich vor der Saison mit allen Rettungsmitteln vertraut zu machen. Sei es, dass man die Bergeschlaufe auspackt oder die Gebrauchsanweisung auf dem Dichtmittel liest. Vor allem muss die Crew wissen, wo die rettenden Mittel sind. Ein Übersichtsplan kann wertvolle Sekunden sparen. Im Notfall muss alles schnell greifbar sein.
Bei der Ausrüstung des Bootes mit Sicherheitsequipment gilt Qualität vor Quantität. Am besten überlegt man gezielt, was der Crew auch wirklich nutzen würde. Die BOOTE-Ausrüstungstests können dabei helfen. Wichtig ist ferner die Überlegung, welche Bordmittel bei welcher Art Notfall zum Einsatz kommen.
Natürlich gilt, dass in vielen Fällen schon Schlimmeres verhindert werden kann, wenn die Crew die Grundregeln guter Seemannschaft beachten: Nur ausgeruht, richtig gekleidet und verproviantiert auslaufen und bei schlechter oder unsicherer Wettervorhersage im Zweifel gar nicht. Ein stürmischer Hafentag kann dann schließlich auch eine gute Gelegenheit sein, endlich mal wieder die Notrollen hervorzukramen und sie gemeinsam mit dem Partner durchzugehen.