Unbekannt
· 14.01.2016
Radarreflektoren machen Boote sichtbar und sorgen so für mehr Sicherheit auf See. Kollisionen wie bei „Odin“ können verhindert werden.
Am Morgen des 28. Februar 2009 liegt die Wismarbucht im Einflussbereich einer Warmfront. Der Wind weht aus östlicher Richtung mit 2–3 Beaufort, der Luftdruck liegt bei 1010 hPa, und die Sicht wird mit rund 300 Metern angegeben. So steht es im Logbuch der "Christa", einem ehemaligen Fischkutter, der mit 35 Personen zu einer Hochseeangeltour aus dem Hafen von Wismar ausläuft und Kurs auf das Flaggtief nimmt.
Der Schiffsführer befindet sich allein auf der Brücke und benutzt aufgrund der schlechten Sicht das Radargerät. Zu gleicher Zeit liegt das Motorschiff "Odin" mit gestoppter Maschine in Höhe der Ansteuerungstonne Timmendorf auf Poel. Der Eigner hat Wasser im Boot bemerkt und macht sich mit seinem Partner auf die Suche nach der Ursache. Der bemerkt zwar in größerer Entfernung die sich nähernde "Christa", erkennt aber die Gefahr nicht und widmet sich weiter der Schadensbegrenzung.
Erst als der Kutter auf Kollisionskurs und nur noch etwa 100 Meter von der "Odin" entfernt ist, versuchen die beiden, sich durch Winken, Rufen und das Blasen mit dem Horn bemerkbar zu machen. Leider vergeblich. Die Besatzung der "Odin" rettet sich in letzter Minute mit einem Sprung ins Wasser aus dem Gefahrenbereich. Erst 30 Meter vor dem Zusammenstoß hat auch die andere Besatzung das Motorschiff gesichtet, kann die Kollision aber nicht mehr verhindern.
„Erst 30 Meter vor dem Zusammenstoß hat auch die Besat-zung der "Christa" das Motorschiff gesichtet, konnte die Kollision aber nicht mehr verhindern.“
Nach Aussage des Schiffsführers hat er weder optisch noch auf dem Radar Kontakt zur "Odin" gehabt. Bei dem Aufprall wird das Heck der "Odin" abgerissen und sinkt sofort. Die im Wasser treibende Besatzung wird durch die nur leicht beschädigte "Christa" aufgenommen und versorgt. – In ihrem Untersuchungsbericht befasst sich die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU) unter anderem auch eingehend mit den Sichtverhältnissen, dem Gebrauch des Radars und dem Fehlen eines Radarreflektors an Bord der "Odin". Dass das Motorboot so spät ge-sehen wurde, ist zunächst den schlechten Sichtverhältnissen geschuldet, aber eben auch dem Umstand, dass an Bord kein Radarreflektor vorhanden war und die Schiffsführung der "Christa" deshalb kein Radarecho wahrgenommen hat. – In ihrer Analyse argumentiert die BSU unter Punkt 6.3 dann auch wie folgt:
"Möglicherweise hätte gerade ein Radarreflektor die Sichtbarkeit des Motorbootes auf dem Radarschirm der "Christa" verbessern können und auf diese Weise die Kollision verhindert."
Damit wären wir beim Thema. Die SOLAS Convention (Safety of Life at Sea) schreibt zwingend vor, dass Sportboote unter 150 BRZ, also alle Boote der gängigen Kategorien, die nach dem 1. Juli 2002 gebaut wurden, mit Radarreflektoren auszurüsten sind. Diese müssen zugelassen sein und von Schiffen mit Radarausrüstung sowohl auf 9 GHz als auch auf 3 GHz erkennbar sein. Gleich vorneweg, die wenigsten sind das tatsächlich, denn die Hersteller scheuen die Kosten für die Zertifizierung, oder die Standards reichen nicht aus. Bei allen vor 2002 gebauten Sportbooten gebietet die "seemännische Sorgfalts-pflicht", zumindest bei verminderter Sicht oder bei Nacht, das Setzen eines Radarreflektors. Diese etwas pflaumenweiche For-mulierung bietet Interpretationsmöglichkeiten in viele Richtungen.
„Dabei ist die Investition für einen Reflektor im Verhältnis zu dem Sicherheits-plus geradezu lächerlich: In jedem besseren Zubehörladen bekommt man ein passives Gerät schon ab 40 Euro.“
Keine Pflicht, aber sinnvoll
Spätestens bei der gerichtlichen Untersuchung eines Seeunfalls gewinnt dieser Passus jedoch enorme Bedeutung, und vor allem der Sachverständige der Versicherung wird sich eingehend mit diesem Thema beschäftigen und eine entsprechende Beurteilung an seinen Auftraggeber verfassen. Wenn sich herausstellt, dass der Unfall durch Montage eines Radarreflektors hätte vermieden werden können, endet das Ganze mit möglicherweise katas-trophalen finanziellen Verlusten für den Skipper oder Eigner.
Insgesamt sind Radarreflektoren auf Sportbooten inzwischen weitverbreitet. Leider aber sind immer noch viel zu viele eben damit nicht ausgerüstet, und oft ist auch der Sinn einer solchen Installation noch nicht in alle Köpfe vorgedrungen.
Wer argumentiert, dass er ja nur bei gutem Wetter, am Tage und in dem ihm bekannten Revier fährt, der ist noch nie in ein Gewitter mit strömendem Regen, in plötzlich aufziehenden Dunst oder versehentlich in die Dunkelheit geraten. Solange da ganz sicher kein weiterer Schiffsver-kehr zu erwarten ist, muss halt der Skipper für sich selbst entscheiden, wie er damit klarkommt. Spätestens aber, wenn er nicht mehr allein unterwegs ist, gefährdet er unter solchen Bedingungen nicht nur sich selbst, sondern eben auch andere. Dabei ist die Investition für einen Reflektor im Verhältnis zum Sicherheitsplus geradezu lächerlich. In jedem besseren Zubehörladen bekommt man ein passives Gerät schon ab 40 Euro, allerdings mit nur durchschnittlicher Wirksamkeit.
Damit wären wir bei der Technik. Radarreflektoren werden aus gutem Grund auch Winkelreflektoren genannt. Mehrere im Winkel von exakt 90° zueinander angeordnete elektrisch leitende Flächen reflektieren Radarwellen in genau die Richtung, aus der der Impuls gesendet wird. Damit entsteht ein gut sichtbares Signal auf dem beobachtenden Radarschirm, und die Identifizierung eines Objektes (Bootes) mit geringerer Rückstrahlfläche ist schon auf größere Entfernung möglich. Kleinere Yachten ohne Reflektor, zumal wenn es sich um GFK-Konstruktionen handelt, bieten hier nur wenig Resonanz, und wenn sich der Winkel zum gesendeten Radarstrahl kursbedingt auch noch verringert, wird ein solches Ziel schnell unsichtbar.
„Nur in wirklich senkrechter Lage sind die Reflektoren zu 100 % wirksam. Ändert sich die Lage um mehr als 5° zur Senkrechten, können sie schnell auch wirkungslos werden.“
Es gilt also ein System einzusetzen, bei dem die Winkelabstrahlung möglichst um 360° wirksam ist, sodass unabhängig vom Kurs immer eine optimale Reflexion sichergestellt ist. Das bedeutet also, so viele Winkel wie möglich auf überschaubarem Raum unterzubringen. Um das zu erreichen, montiert man sie beispielsweise in eine Kunststoffröhre und stimmt die Wellenlänge auf die des Radars ab. Es wird damit schon bei den kleineren handelsüblichen Radarreflektoren mit einer Länge von 30 cm und 10 Winkeln eine Reflexionsfläche erzeugt, die bei mindesten 2 qm liegt und ein ums Vierfache größeres Rücksignal generiert.
Kommen wir aber auf eine Rückstrahlfläche von 10 qm, so entspricht das auf dem Radarschirm schon der Größe einer mittleren Motoryacht. Allerdings, so richtig effektiv wird’s erst ab einer Fläche von etwa 20 qm. Es gilt also die einfache Formel: Je mehr Winkelsysteme, desto mehr Rückstrahlfläche, desto voluminöser der Reflektor, kurz: je größer – desto wirksamer. Es gibt sie als durchsichtige Röhren von 55 bis 78 cm Länge, platzsparend auch aufblasbar, als zusammensteckbare Würfel oder in diversen Größen verdeckt in voluminösen Kunststoffzylindern, bis hin zur Größe eines mittleren Fenders. Wegen des Umfangs nicht jedermanns Sache, aber ein gutes Mehr an Sicherheit.
Sicherheit vor Design und Optik
Dennoch haben viele Sportbootfahrer Ressentiments, wenn es um die Größe von Radarreflektoren geht. Voluminöse Modelle am Geräteträger zu fahren, wieder-strebt vielen schon aus ästhetischen Gründen, allerdings müssen sie dann auch einen minimierten Sicherheitsstandard hinnehmen. So darf nicht vergessen werden, dass auch Wellen ab einer bestimmten Größe Echos auf dem Radar erzeugen, und ist der Reflektor dann zu klein, wird ein so ausgerüstetes Boot schnell unsichtbar. Dazu kommt: Nur in wirklich senkrechter Lage sind die Reflektoren zu 100 % wirksam. Ändert sich die Lage um mehr als 5° zur Senkrechten, können sie schnell auch wirkungslos werden. Ein Tipp für den ganz dicken Notfall: Gehen Wetter und Sicht tatsächlich mal unverhofft an die Untergrenzen zurück und ist kein Radarreflektor an Bord, tut es auch schon mal die Bratpfanne oder ein großer Topf aus der Pantry. Am Mast oder Geräteträ-ger aufgezogen, erzeugen sie zumindest eine – wenn auch marginale – Reflexion und lassen uns nicht ganz unsichtbar durch die Gegend dümpeln. Aber fahren Sie nun in Zukunft bitte nicht mit der Bratpfanne im Topp, es ist wirklich nur das Mittel der allerletzten Möglichkeit.
Wir reden bisher von passiven Systemen mit Winkelreflektoren. Deutlich wirksamer aber sind beispielsweise Tri-Lense Reflektoren (Lüneburg-Linsen) und die optimalsten Systeme überhaupt die aktiven Radarreflektoren. Bei der von dem Mathematiker Rudolf Karl Lüneburg entwickelten Lüneburg-Linse handelt es sich um eine mit dielektrischem Material beschichtete Kugel, die die parallel einfallenden Wellen in Richtung ihrer Quelle zurücksendet. Drei solcher Kugeln in einer entsprechenden Verkleidung angeordnet, liefern ein maximal konstantes Rückstrahldiagramm ohne Minima oder Lücken.
In militärischen Bereichen sind sie aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit schon lange im Einsatz. Inzwischen werden sie auch für die Sportschifffahrt angeboten. Dieses Mehr an Sicherheit ist schon für rund 220 Euro im Zubehörhandel zu haben. Kein großer Deal, verglichen mit den Gesamtkosten einer Motoryacht. Etwa das Dreifache muss man anlegen, wenn man sich für einen, übrigens vom BSH empfohlenen, aktiven Radarreflektor entscheidet. Rund 650 Euro sind da schon aufgerufen für einen Transponder, wie beispielsweise den Echomax Active im X-Band, und rund 1000 Euro im XS-Band. Im Verhältnis zum Sicherheitszuwachs ist auch das eine Investition, die sich wirklich lohnt.
Die drastisch erhöhte Reichweite und flächendeckende Abschirmung ist enorm, und der verstärkt eingehende Impuls auf dem Radarschirm für andere Schiffe unübersehbar. Die Funktionsweise ist schnell erklärt: Empfangene Signale fremder Radargeräte im X-Band-Modus, seit 2009 auch im S-Band-Modus, werden von einer Elektronik verstärkt und reflektiert. Kleinere Schiffe sind so schon auf Entfernungen von rund 12 Seemeilen zu identifizieren, statt wie bisher bei den Winkelre-flektoren erst auf 3–5 Seemeilen.
Die Reflexionsfläche liegt im Schnitt bei ordentlichen 111 qm, und selbst bei einer Lage von 20° sind es immer noch fast 20 qm. Ein akustisches Warnsignal zeigt zusätzlich Radargeräte an, die sich in der Nähe befinden. Abgesehen von der Leistungs-fähigkeit, bieten aktive Reflektoren auch den Vorteil, dass sie sehr schlank sind und sich auf fast jedem Boot gut und fast unauffällig montieren lassen. Nachteile: Sie sind vergleichsweise teuer und verbrauchen Strom. Im Stand-by-Betrieb rund 15 mA, im Sendemodus bis zu einem Watt.
Fazit
Mal ganz ehrlich, stecken wir nicht auch viel Geld für allen möglichen Schnickschnack in unsere Schiffe? Sollte uns unsere eigene Sicherheit nicht diese so wichtige Investition wert sein? Und wäre es nicht beruhigend, wenn wir auf die über Funk gestellte Frage: "Können Sie mich sehen?" die Antwort: "Ja, wir haben Sie klar und deutlich auf dem Schirm!" bekämen?