TechnikAnlege-Hilfe Raymarine Docksense - Anlegen wie von Zauberhand

Peter Laessig

 · 21.08.2019

Technik: Anlege-Hilfe Raymarine Docksense - Anlegen wie von ZauberhandFoto: Dieter Wanke

Raymarine Docksense: Mit virtueller Realität und Technologie aus der industriellen Fertigung lassen sich auch letzte Ängste spielerisch überwinden.

Unser Boot ist eine Insel auf dem Wasser, Entspannung pur für die ganze Familie, Boot fahren macht Spaß. Was für eine heile Welt, wäre da bloß nicht die Sache mit dem Anlegen und den engen Platzverhältnissen im Hafen. Schon der Gedanke, in selbigen hineinzufahren und an die Schäden, die beim Anlegen entstehen können, weil der Wind aus der falschen Richtung bläst, lässt bei vielen Skippern den Blutdruck stark ansteigen. Mit anderen Worten: Stress!


Ein Skipper verfügt über Hilfsmittel, die Anlegemanöver erleichtern. Das sind beispielsweise Bug- und Heckstrahlruder, bei Doppelanlagen gegenläufige Propeller oder Pod-Antriebe. Letztere hängen
achtern unter dem Rumpf und können unabhängig voneinander angesteuert werden. Sie vereinen in sich Antrieb und
Ruder, und je nachdem, wie man diese Pods befehligt, kann damit ein Boot in jedwede Richtung gefahren werden, auch seitlich. Das Ganze wird von einem Computer überwacht und mithilfe eines Joysticks ausgeführt.


Und auf diesen Pod-Antrieben mit Joysticksteuerung aufbauend, entwickelte Raymarine Docksense. Und damit wird jedes Anlegemanöver zur absolut stressfreien Angelegenheit.
Foto: Dieter Wanke

Genau genommen handelt es sich um ein System, das Anlegemanöver unterstützt, und ganz genau genommen ist es ein Antikollisionssystem.

Es arbeitet nicht vollautomatisch, der Skipper muss schon noch Hand anlegen, heißt, einmal Docksense aktivieren und den vorhandenen Joystick wie immer bedienen. Zum Einsatz kommen Touchscreens, von einem Computer überwachte Video-Stereokameras in Verbindung mit Bootsantrieb und Steuerung.

Was tut das System? Es legt gewissermaßen einen virtuellen Fender um das Boot, vergleichbar mit einem unsichtbaren Schlauch, bei dem zwei Durchmesser, in der Realität zwei Abstände, wählbar sind. Sobald am Ufer Objekte wie ein Gebäude oder im Wasser etwa eingerammte Dalben, vertäute Boote, Steganlagen und in Zukunft auch Bojen vor den Kameras auftauchen, werden sie von diesen erfasst und auf einem Monitor abgebildet.

Das sind pro Kamera Videos und eine grafische Darstellung mit Umgebung samt dem Boot als Mittelpunkt mit virtuellem Fender.

Die Anzahl der Kameras ist abhängig von der Bootsgröße. Auf dem Testboot sind es fünf: eine achtern auf der Fly, je eine seitlich und zwei vorn am Bug.

Sämtliche Objekte werden ab zehn Meter Abstand von den Kameras erfasst, und ab sechs Meter beginnt das System Einfluss auf die Fahrgeschwindigkeit zu nehmen. Generell erlaubt Docksense unabhängig von Wind und Strömung eine Geschwindigkeit des Boots voraus von maximal 2 kn und bei Rückwärtsfahrt von 1,5 kn.

Sobald aber etwas in den Bereich des virtuellen Fenders gelangt, übernimmt Docksense Schaltung, Gashebel und Steuerung und hält das Boot an.

Dieses steht dann auf der Stelle, auch wenn man den Joystick in Fahrtrichtung weiterhin gedrückt hält, desgleichen, wenn man den Joystick loslässt. Lässt man das Boot zu lange auf der Stelle stehen, ertönt nach einiger Zeit ein Alarm, der zum Handeln auffordert. Wechselt man aber zur normalen Schaltung am Fahrstand über, schaltet sich Docksense sofort aus, und der Skipper kann das Boot mittels Ruder und Schaltung oder Joystick übernehmen. Will er dann wieder zu Docksense zurück, muss er das System wieder aktivieren und dann das Boot mit dem Joystick fahren.

Dank virtuellen Fenders kann Docksense das Boot auf einem größeren und einem kleineren Abstand zu den Objekten halten: der eine so groß, dass dem Boot nichts passiert, der andere so klein, dass man etwa bequem mit einem Schritt auf den Steg steigen kann.

Das ist besonders auch dann hilfreich, wenn eine Passage zu eng oder der Anlegeplatz zu klein ausfällt. Dabei spielt es keine Rolle, wo sich das Boot befindet, auf welchem Gewässer es fährt, aus welcher Ecke der Wind bläst oder woher die Strömung kommt. Docksense funktioniert überall und jederzeit.

Einzige Einschränkung: Schneefall oder starker Regen verwirren noch die Computer-Sinne und machen das System wirkungslos, und Mooringtaue oder Ketten werden nicht erkannt. Aber auch daran arbeitet man.


Die Herzstücke der Anlage sind die Stereokameras von FLIR und die mit AHRS-Modul bestückte GPS-Antenne. AHRS steht für "Attitude and Heading Reference System" und kann hier mit "dreidimensionaler Erkennung von Richtungen und deren Auswertung" gleichgesetzt werden. Für diese Fähigkeit sind neben anderem noch winzige Gyroskope, Kreisel, in den Kameras eingebaut, die jede Lageänderung wahrnehmen und an den Computer leiten.

Raymarine hat die Stereokameras in einem wasserdichten Gehäuse untergebracht, das bei Nicht-
gebrauch mit einer Klappe verschlossen ist. GPS steht für "Global Positioning System" und bedeutet so viel wie "Überall-Standortbestimmung". FLIR ist neben anderem ein Hersteller von Kameras zur Lösung technischer Aufgaben in der Industrie und auch bekannt als Hersteller von Wärmebild- oder Infrarotkameras.

All diese Bauteile werden von einem extra Rechner erfasst, vom Docksense-Programm ausgewertet und auf einem Touchscreen, einem Navigationsmonitor mit berührungsempfindlichem Bildschirm, von Raymarine als 3-D-Grafik und Bildausschnitt je Video-Stereokamera angezeigt. Der Computer herrscht, wenn aktiviert, über die mittels Joystick angesteuerten Motoren, Antriebe und das Ruder.

Docksense kommt zum Einsatz bei unabhängig voneinander arbeitenden Antrieben und Ruder wie Zeus-Pod-
Antrieben von MerCruiser oder IPS-Pod-Antrieben von Volvo Penta, Außenbordmotoren oder Z-Antrieben.

In Zukunft sollen auch Wellenanlagen in Verbindung mit Bug- und Heckstrahlruder integriert
werden. Und: Docksense wird für jedes Fabrikat einsetzbar sein.

BOOTE ist einer der Ersten, die das System auf einer Prestige 460 mit zwei IPS-Anlagen von Volvo Penta im Stadthafen von Cannes testen: achtern eine lange Steganlage mit Booten plus ein quer angeflanschter Steg an der Stirnseite und voraus in einiger Entfernung ein Ponton.

Nach kurzer Orientierung ak­tiviere ich das System und beginne das Boot mit dem Joystick zu fahren. Ich drücke den Joystick nach vorn, und das Boot nimmt Fahrt auf, geradewegs auf den Ponton zu. Es ist ein komisches
Gefühl, und ich muss mich zwingen, den Joystick weiter auf Voraus zu halten.

Aber wie angesagt, beginnen die Bugkameras den Ponton zu detektieren und ihn grafisch und per Video auf dem Bildschirm abzulichten. Nach Überschreitung der Sechs-Meter-Grenze beginnt das System die Geschwindigkeit zu reduzieren, bis zu dem Moment, in dem der virtuelle Fender den Ponton berührt. Dann bleibt das Boot einfach stehen und fährt keinen Zentimeter mehr voran. Ich lasse den Joystick los, und das Boot bleibt auf der Stelle stehen.

Foto: BOOTE
Erst als ich den Joystick so bewege, dass sich die Prestige wieder vom Ponton wegbewegen kann, fährt sie weiter.

Und das probiere ich in alle Richtungen, immer mit dem gleichen positiven Ergebnis. Auch der aberwitzige Versuch, seitlich mit dem Boot eine Ecke am Steg zu rammen, schlägt fehl. Näher, als Docksense es erlaubt, kommt man nicht heran. Danach bringe ich, bequem am Fahrstand sitzend und allein mit Blick auf den Monitor, die Prestige rückwärtsfahrend zu ihrem Anlegeplatz, wo sie dann mit etwa einem Meter Abstand zum Steg achtern und Steuerbord aufstoppt.

Nach Aktivieren des kleineren Abstandsmodus lässt sie sich bis auf etwa 50 cm den Stegen annähern und stoppt automatisch. Joy­stick loslassen, das Boot steht auf der Stelle, mit einem Schritt auf die Steganlage und die Leinen an den Klampen befestigen. Zurück aufs Boot, Docksense ausschalten, wieder raus und das Boot restlich belegen. Fertig.

Foto: BOOTE
Ein geniales System, ich bin begeistert. Gäbe es Sterne für die Bewertung, erhielte es den ganzen Sternenhimmel von mir.

Docksense soll voraussichtlich ab 20 000 € kosten. Aber wenn die Versicherungen mitspielen, könnte es sich dank niedrigerer Prämien amortisieren. Schließlich werden dadurch Schäden beim Anlegen, woran und wo auch immer, stark reduziert, wenn nicht sogar ganz verhindert.

Den vollständigen Artikel lesen Sie in der August-Ausgabe 2019 von BOOTE.