Unbekannt
· 05.08.2017
Neue Radartechniken eröffnen Sportbootfahrern ungeahnte Möglichkeiten in der Navigation - auch binnen
Jahrzehntelang galten in der Sportschifffahrt feste Grundsätze:
Die ersten paar Dutzend Meter ums Schiff ist das Radar blind,
eine feine Auflösung gibt es nur mit großen Antennen, und bei schlechter Sicht muss der Sender im stromfressenden Stand-by-Modus laufen, um schnell einsatzbereit zu sein. Nun mischen Furuno, Garmin, Navico und Raymarine die Karten komplett neu.
Durch Fortschritte in der Halbleiterfertigung für Sender und Empfänger sowie immer mehr Rechenleistung lassen sich nun ganz neue Prinzipien bei der Signalerzeugung und Auswertung realisieren.
Auf den ersten Blick wirken die neuen Parameter sogar befremdlich:
Bisher hatte ein Radar mindestens 2000 Watt Sendeleistung, besser waren 4000. Jetzt sollen viel weniger als 50 Watt reichen?
Angeblich ist es bereits Sekunden nach dem Einschalten einsatzbereit, und auf Screenshots sind die Dalben der eigenen Box zu erkennen: Werbegags? Nein, mit aktueller Technik geht das tatsächlich.
Zunächst eine ganz grobe Beschreibung, wie ein Radargerät funktioniert: Es sendet ein Signal aus und zeigt auf dem Bildschirm an, in welcher Entfernung und aus welcher Richtung dessen Echos empfangen werden. Die Entfernung wird aus der Zeit zwischen dem Senden des Signals und dem Eintreffen des Echos ermittelt. Für die Richtung lässt man bei Marine-Radars einfach die Antenne rotieren, das Bild zeigt das Echo dann aus der Richtung, in der die Antenne gerade steht. Die Auflösung ergibt sich aus der benutzten Frequenz und dem Durchmesser der Antenne – je größer dieser ist, desto besser.
Auf Sportbooten lassen sich nur Geräte unterbringen, die im X-Band, also mit etwa 9,5 GHz, arbeiten.
Mit zivil vertretbarem Aufwand konnte man für diese Frequenz bisher nur ein sogenanntes Pulsradar bauen: Es sendet ein kurzes Signal (Puls) und lauscht dann nach Echos. Dazu genügt ein – aus heutiger Sicht – einfacher Empfänger. Problem: Um kurz hintereinanderliegende Ziele unterscheiden zu können, muss der gesendete Puls sehr kurz sein. Damit die entsprechend kurzen Echos noch auswertbar sind, also genug Energie enthalten, muss zudem mit sehr hoher Leistung gesendet werden, eben den genannten 2 bis 4 Kilowatt.
Während des Sendens und kurz danach ist der Empfänger taub, auf sehr kurze Entfernung sieht das Radar nichts. Außerdem ließ sich die benötigte Leistung bei hoher Frequenz bislang nur mit einer speziellen Röhre, dem sogenannten Magnetron, erzeugen. Das braucht nach dem Einschalten einige Minuten, um auf Betriebstemperatur zu kommen. Damit das Radar bei schlechter Sicht schnell einsatzbereit war, musste das Magnetron also die ganze Zeit im Stand-by-Modus beheizt werden – das kostet Energie.
Wesentlich bessere Ergebnisse lassen sich erzielen, wenn man dem gesendeten Signal weitere Informationen mitgibt. Beim Magnetron-Sender war das nicht möglich, hier sind Leistung und Frequenz mechanisch vorgegeben, aber nicht besonders exakt. Nun kommen die neusten Halbleiter ins Spiel: Seit Kurzem können die für Radar nötigen Frequenzen mit Transistoren (Solid-State-Technik) sehr viel exakter erzeugt und damit auch besser ausgewertet werden.
In der Sportschifffahrt hat 2009 die Firma Navico unter dem Namen Broadband das erste Radar ohne Magnetron vorgestellt. Es arbeitet nicht mit Pulsen, sondern sendet ständig und ändert dabei kontinuierlich die Frequenz – Dauerstrich oder FMCW wird diese Technik genannt.
Die Entfernung eines Ziels ergibt sich aus der Differenz der Frequenzen von gerade gesendetem Signal und Echo. Bei diesem Prinzip ist viel weniger Sendeleistung notwendig, weniger als ein halbes Watt. Empfänger und Sender können daher gleichzeitig arbeiten, der blinde Fleck rund ums Schiff reduziert sich auf wenige Meter um die Antenne. Selbst die eigene Hecksee wird damit sichtbar.
Derzeit ist mit dem Broadband 4G die dritte Generation dieses Navico-Radars auf dem Markt. Die Auflösung im Nahbereich ist sehr viel besser als beim klassischen Pulsradar, auf große Entfernungen gibt es jedoch auch Nachteile. Navigationshilfen wie RACON funktionieren prinzipbedingt nicht mit einem Dauerstrichradar, aber das lässt sich durch das heute überall übliche Kartenoverlay leicht ausgleichen. Wegen der niedrigen Sendeleistung ist keinerlei Schutzabstand nötig.
Bisher war Simrad mit seinem Halbleiterradar allein auf dem Markt. Seit einigen Monaten haben nun alle wichtigen Radarhersteller den nächsten Schritt angekündigt. Furuno, Garmin, Simrad und Raymarine bringen Halbleitergeräte, die innerhalb des Sendepulses die Frequenz variieren – Chirp heißt das.
Damit kann der Empfänger einzelne Abschnitte eines Echos einem bestimmten Zeitpunkt der Sendung zuordnen, sozusagen innerhalb des Echos navigieren. Statt eines kurzen, sehr intensiven Sendeimpulses reicht jetzt ein langer mit wenig Leistung, denn überlappende Echos unterscheiden sich immer noch in der Frequenz. Der Empfänger projiziert auf mathematischem Weg die gesamte Energie eines langen Echos auf den Zeitpunkt des ersten Eintreffens, sodass eine scharfe Marke entsteht.
Überlappende Echos werden dabei wieder getrennt. Pulskompression nennt man diese Technik; sie benötigt sehr viel Rechenleistung sowie sehr exakte und damit teure Bauteile im Hochfrequenzteil und war deshalb bis jetzt zivil kaum erhältlich.
Praktischerweise verringert das Verfahren selbsttätig Störungen wie Regen- oder Seegangsechos und verbessert die Empfindlichkeit des Empfängers. Pulskompressionsradare kommen mit einer Sendeleistung von 20 bis 40 Watt aus. Lange Impulse allein hätten allerdings wieder den Nachteil einer großen toten Zone. Darum werden üblicherweise nacheinander verschieden lange Impulse gesendet. Kurze mit wenig Energie reichen für den Nahbereich, längere mit mehr Energie, um größere Entfernungen abzutasten.
Furuno und Garmin werben mit einer neuen Darstellung: Ziele, die sich dem Schiff nähern, werden andersfarbig gezeigt. Das konnten zwar auch schon frühere Geräte mit automatischer Zielverfolgung. Aber mit der neuen Generation arbeitet diese Funktion viel besser, denn bei Chirp-Radaren lässt sich die Information aus einem einzigen Echo ableiten. Das liegt am Doppler-Effekt: Die Frequenz eines Echos ist umso höher, je schneller das reflektierende Objekt näher kommt. Da die neuen Radare im Gegensatz zu reinen Pulsgeräten ohnehin die Frequenz auswerten, ist der Schritt zur Anzeige nicht groß. Es braucht jedoch eine Menge Logik und Mathematik, um die Frequenzverschiebung durch den Doppler-Effekt von der Chirp-Technik zu trennen und tatsächlich bewegte Ziele von der angesteuerten Hafeneinfahrt zu unterscheiden.
Furuno und Raymarine zielen mit ihren neuen Radom-Anlagen direkt auf Sportboote. Furunos DRS4D-NXT hat 61 cm Durchmesser; hier stehen 2540 Euro auf dem Preisschild. Sie funktioniert an den Furuno-Plottern der Serien NavNet TZtouch und TZtouch2.
Die Raymarine Quantum misst 54 cm im Durchmesser und kostet je nach Ausführung ab 1779 Euro. Sie arbeitet mit allen Plottern der a-, c- und e-Serie mit der neusten Lighthouse-Software, das entsprechende Update ist auf der Raymarine-Webseite kostenfrei erhältlich. Das nennen wir Service. Für eine einfache Installation bietet Raymarine eine WiFi-Verbindung zwischen Plotter und Radar; im Mast oder auf dem Geräteträger braucht man nur noch ein Stromkabel anzuschließen – den Monteur wird’s freuen.
Garmin und Simrad bieten die Technik zunächst nur als freidrehende Antenne an. Bei mindestens 1,2 m Durchmesser muss dazu schon eine ganze Menge Schiff unter dem Gerät sitzen. Und auch die Preise sind
mit rund 6000 Euro (Simrad Halo) und 8700 Euro (Garmin Fantom) eher für größere Boote und Yachten angemessen. Das Navico-Broadband-Radar im Radom ist natürlich weiterhin erhältlich.
Unsere praktischen Erfahrungen, beispielsweise mit dem Halo-Radar, bestätigen die Theorie: Im Vergleich zur alten Technik ist seine Auflösung als fantastisch zu bezeichnen. Während eines Probetörns auf der Elbe und durch den Hamburger Hafen stellte das Halo-System selbst Ziele dar, die sich nur rund 5 m querab vom eigenen Boot befanden. Die insbesondere für Binnenskipper wichtigen Radarreflektoren auf Tonnen oder vor Brücken wurden stets zuverlässig detektiert.