Johannes Erdmann
· 28.12.2021
Aus der Autowelt ist Chiptuning bekannt – und verrufen. Doch woher kommt der schlechte Ruf? Wir haben einen Bootstuner begleitet, der großes Potenzial sieht
Die Gashebel sind heute mal Kippschalter: Mit einem Ruck schiebt Frank Seifert sie ganz bis zum Anschlag nach vorn. Unter unseren Füßen scheinen die zwei Volvo Penta D6-370 seiner Prestige 440S zum Leben zu erwachen. Die gemächlichen 5 Knoten die Havel hinunter haben die beiden 6-Zylinder-Diesel nicht wirklich gefordert, doch nun müssen sie zeigen, was in ihnen steckt. Denn neben Seifert steht ein Mann mit Stoppuhr, GPS und Kamera, der penibel den Zeiger des Drehzahlmessers verfolgt, während er im Uhrzeigersinn auf seiner Skala emporschnellt. „3500 Umdrehungen, 59 Kilometer pro Stunde“, verkündet Stephan Bernhart exakt 19 Sekunden später die Spitzenwerte, sichtlich zufrieden. Der hochgewachsene Allgäuer notiert seine Messergebnisse mit einem gefälligen Grinsen. „Sie haben die bessere Beschleunigung doch auch wahrgenommen, nicht wahr?“, wendet er sich sowohl an den Eigner als auch den BOOTE-Redakteur, die mit ihm an diesem kalten Morgen auf dem Schwielowsee unterwegs sind. „Ja, das war wirklich beeindruckend“, bestätigt Seifert, während seine Prestige mit schäumendem Kielwasser dahinbraust. „Die Beschleunigung hat sich merklich verändert“, bestätigt er.
Doch was genau hat sich seit der Probefahrt am Vortag verändert? Da lief die Prestige 440S noch genauso wie damals, als sie 2011 von der Werft ausgeliefert wurde. Nicht schlecht, immerhin 55 km/h bei 3300 U/min. Doch die Beschleunigung war eben deutlich schleppender. Bis sich Stephan Bernhart am vergangenen Abend die Motorsteuergeräte der beiden Volvos vorgenommen hat. Seit dem frühen Morgen nun besitzt das Schiff insgesamt 120 PS mehr. Es wurde „getunt“.
»Bei der Steigerung der Leistung darf man keinesfalls übertreiben«
„Das Wort Tuning hat einen etwas negativen Beigeschmack“, gesteht Stephan Bernhart, „deshalb beschreibe ich meine Dienstleistung lieber als ‚Kennfeldmanufaktur‘“, lacht er. Dabei handelt es sich bei der Aufgabe, die er mit seiner Firma Yacht-Performance anbietet, eigentlich um genau dasselbe wie beim Chiptuning eines Autos: die nachträgliche Steigerung der Leistungsfähigkeit durch gezielte Änderung der werkseitig festgelegten Steuerparameter. Den schlechten Ruf hat das Chiptuning vor allem durch das breite Feld an Anbietern bekommen, die gegen Geld jegliche Motoren im Zweifel auch an oder über ihre Grenzen bringen. Nicht jeder, der solch einen Dienst anbietet, besitzt auch das Wissen und die Erfahrung dafür, die vom Hersteller festgelegte Programmierung der Motor-Steuergeräte zu ändern und nach seinem Gutdünken zu verändern. Deshalb ist der schlechte Ruf häufig gerechtfertigt. Denn das Ausreizen der Leistungsfähigkeit über die Werte des Herstellers hinaus führt schließlich zu höherer Belastung und häufig auch höherem Verschleiß. Und es ist ja nicht so, dass die Hersteller ihre Motoren mangels besseren Wissens mit schlechter Programmierung verkaufen würden und die Motoren eigentlich noch mehr könnten. Warum also solch ein Tuning?
„Viele Schiffe fahren bei Auslieferung wirklich gut“, erklärt Bernhart, „doch gerade Eignerschiffe am Mittelmeer werden dann im Laufe eines Schiffslebens mit allerlei Ballast überhäuft und immer schwerer“, sagt er. „Ein Eigner einer Galeon 510 wandte sich an mich, weil sein Schiff mit allerlei nachträglich montierten Extras an seinem Geburtstag mit ein paar Extragästen an Bord nicht mehr ins Gleiten kam“, nennt Bernhart ein Beispiel, „Ich kenne aber auch einen Eigner, der sein Boot seit vielen Jahren nicht mehr vollgetankt hat, weil es dann nicht mehr gut läuft.“ Aus seiner Sicht ergibt es in vielen Fällen also durchaus Sinn, den Motoren ein bisschen mehr Kraft zu verleihen, indem die thermodynamischen und mechanischen Reserven des Motors durch Kennfeldoptimierung ein wenig mehr ausgereizt werden. Das gelingt Chiptunern wie Bernhart allein am Computer, ohne mechanisch in den Motor einzugreifen. Beispielsweise durch eine Änderung der Einspritzzeitpunkte.
»Die Beschleunigung hat sich tatsächlich merklich verbessert«
„Bei der Steigerung der Leistung darf man keinesfalls übertreiben“, ordnet er ein, „und vor allem muss man sein Handwerk verstehen.“ Durch seine behutsame Steigerung würde sich auch die Lebensdauer des Motors nicht ändern. Die Herstellergarantie von zwei bzw. fünf Jahren geht bei solch einem Eingriff zwar verloren, „aber meist sind die Motoren, wie in diesem Fall, ohnehin etwas älter.“
Er selbst stammt – wen wundert es – natürlich auch aus der Automobilbranche, sieht aber im Wassersportbereich großes Potenzial, denn auch hier trennt sich immer häufiger die Spreu unseriöser Angebote vom Weizen. Einmal wurde er von einem Mann beauftragt, der zuvor einen anderen „Optimierer“ an die Steuergeräte seiner Bavaria 45 gelassen hatte. „Danach sprangen die Motoren nicht mal mehr an“, berichtet Bernhart. „Um seine Mitbewerber kennenzulernen, habe er selbst mal testhalber ein paar Anbieter angeschrieben und gefragt, ob sie sein angeblich vorhandenes Boot optimieren könnten. „Die schrieben mir zurück, ich soll ihnen mal das Steuergerät schicken“, sagt er. „Dabei kann man doch kein Motorsteuergerät umprogrammieren, wenn man das Fahrzeug nicht mal selbst gefahren ist und die Performance aufgenommen hat“, konstatiert er.
Kein Wunder also, dass Tuning keinen guten Ruf hat. Im Fall der Galeon 510 ist es Bernhart gelungen, das zusätzliche Gewicht durch Leistung zu kompensieren und die einst vom Hersteller erzielten Fahrleistungen wieder zu erreichen. Durch eine Leistungssteigerung der Volvo-Penta D11-725 um je 95 PS erreichte das Schiff nach dem Tuning eine Höchstgeschwindigkeit von 65 km/h (vorher 55 km/h) und besitzt eine doppelt so schnelle Beschleunigung. „Ausreichend, damit der Eigner beim nächsten Geburtstag wieder alle Freunde einladen kann“, sagt Bernhart mit einem Augenzwinkern.
Im Falle unserer Prestige 440S ist Bernhart zwar zufrieden, aber nicht berauscht. „Das Schiff war von Hause aus schon ziemlich gut optimiert“, gesteht er, „und zudem als Wochenendboot auf der Havel auch sehr leicht, nicht überladen wie viele Boote im Mittelmeer.“ Die bessere Beschleunigung ist nach der Optimierung zwar deutlich spürbar, doch „eigentlich müsste man auch noch größere Propeller montieren“, sagt er, „damit würde der Motor etwas langsamer und leiser drehen, aber die Geschwindigkeit um 10 km/h gesteigert werden. Man merkt: ein Mann, der seine Aufgabe versteht. Zwei bis drei Tage veranschlagt er für solch eine Optimierung und verlangt pauschal ab 2900 Euro pro Motor, zuzüglich Reisekosten.
Stellen wir die Gretchenfrage nach dem Mehrverbrauch, die manch ein Tuner schönzureden weiß. Doch Bernhart druckst nicht lange herum: „Kraft kommt von Kraftstoff, das ist ganz klar“, sagt er, „und der Mehrverbrauch bei Volllast wird in etwa 5 bis 10 Prozent höher sein.“ Dafür kommt die Prestige nun rein rechnerisch in derselben Zeit auch 7,2 Prozent weiter. „Bei einem Schiff dieser Größe, dessen Motoren einen Verbrauch von jeweils etwa 75 Liter pro Stunde haben, fällt der Mehrverbrauch aber ohnehin kaum ins Gewicht.“