Johannes Erdmann
· 08.07.2022
Schon früh setzte die slowenische Werft auf Hybridantriebe. Nun fahren ihre Cruiser sogar völlig ohne Diesel
Das Konzept ist ja durchaus vertraut: Statt aus dem Kraftstofftank wird der Motor unserer Test-Greenline 39 aus einer Batterie gespeist. Sie ist ein reines Elektroboot. Von Außenbordern an kleinen Booten kennen wir das Gefühl schon, wenn der Gasgriff aufgedreht wird und sich das Boot wie von Geisterhand bewegt in Fahrt setzt. Elektromobilität auf dem Wasser ist ein tolles Erlebnis.
Doch als wir nach einer schnellen Übergabe und Einweisung („Das ist der On-Knopf. Das war’s auch schon“) die Leinen der rund sieben Tonnen schweren und überaus voluminösen Greenline 39 losgeworfen bekommen, bricht im Kopf kurzzeitig Panik aus. Das beruhigende Grummeln des 4-Zylinders fehlt einfach. Der Kopf schaltet automatisch auf Alarm und mögliche Konsequenzen: Motorausfall, das Schiff wird gleich beginnen im Strom des Flusses zu treiben. Doch es gelingt, den ersten Instinkt zu unterdrücken und stattdessen den Gashebel nach vorn zu schieben. Mit einem Mal beginnt es unter dem Heck des Bootes leise zu surren. Die Greenline nimmt Fahrt auf. Zwei Knoten, dann drei. Wir verlassen unsere Box und nehmen Kurs den Fluss hinauf, der vom norwegischen Porsgrunn zum Beginn des Telemark-Kanals führt – die übliche Route der Greenline 39, die von der Werft in Slowenien extra als rein elektrische Version für die Nutzung als Charterboot entwickelt worden ist. Und hier in Porsgrunn liegt die allererste rein elektrische Charterbootflotte Europas.
Rein elektrisch. Ein Konzept, das sich vorher noch nirgendwo anders realisieren ließ, weil das Netz an Lademöglichkeiten nirgends so gut ausgebaut ist wie hier in Norwegen. Zudem ist der Kanal dafür wie geschaffen: ein pittoreskes Revier, das man ohnehin in gemächlicher Fahrt, also mit sechs Knoten, erkunden möchte. Norwegen gewinnt zudem weit über 90 Prozent seines Stroms aus Wasserkraftwerken. So kommt es, dass die fließenden Wasser nicht nur von unserer Greenline 39 erkundet werden, sondern sie im übertragenen Sinne sogar antreiben.
Doch dies nur am Rande, denn nach dem Reisebericht (BOOTE 11/21) soll es im Test um das Boot gehen.
Vor Gründung der Charterflotte hat Greenline nur Boote gebaut, die von einem Dieselmotor oder einem Hybridsystem angetrieben wurden, Letzteres mit einem zwischen Dieselmotor und Getriebe montierten 14 kW starken Elektromotor. Damit konnte das Boot kürzere Strecken bei gemütlicher Geschwindigkeit auch elektrisch zurücklegen. Doch um rein elektrisch zu fahren und die nötigen Distanzen überwinden zu können, musste Greenline ein neues Konzept entwickeln.
Unsere Greenline 39 E-Drive besitzt deshalb statt des Hybridmotors einen 50 kW starken Elektromotor aus dem Hause Torqeedo (Deep Blue 80i) mit Wellenantrieb und zwei 40 kWh starken Lithium-Ionen- Akkus, die eigentlich aus dem Hause BMW stammen. Die starken Batteriebänke bescheren dem Boot bei einer Marschfahrt von sechs Knoten eine Reichweite von knapp über 30 Seemeilen. Bei der Höchstgeschwindigkeit von 8,9 Knoten (laut unserem Test) schrumpft die Reichweite dann auf lediglich zwölf Seemeilen zusammen. Laut Werftangaben soll die Höchstgeschwindigkeit des Bootes ohne die typische Zuladung eines Charterbootes sogar elf Knoten betragen. Mit anderen Worten: Die Crew kann mit vollen Batterien entweder fünf Stunden lang mit sechs Knoten fahren – oder aber eine Stunde lang mit elf Knoten. Dann ist die 80 kWh große Batterie leer.
Entlang der Kanalroute gibt es am Ende jeder Tagesetappe die Möglichkeit, die Batterien mithilfe eines Quickchargers (63 A) nachzuladen. Ist die Batterie komplett leer gefahren, dann dauert es bis zur vollständigen Ladung nur 3,5 Stunden. Der Aufwand dafür durch Elektronik ist beim Testboot noch immens: Insgesamt neun Ladegeräte sind nötig, die unter dem Achterdeck montiert sind. Das Kühlgebläse steht von der Geräuschkulisse her einem Laubbläser in nichts nach. Außerhalb Norwegens wird jedoch kaum solch ein ausgebautes Ladenetz zu finden sein. Deshalb ist es mit Adaptern sogar möglich, die Greenline 39 an jeder 16-A-Steg- oder Schuko-Steckdose zu laden, was dann jedoch gut 13,5 Stunden dauert.
Solch ein komplexes Boot als Charterboot einzusetzen ist ein mutiges Unterfangen, denn die sichere Fahrt mit solch einer überschaubaren Reichweite (im Vergleich zur Dieselversion mit 700-Liter-Tank) setzt etwas Erfahrung des Schiffsführers voraus. Der Ladezustand und die Reichweite des Bootes werden zwar ständig auf dem Display angezeigt – doch sollte sich der Skipper durch zu viel Gas oder starken Gegenwind auf einer Etappe verkalkulieren und sein nicht Ziel erreichen, dann gibt es auf unserem Charterboot keinen „Plan B“. Keinen versteckten Schalter für eine Batteriereserve oder einen Generator. Anders als ein Elektroauto würde das Boot dann nicht einfach stehen bleiben, sondern zu treiben beginnen. Mittlerweile bietet die Werft als „Range-Extender“ einen kleinen 4-kW-Generator an.
Die Kabine der Greenline 39 ist mehr als wohnlich. Die großen Fenster bieten einen Panorama-Rundumblick, helle Flächen und Polster kontrastieren mit dunklen Hölzern. Da Elektroboot, wurde natürlich auch die Pantry mit einer Induktionsplatte und einem elektrischen Ofen versehen.
Ein hochfloriger Teppich in den Schlafkabinen verbreitet ein heimeliges Gefühl. In der Bugkabine können zwei Einzelbetten zu einem großen Doppelbett zusammengeschoben werden. Die Kabine mittschiffs besitzt zwar ausreichend große Betten, aber die lichte Höhe beträgt durch den darüber liegenden Salonboden nur 64 bzw. 45 Zentimeter, sodass das Raumgefühl dort ein wenig bedrückend ist und sie sich eher als „Schlafhöhle“ für Kinder eignet.
Die Fahreigenschaften sind für Kanal- und Küstenfahrten optimal, das Boot ist dann sehr kursstabil. Bei Marschfahrt (sechs Knoten) sind die Fahrgeräusche sehr leise, bei voller Fahrt unterscheidet sich das Motorgeräusch allerdings kaum vom dem eines Diesels. Beim Manövrieren sind Bug- und Heckstrahlruder wirklich nötig, denn in Rückwärtsfahrt bringt die Steuerung kaum Reaktionen. Dafür müsste das Ruderblatt wohl etwas größer sein. Auch benötigt die Greenline eine minimale Fahrt von drei Knoten. Darunter beginnt sie durch den hohen Aufbau und wenig Lateralfläche schon bei leichtem Seitenwind zu vertreiben.
Die Greenline 39 E-Drive überzeugt als vollwertiges, durchdachtes Elektro-Fahrtenboot mit gut dimensionierter Batteriekapazität und Reichweite. Auch wenn das Ladestromnetz nirgends so gut ausgebaut ist wie in Norwegen, so sind die Lademöglichkeiten mit den Marinas (16 oder 32 A) völlig ausreichend, um die Greenline auch andernorts zu betreiben. Der Wohnraum ist modern und hochwertig, der Platz für eine vierköpfige Familie optimal. Dank integrierter Solarpanele auf dem Aufbau ist die Greenline 39 auch über längere Zeit vor Anker autark und ist ein großer Schritt in Richtung nachhaltiges Bootsfahren.
Den Test der Greenline 39 E-Drive finden Sie in BOOTE-Ausgabe 08/2022 ab dem 13. Juli 2022 am Kiosk, online direkt im Delius-Klasing-Shop – und schon jetzt hier.