„Seawolf X“Ein Solar-Hybrid-Kat, der mithilfe von KI Effizienz erzielt

Christian Sauer

 · 08.03.2025

Ungewohnte Rundungen:  Fulvio De Simoni entfernte sich von kantigen Katamaran-Designs mit fließenden Linien, die an historische Bugattis erinnern und vorn Balkone freilegen.
Foto: Giovanni Malgarini
Rossinavis 43 Meter langer Solar-Hybrid-Kat erzielt Effizienz mithilfe künstlicher Intelligenz. Auf „Seawolf X“ konkurrieren Chartergäste um den geringsten Stromverbrauch, erleben nachhaltige Materialien und werden automatisch über vorbeiziehende Meeressäuger informiert.

“Wahrschau, Delphine voraus!“ Wenn dieser Ausruf auf „Seawolf X“ ertönt, kommt er nicht von einer menschlichen Stimme. Dennoch liegt der Ursprung im Mast, wo die vorbeiziehenden Meeressäuger zunächst eine Wärmebildkamera erfasst. Die Tierbestimmung erledigt die KI. Teils kommt ChatGPT zum Einsatz. Der Chatbot wird für die Sprachbedienung und weiterführende Recherche, etwa zu Inseln in Sichtweite oder vorausliegendem Wetter, genutzt. Über etliche Sensoren erkennt die mit den AV-/IT-Profis von Videoworks entwickelte Rossinavi AI auch, ob sich jemand in den Kabinen befindet. Falls nicht, fahren Jalousien herunter und Licht sowie Klimaanlage werden deaktiviert, um den Energieverbrauch zu senken.

Das System unterstützt zudem bei der Navigation und Routenplanung, indem es hilft, Luft- und Meeresströmungen effizient zu nutzen. Die künstliche Intelligenz lernt fortlaufend, wie der 42,84 mal 13,60 Meter große Alu-Katamaran genutzt und betrieben wird. Basierend darauf gibt sie der Crew Handlungsanweisungen, wie noch mehr Energie eingespart werden kann.

Wie Nachhaltigkeit an Bord von „Seawolf X“ eine Rolle spielt

Auf besonderen Wunsch des Eigners, der mit seiner Yacht einen möglichst geringen ökologischen Fußabdruck hinterlassen und seine Kinder für Nachhaltigkeit begeistern möchte, wurde ein Wettbewerbsmodus in die KI integriert. Als Grundlage dient der aufgezeichnete Strombedarf der einzelnen Kabinen. Diejenigen, die am sparsamsten waren, bekommen einen Preis verliehen. Den hätte auch Federico Rossi verdient, CCO der familiengeführten Werft aus Viareggio und wesentlicher Treiber neuer Technologien. Die Rossis nahmen früh Projekte an, die auf Leichtbau und dieselelektrische Antriebe setzten. Neben der Hardware sind für Rossi die Gewichtsreduktion und das Energiemanagement entscheidend für den Erfolg: „Von unseren schnellen Yachten wie ,Utopia‘ und ,Flying Dagger‘ haben wir das Know-how, etwas wirklich Leichtes zu bauen. Von unseren dieselelektrischen Schiffen wissen wir, die Energie an Bord bestmöglich zu verwalten.“

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Doch der Weg dorthin war voller Herausforderungen und Überraschungen. So wollte die Werft bereits auf „Flying Dagger“ zahlreiche Parameter in Echtzeit monitoren sowie Daten sammeln. „Wir hatten ein System installiert, das uns pro Tag mehr als 50 Gigabyte schickte. Wir waren gar nicht in der Lage, das zu bewältigen und außerdem blockierte es die Datenverbindung der Yacht. Nach nur vier Tagen in Betrieb hatten wir so viele Informationen, dass wir sagten: Stopp, abschalten!“, erinnert sich Rossinavis Chief Operating Officer und ergänzt: „Wir begannen, nach einem System zu suchen, das die Datenbank an Bord organisieren kann. Und genau das ist heute nur mit künstlicher Intelligenz möglich.“ Die Lösung stellt auch hier die zusammen mit der Universität von Pisa entwickelte Rossinavi AI dar. Im Hintergrund überwachen zahllose Sensoren unter anderem den Antrieb von „Seawolf X“ und sorgen dafür, dass der Ladezustand der Batterien sich stets zwischen 20 und 80 Prozent einpendelt und darüber die Lebensdauer der Stromspeicher erhöht wird.

Innovative Verbindung von Design und Technik

Ein Multihull schien nicht nur aus Effizienzgründen die perfekte Plattform für solch ein wegweisendes Projekt zu sein. Großformate mit mehr als einem Rumpf fallen ob ihrer schieren Breite auf und erregen größte Aufmerksamkeit, so sie sich denn wie „Artexplorer“ oder „This is it“ auch optisch hervortun. Bei „Seawolf X“ sind es die Linien von Fulvio De Simoni, deren geschwungenen Bug- und Heckpartien an historische Sportwagen wie Bugattis Type 57S erinnern und die die Grenzen der Alu-Bauweise ausloten.

De Simoni wollte, dass der Kat in der Seitenansicht wie ein Einrumpfer wirkt. Geradezu geduckt schneidet die Alukonstruktion mit Hauptdeck, per Hardtop geschütztem Sonnendeck und Steuerstand auf halber Höhe durch die See. Dieser Flachbau sorgt dafür, dass das Innenraumvolumen unter 500 Gross Tons bleibt. In den Rümpfen arbeiten jeweils Hybrid-Antriebe mit 250 Kilowatt starken E-Motoren von Siemens, die über Wellen auf Propeller wirken und ihre Energie aus vielerlei Quellen erhalten. Solarmodule bedecken 156 Quadratmeter, unauffällig integriert in sämtliche Dächer, Teile der Aufbauten und das Vordeck. Hinzu kommen zwei Diesel-Generatoren mit je 350 Kilowatt Leistung, deren Lastspitzen Batteriebänke kappen. Ihre maximale Energiemenge von 1,6 Megawattstunden erhalten die Akkus auch per Landstrom und zwei Frequenzumrichtern etwa über Nacht in fünf Stunden.

An Bord von „Seawolf X“ mit dem Tech-affinen COO Federico Rossi

Im Winterschlafmodus verhelfen die 202 Solarzellen mit ihren rund 35 Kilowatt-Peak dem Motorkat zu Autarkie und sparen im Hafen laut Federico Rossi jährlich ungefähr 100.000 Euro an Stromkosten ein. Zudem besteht die Möglichkeit, dass die Batterien in umgekehrter Richtung elektrische Energie in das öffentliche Stromnetz einspeisen oder, statt in einer Marina vor der eigenen Villa vertäut, diese damit versorgen. In der Praxis werden für den Eigner oder die Chartergäste – über Cecil Wright kommen ab 380.000 Euro pro Woche bis zu zwölf Personen an Bord – aber die drei Fahrmodi relevanter sein.

Für Tagestouren bei bis zu zwölf Knoten Höchstgeschwindigkeit reicht die Energie der Batterien und Solarzellen völlig aus. Für mehrtägige Reisen müssen die Generatoren zehn Prozent zusteuern, bei langen Überfahrten sind es 20 Prozent. Dann bewegt sich „Seawolf X“ bis zu 80 Prozent der Zeit rein elektrisch. „Unser Ziel war eine Reichweite von 3.800 Seemeilen, tatsächlich sind es 5.400 Seemeilen bei acht Knoten. Das entspricht sogar einer Pazifiküberquerung!“, begeistert sich Federico Rossi und erläutert sein BluE-Konzept: „Durch absolute Ruhe soll man sich wie auf einer Segelyacht fühlen. Geschwindigkeit und Leistung sind sehr ähnlich, aber wir müssen nicht der Richtung des Windes folgen.“

Art Basel Miami Beach statt Bootsmesse

Selbstverständlich muss niemand an Bord die KI nutzen, aber in dem Auftraggeber fanden alle Beteiligten einen optimalen Partner für solch innovative, nachhaltige Entwicklungen. Und das nicht etwa auf einer der traditionellen Yacht Shows, sondern auf der Art Basel Miami Beach, wo Rossinavi 2021 das Projekt Seacat vorstellte. „Bootsmessen sind oft sehr hektisch und man wird überhäuft von Informationen“, resümiert Federico Rossi.

„Die Art Basel ist für uns ein guter Ort, um Yachten zu präsentieren. Die Menschen dort sind entspannt, und Neuigkeiten wie unser innovativer Katamaran kommen schön zur Geltung.“ Die Kunstmesse ebnete zudem die Zusammenarbeit mit dem breit aufgestellten New Yorker Design Studio Meyer Davis. „Wir haben Rossinavi durch unsere gemeinsame PR-Agentur kennengelernt und während der Art Basel mit Federico gefrühstückt“, erinnert sich Will Meyer. „Etwa eine Woche später kontaktierte er uns und sagte, dass es ein besonderes Projekt gebe, über das wir sprechen sollten.“

Nachhaltiges Interieur mit Hotel-Inspiration

Es folgte ein Treffen mit dem späteren Eigner und man verstand sich sofort. „Er hatte im von uns gestalteten 1 Hotel South Beach übernachtet und liebte dessen Ästhetik. Ihm gefiel, dass sich alles um Nachhaltigkeit drehte – jedoch auf eine unaufdringliche Art und Weise.“ Somit passte es perfekt zu dem, was Rossinavi mit dem Projekt Seacat plante, erläutert Will Meyer: „Die Inneneinrichtung und alles, was man anfasst, muss mit der nachhaltigen Philosophie des Bootes harmonieren.“

Dementsprechend sind etwa die Teppiche aus recycelter und biologisch abbaubarer Wolle geknüpft. Viele Wandverkleidungen wurden aus natürlichen Fasern wie Raffia-Bast oder Jute gewebt; Leinen-Vorhänge überraschen mit ihrer Textur und speziellen Lichtdurchlässigkeit. „Bei aller Nachhaltigkeit und Technologie darf man die Nutzbarkeit nicht aus dem Auge verlieren. Das Interieur sollte gemütlich, ungezwungen und entspannt sein“, ordnet es Meyer ein und fasst zusammen: „Wir wollten schöne Materialien verwenden, die nicht auffallen müssen. Dadurch wirkt das Interieur zeitlos.“

Überraschender Grundriss mit Wendungen

Trotz fehlender Yachtreferenzen brachten sich die New Yorker auch beim Layout intensiv ein: „Wir haben Monate und Monate damit verbracht, wirklich jeden Quadratzentimeter des ursprünglichen Entwurfs zu überarbeiten und den Raum zu maximieren“, berichtet Will Meyer. „Da es unsere erste Yacht ist, sind wir mit einem anderen Blickwinkel an die Sache herangegangen. Wir übertrugen unsere Erfahrung von Luxusgastronomie und -wohnungen auf eine neue Plattform. Ich denke, das hat eine gewisse Frische hineingebracht.“

Als sehr hilfreich erwies sich die enorme Breite, allen voran für das Hauptdeck und die Eignerkabine, die sich über 70 Quadratmeter zwischen den beiden Rümpfen und bis in sie hinein erstreckt. Die Suite schließt ein Gym sowie zwei Balkone ein, die per separatem Crew-Zugang auch als Ankerstationen dienen. Der 80 Quadratmeter große Salon samt Couch-Ensemble und dem ovalen Speisetisch mit seinen zwei versetzt angeordneten Ledersitzbänken erzeugt ebenfalls das Raumgefühl einer deutlich längeren Superyacht und bietet dem Eigner oder den Charterkunden diverse Möglichkeiten, mit Familie und Freunden zu interagieren.

„Seawolf X“ fährt überwiegend elektrisch von Monaco in die Karibik

Ähnlich gesellig gibt sich das nahtlos anschließende Cockpit mit Esstisch, Liegen, Infinitypool und beidseitigen Treppen hinunter zur erhöhten Badeplattform, von der es per Transformer-Hydraulik ins oder aus dem Nass geht. Während achtern der Beachclub und die Sauna verortet sind, parkt im Backbordrumpf ein Castoldi Jet 17. Darüber hinaus begleitet „Seawolf X“ eine 13 Meter lange SACS Strider als Chaseboat. Sechs Tauchsets und jede Menge Wasserspielzeug wie zwei Sea-Doo Sparks, Seabobs, CudaJets, E-Foilboards, Wake- und SUP-Boards werden von der neunköpfigen Crew vorn in der separaten Garage des Backbordrumpfes verstaut.

Auf Gäste warten zwischen den Rümpfen außerdem die beiden Netze als Trampoline sowie das Jacuzzi-Nest im Vordeck. Zum Pavillon wird das Rondell, wenn das Hardtop hydraulisch hochfährt – wie es sich für Rossinavi gehört, mit einem von der Werft entwickelten und gebauten Mechanismus. Aus der Decke klappt ein XXL-Screen, den adäquaten Klang für das Open-Air-Kino liefert ein mächtiges Soundsystem. Ungleich ausladender präsentiert sich das Sonnendeck, zwar ohne eigenen Steuerstand, dafür mit direkter Anbindung an die Brücke, u-förmiger Bar und viel Freiraum zwischen den Lounge-Möbeln. Die 130 Quadratmeter sind prädestiniert für rauschende Partynächte, wie es sie während der Monaco Yacht Show gab. Vom Fürstentum ging es für „Seawolf X“ tatsächlich größtenteils per Sonnenenergie über den Atlantik in die Karibik. Rossinavis Konzept geht auf. Die Werft treibt Zukunftstechnologien weiter voran: auf gleicher Doppelrumpf-Basis, aber mit neuen aufsehenerregenden Designs.


Technische Daten

  • Länge über alles: 42,75 m
  • Breite: 13,75 m
  • Tiefgang (halb voll): 1,85 m
  • Gross Tonnage: 499 Gross Tons
  • Material: Aluminium
  • E-Motoren: 2 x Siemens BlueDrive Eco
  • Motorleistung: 2 x 250 kW
  • Generatoren: 2 x 300 kW
  • Batteriebänke: 2 x 16 Module
  • Batteriekapazität: 1,6 MWh
  • Geschwindigkeit (max.): 12 kn
  • Geschwindigkeit (Reise): 10 kn
  • Reichweite @ 8kn: 5.400 sm
  • Gäste: 12
  • Crew: 9
  • Konstruktion: Rossi Engineering Design & Services (R.E.D.S.)
  • Exterieurdesign: Fulvio De Simoni
  • Interieurdesign: Meyer Davis
  • Werft: Rossinavi, 2024
  • Charter: Cecil Wright, ab 380.000 € p. W.

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