Speed Project SP 80Trimaran und Kite jagen nach Geschwindigkeitsrekord

Andreas Fritsch

 · 23.02.2025

Oben der Kite, unten der übers Wasser preschende Tri bei einer der Testfahrten. Noch ist die 80-Knoten-Marke in weiter Ferne.
Foto: Guillaume Fischer/SP80
Kann das Schweizer Team SP 80 den zwölf Jahre alten Geschwindigkeitsrekord von Paul Larsens „Sailrocket II“ brechen? Mit einem von einem Kite angetriebenen Trimaran streben sie genau das an. Unser Redakteur hat die Testfahrten vor Leucate hautnah miterlebt.

Warum zum Teufel haben die auf ihrem Rib einen neun Meter hohen Mast? Das ist die erste Frage, die ich mir beim Besuch an der Basis des SP-80-Teams im französischen Leucate stelle. Hinten zweimal 300 PS und dann dieser verstagte Kohlefasermast mitten im Schlauchboot? Des Rätsels Lösung offenbart zugleich die Besonderheit des Schweizer Teams: An dem Mast wird draußen auf See an der Rekordstrecke der riesige Kite gesetzt. Denn: Der Trimaran des Teams wird nicht von einem klassischen Rigg samt herkömmlichen Segeln angetrieben, sondern von eben jenem Sportgerät, das sonst vor allem – nomen est omen – Kite-Boarder nutzen.

Mayeul van den Brock, Team-Chef und Steuermann des SP 80, lächelt, als er meinen Blick bemerkt. „Benoit und ich fahren zwar das Boot, aber letztlich brauchen wir auf dem Wasser acht Leute, um starten zu können.“ Er erklärt, dass die Größe des Kites je nach Windstärke variiert. Er kann zwischen 12 und 40 Quadratmeter groß sein. Das Team riggt ihn auf, befestigt ihn am Mast, lässt ihn aufsteigen und übergibt ihn schließlich an den Tri. Dessen Co-Pilot Benoit Gaudiot bringt den Kite schließlich mithilfe von vier Steuerseilen, die er über ein Rad und einen Hebel kon­trolliert, langsam „in the zone“. Das ist jener Bereich, in dem das Profil des Drachen optimalen Vortrieb erzeugt.

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Und dann geht es los! Bislang hat man es nach mehreren Tests auf etwas über 43 Knoten Speed gebracht. In den nun anstehenden Läufen wollen sie die 50-Knoten-Marke knacken. Ziel sind 80 Knoten, daher der Team-Name. „Paul Larsen hält mit 65,45 Knoten immer noch den Speed-Rekord unter Segeln. Also müssen wir die 80er-Marke anpeilen“, so Mayeul. Er erzählt, dass sie regen Kontakt mit dem Rekordhalter pflegen und sich auch schon mehrfach getroffen hätten. Larsen habe ihnen Glück gewünscht und dem Team ein handsigniertes Bild von seiner ersten Rekordfahrt geschenkt.

Mayeul: „Er ist eine echte Inspiration und sieht unser Vorhaben sportlich. Falls wir seinen Rekord brechen, will er versuchen, ihn sich zurückzuholen.“ Seit 2012 steht die Bestmarke. Ganze elf Jahre hatte Larsen daran gearbeitet. Wie lange meinen die Schweizer zu brauchen?

Mayeul lächelt. „Als wir das Ganze als studentisches Uniprojekt an der École Polytechnique Fédérale in Lau­sanne begannen, dachten wir, binnen drei bis vier Jahren am Ziel zu sein.“ Wir waren damals Studenten. Mittlerweile sind wir im siebten Jahr, und fast jeder im Team ist längst Ingenieur.“

Warum ein Kite?

Rekordprojekte brauchen einen langen Atem. Und Geld. In dieser Hinsicht hatten die Schweizer Glück. Ihr Hauptsponsor Richard Mille, ein Uhrenhersteller, ist von der ersten Stunde an dabei und hält treu zu ihnen. Derzeit 40 weitere Unterstützer sorgen dafür, dass sich die elf Leute starke Crew finanziell über Wasser halten kann.

Und dann schießt mir doch sofort die zweite Frage durch den Kopf: Warum ein Kite? „Der große Vorteil ist, dass wir uns mittels der verschiedenen Kite-Größen stufenlos den Windbedingungen anpassen können. Und falls die Kräfte aufs Boot einmal zu groß werden, können wir den Kite per Knopfdruck mittels einer winzigen Sprengladung im Sekundenbruchteil vom Boot trennen. So vermeiden wir Schäden oder Unfälle“, erklärt Mayeul.

Ganz sicher ist das keine dumme Idee, wenn man bedenkt, dass Rekordhalter Paul Larsen mit seiner ersten „Sailrocket“ einmal abgehoben war und einen kompletten Überschlag in der Luft vollführt hatte. Nur mit Glück blieb er damals unverletzt. Als die drei Team-Gründer Benoit, Mayeul und Xavier Lepercq anfangs überlegten, wer von den dreien auf den Platz im Cockpit verzichten musste, fiel die Wahl schnell auf Xavier – er hatte als einziger schon Familie.

SP 80 ist mehr Jet als Tri

So viel zur Theorie. Jetzt aber auf zum Hangar, wo hinter einem Rolltor der Trimaran auf seinem Trailer für eine weitere Testfahrt klargemacht wird. Der Anblick ist schon überraschend: Das Boot sieht eher aus wie ein Jet, nicht wie ein klassischer Trimaran. Das Cockpit mit einer zweisitzigen Piloten-Kanzel ist eingelassen in einen breiten, tropfenförmigen Mittelrumpf. Dessen Unterwasserschiff erinnert an den Bauch eines Wasserflugzeugs.

Die kurzen, tragflächenförmigen Beams gehen über in zwei winzige Rümpfe. Sie ähneln eher angehängten Triebwerken oder Auftriebskörpern. Oben auf dem Boot thront ein langer schwarzer schwenkbarer Ausleger. An ihm wird der Kite befestigt.

Co-Pilot und Kite-Controller Benoit Gaudiot kommt dazu. Er zeigt mir zunächst seinen Arbeitsplatz, das hintere Cockpit. Dort ist doch tatsächlich das Lenkrad eines Rasenmäher-Traktors montiert, wie das Logo verrät. Benoit grinst: „Das passte perfekt und ist sehr stabil! Damit kann ich den Kite nach links und rechts bewegen. Mit einem Hebel daneben wird der Anstellwinkel und die Flughöhe eingestellt.“ Alles hydraulisch. In On-Board-Videos auf Youtube sieht man, wie Benoit während der Fahrt schnell und viel am Lenkrad dreht. 14 Umdrehungen sind es von Anschlag links nach rechts.

Ein großer roter Knopf rechts ist der Not-Auslöser für den Kite. Mittig prangt ein großer Bildschirm. „Darauf kann ich sehen, wo und wie der Kite in der Luft steht.“

Kurz darauf schlüpft Mayeul in das enge Steuercockpit vorne. Seine Aufgabe ist es, das Boot optimal zum Windeinfallswinkel, so um die 100 bis140 Grad, und dicht unter Land zu halten, damit der Tri möglichst wenig von Wellen gebremst wird. Auf seinem Bildschirm vor ihm laufen die Bootsdaten zusammen: Lastanzeigen für Foil, Ruder und Kite-Arm, Lagewinkel, Beschleunigung und vieles mehr. Werden die Kräfte zu groß, kann auch er den Kite absprengen.

Hyperventilierender Foil ist Neuland

Ab 25 Knoten Speed skimmen die Rümpfe nur noch über die Wasseroberfläche. Das zentrale Foil hält das Boot im Wasser, unterstützt vom winzigen Ruderblatt, das der Pilot vorne bedient. Ruder und Foil sind top secret, von Überzügen verhüllt, niemand außerhalb des Teams darf sie zu sehen bekommen. Erst im Wasser entfernt ein Taucher die Hüllen. Kein Wunder, steckt in den Teilen doch das eigentliche Rekord-Know-how.

„Wir fahren mit einem sogenannten hyperventilierenden Foil“, erklärt Benoit. Die Kavitation, die bei etwas über 50 Knoten an einem klassischen Foil ansetzt, erzeugt derart viele Wirbel und Unterdruck, dass das Profil schließlich zerstört wird. Das vermeidet man mit einem Foil, das im Längsschnitt fast dreieckig ist. Es saugt Luft von der Oberfläche an, sogenannte Ventilation, die gezielt eine dünne Luftschicht über die Unterdruckseite des Profils legt. So entsteht keine Kavitation. Das Profil des SP-80-Tris soll für 80 Knoten optimiert sein, das von Larsen war für um die 60 Knoten ausgelegt.

Das Foil ist direkt mit dem Auslegerarm verbunden, an dem oben der Kite gesetzt ist. Produziert der zu viel Zug nach oben, wird das Foil im Wasser automatisch so angestellt, dass es das Boot nach unten zieht. Damit lässt sich verhindern, dass das ganze Geschoss in die Luft gehoben wird. Bootsbauerisch ist das alles Neuland, genau wie der Rumpf. Entsprechend sei viel Zeit in die Entwicklung geflossen, berichtet Mayeul.

Auch habe man einige Rückschläge hinnehmen müssen. „Anfang 2024, als wir eigentlich die ersten schnellen Läufe machen wollten, entdeckten wir einen winzigen Riss am Boot. Es zeigte sich, dass er sich auf die gesamte umliegende Struktur auswirkte.“ Der SP 80 habe zerlegt werden müssen, ein tragendes Teil ging in die Werft nach Italien zurück. Die aufwendige Reparatur zog sich über sechs Monate. Zudem zeigte sich, dass die Bugspitze vor dem Angleiten 90 Kilogramm Abtrieb erzeugte. Das Boot saugte sich regelrecht fest. „Also vergrößerten wir die Unterwasserfläche.“

Cockpits nach Formel-1-Sicherheitsstandards

Im Juni begannen dann neue Tests. Mit Erfolg. In nur einer Handvoll Läufe ging es in großen Sprüngen von 13 auf knapp über 43 Knoten Speed. „Das war unser Proof of Concept!“, sagt Benoit. Allerdings mussten sie zuletzt den Kite per Not-Trennung abwerfen. „Das Foil ist entwickelt für Geschwindigkeiten zwischen 40 und 50 Knoten. Es bekam zu viel Last, die Spitze bog sich über 30 Zentimeter nach Lee weg“, erzählt Mayeul. Wegen der hohen Baukosten für die Foils hatten sie lieber mehrere günstiger gebaut, um eine Auswahl zu haben. Die wurde schließlich im Dezember getroffen und das endgültige Foil für den Rekord gebaut und montiert. Die Spannung nun ist groß, wie sich das Boot damit verhält.

Zeit also für einen echten Speed­run! Draußen rüttelt der Wind mit 30 Knoten am Hangar, perfekte Bedingungen für einen Test mit dem 25-Quadratmeter-Kite. Das Boot rollt aus dem Hangar zur Sliprampe, wird gewassert. Dann ist es ein bisschen wie bei „Top Gun“: Die zwei Spezialglas-Hauben werden über den Köpfen der Piloten von einem Crewmitglied von außen geschlossen. Die Piloten sitzen hintereinander in ihren sardinendosenengen Cockpits. Die sind nach Formel-1-Sicherheitsstandards gebaut, sie halten bei einem Aufprall Kräfte bis 50 G aus. Die Piloten tragen Helme, dunkle Sonnenblenden darüber. Gehobener Daumen, die Sprechfunkverbindung wird gecheckt. Nur dass jetzt keine Düsen, sondern die 300-PS-Außen­border am Team-Rib loswummern.

Showtime. Vorsichtig bugsiert das Rib den Trimaran aufs Meer vor Leucate in Südfrankreich. Unter blauem Himmel kachelt es Anfang Dezember böig und eiskalt. 50-Knoten-Wetter, hofft das Team. Kaum aus der Hafeneinfahrt, legt der Rib-Fahrer, den SP 80 im Schlepp, den Hebel auf den Tisch: Mit 20 Knoten geht es los, rund zehn Meilen dicht unter Land die Küste entlang zu dem Abschnitt, der ideal für den Rekordversuch ist. Über eine flache Landzunge, die die Wellen abschwächt, bläst der Wind heftig. Per Funk melden sich die Schweizer bei der Küstenwache mit dem Hinweis auf den Rekordversuch und der Anzahl von Personen an Bord. Man weiß ja nie.

Man ahnt, was mit dem SP 80 möglich ist

Am Startplatz angekommen, wird ein Anker geworfen und das Boot an einer Muringleine 90 Grad zum Wind vertäut. Dann beginnt ein Ringen mit dem Kite. Im böigen Wind wird das große Profil auf dem Kopf liegend ausgebreitet, damit es nicht gleich aufsteigt. Unzählige dünne Leinen werden sortiert, das Segel am Mast des Rib gesetzt.

Zeitgleich wechselt der ausgebildete Rettungstaucher auf den SP 80 und montiert dort die Steuerleinen des Kites am Auslegerarm. Immer wieder gibt es Verzögerungen. Derweil sind alle über Headsets miteinander verbunden. Kontinuierlich bespricht man Lage, Wind, Probleme.

Nach eineinhalb Stunden ist es so weit: Die Rib-Crew gibt den nun am Kohlefasermast baumelnden Kite frei. Trimmer Benoit lässt ihn zunächst steigen und mit wenig Druck fliegen. Dann löst Mayeul per Knopfdruck das Boot von der Muring. Schwerfällig setzt sich der eine Tonne schwere SP 80 in Bewegung. Trotz nicht einmal 500, 600 Metern zum Land, macht ihm die Welle von vielleicht 10 bis 20 Zentimetern zu schaffen. Ausgerechnet jetzt lässt der böige Wind auch noch nach. Ribs fahren als Sicherungsboote parallel mit, der Rettungstaucher ist startklar. Beide Piloten haben zwar ein Sicherheitstraining in einem Mock-up des Cockpits im Schwimmbad über Kopf absolviert, um sich zu befreien, doch einmal mehr gilt: Sicher ist sicher. Sogar Atemmasken samt Sauerstoffflaschen liegen für den Notfall im Cockpit parat.

Mit 15, vielleicht 20 Knoten pflügt das Boot dahin. Dann wird der Kurs korrigiert auf den idealen Windeinfallswinkel. Benoit steuert den Kite nun niedriger über dem Wasser und stellt sein Profil anders an. Sofort beschleunigt das Boot, aber man merkt, es „klebt“ in der Angleitphase noch im Wasser. Dann fällt eine kräftige Bö ein. Blitzartig sprintet der SP 80 los. Der Rib-Fahrer muss mächtig beschleunigen, um dranzubleiben. Das Rekordboot fliegt jetzt stabil über die Wellen. Man ahnt, was möglich ist.

Dann jedoch lässt der Wind nach, der Rumpf sackt zurück. Ein paar Minuten geht das so, dann ist das Ende der Rekordstrecke erreicht, die nur wenige Meilen lang ist. Benoit lässt den Kite auf die Wasseroberfläche sinken, der Lauf ist zu Ende. Das Boot hat zu wenig ­Power, sie brauchen den größeren Kite. Also den Drachen bergen, den Tri an den Ankerplatz schleppen, den größeren Kite aufriggen – alles beginnt von vorne. Für die Rib-Crews ein patschnasser Prozess in eiskalter Spray.

Rekordjäger müssen geduldig sein

Der geplante zweite Lauf fällt dann leider flach, weil sich Leinen vom Kite verheddern und die Crew sie auf dem Wasser nicht entwirren kann. Zu groß ist das Risiko, dass sie unter Last den Kite beschädigen. Rekordjäger müssen geduldig sein. Etwas frustriert fährt der Tross nach einem langen Tag auf dem Wasser zurück in den Hafen.

Debriefing, dann wollen alle schnell in die warme Team-Zentrale im Hinterland. Dort beginnt das Entwirren der Leinen. Kite-Spezialist Tanguy Desjardins korrigiert die sogenannten Bridle- Lines, mit denen der Anstellwinkel des Profils kontrolliert wird. Sie waren noch nicht ideal.

Mayeul schaut noch einmal vorbei. An der Wand hängt das Bild von der Rekordfahrt Larsens mit dem Autogramm. Wann er meint, dass er dessen Bestmarke übertrumpft, will ich wissen. „Bald werden wir erste echte Rekordläufe machen, jetzt waren es noch Tests. Ich denke, bis Mitte des Jahres können wir es schaffen; das Boot kann das“, ist er sicher.

Und dann, so ganz nebenbei, erzählt er, dass schon ein weiterer Rekordjäger bei ihnen angeklopft habe: Glenn Ashby vom Team New Zealand. Der hatte 2023 den Speed-Rekord mit einem segelbetriebenen Gefährt an Land gebrochen. Der Australier träume nun vom Double: dem Rekord an Land und auf dem Wasser. „Da wäre es schon schön, wenn er mehr als 80 Knoten schaffen müsste“, sagt Mayeul, „weil wir vorgelegt haben!“


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