Erich Bogadtke
· 06.04.2011
Halbe Sachen sind nicht ihr Ding: Carsten Klink und Malte Krüger restaurieren Autoboote und Backdecker, nicht einfach so, versteht sich! TEIL 1.
Gut, dass es TomTom & Co gibt. Der elektronische Pfadfinder lässt sich von dem Irrgarten, den die Straßenbauer in Berlin-Köpenick mit viel Mühe und noch mehr Schildern aufgebaut haben, nicht aus der Ruhe bringen und führt uns unbeirrt in die Wendenschloßstraße 366. „Sie haben Ihr Ziel erreicht“, verkündet die Stimme aus dem kleinen, schwarzen Kasten an der Windschutzscheibe. Wirklich? Wir stehen auf dem Parkplatz eines bekannten Discounters und suchen auf den Fassaden der umliegenden Gebäude verzweifelt nach dem richtigen Firmenschild.
Die Reparaturwerft für Binnenschiffe ist nicht zu übersehen, wohl aber die in einem Schaufenster aufgehängte Tafel mit dem Klink-&-Krüger-Logo, drei stilisierte Wellen und darüber ein historisches Lenkrad mit dem unverzichtbaren Hebel für die Zündverstellung. Wir sind im Allerheiligsten der Restaurateure und erfahren, dass bisher noch jeder, der es wollte, Klink & Krüger gefunden hat und man sich zurzeit erst mal um das Wesentliche kümmern muss.
Man, dass sind das Chef-Duo Carsten Klink und Malte Krüger und ihre Mitarbeiter David Schmidt und Rolf Overberg. Das Wesentliche – historische, renovierungsbedürftige Boote – steht neben und manchmal auch übereinander in der Halle. Dass das „Fitnesscenter“ für die arg strapazierten Klassiker nicht irgendwo, sondern auf historischem Gelände liegt, versteht sich von selbst. Jedenfalls für die Köpfe von Klink & Krüger. Der Firmensitz in den Räumen der ehemaligen Engelbrecht-Werft, in den Dreißigern die erste Adresse für Autoboot-Liebhaber wie Ferdinand Porsche und Hans Stuck, wurde mit Bedacht gewählt. Man will seine Boote dort restaurieren, wo sie einst gebaut wurden und so an die Traditionen der Vorkriegszeit anknüpfen.
Ein Ausflug in die Vergangenheit zeigt, dass der Autoboot-Primus damals sprichwörtlich aus der Not geboren wurde. Der 1935 im Alter von 74 Jahren verstorbene Claus Engelbrecht baute in Zeuthen ursprünglich Segelboote und Motoryachten – beides in bester Qualität – und machte sich damit nicht nur einen Namen, sondern auch ein „kleines Vermögen“. Und das nicht erst durch den Verkauf seiner Werft.
Das Bankkonto wurde in Zeiten der Inflation reichlich ramponiert, der Ruf als exzellenter Bootsbauer nicht. So musste Claus Engelbrecht zwar den Ruhestand aufgeben, konnte aber an neuer Wirkungsstätte schnell an alte Erfolge anknüpfen. Trotz Weltwirtschaftskrise standen Mitte der 30er-Jahre mehr als 600 Mitarbeiter auf Engelbrechts Lohnliste, die exakt das machten, was man heute „custom built“ nennt. Soll heißen, sie bauten bis ins kleinste Detail genau das, was König Kunde haben wollte.
Für Carsten Klink, der das historische Werftgelände in Köpenick zum Hauptquartier seiner 1997 gegründeten Binnenschiffreederei Ed-Line machte, liegt der Standortvorteil von Klink & Krüger auch in den kurzen Wegen. Klink ist mit Booten aufgewachsen und ein echter Technik-Liebhaber, der selbst im guten Zwirn auf uns den Eindruck macht, er würde viel lieber an der Werkbank oder im Motorraum schrauben, als im Büro vor dem Computer zu sitzen.
Die Begeisterung für (fast) alles, was technisch ist, hat Carsten Klink von seinem Vater geerbt, einem renommierten Triebwerksingenieur, der der Liebe wegen vom „goldenen Westen“ in die DDR wechselte. Dass Papa dem Jungen irgendwann und irgendwie beim Klassenfeind einen modernen Außenborder „besorgte“, weiß der Sohnemann noch heute zu schätzen. Der erfolgreiche Reeder, der seine maritime Karriere als Matrose begann und heute als Kapitän die größten Binnenschiffe führen darf, beschäftigt mittlerweile 77 Mitarbeiter und bleibt beim Anblick der mit Elektronik voll gestopften Outboard-Kraftpakete aus Japan und den USA völlig cool.
Schwach wird er lediglich bei Lebensgefährtin Sabine, Tochter Aniane, seiner Hündin Kira, die keinen Schritt ohne ihr Herrchen macht (oder ist es umgekehrt?) und historischen Schiffen und Booten. Beim Stichwort „Autoboot“ bekommt der 44 Jahre alte Kapitän und Unternehmer blanke Augen. Wer Carsten Klinks Begeisterung nachvollziehen will, muss die Figur und den Charakter seiner „Geliebten“ kennen. Die ist aus Stahl oder Holz gebaut, schlank, zwischen fünf und zehn Metern lang und zwischen den Weltkriegen nicht nur bei den Berliner Promis heiß begehrt.
Ihre (Rumpf-)Form ist unterschiedlich, es gibt Rundspanter, rauwassertaugliche Wellenbinder und die „Renner“ mit V-Spant, die zum Teil mit Motoren aus dem Flugzeugbau motorisiert werden und damit bis zu 50 km/h schnell sind. Wer es sich leisten kann, lässt sein Boot mit Maybach-Motoren ausrüsten, die heiß begehrten Triebwerke aus Friedrichshafen stehen auf den Wunschzetteln der schnellen Jungs ganz oben und in einem echten Autoboot immer unter dem langen Vordeck.
Dort agieren in der Regel marinisierte Automotoren, die leichter und drehfreudiger sind als herkömmliche Bootsmotoren, und die dem Bootstyp zusammen mit den nach automobilen Vorbildern gestalteten Armaturenbrettern und Lenkrädern seinen Namen geben. Wichtig ist in einem Autoboot, dass man vom Fahrersitz aus alles bedienen und kontrollieren kann. Man(n) hat sich gerade das Autofahren beigebracht oder beibringen lassen und will nach Möglichkeit das Erlernte auch im Boot anwenden.
Dass sich die Herrschaften wie im Auto häufig chauffieren lassen, hat zwei Gründe: Zum einen gehört ein Chauffeur, der früher nicht selten als Nachtwächter im Motorraum in einer Hängematte schlief, in der feinen Gesellschaft zum guten Ton, zum anderen erfordert die Bedienung und Pflege der Technik Sachverstand und Muskelkraft. Wer einmal ein festsitzendes Konusgetriebe schalten musste, weiß spätestens seit diesem Tag eine starke Hand zu schätzen. Bleibt zu erwähnen, dass sich die Bootsleute auch bei der Kennzeichnung ihrer Fahrzeuge im Fundus der Automobilisten bedienen und Boote mit festem Kajütaufbau als Limousinen und solche mit einer klappbaren Persenning folgerichtig als „Kabriolets“ bezeichnen.
Auch wenn Berlin mit seinen unzähligen Seen und Wasserstraßen durchaus als „Hauptstadt der Autoboote“ gelten kann, eine deutsche Erfindung sind die in Anlehnung an ihre Herkunft und Statur „Berliner Zigarren“ genannten Autoboote nicht. In Italien, Frankreich und der Schweiz finden schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts regelmäßig Rund- und Langstreckenrennen statt, in denen Bootsbauer, Fahrer und namhafte Motorenhersteller, wie Delahaye, Daimler, Napier, de Dion-Bouton und Panhard et Levassor ihr Können demonstrieren.
Im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“, den USA, heißen die Hauptdarsteller zur gleichen Zeit Chris Craft, Gar Wood und Hacker, die ihren Runabouts zum Teil mit bärenstarken Flugzeugmotoren von Lycoming, Kermath, Scripps und Cummings „das Laufen beibringen“.
Heute, rund 80 Jahre später, sind Autoboote echte Raritäten. „Von den 1000 in Deutschland gebauten Booten gibt es vielleicht noch 50“, schätzt Carsten Klink den Bestand und fügt hinzu, „davon lassen sich aber nur noch maximal 30 mit mehr oder weniger großem Aufwand wieder detailgetreu renovieren, der Rest hat nicht einmal mehr Schrottwert.“
Die ganze Reportage mit noch mehr Fotos finden Sie auch in der aktuellen April-Ausgabe von BOOTE, die es noch bis zum 26. April am Kiosk gibt.