Ruediger Frank
, Gerald Guetat
· 02.08.2017
In den Dreißiger- und Vierzigerjahren war der BMW 328 Roadster ein gefürchteter Rennwagen. Sein Motor brachte aber auch frühe Powerboote wie die „Berlin III“ in Fahrt – eine spannende Zeit...
Als der Werftbesitzer Rolf Gersch im Jahr 2003 dem Hinweis eines Kunden folgte und einen Hinterhof in der Nähe von Mainz betrat, wusste er noch gar nicht, welcher Schatz da vor ihm lag. Die Außenhaut des alten Holzboots war aufgerissen, Teile der Konstruktion verrottet, und der Motor fehlte; andere wichtige Komponenten wie die Heckkanzel, an der sogar noch ein Original BMW-Logo prangte, waren dagegen erhalten.
Gersch, dem das Wrack allerdings „irgendwie bekannt vorkam", kaufte es für einen bescheidenen Preis. Zu Hause konnte er es anhand von alten Fotos schnell identifizieren: Er hatte die lange verschollene "Berlin III" wiederentdeckt.
Die "Berlin III" ist nicht irgendein altes Rennboot. Um ihre Bedeutung zu verstehen, muss man einige Jahrzehnte in der Geschichte des Bootsports zurückgehen. In den frühen Fünfzigerjahren – der Zweite Weltkrieg lag noch keine zehn Jahre zurück – konnte sich nur eine kleine, reiche Elite überhaupt ein Rennboot leisten.
Zu ihr gehörte der junge Jürgen Baginski ebenso wie sein Landsmann Christoph von Mayenburg, der bereits international Anerkennung genoss. Weil die Familie Baginski Schmerztabletten und die von Mayenburgs Chlorodont-Zahnpasta produzierten– beides Massenware – waren sie den wirtschaftlichen Nöten der Nachkriegszeit schneller als viele andere entkommen.
1950 machte von Mayenburg seinen Freund mit Max Steaves bekannt, dem die gleichnamige Werft in Wiesbaden gehörte. Der Schiffskonstrukteur baute mehrere erfolgreiche Rennboote und ist auch der Vater der "Berlin III". Wie damals in Europa üblich, orientierte er sich an Modellen, die von der American Powerboat Federation als "Rennboot der D-Klasse" eingeordnet wurden.
Auf Anraten seines Freunds Christoph von Mayenburg gab Jürgen Baginski die „Berlin III" zur Wartung und Abstimmung in die Obhut von Rolf Gerschs Vater Kurt – ein begabter Bootsbauer aus Wiesbaden, der ebenfalls Rennen fuhr.
Am Steuer der „Berlin III" nahm Baginskis beachtliche Rennfahrerkarriere in den frühen Fünfzigern ihren Anfang. Mit seinem ersten Boot war er zwar noch nicht sehr erfolgreich und gewann hauptsächlich regionale Wettbewerbe, etwa 1953 das Rennen auf dem Starnberger See.
Doch ab Mitte der Fünfzigerjahre ließ Baginski neue Modelle herstellen, die alle „Berlin" getauft wurden (eine Reminiszenz an die Hauptstadt, in der einst die erfolgreiche Unternehmerkarriere seines Vaters Maximilian begann) und streng durchnummeriert wurden.
Nur wenige Jahre später, 1956, gewann er mit einem Nachfolgerboot namens "Berlin VI" – gebaut von Kurt Gersch, der als Kopilot an Bord war – mehrere internationale Rennen und holte schließlich in Cannes den Weltmeistertitel.
Die „Berlin III" war da längst ausrangiert und befand sich auf dem besten Weg, in Vergessenheit zu geraten…
Die Bayerischen Motoren Werke: Ein junges Unternehmen auf der Überholspur
Noch in einer anderen Hinsicht war das Boot eine Besonderheit. Während italienische Bootsbauer ihre Rennboote seit den Fünfzigerjahren häufiger mit Motoren ihrer besten Rennwagen ausstatteten, haben solche Modelle in Deutschland Seltenheitswert.
Die "Berlin III" aber ist genau so ein Fall. Hier gingen deutsche Bootsbaukunst und Spitzenantriebtechnik aus dem Hause BMW eine gelungene Verbindung ein. Dafür müssen wir noch ein wenig tiefer in die Geschichte eintauchen – bis in die Dreißigerjahre.
BMW ist damals noch ein relativ junger Automobilhersteller. Erst seit fünf Jahren produziert man dort eigene Modelle. Das bayerische Unternehmen, das unter anderem aus den Rapp Motoren Werken hervorgegangen war, baute Flugzeugmotoren und begann 1923 mit der Produktion von Motorrädern.
Sie trugen zum ersten Mal das berühmte BMW-Zeichen, das gern als Rotorblätter vor blauem Himmel gedeutet wird. Tatsächlich hatte man nur das alte Rapp-Logo übernommen und das Pferd im schwarzen Kreis durch die bayerischen Landesfarben Blau-Weiß ersetzt.
Durch die Wirtschaftskrise in den frühen Dreißigerjahren war das Geld knapp, und die Ingenieure mussten sich übertreffen, um effiziente und kostengünstige Lösungen zu finden. Außerdem benötigte man schnelle Rennerfolge, um sich gegenüber der italienischen und britischen Konkurrenz zu behaupten.
1936 kommt der 328 Roadster auf den Markt. Die Zeitschrift "Motor und Sport" lobte das Modell, weil es die Langlebigkeit und Servicefreundlichkeit eines Pkw mit dem Potenzial eines Rennwagens verbinde. Besser kann man nicht beschreiben, warum der neue BMW auch über die Landesgrenzen hinaus so schnell zu seinem beneidenswerten Ruf kam.
Der 328 basierte auf früheren Modellen, doch in Sachen Leichtigkeit und Geschwindigkeit war dem Ingenieursteam ein Durchbruch gelungen. Unter den begabten Konstrukteuren und Designern, die die Marke BMW berühmt machten, ist Fritz Fiedler, der für die Entwicklung neuer Modelle verantwortlich war, einer der bedeutendsten. Einer seiner engsten und besten Mitarbeiter war der frühere Motorradrennfahrer Rudolf Schleicher, der Ende der Dreißigerjahre auch die Leitung der Rennsportabteilung übernahm.
Zwei weitere Schlüsselfiguren, Peter Szymanowski und Wilhelm Meyerhuber, kamen aus dem Karosseriebau. Chefdesigner Szymanowski war ein Pionier; als einer der Ersten setzte er auf umfangreiche Tests im Windkanal. Aus Meyerhubers Feder stammt der legendäre Prototyp des 328er Mille Miglia Roadster. Und noch ein weiterer Mann spielte eine wichtige Rolle, auch wenn er nicht dauerhaft bei BMW angestellt war: Wunibald Kamm, ebenfalls ein Vorreiter auf dem Gebiet der Aerodynamik.
Die Karosserie des 328 basierte auf der des Modells 319/1; man hatte jedoch die Frontscheinwerfer neu gestaltet und die Motorhaube deutlich verlängert. Sein unverwechselbares Kennzeichen: die beiden Lederbänder, mit der sie fixiert wurde. Der BMW 328 war nur als Roadster erhältlich; knapp sechzig Fahrwerke wurden allerdings an verschiedene Karosseriebauer verkauft. Ab Mitte des Jahres 1936 wurde der Wagen überwiegend für Rennzwecke gebaut und ging im Frühling 1937 in die Serienproduktion.
Für die Konstruktion eines DOHC-Motors mit zwei obenliegenden Nockenwellen fehlte das Geld, deshalb entwarf Fiedler für den alten Zwei-Liter-Motor einen neuen Aluminiumzylinderkopf mit einer mechanisch aufwendigen Ventilsteuerung. Dadurch leistete die Maschine an dem nur 830 Kilogramm schweren Auto 80 PS – für das Jahr 1936 eine technische Meisterleistung.
Fiedlers Sechszylindermotor mit neuem Kopf eignete sich tatsächlich hervorragend für den Motorsport – die Rennversionen wie die anfänglich unter dem Namen "Mille Miglia" bekannte Version brachten 135 PS und mehr auf die Straße. Kein Wunder, dass der BMW Roadster – nachdem er bereits eine Testfahrt auf dem Nürburgring gewonnen hatte – einen Preis nach dem anderen einfuhr.
1937 gewann Prinz Bira die Tourist Trophy in der Zwei-Liter-Klasse in Donington Park und wurde Dritter in der Gesamtwertung. Beim Deutschen Grand Prix 1938 dominierte der BMW 328 die Zwei-Liter-Klasse nach Belieben. Seinen legendären Ruf gründete er auch auf Spitzenplatzierungen bei italienischen Rennen, der Mille Miglia von 1938 und 1940, und bei den 24-Stunden-Rennen von Le Mans in den Jahren 1938 und 1939.
Auch in der Nachkriegszeit setzen die erfolgreichen BMW-Motoren Maßstäbe
Selbst in den Jahren nach Ende des Zweiten Weltkriegs konnte BMW diese eindrucksvolle Serie fortsetzen – obwohl das Unternehmen in dieser Zeit von den Westalliierten ausgeschlachtet wurde und die wichtigste Automobilfabrik in Eisenach in der sowjetischen Besatzungszone lag.
In dieser schwierigen Phase trugen sowohl die Autos als auch die Motoren verschiedene Firmenzeichen. So war Fritz Fiedler 1945 nach England geschickt worden, um bei der Produktion des Bristol 400 mitzuwirken, der direkt vom BMW 327 abstammte. Im Eisenacher Werk in der späteren DDR wurden ebenfalls bereits ab 1945 BMW-Modelle (später EMW genannt) produziert.
Im Westen gründeten ehemalige BMW-Angestellte die Firma BMW Veritas; das eher auf den Motorsport ausgerichtete Unternehmen tunte 328er-Modelle aus der Vorkriegszeit. 1947 triumphierte Karl Kling auf dem Hockenheim-Ring und wurde später der erst Deutsche Meister der Zwei-Liter-Klasse in einem Veritas.
Nach mehr als sechzig Jahren kommt es zu einem Veteranentreffen der besonderen Art
Die Firma Veritas produzierte auch einige marinisierte Versionen des 328er-Sechszylindermotors; die leichte und leistungsstarke Maschine war auch für die wenigen deutschen Rennbootfahrer interessant, die es damals gab. So kam es, dass der schnelle, hervorragend konstruierte Rumpf der "Berlin III" mit einer solchen auf Höchstleistung getrimmten Maschine ausgerüstet wurde.
Für die Restaurierung seines spektakulären Fundes suchte Rolf Gersch einen geeigneten Interessenten. Mit der Unterstützung des Zimmerermeisters Sven Hageborg nahm Torsten Müller, ein Unternehmer aus Norddeutschland, die Restaurierung in Angriff. In rund 2500 Arbeitsstunden gelang es, den leicht gebauten Rumpf mit Eichen- und Zederspanten und der Außenhaut aus Mahagonisperrholz wiederherzustellen. Der berühmte Sechszylinder, ein BMW Veritas aus den späten Vierzigerjahren, wurde geduldig auf die Rennversion getunt und eingebaut.
Vor rund 60 Jahren hatte Kurt Gersch zum letzten Mal am Steuer der "Berlin III" gesessen. Im April 2016 ging sie an Rolf Gerschs Marina am Rhein wieder aufs Wasser und präsentierte sich elegant wie in ihren besten Zeiten. Ein Ehrengast durfte dabei nicht fehlen: ein BMW 328 Roadster, gebaut Ende 1937, aus der Sammlung des bekannten BMW-Restaurateurs Thomas Feierabend.
Wie das Boot hat der Wagen eine bewegte Geschichte: Das Fahrwerk mit der Nummer 85053 stammt aus der ersten Serienproduktion. Am Steuer des Rennwagens saß einst der bekannte BMW-Werksfahrer Adolf Brudes, der beim 24-Stunden-Rennen von Spa im Jahr 1938 er mit seinem Teamgefährten Paul Heinemann Vierter in der Gesamtwertung wurde.
Thomas Feierabends Vater Helmut hatte den Wagen 25 Jahre zuvor in Budapest entdeckt. In der Familienwerkstatt wurde er vollständig restauriert, inklusive des Motors in der Original-Mille-Miglia-Version mit mehr als 135 PS. Genau wie es sich die BMW-Ingenieure und -Designer seinerzeit vorstellten, ist aus dem weißen Roadster von 1937 wieder ein zuverlässiger und eleganter Sportwagen geworden, der bis zu 200 km/h erreicht und damit jederzeit auf der Rennstrecke bestehen kann.
Das Boot und der BMW: ein Traumpaar. Wer kommt da noch auf den Gedanken, dass sich Bayern und Berlin nicht verstehen?
Ein Hobby für Wohlhabende
Die Geschichte der "Berlin III" erzählt auch von den Anfängen des Motorbootrennsports in der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg – damals eine "mondäne" Freizeitbeschäftigung für wenige Privilegierte. Wie Christoph von Mayenburg mit seinen "Mathea"-Rennbooten konnte Jürgen Baginski die "Berlin"-Modelle nur finanzieren, weil sein Vater Maximilian zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Berlin ein erfolgreiches Gesundheitsunternehmen aufgebaut hatte – unter anderem erfand er verschiedene Massagegeräte sowie die berühmte Spalt-Tablette. Nach Kriegsende lagen die meisten Produktionsstätten in der sowjetischen Besatzungszone. Unter den Kommunisten wurde Maximilian Baginski zu Lagerhaft verurteilt. Da seine Patente und eingetragenen Warenzeichen im Westen Bestand hatten, konnte er nach seiner Freilassung 1948 schnell an seine unternehmerischen Erfolge anknüpfen. 1964 zog er sich zurück. Jürgen Baginski übernahm bis zum Verkauf der Firma in den 1970ern die Geschäftsführung.