Gerald Guetat
· 19.11.2022
Eine seltene Liuzzi Star 6 von 1961 und ihr neues Leben sechzig Jahre später: klangvolle Hommage an eine goldene Ära und einen großen Bootsbauer.
Seit Woody Allens Film „Manhattan“ im Jahr 1979 veröffentlicht wurde, wird George Gershwins berühmte „Rhapsody in Blue“ hauptsächlich mit dem New Yorker Stadtbild in Verbindung gebracht. Aber warum sollte man ihre Klänge nicht auf ein anderes glamouröses Filmset in Paris übertragen? Als Frantz Liuzzi 1937 begann, in Neuilly schön leichte Jollen und Kanus zu bauen, hätte er es sich nicht träumen lassen, dass er nur zwei Jahrzehnte später edle Runabouts an Filmstars wie Errol Flynn liefern würde.
Nachdem seine Kanus auf anspruchsvollen Stromschnellen Frankreichs wilder Flüsse viele Trophäen gewonnen hatten, unter anderem während des Zweiten Weltkriegs, als Muskelkraft für nautische Sportaktivitäten mehr zur Verfügung stand als Benzin, begann Liuzzi Ende der 1940er-Jahre eine kleine Produktion von Innenbord-Runabouts, die hauptsächlich von italienischen BPM-Motoren aus Mailand angetrieben wurden.
Sein erstes Erfolgsmodell namens France-Craft bezog sich deutlich auf die weltberühmte Chris-Craft-Reihe. Aber im Gegensatz zu seinem Mentor in Algonac, im US-Bundesstaat Michigan, hatten Liuzzis Holzrümpfe die Besonderheit, dass sie kaltgeformt waren, eine damals recht ungewöhnliche Technik, mit Doppel- oder Dreifachschicht gemäß dem ursprünglichen Patent „Monocoque F.L.“ (wobei die Initialen für seinen eigenen Namen stehen). Auf diese Besonderheit stützte sich Liuzzi, wenn er nicht weniger als „die luxuriösesten, schnellsten und stärksten Rennboot-Rümpfe der Welt“ bewarb. Einen Mangel an Selbstbewusstsein konnte man ihm sicher nicht vorwerfen.
Dabei war es tatsächlich schwer, diesem leidenschaftlichen Rennfahrer und Baumeister zu widersprechen, einem adoptierten Pariser, der sich noch chauvinistischer als ein Einheimischer gab: Denn die endlose Liste internationaler Rennsiege und Geschwindigkeitsweltrekorde, die Liuzzi ab 1950 in seinem Logbuch verzeichnete, rechtfertigte seine Haltung und machte ihn schnell zu einer Referenz, wenn es um Aufträge für ein neues Runabout ging, erteilt von einer sehr anspruchsvollen Kundschaft der noblen Wohnbezirke und makellosen Maßanzüge.
Dabei reichte sein Ruhm bald von der Hauptstadt bis hinunter an die Riviera, zu exklusiven Clubs wie dem MYCCA, dem Motor Yacht Club der Côte d’Azur und Monte Carlo. Eines seiner Runabout-Modelle trug sogar die Bezeichnung „Prince de Monaco“. Vom Kanuheck bis zu den Flossen eines Cadillac, orientierte sich Liuzzis Design stets eng an den Trends der Zeit – und damit an den Vorstellungen, die gentleman drivers, Filmstars und wohlbetuchte Industrielle teilten, wenn es um sportliche Leistung und schöne Bilder gleichermaßen ging.
Der Messestand von Frantz Liuzzi auf der Paris Boat Show wurde so zu einem jährlichen Rendezvous, zu einer Modewoche des Bootssports, bei der sich sogar der Präsident der Republik die Ehre gab. Zudem war es eine Zeit, in der die Presse viel Licht auf die Bootsszene warf, und der Pariser Baumeister, dessen Büro nur wenige Minuten abseits der Champs-Élysées lag, wusste diese kostenlose Werbung zu nutzen: Denn die schicke Rue Soyer beherbergte eine Werkstatt, wie man sie in solchen zentralen Wohngegenden nur selten findet.
Versuchen wir uns vorzustellen, wie es damals in Neuilly aussah, mit seinen breiten Alleen und schattigen Nebenstraßen: Entlang der ruhigen Gehwege standen nicht allzu viele Wagen, ein nobler Delahaye vielleicht, ein glänzender Jaguar oder ein beeindruckender Oldsmobile – und dazwischen ein paar bescheidenere Renault und Simca. Ende der Fünfzigerjahre besaßen weniger als zwanzig Prozent der französischen Haushalte ein Automobil. Ganz zu schweigen von einem Motorboot, dem Sinnbild von Luxus.
In der Bootswerkstatt im Parterre eines Wohngebäudes waren eine Handvoll Arbeiter im Einsatz, um unter der ständigen Aufmerksamkeit von Monsieur Luizzi einen Rumpf nach dem anderen zu bauen. In einem kleinen Büro in der Nähe ließ seine Sekretärin derweil mit höchster Konzentration die Finger über die Tasten einer Schreibmaschine fliegen. Denn die eingezogenen Stapel von Durchschlagpapier verziehen kein Versehen und reproduzierten jeden Fehler. Die Mehrwertsteuer, 1954 eingeführt, wurde noch nicht auf Einzelstücke wie das Liuzzi-Star-6-Runabout erhoben, einen echten Luxusartikel im Wert von 3,9 Millionen alten Francs (der neue Franc würde erst 1963 kommen). Zum Vergleich war ein brandneuer Citroën DS bereits für die Summe von 930.000 Francs zu haben.
Das französische Automobilmagazin „Moteurs“ beschrieb Frantz Liuzzi als einmalig in seinem Handwerk, eine Mischung aus dem Rennfahrer und Sportwagenkonstrukteur Amedeo Gordini und dem Modeschöpfer Christian Dior. Seine Boote waren teuer und ihre Produktion war begrenzt. Es ist wahrscheinlich, dass zwischen 1948 und dem Jahr 1967, als er im Alter von nur 62 Jahren starb, weniger als einhundert Einheiten die Werkshalle verließen.
Ein großes Talent Liuzzis bestand darin, auf der Grundlage einer ersten Zeichnung weitere Varianten zu entwickeln, um sich dem Kundenwunsch anzunähern. In dieser Hinsicht kann man sagen, dass jede Baunummer ein Unikat war, auch wenn das Modell im Grunde Teil eines sogenannten Serien-Produktionskatalogs war, der Boote mit Längen von 4,80 bis 6,20 Meter umfasste. Besonders hell an Liuzzis Himmel strahlte die 6,20 m lange Star 6, angetrieben von einem 255 PS starken BPM Super Atlantic V6. Ein Sondermodell wurde als „Type Champion du Monde“ angeboten.
1961 bestellte ein gewisser Jacques Arnilhac, Architekt aus der Region Bordeaux und engagierter Gentleman-Racer, eine Star 6, die in der Runabout International Class IV zum Champion werden sollte. Am Steuer seines imposanten neuen Fahrzeugs wurde Arnilhac, ein guter Fahrer, der Außenbord- und Innenbordrennen gewinnen konnte, Erster bei der Monaco-Trophäe im Jahr 1962, einem der wichtigsten Ereignisse im jährlichen Rennkalender.
Abseits dieses Ruhms, ist über das Leben der Nummer „14“ jedoch nur sehr wenig bekannt. Wahrscheinlich wurde das schnelle, aber auch komfortable Boot in den Sechzigerjahren an Wochenenden und in den Ferien auch von der ganzen Familie genutzt. Doch bald darauf ging das goldene Zeitalter des Amateurrennsports zu Ende – und wie viele andere Holzboote ihrer Art wurde auch die Star 6 obsolet und verschwand schließlich vollständig von der Bildfläche.
Das änderte sich erst, als Oldtimer und klassische Boote etwa dreißig Jahre später erneut begannen, das Interesse auf sich zu ziehen, diesmal von Enthusiasten und Sammlern: 1990 entdeckte ein gewisser M. Jean-Marie Rolland, ein Autoelektriker aus der Drôme-Region im Südwesten Frankreichs, auf dem Schrottplatz für Lastwagen ein schwer mitgenommenes Holzboot, dessen elegante Linien aber immer noch Eindruck machten. Der Besitzer des Schrottplatzes versuchte den ramponierten Rumpf der Liuzzi zu einem recht hohen Preis zu verkaufen. Er bestand darauf, dass es sich um eine wertvolle „Variante einer Riva“ handelte.
Ein Jahr später ging der Schrottplatz in Konkurs, und Rolland ergriff die Gelegenheit, das Boot zu einem viel günstigeren Preis zu bekommen, einschließlich des noch darin befindlichen Motors. Da der neue Besitzer aber selbst zunächst zu wenig Zeit hatte, um die Restaurierung angehen zu können, weil das berufliche Tagesgeschehen und der gleichzeitige Hausbau ihn völlig in Anspruch nahmen, wurde das Runabout im Garten zwischengelagert. Allerdings begann er nebenbei, zumindest schon die Geschichte seiner Neuerwerbung zu erforschen – auch wenn historische Quellen noch rar waren, da das Interesse für diese Art von Sammlerstücken noch in den Kinderschuhen steckte.
Aber die Suche ging weiter, Schritt für Schritt, und nach vier oder fünf Jahren fand J.M. Rolland schließlich den Namen des ersten Besitzers und Monaco-Siegers, Jacques Arnilhac, heraus. 1995 entfernte er die Beplankung, um das Gerippe der Liuzzi zu untersuchen. Zudem besuchte er die Fabrik von BPM in Italien, um sich Teile und Ratschläge zu besorgen, die den Motor wieder zum Leben erwecken sollten.
Kaum war das Haus fertig, ging es 2000 richtig los: Der Rumpf wurde im Lager eines Freundes restauriert und der Motor in der heimischen Garage neu aufgebaut. 2006 wurde er das erste Mal seit Jahrzehnten wieder gestartet und bald darauf Jahr später schwamm auch die Star 6 wieder in ihrem Element. Vieles wäre noch zu perfektionieren, aber die Leistungen waren schon beim ersten Testlauf beeindruckend.
Liebe bewirkt Wunder, sagt man, aber fraglos sind es vor allem die große Hingabe und Handwerkskunst von J.M. Rolland, der beinahe alle Arbeiten selbst ausgeführt hat, die zu einem zu großartigen Ergebnis geführt haben. Es bedarf kaum besonderer Erwähnung, dass die Star 6, mit einem Autoelektriker als Eigner, auch eine komplett neue Verkabelung erhalten hat. Der einzige Expertenjob, den ein anderer Profi übernahm, waren die neuen Polsterarbeiten der Sitze – ein Geburtstagsgeschenk seiner Frau.
Nach einigen Jahren voller Freude mit Familie und Freunden an Bord des Bootes, in denen er an großen Oldtimertreffen wie der Monaco Classic Week teilgenommen hat, einer Pilgerreise mehr als fünfzig Jahre nach dem Sieg von 1962, hat Jean-Marie Rolland seine Liuzzi an einen neuen, glücklichen Eigentümer verkauft: Philippe Tancrel, der im Westen Frankreichs lebt. Dort wird der tiefe, kräftige und etwas brutale Sound des BPM Super Atlantic V6 seiner Nachbarschaft am ruhigen Fluss Erdre inzwischen immer vertrauter. Es ist eine Reminiszenz an die 1950er- und 1960er-Jahre. Schon damals waren dort Kanus, Jollen und andere kleine Boote aller Art unterwegs, ohne sich übermäßig von jenen lauten Kraftprotzen wie der Star 6 beeindrucken zu lassen, die von den Reichen und Schönen gefahren wurden.