Jan Jepsen
· 26.11.2022
Vor über hundert Jahren lief das Salonboot „Eol“ in Berlin vom Stapel. Nun kehrte die von C. G. Pettersson konstruierte Motoryacht aus Skandinavien zurück.
Zugegeben, man muss kurz schlucken, so als Segler. Dann aber doch den Hut ziehen vor dem Mann. Er gilt als derjenige, der die Schweden aufs Wasser brachte. Was ihm gelang, war nicht vielen Konstrukteuren vergönnt – obwohl es in seinem Heimatland eine Menge davon gab. Doch nur seine rund 1200 Entwürfe sind so charakteristisch, dass der Name, der darunter steht, zum Synonym geworden ist – wenn auch nicht für einen Segelbootstyp.
Die Rede ist von Carl Gustaf Pettersson, kurz „Cege“ genannt, dem Vater der schwedischen Motoryacht. Ein „Pettersson-Boot“ wird man immer mit einem schlanken, lackierten Mahagoni-Motorboot in Verbindung bringen, mit hochgezogenem Vordeck und dem sogenannten Ohr an dessen achterem Ende, jenem charakteristisch geschwungenen Bogen. Weiter wird gemunkelt, dass Pettersson mit seinen ranken Konstruktionen die Geburtenrate der Schweden stark beeinflusst haben soll. Über die Enge der Kojen auf seinen Schiffen wird gern kolportiert, dass es unmöglich sei, mit einer Pettersson samt Frau in See zu stechen, ohne dass die Holde schwanger an Land zurückkehrt.
„Das allerdings“, stellt Arne Lorenzen gleich zur Begrüßung und Bestaunung seines Schiffs klar, sei nicht der Grund seiner Kaufentscheidung für die „Eol“ gewesen; er habe bereits Zwillinge, fügt er lachend hinzu. Diese Tatsache erkläre lediglich, warum mit seinen Töchtern auch die Boote über die Jahre gewachsen seien: „Ich will darauf schon schlafen können.“
Seine jüngste Älteste, die „Eol“, misst über 13,15 Meter und ist bereits die vierte Pettersson, die sich Arne aus Schweden nach Berlin hat kommen lassen. Am liebsten, sagt er, hätte er das Schiff im vergangenen Jahr selbst über die Ostsee geholt und die 5000 Euro Transportkosten gespart. Doch dann winkt er ab. „Nur gut, dass ich mir das verkniffen habe. Katastrophe …“ Der Vorbesitzer hatte den Impeller falsch eingebaut. Die Wasserpumpe zog Nebenluft, der Motor lief heiß, und den Rest will man sich lieber nicht ausmalen. „Das hätte alles sehr, sehr unschön ausgehen können. Für Mann und Material“, sagt Lorenzen. Womöglich auf der Heimreise verreckt …
Die „Eol“ wurde 1921 für einen schwedischen Industriellen in Köpenick gebaut. Genauer gesagt, auf der Pabst-Werft, die seinerzeit ein anderer berühmter Schiffskonstrukteur aus Skandinavien leitete: der Finne Gustaf Estlander. Er war bekannt für seine Rennyachten und schnellen Schärenkreuzer. „Man kann von Glück reden, dass das Schiff damals nach Schweden ausgeliefert wurde“, sagt ihr neuer Eigner. Die „Eol“ ist nicht nur das einzige jemals in Deutschland gebaute Pettersson-Boot, sondern eine der wenigen überhaupt erhaltenen Holzmotoryachten, die vor dem Krieg hierzulande entstanden.
Die Substanz sei sehr gut, dem feinen Honduras-Mahagoni sei Dank. Die typischen Alterserscheinungen nimmt Lorenzen gelassen. Obwohl er an Land keine Fugen zwischen den Planken gesehen hätte, seien Lichtmaschine und Anlasser abgesoffen. „Ich habe die Nacht an Bord mit zwei Pumpen durchgemacht. Alle zwanzig Minuten musste ich gucken, dass sie nicht trockenlaufen.“ Einschlafen verboten. Aber was macht nicht alles, wer frisch verliebt ist.
Es ist April, die Sonne ist launisch. Und die Spannung steigt, als die ehemalige Direktoren-Yacht fast wie bei der Enthüllung eines Denkmals von Persenning und Kuchenbude befreit wird. Gewissermaßen wie auf Bestellung reißt der Himmel auf, scheint die Sonne auf das Schiff und bringt das Mahagoni regelrecht zum Glühen. Der Rest ist Staunen und Schweigen. Die Proportionen des edlen Salonboots dürften das Herz eines jeden Klassikerfreundes zum Schmelzen bringen. Es liegt da am Steg wie ein Dornröschen, das nach dem Schlummer im Winterlager für die Saison wachgeküsst werden will. „Ich hoffe, dass sie sich hier wohlfühlt, in den heimatlichen Gefilden“, sagt Arne Lorenzen.
Das allerdings darf kurz bezweifelt werden. Momentan liegt seine Pettersson in Tonis Werft in Spandau – ein Ort mit dem Charme einer Abwrackwerft und der Atmosphäre einer Laubenpieper-Kolonie. Das sieht der neue Eigner genauso: „Ich unterschreibe morgen meinen neuen Liegeplatz.“
Arne will rüber zur Alten Liebe, einer Marina neben einem beliebten Berliner Ausflugslokal, unserem Ziel für heute. Das Ablegen ist echte Handarbeit. Vereint wird das Boot in Position gedrückt. Bei einem Wendekreis von circa 40 Metern sei Tonis Marina viel zu eng für das 13-Meter-Schiff. Für eine fast 100-Jährige muss man ein entsprechendes Umfeld schaffen. Damit man auch allein losfahren kann, überlegt Arne sogar, ein Bugstrahlruder einzubauen. „Sakrileg hin oder her“, sagt er, warum nicht das gute Alte mit dem neuen Sinnvollen kombinieren? „Sieht man ja nicht, liegt unter der Wasserlinie.“
Um den Wasserwiderstand gering zu halten und die Schiffe möglichst schnell zu machen, ist der schlanke Rumpf eins der wesentchen Konstruktionsmerkmale von Petterssons Booten. Seine Entwürfe sind stets vier- bis fünfmal und bei manchen Schiffen sogar bis zu sechsmal so lang wie breit. Petterssons Anspruch war es, dass ein Schiff pro laufendem Meter ungefähr einen Knoten Fahrt machen und damit mindestens so schnell wie lang sein sollte. Die „Eol“ schafft heute fast das Doppelte. Null Vibration, bei Spitzengeschwindigkeit von 22,5 Knoten – wenn der Eigener allein unterwegs ist.
Wer was gegen Wasser hat, ob von vorn oder oben, fährt ohnehin nicht auf See.“ (C. G. Pettersson)
Beim Beschleunigen kippt man fast nach hinten. Das Vorschiff hebt sich, und hinter ihm steigt eine weiße Brautschleppe über die Havel. Voraus eine mäßig hohe Scheibe, die bei schlechtem Wetter und Ostseewelle sicherlich nur das Schlimmste abhält. Petterssons erste Schiffe hatten überhaupt keinen Schutz, getreu seinem Motto: „Wer was gegen Wasser hat, ob von vorn oder oben, fährt ohnehin nicht auf See.“ Aber das sahen zahlreiche seiner Kunden offenbar anders. Und schließlich war man als Schiffskonstrukteur auch Dienstleister.
Pettersson nahm die Wünsche der Kunden auf und brachte eigene Vorschläge ein. Er war kompromissbereit – immer noch besser, als Kühe zu melken. Denn eigentlich hatte C. G. Pettersson den elterlichen Bauernhof auf der Insel Ramsø übernehmen sollen. Aber seine Leidenschaft galt nicht der Landwirtschaft und dem lieben Vieh. Sein Interesse galt schon früh den Booten, vielleicht, weil sie der Schlüssel dazu waren, von der Insel wegzukommen. Bereits als Kind übte sich der spätere Konstrukteur an Schnitzereien und bekam schon früh ein Gespür für gefällige Linien und Formen.
Nach der Schule begann Pettersson eine Lehre bei Julius Frodé, einem Pionier und Erfinder im Motoren- und Schiffbau, bei dem er erste kleinere Boote, Segelkanus und Eisyachten entwarf. Anschließend gründete er mit seinen Brüdern eine kleine Bootswerft in den Stockholmer Schären. Rasch stellten sich erste Erfolge ein. Es sprach sich herum, dass ihre Boote mit wenig Motorleistung eine passable Geschwindigkeit erreichten.
So kam eines Tages das Angebot, als Bootskonstrukteur bei der Firma AB Reversator zu arbeiten, einem Hersteller von Verbrennungsmotoren für Schiffe. „Cege“ wurde mit der Konstruktion geeigneter Boote für einen umsteuerbaren Explosionsmotor betraut. Dieser neuartige Einzylinder-Motor, mit Vorwärts- und Rückwärtsgang, wurde im Jahre 1904 in Petterssons erstem eigenem Schiff, einem offenem Motorboot namens „Vikingen“, verbaut. Die „Vikingen“ erreichte mit ihren 2,5 PS beachtliche 7,4 Knoten. Das langte, um im selben Jahr von einem Motorbootrennen in Kiel als Sieger samt Ehrenpreis zurück nach Schweden zu reisen. Ein erster echter Meilenstein seiner Karriere als Yachtkonstrukteur.
Zur Größe von C. G. Pettersson trug unter anderem die Vielfalt seiner Konstruktionen bei. Kleine Jollen, Frachtschiffe, Segelkanus, Segelschiffe und Lustboote zeichnete er mit Bleistift und Tusche. Zwischen 1910 und 1920 entstanden an seinem Zeichenbord durchschnittlich 40 Designs pro Jahr. Keine Mission, kein Auftraggeber war ihm dabei unwichtig.
Der endgültige Durchbruch gelang Pettersson mit seinem zehnten eigenen Schiff, der „Viking X“. Zugute kam ihm, dass er nicht nur ein Mann der Theorie und Zeichenbretttüftler war – sondern auch leidenschaftlicher Langstreckenfahrer. Auf seinen Exkursionen sammelte er das erforderliche Praxiswissen, das er in seine Konstruktionen einfließen ließ. Für seine wohl meistbeachtete Skandinavien-Rundreise zeichnete Pettersson 1925 mit der besagten „Viking X“ sein bis heute bekanntestes Boot. Zweck der Reise war ein Langstreckenversuch mit dem neuen A2-Motor von Penta. Die Reise sollte außerdem für Werbezwecke genutzt werden.
Petterssons Crew bestand aus Regisseur Carl Barck Lind, Kameramann Carl Halling, einem Autor namens Ragnar Holmstrom und dem Affen Jocke als Bordfaktotum. Am 20. Juni 1925 ging die Herrenrunde in See. Die Reise erwies sich als außerordentlich beschwerlich. Die Eintragungen ins Logbuch lasen sich so spannend wie amüsant. Nach dreieinhalb feuchten Monaten lief die „Viking X“ planmäßig wieder in Stockholm ein. Mann und Material waren erschöpft, aber unversehrt, Affe Jocke wohlauf. Pettersson resümierte: „Schwerwiegende Pannen sind nicht aufgetreten. Auf das Boot war Verlass, der Motor stolperte nie, und die Besatzung war vollständig. Mehr kann man nicht verlangen!“
Die „Viking X“ befindet sich seit 2008 im Besitz des National Maritime Museum in Stockholm, als Exponat mit etlichen anderen Originalentwürfen von Petterssons Zeichnungen. Der Film dieser Reise gilt heute leider als verschollen.
Viele seiner Schiffe aber existieren weiterhin. Dank der massiven Bauweise von Petterssons Konstruktionen erfreuen sich noch heute unzählige Besitzer seiner bemerkenswerten Boote.
Einer davon ist Arne Lorenzen: Mit der „Eol“ hat er ein besonders elegantes Pettersson-Gefährt gekauft. Mit ihren 13,15 Metern nimmt sich die Yacht auf der Havel fast wie ein Kreuzfahrtschiff aus – eine elegante Motoryacht, über alle Zweifel erhaben, die Segler insgeheim hegen mögen. „Ich bin eigentlich auch Segler, komme ursprünglich aus Flensburg. Aber hier …“: zu wenig Wind, zu viele Brücken und Kanäle. Für Havel und Spree sei die „Eol“ wie gemacht. Fehlt nur noch die Erklärung, wofür der Schiffsname „Eol“ eigentlich steht. Womöglich sei es ein Eigenname, so Lorenzens Mutmaßung. Denn bei Recherchen sei er auf die Bedeutung „End of Life“ gestoßen. Aber danach sieht es gerade überhaupt nicht aus – eher nach Ewigkeit.