Dieter Loibner
· 11.01.2024
Das Tuten verkündet es laut und deutlich: Die Dampfer sind da! Der Klang der Pfeifen, früher ein Teil der Hafenatmosphäre, ist ein ganz besonderes Erlebnis, das unweigerlich ein Lächeln auf die Gesichter zaubert. Dampfboote sind eine Rarität geworden, erinnern an die Zeiten der industriellen Revolution, kommen heute aber weitgehend ohne Kohleschippen und schwarz qualmende Schlote aus. Geblieben ist dennoch der nostalgische Zauber rein analoger Technik. Es gibt keine versteckte Automatik, von digitalen Assistenzsystemen ganz zu schweigen. Beim Antrieb durch externe Verbrennung läuft alles nach wie vor von Hand, und die Bedienung von Dampfkessel und Maschine, die unverbaut in der Schiffsmitte installiert sind, erfordert viel Aufmerksamkeit. Es herrscht Betriebsamkeit, doch Hektik ist fehl am Platz.
Im Alltag des digitalen Zeitalters ist für Dampfkraft kein Platz, doch zum alten Eisen gehört die Technologie noch lange nicht. Dafür sorgen Vereine, die sich dem Thema verschrieben haben und unermüdlich an der Erhaltung und Restaurierung dieser Fahrzeuge arbeiten. So finden sich an einem blitzblauen Sommerwochenende 20 schmucke Boote in Blaine im US-Bundesstaat Washington an der Grenze zu Kanada ein, um das 50-jährige Bestehen der Northwest Steam Society (NWSS) gebührend zu feiern. Dazu ist die Öffentlichkeit geladen, welche die Schiffe bewundern und den Eignern Fragen stellen kann. Mit etwas Glück gibt es auch Gelegenheit, eine Runde mitzufahren.
Es ist das erklärte Ziel der NWSS, die Tradition der Dampfkraft und das Erbe der Mosquito Fleet zu bewahren, deren Schiffe im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Gegend von Seattle das Transportmonopol innehatten, bis sich Diesel- und Benzinmotoren durchsetzten. „Die Leute sind überrascht, wenn sie hören, dass es noch Dampfschiffe gibt“, lacht John Hope. Der 82-Jährige ist ehemaliger Präsident der NWSS, wuchs in den vierziger und fünfziger Jahren in England auf und fuhr damals noch mit Dampfzügen zur Schule. Hope kam 1967 in die USA, arbeitete bei Boeing als Chefingenieur für Flugsimulation und Direktor für Flugbetriebstechnik. „Heute noch werden Flugzeugträger der US Navy durch Dampf angetrieben, der durch Atomkraft erhitzt wird“, sagt Hope.
Traditionelle Dampfboote haben mit Atomenergie natürlich nichts gemein, aber feuern ihre Kessel auch schon mit Diesel, der sich leichter und platzsparender stauen lässt als Kohle oder Holz. Diese früheren Energiequellen finden heute nur noch vereinzelt Verwendung. Meist sind Zwei-Zylinder- Verbunddampfmaschinen im Einsatz, wobei Dampf aus einem Kessel über eine Zuleitung zur Maschine gelangt, um Kolben, Schaft und Propeller zu bewegen. Verbrauchter Dampf wird zu Wasser kondensiert und über Rohre, Pumpen, Ventile und einen Auffangbehälter in den Kessel zurückgeführt.
Wer Paul Hylton beobachtet, wie er mit dem holzbefeuerten Kessel seinem traditionellen 11,30-Meter-Puget-Sound-Schlepper „Dodo“ Dampf macht, bekommt eine Nachhilfestunde in Thermodynamik und Mechanik, untermalt von einer Tonkulisse aus Pfeifen, Zischen, Knarzen und Gurgeln. „Dodo“, so erzählt der 54-Jährige, wurde 1934 nach fast 20-jähriger Bauzeit von ihrem Konstrukteur und Erbauer Harold Lanning nahe Seattle vom Stapel gelassen. Der Schiffsname deutet wenig subtil auf das schon damals antizipierte Aussterben von Dampfschiffen hin. Als Antrieb diente eine Type-K-Maschine der US Navy (Nr. 1567), die heute noch – und wieder, siehe unten – verlässlich ihren Dienst tut.
Als größtes Boot des Treffens kann „Dodo“ bis zu 1,3 Tonnen Brennholz bunkern. Das muss natürlich gefällt, getrocknet und auf Scheitlänge zugeschnitten werden, ehe es an Bord penibel verstaut wird. Von wegen schnell zur Zapf- oder Ladesäule. Eine volle Holzladung reicht für eine Laufzeit von etwa 50 Stunden, bei einem Verbrauch von zirka einem amerikanischen Pfund Holz pro Minute – das entspricht 425 Gramm – und einer Marschfahrt von rund 6,5 Knoten.
Im Betrieb teilen sich Hylton und seine Frau Emily die Pflichten, wobei er im Hafen das Ruder führt, während sie den Kessel feuert, geleitet von seinen Kommandos. Sobald jedoch offenes Wasser erreicht ist, werden die Rollen getauscht.
„Diese Boote halten ihre Besatzung ganz schön auf Trab“, sagt Michael Cross. Der pensionierte Maschinenbauingenieur ist Sicherheitsbeauftragter des Klubs. Cross war Fahrtensegler und schipperte mit selbst gebauten Booten über den Pazifik, ehe er Pinne und Schot gegen die 8,5-Meter-Dampfbarkasse „Amity“ eintauschte. „Man muss aufs Feuer aufpassen, den Dampf regulieren und sollte wissen, was in 15 Minuten passieren wird.“ Anders als bei herkömmlichen Bootsmotoren, bei denen die Energiezufuhr einfach per Gashebel erfolgt, muss der Heizer auf Dampfbooten nämlich rechtzeitig den richtigen Dampfdruck erzeugen, etwa für Hafenmanöver.
Dabei sehen besonders ältere Mitglieder den geplanten Verschleiß aktueller Produkte kritisch. „Wir leben in einer Wegwerfgesellschaft, die sich nach sofortiger Befriedigung sehnt“, sagt etwa Dave Hogan. Der 78-Jährige ist einer der Gründer des Klubs und beschäftigt sich seit seiner Kindheit mit Dampftechnologie. „Doch wer ein Dampfboot unterhält, braucht Zeit, sollte Dinge reparieren können und etwas von Handwerk verstehen. Nur lernen immer weniger Junge das in der Schule wie früher.“
Im Maschinenraum der „Dodo“ ist davon nichts zu merken. Methodisch bedient Hylton verschiedene Hebel und Ventilräder mit einem Auge auf das Manometer. Ein Druck von 120 Pfund pro Quadratzoll (psi) oder etwa 8,2 Bar ist für das Auslaufen erforderlich, wobei das Sicherheitsventil auf 200 psi (ca. 14 Bar) eingestellt ist. „Aufheizen dauert etwa 45 Minuten, wenn man mit kaltem Kessel beginnt, doch mit Restwärme von der letzten Fahrt geht’s flotter“, erklärt Hylton. Auch interessant: Da sich keine staatliche Stelle für die Sicherheit von privaten Dampfyachten zuständig fühlt, unterstützen sich die Klubmitglieder gegenseitig bei der Durchführung von Sicherheitstests wie der Druckprüfung des Kessels.
Während in der Feuerbüchse die Flammen züngeln, schnappt sich Hylton eine Ölkanne, um alle leicht zugänglichen beweglichen Teile wie Exzenter und Gelenke mit ein paar Tropfen zu schmieren. Danach öffnet er zwei kleine Metallkästen auf der Backbordseite des Motors und gießt etwas Öl hinein, das über Kammwolldochte in dosierten Mengen dem laufenden Motor zugeführt wird.
Als die Kolben der Dampfmaschine in Bewegung geraten, erklingt eine Musik aus dem rhythmischen Klicken der präzisionsgefertigten Stahlteile des Motors. Nun demonstriert Hylton mit Hilfe des Umlenkhebels den stufenlosen Wechsel von Vorwärts- auf Rückwärtsfahrt. „Bootsdampfmaschinen sind in der Regel über eine Kupplung direkt mit der Propellerwelle verbunden, ein Getriebe gibt es nicht“, erklärt Hubert Paulus, Herausgeber des Magazins „Das Dampfboot“ vom deutschen Dampfboot-Verein.
Mit ihrem 20 PS starken Motor kann „Dodo“ 7,5 Knoten laufen. Er war schon im Baujahr an Bord des ehemaligen Fischereifahrzeugs. Nach 50 Jahren in originalgetreuem Zustand rüstete der damalige Eigner auf einen Dieselmotor um und verkaufte die Dampfmaschine nach Großbritannien, wo sie ein Vierteljahrhundert unbenutzt herumlag.
Hylton erwarb „Dodo“, die er seit seiner Jugend bewunderte, im Jahr 2008 mit der Absicht, sie wieder auf Dampfkraft umzurüsten. Der Zufall wollte es, dass er ihren Originalmotor in einer Internetauktion 2010 zurückkaufen konnte.
Hylton beauftragte eine Werft mit dem Tausch der Antriebe. Weil dabei auch das Ruderhaus überholt und die Struktur saniert werden sollte, dauerte es am Ende acht Jahre, bis „Dodo“ mit den Hyltons wieder unter Dampf ging.
Deren Familiengeschichte hat sogar noch ein zweites Dampfboot-Kapitel, denn es gibt ja auch „Uno“, eine elegante, 6,8 Meter lange Dampfbarkasse mit schwarzem Holzrumpf, die sich seit 50 Jahren im Besitz von Hyltons Tante Stephanie befindet. Die lebt auf der nahen Insel Lopez und ist selbstredend auch im Dampferklub engagiert. „Uno“ ist eines der ältesten in Fahrt befindlichen Boote in den USA. Sie wurde 1894 von einem norwegischen Einwanderer als Ruder- und Segelboot aus einheimischen Hölzern gebaut.
„Damals war sie das Äquivalent zum Pick-up und diente dem Warentransport von Insel zu Insel“, sagt Eignerin Stephanie, die das Schiff für seine 130-Jahr-Feier vorbereitet und dabei mehrere Metamorphosen aufzählt: Ruder und Segel wurden 1906 durch einen Benzinmotor ersetzt, der irgendwann einem stärkeren Triebwerk wich, wohl für den Rumschmuggel aus Kanada. Dabei wurde das Boot dann eines Tages von den US-Behörden aufgebracht und konfisziert, die es ihrerseits für die Jagd auf Schmuggler einsetzten.
Ein Privatbesitzer baute sie schließlich in den sechziger Jahren auf Dampf um, bevor Stephanie Hylton sie 1973 erwarb. 2002 ließ sie eine Stuart-Turner-Zweizylinder-Verbunddampfmaschine installieren, die „Uno“ auf eine Höchstgeschwindigkeit von 6,3 Knoten bei 350 U/min „katapultiert“. Nur 5 PS hat diese Maschine, „aber das sind starke Zugpferde“, wie sie zu scherzen beliebt.
Zur Dampferzeugung benutzt die Eignerin Holz, doch wenn Betriebsdruck erreicht ist, stellt sie auf Diesel um. „Mein Dieselbrenner funktioniert wie eine Spritzflasche“, erklärt sie bei einer abendlichen Ausfahrt. „Die Düse stammt von einem Farbspritzgerät und verwendet Dampf anstelle von Luftdruck. Dampf und Diesel vermischen sich, wodurch ein Nebel entsteht, der ganz sauber verbrennt, weil jedes Tröpfchen von reichlich Sauerstoff umgeben ist.“
„Dodo“ und „Uno“ zählen zu den ältesten Fahrzeugen in der Northwest Steam Society und verkörpern den Geist der Vereinigung, deren Mitglieder Tradition bewahren und gleichzeitig neue Mitglieder anwerben wollen.
Mitbegründer Hogan, der schon 70 Jahre mit Dampfbooten unterwegs ist, veröffentlichte beim Treffen eine Notiz, in der er die Hoffnung äußerte, „dass dieses Hobby auch in Zukunft bestehen bleibt, und dass die Geschichte der Dampfkraft nicht für die nächste Generation verloren geht.“
Der Zusammenschluss von Dampfboot-Freunden im Nordwesten der USA entstand 1973 aus den Puget Sound Live Steamers, vorher bekannt als S. L. O. W., das Akronym für Steam Launch Operators of the World. Das Mitgliedermagazin „Steam Gage“ hält die rund 200 Mitglieder online und in gedruckter Form informiert, die auch in Europa und Australien anzutreffen sind. Darunter die Besitzer und Betreiber von Dampfmaschinen aller Art. Die Zahl der ehrenamtlich für den Dampfclub tätigen Mitglieder ist rückläufig. Daher wird in den Reihen der Enthusiasten neuer Nachwuchs gesucht, um das Wissen über die traditionelle Dampftechnik in die nächste Generation weiterzutragen. Schwerpunkt dabei sind Dampf-Treffen mit Vorführungen, aber auch Projektwochen an Schulen oder Unterstützung bei Restaurierungen alter Dampfmaschinen.
Potlatch, 1934
Lopez Island, 1894