Torsten Moench
· 21.08.2018
Die italienische Azimut-Werft setzt auf Carbon in der Serienfertigung. Welches Ziel sie damit erreichen wollen, erfahren Sie hier.
Über die Vor- und Nachteile des hochfesten Werkstoffs Carbon im Bootsbau ist hinlänglich geschrieben und gesprochen worden. Großflächig durchgesetzt haben sich das Material und die dazu nötige Technik allerdings noch lange nicht.
Dies wollen die italienischen Bootsbauer von Azimut nun ändern. Nach einer fast zehnjährigen Entwicklungs- und Erprobungsphase kann die in Avigliana bei Turin ansässige Werft auf eine serienreife Technik zurückgreifen, deren Herzstück ein 26 m langer „Ofen" ist, in dem komplette Decksaufbauten aus Carbon gefertigt und „gebacken" werden können.
Zum Einsatz kommt Carbon derzeit in sieben Modellen ab 66 Fuß Länge, so zum Beispiel in der Magellano 66, der Azimut 66 oder der Azimut 72.
Mit der neuen Technik lässt sich das Gewicht um bis zu 30 Prozent reduzieren; diese Einsparung soll jedoch nicht in höhere Geschwindigkeiten umgemünzt werden, sondern dem Komfort an Bord zugutekommen. In der Praxis lassen sich durch den Einsatz von Carbon in Kombination mit Epoxidharz, auch CFK genannt, völlig neue Raum- und Designkonzepte realisieren, von denen Yachtkonstrukteure bisher nur träumen konnten.
Sie sollen mehr Platz und größere Innenräume bei gleichen Außenabmessungen ermöglichen. Aktuelles Beispiel ist die just vorgestellte Azimut S7. Durch den Verzicht auf zusätzliche Verstrebungen und Versteifungen in den Decksaufbauten wandert der Schwerpunkt tiefer in den Rumpf, was die Rollneigung des Bootes, also die Bewegung um die Längsachse, um bis zu 15 Prozent verringern soll.
Außerdem können so extrem große Flybridges – ein wichtiges Merkmal italienischer Boote und Yachten – konstruiert werden. Denkbar wäre auch die Reduzierung der Motorleistung, ohne Verluste bei der Geschwindigkeit hinnehmen zu müssen; dieses Ziel ist für Azimut jedoch zweitrangig.
Zum „Backen" kompletter Decks und deren Aufbauten setzt Azimut einen eigens für das Unternehmen konstruierten Ofen ein. Mit 6 Meter Höhe, 8 Meter Breite und 26 Meter Länge lassen sich darin komplette Strukturen in einem Stück herstellen. Die früher übliche Herstellung kleiner Teile, die anschließend aufwendig miteinander verbunden werden mussten, entfällt.
Die elektrisch erzeugte Wärme von bis zu 100 Grad wird mittels 24 separat steuerbarer Ventilatoren im Raum verteilt, sodass bestimmte Bereiche der zu backenden Struktur, die sogenannten Hotspots, gezielt mit der für sie optimalen Temperatur versorgt werden können.
Überwacht wird der gesamte Vorgang, der je nach Bauteil bis zu einem Tag dauern kann, von diversen Computern, die ihre Daten von unzähligen Sensoren am Bauteil erhalten. Dass eine derartige Technik nicht von heute auf morgen ausgereift zur Verfügung stand, ist klar.
Dazu Francesco Boromei, Marketing Director von Azimut: "Wer in Carbon bauen will, muss komplett umdenken. Unsere Ingenieure und Techniker haben viele Jahre Entwicklungs- und Erprobungsarbeit in diese zukunftsweisende Technik investiert." Das gilt natürlich auch für den Rest der Belegschaft.
Alle Mitarbeiter der Carbonfertigung mussten spezielle Schulungs- und Weiterbildungsprogramme in der Werft durchlaufen, bis sie das erste Mal an die neuen Schiffe Hand anlegen durften. Insgesamt beziffert Azimut die Mehrkosten der Carbonfertigung auf rund 40 Prozent gegenüber der herkömmlichen GfK-Bauweise. Diese Quote wird jedoch mit dem verstärkten Serieneinsatz schnell sinken, sodass Preissprünge für den Endkunden kaum zu erwarten sind.
„Unser Ziel sind in erster Linie moderne, schlanke Formen und Raumkonzepte, die andere Werften, die ausschließlich traditionellen Kunststoffbootsbau in GfK betreiben, nicht bieten können“, so Boromei zu BOOTE.
Wer sich die neuen Carbonboote von Azimut ansehen will, hat dazu auf den anstehenden Messen wie beispielsweise in Cannes oder auf der Düsseldorfer boot im Januar Gelegenheit.
Dieser Artikel stammt aus BOOTE 10/2017.