RückblickBootsdesign - Eine Frage der Form

Udo Hafner

 · 30.10.2022

Hellwig Marathon, Baujahr 1985, Die Marathon-Serie ist mit Modifikationen seit fünfzig Jahren am Markt – ein zeitloser Klassiker
Foto: Archiv/Werft

Mehr als fünf Jahrzehnte Bootsdesign: Über Serienfertigung, starke Trends und radikalen Imagewandel. Ein Blick zurück auf die bewegte Geschichte des Bootsbaus in Deutschland und international

Vor einigen Jahrzehnten mussten sich die Werften recht lange bemühen, wenn sie ein neues Boot in ihr Portfolio aufnehmen wollten. Es wurden Prototypen gebaut und wieder zersägt, manueller Formenbau war der einzige Weg zum Serienboot.

Die Neuentwicklungen gründeten auf Erfahrungen aus Vertrieb, Kundengesprächen und eigenen Testfahrten. Oft entschied am Ende das gute Händchen des Werftchefs über einen gelungenen Wurf.

Seit den ersten Versuchen, Kleinserien zu bauen, hat sich der Bootsbau bis heute zu einem Industriezweig entwickelt. Es gibt Werften, die jedes Jahr mehrere neue Modelle entwickeln, deren Merkmale sich nach Marktanalysen und Anforderungen von Investoren richten. Gerade im Zuge der Corona-Pandemie erlebt die Bootsbranche einen Boom - wie auch viele andere Freizeit-Bereiche.

Kaum eine Nische ist unbesetzt, der Wettbewerb hat sich enorm verdichtet. Jeder versucht, seine Boote noch ausgefeilter, mit noch mehr Funktionen und mit noch geringeren Kosten anzubieten. So kommt es, dass interessierte Messebesucher oder Bootseigner im eigenen Hafen früher oder später über neue Yachten stolpern, deren gesamtes Design, Lösungen an Deck oder Inneneinrichtung höchstens ein Stirnrunzeln hervorrufen.

Effektivere Entwicklung durch technische Entwicklung

Dank der immer weiter entwickelten Fertigungs- und Planungsmethoden ist die Herstellung heutzutage deutlich effektiver geworden. Zwar erfolgt der Zusammenbau eines Bootes oder die Herstellung individueller Komponenten, zum Beispiel Kissen, oft noch in Handarbeit; dagegen werden die GFK-Formen schon seit Langem gefräst, Metallspanten und Möbel werden per CNC zugeschnitten.

Zulieferer sucht man danach aus, wie gut sie sich insgesamt in den Herstellungsprozess einfügen. Das klingt nicht mehr romantisch, und im klassischen Bootsbau sind ohnehin nur noch wenige Hersteller wie Boesch oder Pedrazzini zu finden.

Nach mühsamem Start hat sich GFK als Baustoff für Sportboote in den vergangenen fünfzig Jahren voll durchgesetzt. Anfang der Sechzigerjahre warb Dieter Hellwig unter der Bezeichnung "German Craft" noch mit dessen besonderen Eigenschaften: "immer dicht, nicht verrottend sowie tropen- und salzwasserfest".

Heute ist der Werkstoff die Basis für Funktionalität und vielfältige Gestaltung. Die verbliebenen Hersteller von Stahl- und Aluminiumbooten – übrigens ein Bereich mit rückläu­figen Stückzahlen – haben sich erst in den letzten fünf Jahren an mutigeres und durchdachtes Design angenähert.

Größere Boote erst ab Mitte der Siebziger Jahre in Deutschland

In den Siebzigerjahren ließen sich kleine Sportboote leicht vergleichen, Back-to-Back-Sitze waren der Standard. Größere Yachten tauchten erst ab Mitte des Jahrzehnts in Deutschland auf: die ersten Traw­ler aus Asien. 1973 stellte AMS aus Hamburg seinen ersten Marinetrawler auf der Hanseboot vor. Ein Typus, der sich lange am Markt gehalten hat und heute modernisiert auch von den renommierten europäischen Serienyachtherstellern neu interpretiert wird.

In den vergangenen Jahrzehnten sind viele Marken gekommen und wieder verschwunden – mehr als solche, die von Beginn an den Wassersport mitbestimmt haben: Inter­national sind hier Chris Craft oder Grand Banks zu nennen, in Deutschland Hellwig. Eine dänische Werft konnte in den Achtzigerjahren ihren Werbeslogan "Kein Hafen ohne Coronet" zweifelsfrei umsetzen.

Die Werft hatte auch die Entwicklung der Kabinenkreuzer mitbestimmt – eine neue Klasse zwischen den offenen Sportbooten wie etwa Vieser und den größeren Motoryachten ihrer Zeit aus Italien, England oder den Trawlern. In dieser Phase entstanden die ersten Motor­yachten in Deutschland, zum Beispiel Xylon Tümmler oder Ancora.

In der Gattung der Schlauchboote gab es jahrzehntelang wenig Neues; Modelle von Viking, Metzeler, Gugel oder der Deutschen Schlauchbootfabrik (DSB) konnte man auf den ersten Blick leicht verwechseln. In den Neunzigerjahren kamen die ersten Festrumpfschlauchboote (RIBs) auf den Markt, die heute bis 20 m Länge und mehr in allen Zwischengrößen und Ausstattungsvarianten gebaut werden.

Bootsbau hinkte bei der Entwicklung lange hinterher

Die computergestützte Konstruktion und Fertigung, die sich im Bootsbau wesentlich langsamer durchgesetzt hat als in anderen Industriezweigen, eröffnete neue Möglichkeiten. Serienwerften entdeckten die Teilegleichheit unter wie über Deck; mit der Jahrtausendwende wurden erstmals GFK-Formen mit modernen Fräs­anlagen hergestellt.

In den USA entwickelten unter anderem Bayliner und Sea Ray neue Produktionsmethoden für den Se­rienbau. Kamen in den frühen Jahren des Bootssports die meisten Entwicklungen noch aus den USA – etwa von Chris Craft, deren ständige Neuerscheinungen auch das Auge entzückten –, stammen durchdachte Konzepte und neue Trends heute ebenso aus Europa.

Zum Beispiel die finnischen Axopar-Boote: Sie werden wie die meisten anderen Sportboote mit größeren Stück­zahlen in Polen in Serie gebaut; selbst amerikanische Markenprodukte wie Sea Ray kommen aus denselben Hallen.

Automobil-Hersteller als Ideengeber

Schon vor fünfzig Jahren haben sich die Bootsbauer ganz ohne Computer diverse Ideen bei den Automobilherstellern abgeschaut; mittlerweile werden Sportboote und Yachten teilweise noch aufregender umgesetzt, gleich einem Supersportwagen. Einige Marken durchliefen dabei nahezu eine Revolution.

Die Fjord Terne 24, gebaut bis in die Neunzigerjahre, war ein Klassiker; mit der Übernahme der Marke wurde sie vollkommen neu interpretiert, 2006 wurde die Fjord 40 vorgestellt – einzigartig zu ihrer Zeit. Frauscher verfolgt einen nicht minder spektakulären Weg, 2000 war die Monte Carlo E-2000 ein gediegenes Elektroboot, heute positioniert man sich mit Booten wie der Fantom oder der Demon im Luxussegment.

Andere dagegen, wie Doriff oder Hille, bleiben sich lange treu, jedoch mit geringen Stückzahlen. In der Manufaktur bei Hellwig konnte man die Modellpalette mit Klassikern wie der Marathon 515 stetig weiterentwickeln. Nicht alle Neuentwicklungen basieren auf außergewöhnlichen Designideen.

Ende der Neunziger etabliert sich eine Gattung, die man anfangs bestenfalls einem ambitionierten Hobbyfischer zugetraut hätte. Inzwischen sind Sportboote mit geschlossenem Fahrstand nicht mehr nur dem Angelsportler vorbehalten. Jeanneau, Beneteau, Quicksilver und andere kleinere Hersteller bieten in diesem Segment eine fast unüberschaubare Vielfalt an.

Anfang der Zweitausenderjahre wagt Bavaria Yachtbau – zu dieser Zeit mit Jahresstückzahlen von mehreren Tausend eine der effektivsten Serienproduktionen für Segelyachten – erfolgreich den Vorstoß in der Motoryachtwelt. Die ersten Bavaria Motorboote (BMB) liefen vom Band, in Längen von 27 bis 39 Fuß.

Demnächst runden die Giebelstädter ihr Portfolio mit einer 55-Fuß-Flybridge-Yacht ab. Mit der E-Serie wagt man sich ein weiteres Mal in neue Gefilde vor; die Verdrängeryachten sollen nicht nur den vergleichbaren Stahlschiffen Konkurrenz machen.

Qualität, Nutzwert und Schönheit aus Skandinavien

Damals wie heute lohnt sich der Blick zu unseren skandinavischen Nachbarn. Boote aus Schweden, Norwegen und Finnland sind für Qualität, hohen Nutzwert und schöne Linien bekannt. Dass man diesen Mehrwert auch teurer bezahlt, erklärt sich von selbst. Jedoch überzeugen Werften wie Nimbus, Targa, Windy, Finnmaster, Grandezza genau mit diesen Attributen – die Liste könnte man noch erweitern.

Der Innenausbau, egal ob Schlupfkabine oder Motoryacht mit Stehhöhe unter Deck, war jedoch immer ein Spiegel seiner Zeit – was in der heimischen Wohnwelt schick war, das fand bzw. findet man an Bord wieder. In den Siebzigern und Achtzigern hielt man sich aus der Not heraus oftmals an das, was auf dem Markt zur Verfügung stand.

Heute dreht sich alles um die Pantry-Ausrüstung, die Nasszellen ebenso wie um Heizung, Klimaanlage, Entertainment oder multifunktionale Sitz- und Liegemöbel. Beim Erfindungsreichtum war der Bootsbau der Möbel- und Küchenwelt ohnehin schon immer voraus.

Spannende Entwicklung bei den Antrieben

Natürlich hat auch die fortschreitende Motorenentwicklung ihren Teil dazu beigetragen, das Bordleben zu bereichern. Innenborder bekamen immer bessere Antriebe, wurden leichter und zugleich leistungsstärker. Neue Konzepte wie Volvos IPS schaffen mehr Platz im Innenraum, Unterflurkabinen wurden wesentlich größer. Aber auch die Außenborder sind hier zu nennen, elektronisch geregelt, intelligent zu steuern – als Mehrfachinstallation ist diese Motorengattung selbst bei Booten bis in die 15-Meter-Klasse en vogue. Kein Wunder bei Motorleistungen bis 400 PS, mittlerweile äußerst effizient und leise.

In den letzten Jahren liegt der Fokus auf elektrischen Antrieben. Genau wie bei E-Autos, so steigt auch die Attraktivität mit der Weiterentwicklung von Speicher- und Lade-Technologie sowie der Infrastruktur in den Häfen.

Das schönste Boot ist das eigene

Auch wenn viele Hersteller die letzten fünfzig Jahre nicht überlebt haben: Was bleibt, sind ihre Boote. Für die Werften, die noch existieren, lässt sich ein gemeinsamer Nenner finden: Kleiner sind ihre Modelle nicht geworden. Marken wie die englischen Fairline, Princess oder Sunseeker waren anfangs für schnelle Sportboote bekannt.

Heute verfügen sie über weltweite Vertriebsnetzwerke und dringen mit ihrer Produktpalette bis 50 Meter Länge in den Superyachtmarkt vor. In Italien baute man schon immer groß; Ferretti – heute einer der größten Motor­yachthersteller der Welt, in seinen besten Jahren mit Milliardenumsatz – oder Azimut sind aus keinem großen Yachthafen mehr wegzudenken, ebenso wie Pershing oder sogar die größeren Varianten des Klassikers Riva.

Bei aller Vielfalt bleibt am Ende eines: Ganz egal wie groß oder wie alt, für den Eigner ist das beste und schönste Boot ohnehin sein eigenes.