Martin Hager
· 14.06.2017
Die Werft Permare baute mit ihrer 29,70 Meter langen Amer Cento Quad die erste Yacht mit vier IPS-Einheiten. Wir gingen für eine knackige Probefahrt in Cannes an Bord.
Der Vieux Port von Cannes ist zwar traumhaft schön, doch nicht unbedingt für seine Größe bekannt. Wochenenden im Juli und August sind die schlimmsten – dann geht es in dem engen Hafenbecken mitunter zu wie in einem hektischen Bienenstock. Umso schöner und Blutdruck-schonender, wenn man ein System an Bord hat, das es erlaubt, eine 85-Tonnen-Yacht intuitiv und zentimetergenau per Joystick durch eine wuselige Marina zu steuern.
"Unsere Amer Cento Quad ist die größte Superyacht, die auf IPS-Antriebe setzt, und die erste, die mit vier IPS-1050-Einheiten bestückt ist", erzählt Rodolfo Amerio, der gemeinsam mit seiner Schwester Barbara die Geschicke der Werft Permare leitet. Der in der italienischen Yachtszene besser unter seinem Spitznamen "Dodo" bekannte Yachtbauer legt – egal ob in der Halle oder bei Probefahrten – am liebsten selbst Hand an und freut sich sichtlich, BOOTE EXCLUSIV seinen jüngsten Neubau vor Cannes präsentieren zu können. Vom Flybridge-Steuerstand aus lenkt er gelassen, das weiße Hemd weit aufgeknöpft und mit der rechten Hand am ergonomischen Volvo-Penta-Joystick, das 8,6 Millionen Euro teure Amer-Modell durch den Hafen. Während wir darauf warten, dass eine sportliche Riva mit unerfahrenem Kapitän den Weg räumt und endlich am Pier andockt, erklärt Dodo: "Die IPS-Einheiten von Volvo Penta bieten unserer Meinung nach herausragende Motorleistungen und im Vergleich zu herkömmlichen Wellenantrieben eine deutliche Komfortsteigerung an Bord. Mit den lenkbaren Zugpropellergondeln im Heck reduzieren wir die Vibrationen im Schiff auf ein absolutes Minimum, was den Aufenthalt an Bord und vor allem im Interior selbst bei hohen Geschwindigkeiten deutlich verbessert."
Dazu kommt die viel beschriebene und unvergleichlich intuitive Manövrierbarkeit im Dockingmodus, die es selbst unerfahreneren Eignern erlaubt, ihre Yacht selbst in kleinste Liegeplätze einzuparken. Ein weiterer Vorteil, der für immer mehr Eigner und potenzielle Werftkunden von besonderem Interesse ist, ist der deutlich reduzierte Treibstoffverbrauch des Volvo-Penta-Systems. "Schließlich ergibt es keinen Sinn, der Umwelt zuliebe ein Tesla Model S zu fahren, um auf dem Wasser dann pro Stunde 900 Liter Diesel zu verbrennen", kommentiert der Werftchef.
Während der Probefahrt über den Golfe de la Napoule standen genau festgelegte Testläufe auf dem Programm, um den Dieselverbrauch detailliert bei allen Last-Szenarien zu erfassen. Das Ergebnis fasziniert und sollte manch andere Werft zum Handeln veranlassen. So verbraucht die Amer Cento Quad bei einer Schleichgeschwindigkeit von zehn Knoten nur 69 Liter pro Stunde, bei 22 Knoten gleitender Reisegeschwindigkeit 410 Liter und bei einem Topspeed von 28,6 Knoten nur 591 Liter pro Stunde und damit leicht 300 Liter pro Stunde weniger als zahlreiche kleinere Halbgleiter in diesem Marktsegment. Die auf vier Motoren verteilten insgesamt 2388 Kilowatt Leistung garantieren zudem jede Menge Fahrspaß – in sieben Sekunden beschleunigt der von Yachtkonstrukteur Massimo Verme gestylte 100-Füßer von sechs auf 26 Knoten. Festhalten empfiehlt sich! Für einen optimalen Trimm sorgen bei allen Geschwindigkeiten und Manövern Humphree-Interceptoren, die in Kombination mit Stabilisationsfinnen der Schweden das Optimum aus dem GFK-Rumpf herausholen.
Auch das von Stefano Tini modern und unaufdringlich gestaltete Interior profitiert von der kompakten Anordnung der vier IPS-Einheiten im Heck, denn der Maschinenraum beansprucht deutlich weniger Raum. So finden auf dem Unterdeck neben vier großen Gästesuiten drei Bugkammern für eine vierköpfige Crew und im Heck eine geräumige Lazarette Platz. Die Eignersuite mit angrenzendem Office steuerbords befindet sich, dem aktuellen Standard angepasst, ganz vorn auf dem Hauptdeck und macht sich die gesamte Breite zunutze. Dahinter kocht der Chef in einer erstklassig bestückten Galley im Loft-Look und mit integrierter Crewmesse. Der Salon achtern verfügt über zwei L-förmige Sofaecken und einen Speisetisch für sechs Personen, zu Entertainment-Zwecken schwingt ein großformatiger Flachbildschirm aus der Decke. Da die Yacht, entgegen dem Firmen-Usus, als Spec-Bau entstand, entwarf Stefano Tini ein gefälliges Interiorkonzept, in dem großflächige weiße Wand- und Deckenpaneele, helle Stoffe, Mahagoni- und Teakholz überwiegen.
Ein aufgeräumter, ruhiger Stilmix, der den Massen gefallen dürfte. Besonders ins Auge sticht der aus breiten Bohlen gefertigte Teakboden. "Das Teakholz sieht nicht nur nach Vintage aus, sondern ist es auch", erklärt Barbara Amerio beim Gang über die drei Decks. "Das 150 Jahre alte Holz stammt aus einem alten Haus in Follonica und kam ursprünglich von der indonesischen Insel Java." Vom Achtercockpit aus führt eine Treppe auf die von einem festen Bimini überdachte Flybridge, die wie das gesamte Exterior nicht mit Teakholz, sondern mit Kork belegt ist. Der Look ist ähnlich, doch die Haptik unterscheidet sich deutlich. "Kork hat herausragende Materialeigenschaften, die sich bestens für Decks eignen", erklärt Dodo. Kork ist fäulnisbeständig, wird in der prallen Sonne nicht heiß, isoliert sehr gut vor Lärm und Hitze und ist um ein Vielfaches leichter als Teakholz. "Durch den Ersatz von Teak durch Kork sparen wir allein auf dem Sundeck eine knappe Tonne Gewicht, wodurch der Gewichtsschwerpunkt sinkt, was der Stabilität zugutekommt", erklärt er. Beim Layout des Flybridge-Decks verließ sich die Werft auf ihre langjährige Erfahrung und sorgte mit großer Sitzecke, Speisetisch und Bar inklusive Grill dafür, dass der zukünftige Eigner bevorzugt hier oben Zeit verbringen wird. Ein Jacuzzi und bequeme Sonnenliegen schließen achtern an und ergänzen das verlockende Open-Air-Angebot. "Selbstverständlich passen wir das Layout bei Bedarf an die Wünsche der zukünftigen Eigner an", erklärt Dodo, während sich die Amer Cento Quad wieder langsam dem vollen Hafen von Cannes nähert. Während wir darauf warten, dass die Crew auf der Yacht vor uns in Seelenruhe den Anker zum Anlegen vorbereitet, offenbart sich ein weiterer Vorteil der IPS-Antriebe: das integrierte Dynamic Positioning System. Rodolfo Amerio drückt auf einen Knopf an dem Kommandogeber, und schon bleibt der solide GFK-Halbgleiter wie verankert auf der Stelle stehen. Die vier IPS-Gondeln regeln den Schub und ihre Richtung dabei ganz von allein. Nachdem unser Weg endlich wieder frei ist, geht es in "Dodo-Manier" völlig entspannt zurück an den engen Liegeplatz am Jetée Albert Edouard.
Hier geht's zum Video der Amer Cento!
Martin Hager