Friedrich W. Pohl
· 26.01.2023
Jeff Koons entwarf außen die „Guilty“-Optik. Ivana Porfiri setzte für das Interior ein strenges Galeriekonzept um. Der Eigner und Sammler Dakis Joannou zeigt dort einen kleinen Teil seines Fundus.
“Als Dakis beschloss, ein neues Boot zu bauen, empfahl ich ihm als Außenanstrich ein Razzle-Dazzle-Konzept.“ So erklärt der US-amerikanische Objektkünstler Jeff Koons den Start des optisch bisher wohl spektakulärsten Auftritts einer Yacht. Dakis, das ist Dakis Joannou, ein zyprischer Architekt und Bauunternehmer mit Wohnsitz in Athen, den niemand international kennen müsste, gehörte er nicht zu den bedeutenden Sammlern gegenwärtiger Kunst.
Es versteht sich von selbst, dass sein Haus in Athen sich dem Besucher voller Malerei, Plastiken und Installationen darbietet. Teils nutzt Joannou es als Ort permanenter Ausstellung wie ein Museum, teils als Galerie mit wechselnden Präsentationen. Dazu gehört auch das Horten von Produktdesigns der Sechziger- und Siebzigerjahre. Er liebt Möbel von Designern wie Mollino und Sottsass.
Und die Künstler? Besonders Jeff Koons hat es ihm angetan. Joannou besitzt gegenwärtig die umfangreichste Sammlung mit Werken des Mannes, der von sich sagen darf, derzeit der bestbezahlte Künstler weltweit zu sein. Jeff Koons’ „Balloon Dog (Orange)“ erzielte 2013 bei einer Christie’s-Auktion überzeugende 58,4 Millionen US-Dollar.
Der Gratwanderer zwischen Kitsch und Kunst versteht es, mit und ohne seine übergroßen Plastiken stets die Aufmerksamkeit der Medien zu wecken. Er konnte auf jede künstlerische Anstrengung verzichten, als er 1991 Ilona Staller heiratete. Die ehemalige Pornodarstellerin mit dem Künstlernamen Cicciolina – „Schnuckelchen“ – wählten grüngläubige Italiener 1987 ins römische Parlament. Dieses politische Engagement nahm das Schnuckelchen derart in Anspruch, dass es 1989 seinen letzten freizügigen Streifen drehte, um dann zwei Jahre später den amerikanischen Objektartisten zu ehelichen.
Dass Koons aus der Hochzeit ein Medienevent machte, versteht sich von selbst. Und er wäre nicht Koons gewesen, hätte er nicht mit Skulpturen und großformatigen Bildern die ehelichen Intimitäten bis ins letzte Detail ausgeschlachtet. Die einen sahen hier Adam und Eva am Werk, die anderen den Versuch, die Pornoindustrie gesellschaftsfähig zu machen. Als gewiefter Marketingspezialist in eigener Sache darf Koons als bisher unerreicht gelten.
Doch was heißt Razzle-Dazzle? Der Begriff an sich irritiert schon so sehr, wie er geschrieben aussieht. „Ich erklärte Dakis“, so Koons, „dass es sich bei Razzle-Dazzle um eine Technik der Schiffstarnung im Ersten und Zweiten Weltkrieg handelte.“ Womit er recht hat. Es ging darum, den Feind auf See zu verwirren. Die Anstriche mit großen Schrägen in hellen und dunklen Kontrasten am Rumpf und an den Aufbauten sollten die Identifikation der Kriegs- und auch mancher Handelsschiffe erschweren. Besonders auf größere Entfernung und bei schlechter Sicht lassen sich Höhe, Länge und Fahrtrichtung durch imitierte Vorder- und Achtersteven und Bugwellen nur schwer ausmachen. Razzle-Dazzle passt dazu allein schon vom Schriftzug her und lässt sich denn auch mit „Täuschungsmanöver“ übersetzen. Allerdings gehören auch Begriffe wie „Tumult“ und „Effekthascherei“ zum Bedeutungsumfang.
Womit wir auf dem Umweg über die Marine wieder bei Koons angekommen wären. Eine weitere korrekte und weitaus freundlichere Übersetzung wäre „Brillanz“, womit wir dann in die Welt des Wahren, Schönen und Guten eintauchen, in der nach geläufiger Vorstellung auch die Kunst zu Hause sein sollte.
„Am nächsten Tag erzählte ich Ivana Porfiri von meiner Idee, und sie war sofort einverstanden. Ich bekam den Auftrag.“ Die Designerin war die Dritte im Bunde, um ein so ausgefallenes wie wundersames Projekt umzusetzen. Die Italienerin hatte sich bereits mit Yachtdesigns einen Namen gemacht, die offensichtlich aus dem üblichen Schema des Yachtdesigns fielen. Dazu gehörten die 41 Meter lange Baglietto „Blue Ice“ von 1999, die 42 Meter lange „Nina J“, ebenfalls von Baglietto gebaut, und die 31 Meter lange „PAB“ aus den Hallen von Cantieri Navali Lavagna, Baujahr 2003. Koons und Porfiri erweckten zusammen Gedanken des Sammlers Joannou zum Leben: „Magie bedeutet, dass sich Dinge fast anstrengungslos ereignen. Magisch ist es, wenn eine gegensätzliche Fügung sich in ein großartiges Konzept verwandelt, wenn Ideen eine starke Gestalt annehmen. Und: „Magic is simply the blend of two extraordinary talents.“
Joannous vorherige Yacht baute dieselbe Werft, die auch „Guilty“ lieferte, die Cantieri Navali Rizzardi. Das war bereits 1999, und die damalige schwimmende Galerie des Sammlers von 29 Metern Länge, eine verlängerte Technema, hieß „Protect me from what I want“ nach einer Lichtinstallation von Jenny Holzer auf dem New Yorker Times Square. Auch ihr Interior gestaltete Ivana Porfiri, und auch diese „Guilty“-Vorgängerin stattete er Sammler mit Werken aus seinem Fundus aus, in einem Designrahmen des Interiors, der an Reduktion und Klarheit kaum etwas zu wünschen übrig ließ. Das Basismaterial für Decken und Wände bestand aus Buchenholz, immerhin ein wenig Wärme ausstrahlend. Was von diesem Interiorvorbild auf „Guilty“ blieb, war allein die strukturelle Reduktion der Räume auf klare Geometrien. Für „Guilty“ griff Ivana Porfiri auf Erfahrungen zurück, die sie mit „Nina J“ gemacht hatte: Flächen in Weiß, genauer: Gletscherweiß, die zusammen mit großen Verglasungen tagsüber alle Veränderungen des natürlichen Lichts abbilden.
Und statt des Buchenholzes kamen nicht überall, jedoch häufig Quadratmeter des synthetischen Corians zum Einsatz, um möglichst glatte Flächen zu schaffen. Corian, ein Markenbegriff von DuPont, bezeichnet einen Acrylstein, einen mineralisch-organischen Verbundwerkstoff, der sich fugenfrei verarbeiten lässt, zum Beispiel auch als Ersatz für Bodenbretter auf dem „Guilty“-Oberdeck, das allein dem Eigner vorbehalten ist, mit Schlafraum, Panoramablick und privater Terrasse über der Brücke voraus, kleinem Eignersalon mit Ecksofa und großer Freifläche achtern.
Kritiker solch reduzierter Innenausstattungen kanzeln diese Interiors gern mit dem herablassenden Adjektiv „aseptisch“ ab, wo diese Flächen, zumindest in diesem Falle, doch einzig dazu dienen, die Werke wirken zu lassen. Dies war auch der Grund, das Projekt von innen nach außen zu entwickeln, also die Innenräume nicht der äußeren funktionalen Form eines Wasserfahrzeugs anzupassen, sondern umgekehrt die innere Funktion des Diensts an der Sammlung zum Maßstab zu machen. Der Charakter einer Yacht sollte dennoch erhalten bleiben. Das galt auch für Koons’ Behandlung der äußeren Oberflächen, trotz aller Anleihen und Zitate.
„Ich wollte die Profile und Formen mit ihrer Modernität erhalten, während ich gleichzeitig die Verbindung zur Vergangenheit suchte. Die Rumpfseiten halten ein Zwiegespräch mit den Pyramiden, dem Bild einer Oase mit einer Fata Morgana. Ich stellte mir auch vor, wie das Boot im Wasser wirken würde. Bei ruhiger See würde sich sogar der Effekt der Muster verdoppeln und den ganzen Eindruck noch abstrakter werden lassen.“ Dennoch galt: „I wanted to keep the boat a yacht.“
Und diesen Charakter bewahrt „Guilty“ auch im Inneren, trotz ihrer Funktion als „Schatzkästchen“ eines Sammlers. Die Gäste schlafen wie üblich bei einem Format wie diesem auf dem Unterdeck in drei Kabinen, die sich durch ihre Farbschemata unterscheiden. Eine vierte Kabine an Backbord kann als Lotsenkoje nützlich sein. Die Crew übernachtet konventionell im Bug. Das Hauptdeck mit Salon und Speiseplatz nimmt nicht nur die Galley auf, sondern auch die Brücke, den innen schwarzen Arbeitsplatz des Kapitäns.
Den erwartet täglich voraus eine übersichtliche, jedoch skurrile Perspektive: „Guilty“ lässt sich nicht nur an ihrer Farbgebung, sondern auch an ihrer Bugform leicht erkennen; den Vordersteven ließ Joannou kappen. Der Grund ist simpel: Der heimische Liegeplatz des Sammlers misst zwei Meter weniger als die GFK-Malle der Werft. Diese zwei Meter galt es zu kürzen: am Bug. Was bei anderen Yachten eine schwere Sünde in Sachen äußerer Erscheinung wäre, passt bei „Guilty“ zum Razzle-Dazzle-Konzept: Überraschung. Vielleicht Täuschung? Aber auch bei näherem Hinsehen bestätigt sich: Die Stevenspitze fehlt tatsächlich, was die Seetüchtigkeit bisher jedoch nicht beeinträchtigt hat. Auf Unnützes zu verzichten gehört eben auch zu den Kunstgriffen.
Hiphopper Ufo 361 drehte das Video zu seinem Song “No Reply” auf der “Guilty: