Marcus Krall
· 21.12.2016
Für ihre schnellen Mangustas ist Overmarine bekannt. Nun entert die italienische Werft den Verdrängermarkt. Ihr erstes Modell bestätigt: Die Italiener können auch geruhsamer.
Fällt der Name Mangusta, spulen sich im Kopf vieler Eigner und anderer Superyachtkenner sofort stereotype Bilder ab: von schnellen, schnittigen und bis zu 50 Meter langen Yachten, die einen gewaltigen Roostertail hinter sich herziehen und auf deren Vordecks der Eigner und seine meist (sehr) hübschen Begleiterinnen juchzen. Vor Ibiza oder Saint-Tropez siedeln die Gedanken diese Szenerien an und liegen damit ziemlich richtig.
Und während die Mangusta-Werft Overmarine jährlich neue Liebhaber für diese oft nicht ganz wirtschaftlich fahrenden Gleiter findet, erschließt ihr Marketing gerade ein neues Kundenfeld: Die bislang auf Maximalgeschwindigkeiten von mindestens 30 Knoten fokussierten Italiener haben tatsächlich ihren ersten Verdränger gewassert. Die nahe des Flughafens von Pisa gebaute Mangusta Oceano 42 ist nur mit bis zu 15 Knoten unterwegs. Man kann also auch langsam.
Overmarine-CEO Maurizio Balducci, dem mit seiner Familie die Werft gehört, sagte schon einige Jahre vor dem Launch zu BOOTE EXCLUSIV: "Unsere Marken-DNA ist klar, doch wir müssen sie weiterentwickeln. Wir müssen an ältere Eigner denken und an die Entwicklung zu effizienteren Formaten."
Dass er mit der Entwicklung der neuen Linie und dem Ausbau des Standortes Pisa kein allzu großes Risiko eingegangen ist, zeigt der Verkauf einer zweiten Oceano-Yacht, noch bevor die erste ausgeliefert wurde. Weitere mögen nach den jüngsten Messeauftritten in Cannes und Monaco folgen.
Das Design des 42-Meter-Verdrängers legte Maurizio Balducci dabei in die Hände von Alberto Mancini. Der aufstrebende Gestalter aus Triest, zu dessen Kunden auch Magnum Marine und Baglietto gehören, nahm gekonnt die Linienführung der schnellen Mangustas auf, holte sich Inspiration bei verschiedenen Automobildesignern und schuf einen Mix aus etlichen konkaven und konvexen Oberflächen. "Die Oceano 42
ist unverkennbar eine Mangusta", so Maurizio Balducci. Der Lifestyle, den die Marke seit jeher verkörpere, finde sich wieder; die Balance zwischen Aufbauten und Außenflächen sei perfekt.
Der erste Auftrag für die Yacht besitzt indes eine etwas ungewöhnliche Vorgeschichte. Da die Herkunft des Eigners nicht bekannt werden soll, sei angedeutet, dass er bei einem Mangusta-Broker östlich Monte-Carlos saß. Eigentlich interessierte er sich für eine sehr viel kleinere Yacht, dann sah er den Prospekt der Oceano 42 auf dem Tisch liegen. Er blätterte, staunte und ließ den Broker recht schnell wissen, dass er bitte genau so eine Yacht bestellen möge.
Bereits während der Bau- und der Auslieferungsphase ging BOOTE EXCLUSIV mehrfach an Deck, doch richtig dekoriert lag die Yacht erst während ihrer Weltpremiere auf dem Yachting Festival in Cannes. Über den Beachclub, also das ausgeklappte Heck, geht es an Bord. Auffällig sind schon nach wenigen Schritten die Fenster in der Heckklappe. Vor Anker gewähren sie freie Sicht ins Wasser, unterwegs beleuchten sie das Innere.Zwei Skylights, die in jedes Achterdeck darüber geschnitten wurden, unterstützen dies noch – Tageslicht gelangt also nicht nur von achtern, sondern auch vom Sundeck bis auf das Unterdeck.
Dem Beachclub schließt sich dort der Maschinenraum mit zwei je 1080 Kilowatt starken MTU-Dieseln an, dahinter schlafen dann die Gäste. Den hier sonst üblich geparkten Tender platzierte die Werft im Vorschiff. Sie wassert ihn über eine seitliche Klappe.
Mit "Licht und Raum" ist das Interior-Konzept der Oceano 42 wohl am ehesten übersetzt. Es wird im Salon überaus deutlich. Bodentiefe Fenster und ein ebenfalls verglastes Schanzkleid fluten den Raum mit Tageslicht, denn auf Sideboards verzichtet das Interior. In Höhe des Speiseplatzes für acht Gäste öffnen sich Schiebetüren, sodass eine leichte Brise über den Tisch wehen kann. Braun- und Cremetöne strahlen Gemütlichkeit aus. Sie herrschen als Salonfarben vor. Für den Boden wählte Alberto Mancini, der auch die Interior-Gestaltung übernahm, dunkel gebeizte Eiche, die Decke ließ er mit Seide und Alcantara bespannen. Auffällig sind noch die beiden Bronzeskulpturen von Gianfranco Meggiato, einem italienischen Künstler aus Venedig, dessen komplexe Werke schon bei der Biennale zu sehen waren und der mit der "Sphere Enigma" seit einigen Jahren im Port Hercules von Monaco vertreten ist. Voraus führt der Weg aus dem Salon in eine kleine Lobby, der sich hier auf dem Hauptdeck die Mastersuite anschließt, wie üblich auf den meisten Yachten dieser Größenordnung. In diesem Bereich konzipierte Mancini die Oceano 42 als sogenanntes "Widebody"-Format. Es gibt außen keine Laufdecks, sodass der Eigner sein Reich über die komplette Rumpfbreite nutzen kann.
Hier gilt es nun, vor dem Betreten noch einmal weiche Überzieher über die Socken zu ziehen. Der Teppich, so heißt es, sei extrem empfindlich – ein strahlend weißes Werk, hergestellt aus den Fasern von Bambusblättern! Ob der Eigner sich damit einen Gefallen getan hat? Material und Verarbeitung des Belags fühlen sich indes sehr gut und wertig an.
Ein weiteres Highlight der Kabine befindet sich an Steuerbord. Auf Knopfdruck klappt hier ein Balkon herunter, den der Eigner und seine Begleitung für ein Frühstück, einen Sundowner oder einfach für Frischluftzufuhr vor Anker nutzen können. Im Bad verbaute Overmarine den auf Yachten selten zu sehenden Eramosa-Kalkstein aus Kanada, dessen braune Optik eher an Holz denn an Stein erinnert. Es muss eine interessante Erfahrung sein, hier zu duschen, da mehrere Skylights türkisfarbenes Licht in den Raum strahlen. Sie sind in den Boden des Infinity-Pools eingelassen, der sich auf dem Oberdeck im Bugbereich befindet. Ihn erkunden wir später.
Zunächst geht es zurück in die Lobby und von dort auf das Unterdeck, wo Gäste oder Familienmitglieder in vier Kabinen schlafen. Während die Größe der Unterkünfte nahezu identisch ist, besitzt jede Kabine ein anderes Thema, das sich an den beliebtesten Feriendestinationen des Eigners orientiert. "Bodrum" schimmert in verschiedenen Blau- und Türkistönen, die an die Farbe des Meeres vor dem türkischen Badeort erinnern sollen. Das Bisazza-Mosaik im Bad und die Wandverkleidung aus gefärbtem Kuhfell nehmen das Thema ebenfalls auf. In der Kabine "Mauritius" hängt an der Wand ein dunkelgrünes, bepflanztes Beet. Die "Saint-Tropez" ließ der Eigner mit stilisierten Motiven der Klassikerregatta "Les Voiles de Saint-Tropez" verzieren. Sie schmückt ein Boden, der an das Teakdeck einer Segelyacht erinnert. Kabine Nummer vier heißt "Bergama" und ist nur etwas erklärungsbedürftig, wenn man den alten Namen des Ortes verschweigt. Bergama hieß früher Pergamon, liegt rund 80 Kilometer von Izmir entfernt und gilt als eine Weltstadt der Antike. Sie passt also durchaus in das Konglomerat auf dem Unterdeck.
Erneut durch die Lobby, führt der Rundgang über die Oceano auf das Oberdeck. Im Salon oder der sogenannten Skylounge offenbart sich, dass der Eigner ein Cineast zu sein scheint. Der Raum hinter der Brücke ist komplett als Kino eingerichtet. Vor einem Fernseher mit respektabler Diagonale gruppieren sich drei Sofas, die eigens für diese Oceano 42 angefertigt wurden. Mehrere Hocker und Beistelltische dazwischen können variabel platziert werden, auch die Sofas selbst lassen sich je nach Zuschauerkonstellation arrangieren. Achtern steht ein weiterer Speiseplatz für acht an Deck, im Bug wartet ein weiteres Entertainment-Feature, das auf einer Yacht dieser Größenklasse seinesgleichen sucht. Alberto Mancini ließ hier einen Infinity-Pool installieren, in den man sich quasi direkt von der Sonnenliege hineinrollen kann. Er ist im oberen Bereich so flach, dass selbst jüngster Nachwuchs nicht abtaucht. Zum Bug hin nimmt die Wassertiefe zu. Eine Verglasung erlaubt den Blick über den Steven hinaus. Eine Etage höher komplettiert das Sundeck mit Sonnenliegen, Sofalandschaft und dem dritten Speiseplatz das ruhige Konzept der Oceano 42. Wie es aussieht, erfüllt sie alle Voraussetzungen für einen ernst zu nehmenden Player in der 40-Meter-Klasse.