Platz für alle(s)

Sören Gehlhaus

 · 11.12.2020

Platz für alle(s)
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Die Suche nach der perfekten Yacht führte eine deutsche Ärztefamilie auf einen 27-Meter-Explorer. Ihr Fokus lag auf Sport, drei Decks und dem Betrieb ohne Crew.

Wer wissen will, wofür und für wen „Big Joy“ gebaut wurde, der wirft zuallererst einen Blick in die geöffnete Lazarette. Wenn die baren Füße vom Teak der Heckplattform auf Riffelblechboden wechseln, kommen bunte Kitesäcke, Surf- und SUP-Boards, Kletter- und Tennisausrüstung sowie Tauchflaschen und ein Kompressor zum Vorschein. Daneben steht eine Werkbank mit einer überkompletten Werkzeugwand darüber. Zudem parken hier bei Vollbelegung vier Mountainbikes, eine Enduro-Maschine und zwei Honda-Roller. Um auf ihnen schnell zu sportlichen Landaktivitäten aufbrechen zu können, tritt die Passerelle auf „Big Joy“ aus dem Plattformspiegel heraus und fungiert als Beförderungsrampe. Das funktioniert auch bei belegtem Tenderparkplatz, da das sechs Meter lange RIB von ZAR eine separate Plattform absenkt.

„Auf unserer Dominator standen die Roller auf der Flybridge, und wir mussten sie immer umständlich mit dem Kran herunterheben“, reißt Harald Gumbiller einen äußerst wichtigen Punkt seines Yachting­verständnisses an. Schnell soll es gehen, und einfach sollen die Lösungen sein. Der Orthopäde und Geschäftsführer eines Ärztehauses in Prien am Chiemsee nutzte die Dominator 68S und zuvor eine Azimut 50 ausgiebig im Mittelmeer – und das gänzlich ohne Crew. Der 53-Jährige besuchte zahlreiche Messen mit seiner Frau und Ärztekollegin und den Kindern. „Wir schauten uns viele Yachten an, aber überall war uns viel zu wenig Platz“, so Gumbiller. „Bei den ganzen 90-Fuß-Booten fragte ich mich: Wo bringe ich mein Zeug unter?“ Die Stauräume reichten wortwörtlich vorne und hinten nicht aus oder waren kaum zugänglich. Vor allem ihren Jetski konnte niemand sinnvoll unterbringen. Der schnelle Zugriff über die Rumpfluke aber war für die Gumbillers essenziell, um im Hafen eine Tenderalternative nutzen und auf Kitesurfausflügen auch bei Starkwind Kites starten oder landen zu können.

Sport-Lazarette: Im Heck lagern vier Mountainbikes, eine Enduro-Maschine und zwei Roller, auf denen Kitespots erschlossen werden. Die ganze Familie ist wassersport- und Kitesurf-begeistert. | t.
Sport-Lazarette: Im Heck lagern vier Mountainbikes, eine Enduro-Maschine und zwei Roller, auf denen Kitespots erschlossen werden. Die ganze Familie ist wassersport- und Kitesurf-begeistert. | t.

Nachdem der Mediziner an den Messe­ständen allenthalben Kopfschütteln erntete, stand der Entschluss fest: Wir bauen nach eigenen Vorstellungen und – ganz wichtig – innerhalb der Rumpflängenmarke von 24 Metern. Denn der Familienvater wollte nach wie vor selbst am Steuer stehen und die Yacht gemeinsam mit seiner Frau betreiben können. Ein veritabler Explorer mit drei Decks und klar strukturiertem Layout sollte die Gumbiller’schen XXL-Bedürfnisse abdecken.

Nun fallen die Anforderungen, die Eigner an ihre Custom-Yacht stellen, vielfältig in Qualität und Quantität aus; mitunter werden sie vorschnell ausgesprochen oder vage formuliert und in die Hände von Designern übergeben. Wenn das prall gefüllte Pflichtenheft das Ergebnis aus dem jahrelangen Brüten über Ideen ist, kann dies in Verkopftheit und in schwerlich umsetzbare Konzepte münden. Nicht so bei Prof. Dr. med. Harald Gumbiller. Wenn er sagt: „Wir wussten exakt, was wir wollten“, nimmt man ihm das sofort ab. Der Facharzt für Orthopädie versteht sich als Ganzheitsmediziner, und ebenso holistisch war sein Ansatz beim Bau der eigenen Yacht. Alles hängt mit allem zusammen.

Bei ihm sprechen Patienten mit Kreuzschmerzen vor, aber auch viele Profi-sportler. Ihm vertrauen sich zahlreiche Spieler der Deutschen Eishockeynationalmannschaft sowie namhafte Tennis- und Fußballprofis aus der Bundesliga an. Gumbiller ist Präsident der Deutschen Außenstelle für Traditionelle Chinesische Medizin und Akupunktur der Shanghai Fudan University. Zudem ist er Dozent für Osteopathische Medizin und Chiro­therapie. Häufig seien es Kiefergelenks­funktionsstörung, die Rückenbeschwerden verursachten. Oder teilweise stün­den Schmerzen im Fußgelenk im Zusammenhang mit Schulterproblemen. Daher bezieht die Behandlung von Gumbiller und seinen Kollegen meist den gesamten Körper ein.

Für ihr Einzelbauvorhaben nahm die Familie europaweit über zwanzig Werften unter die Lupe. „Wir haben Angebote aus Italien, Polen oder den Niederlanden eingeholt“, erinnert sich Gumbiller. Letztlich überzeugten ihn die türkischen Werften, vom Preis und Handwerk. Den Ausschlag für Arkın Pruva gab „die Perfektion“, so Gumbiller. Die bedeutendste Referenz der Yachtbauer aus Antalya ist das Rob-Humphreys-Design „Tempus Fugit“. Die auf 27 Meter herunterproji­zierte J-Class-Interpretation gab Erbil Arkın in Auftrag, der 2007 den Bau seiner 42-Meter-Gulet „Daima“ zum Anlass der Werftgründung nahm. „Big Joy“ war das erste Motorformat aus der Werft des segelbegeisterten Hotelunternehmers und die erste Kompositarbeit. Holz verwendeten die versierten Yachtbauer nur für den Bau der Form. Darin wurde solide und nass mit Epoxidharz und auf PVC-Kernen laminiert.

Stolze Erscheinung: Die Mastspitze ragt zwölf Meter in den Himmel, der Jetski parkt auf dem Hauptdeck hinter dem Ankergeschirr. | r.
Stolze Erscheinung: Die Mastspitze ragt zwölf Meter in den Himmel, der Jetski parkt auf dem Hauptdeck hinter dem Ankergeschirr. | r.

Während der 18 Monate dauernden Bauzeit flog Harald Gumbiller 20-mal von München nach Antalya. Bei einem der Besuche stellte er fest, dass der ursprüngliche Konstrukteur das Eignerdeck achterlich von der Brücke zu klein dimensioniert hatte. Es wurde weggerissen und neu aufgebaut. Zu diesem Zeitpunkt kam mit Karatas Yacht Design ein neuer Player in das Projekt. Der Istanbuler Konstrukteur mit dreißig Jahren Berufserfahrung stellte Nachberechnungen an und vor allem sicher, dass der Gewichtsschwerpunkt nicht zu weit nach oben gerutscht war. Schließlich ragen die Aufbauten 7,50 Meter in den Himmel, „Big Joy“ ist also exakt so hoch wie breit.

Hier kommt die elektrische Stabilisierungseinheit von Humphree ins Spiel. Gumbiller erinnert sich an die erste Probefahrt im August 2018, es waren zwanzig Mann an Bord und die Wellen anderthalb Meter hoch: „Ich sollte auf Vollspeed beschleunigen und landete bei 19,7 Knoten. Dann hieß es: komplett drehen. Ich saß auf der Flybridge und fuhr zunächst eine gemütliche Runde. Danach schlug ich voll ein und war sehr erstaunt: Die Yacht fuhr wie auf Schienen und neigte sich nur um ein Grad. Das war gigantisch!“ Der Grund für Kurvenstabilität und Laufruhe bei Wind und Welle ist im Unterwasserschiff zu suchen: Pro Rumpfseite bewegen sich je zwei Außenfinnen abgestimmt aufein­ander und auf die Trimmklappen am Heck. Das System arbeitet auch im Zero-Speed-Betrieb, den Batterien bis zu vier Stunden aufrechterhalten.

Bleibt noch die Windanfälligkeit der hohen Aufbauten beim Anlegen. „Ich habe zwar starke Bug- und Heckstrahlruder und meinen Dockmate, aber ab 30 Knoten Seitenwind steuern wir keinen Hafen an und wettern wie die Großen ab.“ Da beide Kinder Medizin studieren, nutzt das Ehepaar „Big Joy“ mittlerweile auch allein. Davon zeugt die ausgeklügelte Anordnung der Mooringwinschen auf dem Brückendeck und ein Deck tie­fer am Heck. Dies erlaubt schnelle und effiziente Anlegemanöver mit Mooringleinen, ohne die Ankerwinschen des Hauptdecks mitzubenutzen. Auch der Motorenraum ist geräumig für eine Yacht von 27 Metern Länge über alles und bietet die Stehhöhe, die Gumbiller kein Semi-Custom-Anbieter geben konnte. „Ich repariere vieles selber und möchte beispielsweise an eine Pumpe sofort herankommen.“ Bestens erreichbar sind auch die beiden Generatoren von Kohler, die Kläranlage von Tecnicomar und natürlich die MAN-Zwölfzylinder mit jeweils 1029 Kilowatt Leistung. Kraftstoff beziehen sie aus einem 17 500 Liter fassenden Tank, der an eine Reinigungsanlage von Alfa Laval und Dieselpumpe von Gianneschi gekoppelt ist. „Ich tanke dann, wenn der Diesel günstig ist. Also alle zwei Jahre“, scherzt der Kapitän. Bei acht Knoten steht der Familiencrew sogar eine Reichweite von 4666 Seemeilen offen. Wird die Geschwindigkeit hingegen konstant auf 19 Knoten eingestellt, schrumpft der Aktionsradius auf 628 Seemeilen.

Unabdingbar war neben der einfachen Manövrierbarkeit und Wartung auch die unkomplizierte „Putzbarkeit“. So gibt es auf jedem Außendeck einen ausziehbaren Wasserschlauch und am Bug, der Jetski-Garage dahinter sowie in der Lazarette Druckluft zum Abpusten. Pragmatisch-clevere Ideen resultierten auch aus den Brainstorming-Runden zum Layout, wie die von außen erreichbare Tagestoilette auf dem Hauptdeck. Kurze Wege garantiert auf gleicher Ebene eine Wäscherei, die sich gegenüber von der Galley befindet. Realisiert wurden auch die drei gleich großen VIP-Suiten auf dem Unter­deck. Das größte Alleinstellungsmerkmal aber ist die Eigner­kabine, die vom Haupt- auf das Brückendeck wanderte. „So können die Kinder mit Freunden eine Etage tiefer feiern“, freut sich Gumbiller. Diese großzügige Grundrissauslegung nehmen sich sonst nur Formate ab 40 Metern Länge heraus.

Hauptdeck-Einblick: Einem Erker gleich liegt die Lesenische zwischen Salon- und Speisebereich, die eine Wand mit organischem Muster trennt. | t.
Hauptdeck-Einblick: Einem Erker gleich liegt die Lesenische zwischen Salon- und Speisebereich, die eine Wand mit organischem Muster trennt. | t.

Klare Vorstellungen gab es auch für die Interiorgestaltung: „Wir wollten keine Schnörkeleien, glänzenden Holzflächen oder ausgefallenen Farben.“ Das Ehepaar fand die geforderte Schlichtheit in Mobiliar und Dekoration in den Yachten von Tansu Yachts und konnte deren Designerin Burçin Akın für die Ausarbeitung der drei „Big Joy“-Decks gewinnen. Und die stehen neben der Festlegung auf Grau und Weiß ebenso im Zeichen von Praktikabilität: Salon und Kabinen dunkeln Rollos ab, sämtliche Sitzmöbel überziehen außen wie innen robuste Stoffe von Sunbrella. Die Oberflächen der Bäder und Galley bilden Arbeitsplatten aus dem abschleifbaren Mineralwerkstoff Corian. Und auf der Flybridge steht ein Gasgrill von Weber, weil dem Eigner die Elektro­varianten nicht heiß genug werden.

Farbliche Interiorakzente setzen Kissen oder die massiven Tischplatten aus Natur­holz für die Speisetische mit ihren Edelstahluntergestellen. Der auf dem Hauptdeck vor der Galley beispielsweise besteht aus Pinienholz, das erst angebrannt und mit Wachs versiegelt wurde. Harald Gumbiller erzählt, wie die Außentische zustande kamen: „Die Vorschläge der Werft sagten uns überhaupt nicht zu. Also fuhr ich mit dem Chefingenieur von Antalya zu einem Sägewerk im Landes­inneren. Aus zig Holzblöcken wählten wir eine Pappelart aus und ließen die Platte anschleifen.“ Harald Gumbiller berichtet aber auch, dass er im Duo-Betrieb mit seiner Frau gerne in Galley-Nähe isst, am Tresen und auf den Barhockern sitzend.

Konsens herrscht bei der Wahl des Lieblingsortes – auch oder weil die Leseecke zwischen Salon und Speiseplatz eine Gefahr birgt: „Da schläft jeder immer sofort ein, weil sie so bequem ist!“ Tatsächlich für den Schlaf der Freiwache gedacht ist die Couch hinter dem Steuerstand. Nächtliche Langschläge standen auf dem diesjährigen Sommertörn weniger auf dem Programm. Stattdessen absolvierte „Big Joy“ eine Sizilienrunde mit vielen Stopps an den besten Kitestränden und einem Ausklang auf Pantelleria. Die beiden Kinder belegten ihre VIP-Suiten auf dem Unterdeck aufgrund von Studienverpflichtungen nur für begrenzte Zeit. Auf eine eventuelle Nutzung der Crewkabine im Bug angesprochen, gibt es ein „Nein, nein, die ist nach wie vor unbenutzt!“ zu hören. Das könnte sich jedoch bald ändern, „Big Joy“ steht zum Verkauf. Der Preis, so viel sei verraten, beinhaltet die Mehrwertsteuer, da die voluminösen 27 Meter nach der Ablieferung in Malta versteuert wurden. „Also ohne irgendwelche Modelle“, wie Gumbiller betont. Er entschied sich für die deutsche Flagge und einen Eintrag im Regensburger Schifffahrtsregister. Daher der süddeutsche Heimathafen.

Für die Vermarktung richtete das mallorquinische Brokerhaus Medusa die Website mit der Adresse german-exploreryachts.de ein – eine treffende Umschreibung für diese ungewöhnlich durchdachte Familienyacht. Darin schwingen Technik-Tugenden mit, die Deutschen im Ausland nachgesagt werden. Gumbillers Kurzbeschreibung lautet: „Ein Raumwunder, das zu zweit fahrbar ist.“ Wenn sich ein neuer Eigner findet, soll wieder bei Arkın Pruva und in der gleichen Form gebaut werden. „Mit ein paar kleinen Änderungen“, deutet Harald Gumbiller an. Welche das genau sein werden, verrät der Yachting-begeisterte Mediziner auf der German Superyacht Conference Ende Februar 2022 in Hamburg, wenn er über die spannende Entstehungs­geschichte von „Big Joy“ referiert.

Aufrecht: Humphrees elektrisches Stabilisierungssystem synchronisiert die Trimmklappen mit je zwei Außenfinnen für Kurvenfahrten von bis zu 19,7 Knoten.
Heller und praktischer Salon: Alle Sitzmöbel überziehen Sunbrella-Außenstoffe, die Fenster verdunkeln Rollos, der TV hängt an der Wand, Farbakzente setzen die Dekoration und ein Speisetisch mit massiver Naturholzplatte.