Sören Gehlhaus
· 02.01.2024
Backbords brummt der Diesel seit zehn Minuten, steuerbords durchdringen Gerüche und Abgase die Morgenluft. Die Sialia 57 ist zum Cannes Yachting Festival umgeben von Verbrennern und liegt nicht bei den kleineren Stromern einige Stege weiter. Ein Vorteil? Auf jeden Fall, aus der Konfrontation ergibt sich die absolute Alleinstellung. Marktschreierische Banner, die über die emissionsfreie Antriebsform informieren, sucht man vergebens. Eine bewusste Entscheidung, klärt Sales- und Marketing-Leiter Ivo Hagemans auf. Man wolle über die Segelyacht-ähnlichen Linien des niederländischen Designers Denis Popov und die Lackierung auf sich aufmerksam machen. Letztlich geben an Bord drei Fenster im EcoDeck Aufschluss über die Lithium-Ionen-Batterien und zwei E-Motoren. Die knapp 18 Meter lange „Deep Silence“ will demonstrieren, dass sich für Einrumpfer im Weekender-Format die Attribute vollelektrisch und schnell nicht ausschließen. Und die Reichweite? „Das ist die Frage, die uns in den allermeisten Gesprächen als Erstes gestellt wird“, sagt Hagemans.
Streng genommen ist Sialias Debütmodell kein reiner Stromer, es ist ein Vollhybrid dank „Range Extender“, so die Bezeichnung für den 390 Kilowatt starken Generator, der unter 24 Metern nicht verpflichtend ist. „Er läuft mit variablen Drehzahlen und liefert Gleichstrom wie eine Fast Charging Station“, schaltet sich Gründer und CEO Tomasz Gackoski ein. Die Batterien können während der Fahrt in 45 Minuten aufgeladen werden. Mit Generator sind bis zu 280 Seemeilen lange Nonstopfahrten möglich; Range Anxiety, die sogenannte Reichweitenangst, sollte nicht eintreten. Rein elektrisch geht es mit vollgeladenen 256-Kilowattstunden-Batteriebänken bei acht Knoten 28 Seemeilen, elf Seemeilen schafft man bei 16 Knoten. Mit 25 Knoten beträgt der Aktionsradius acht Seemeilen. „Das reicht für viele vollkommen aus“, sagt Ivo Hagemans. „Wir haben uns mit Brokern auf Mallorca kurzgeschlossen und Bewegungsprofile von Tagescharterern erhalten.“
Beim Ablegen scheint das Bugstrahlruder laut zu dröhnen, in Wahrheit wird es nur nicht von den Geräuschemissionen der Hauptmaschine überlagert. Die E-Motoren mit je 400 Kilowatt Dauer- und 500 Kilowatt Maximalleistung laufen beim Manövrieren im limitierten Modus und geben ihr Drehmoment nicht bei kleinster Berührung des Kommandogebers frei. Nachdem Cannes’ Vieux Port achteraus liegt, macht der Kapitän Platz und positioniert sich in Eingreifweite. Selbst im Normalmodus heißt es festhalten an einem der vielen Handläufe. Die nur 19 Tonnen verdrängende Sialia kommt schnell und ohne Anheben des Bugs ins Gleiten, die Hecksee ist flach und der Vollkreis gelingt im Zwei-Bootslängen-Durchmesser. Je höher die Drehzahlen, desto weniger ruckartig die Beschleunigung. Mit 26 Knoten schluckt der stark aufgekimmte Rumpf die kleinen Wellen, am Cabrio-Hardtop klappert nichts. Um das hohe Drehmoment ins Wasser zu bringen, drehen sich zwei große Propeller von Veem an Wellenanlagen und in Tunneln.
Unter Volllast verlangen die E-Aggregate zusammen 800 Kilowatt vom elektrochemischen Energiespeicher. Wie steht es um die Batteriesicherheit? „Die Leistung fährt automatisch herunter, sobald die Kabel zu heiß werden oder keine ausreichende Belüftung vorhanden ist“, sagt Tomasz Gackoski, der mit Ampros auch den Antriebsstrang bereitstellt. Hagermans ergänzt: „Bevor es zu einem Thermischen Durchgehen kommt, haben sechs Sicherheitsvorrichtungen gegriffen und jede für sich für den Systemstillstand gesorgt.“ Neben Feuerlöschanlage sollen Redundanzen, es gibt etwa stets zwei Spannungswandler, einen Brand verhindern. Zudem agieren die drei Batteriebänke unabhängig voneinander: Wenn ein String ausfällt, liefern die anderen weiterhin Strom.
Gackoski arbeitet mit Ampros auch an Lösungen, die den „Energieraum“ unter Wasser setzen. „Wir haben eine Risikoanalyse durchgeführt. Da wir uns mit diesem Boot nicht weit von der Küste entfernen, haben wir Abstand davon genommen.“ Möglich aber wäre die Implementierung, auch angesichts der veränderten Lastenverteilung. Eine 80 Fuß lange Aluyacht, die auf Weltumsegelung geht, stattet Ampros mit einzeln flutbaren Batteriebänken aus. Für den kommerziellen Sektor entwickelt man ein Abwurfsystem, bei dem sich im Unterwasserschiff eine Klappe ähnlich wie bei einem Moonpool öffnet und die Batterien aus dem Rumpf fallen. So weit soll es nicht kommen. „Wir wissen exakt, was in unseren Batterien enthalten ist, ich habe sie mit Stan, meinem Partner bei Ampros und Sialia, konstruiert.“ Gackoski spricht über Stanislav Szadkowski. Der polnische Geschäftsmann gründete ICPT (jetzt Impact), einen Warschauer Batteriehersteller, der sich auf Schwerlastanwendungen an Land spezialisiert hat. Die Ampros-Batterien sind auf die Beschleunigungs-Anforderungen des maritimen Einsatzes zugeschnitten und bestehen aus „sorgfältig getesteten Komponenten“, so Gackoski.
Auf der Sialia 57 laufen im Ship Management System (SMS) alle Daten zusammen, was in der Theorie auch vor unsachgemäßem Gebrauch etwa durch Überladen schützen soll. Selbst die Wassertemperatur fließt in die automatisierte Analyse ein. In Cannes fragten viele Werften Ampros-Antriebe an, auch wenn man Erwartungen für unkomplizierte Nachrüstungen dämpfen musste. Der Rumpf müsse auf die elektrische Motorisierung zugeschnitten sein. Sialia vertraut hierbei auf die Berechnungen des niederländischen Konstruktionsbüros Vripack.
„Mit Dieseln ist Leistungssteigerung recht einfach. Bei uns bedeutet mehr Power immer auch mehr Batterien und damit Gewicht“, betont Ingenieur Gackoski, der bei Structeam auf der Isle of Wight Strukturberechnungen für schnelle Segler aus Carbon vorgenommen hat, unter anderem von Wally. Die „Deep Silence“ von Co-Gründer Szadkowski kam noch von Latitude Yachts aus dem lettischen Riga mit einem schlicht-soliden Innenausbau, der noch Luft nach oben in Richtung Superyacht-Standard zeigte. Basierend auf der im Heck verlängerten Rumpfform der 57 betritt man den Markt mit der Sialia 59, deren Carbon-Fertigung Rega Yachts in Polen übernimmt. Auch eine Aluminium-Variante ist im Angebot, die durch Herabsenken des Freibords nur 200 Kilogramm mehr wiegen soll.
In Cannes ist die Ausfahrt nach einer guten Stunde beendet. Der Grund: Wegen der vielen Abnehmer im Hafen flossen nur zehn Kilowatt Landstrom in die NMC-Akkus. Das Schnellladen wurde bislang nur mit 150 Kilowatt getestet, weil die Infrastruktur der Mittelmeer-Häfen nicht mehr hergibt. „Theoretisch könnten die Batterien 500 Kilowatt vertragen, aber durch den CCS-Stecker laufen maximal 350 Kilowatt“, zeigt sich Gackoski ernüchtert. Die 59 plant er mit Brennstoffzelle oder einem Batteriespeicher von einer Megawattstunde Kapazität auszustatten. Mit den zusätzlichen fünf Tonnen der Akkus würde man sogar die Konstruktionswasserlinie halten, da der Wegfall von Generator und 1500-Liter-Tank 4,5 Tonnen einspart. Ein kühnes wie konsequentes Unterfangen für ein Boot dieser Länge. Die mit 4,5 Megawattstunden größte Akkukapazität unter Superyachten hat die jüngst abgelieferte 84-Meter-Feadship „Obsidian“. Für eine Fähre realisiert Ampros eine Lösung mit Sieben-Megawattstunden-Kapazität. Die Herausforderung liegt nicht in der Skalierbarkeit der Batterien. Eher in der Preisgestaltung. Für die voll ausgestattete Sialia 57 werden bereits 4,6 Millionen Euro veranschlagt.