Christian Tiedt
, Jochen Rieker
· 26.05.2023
Wie fühlt sich ein Motorbootfahrer unter Segeln? Wie der Segler ohne Mast? Um das zu erfahren, entsandten YACHT und BOOTE vor einigen Jahren zwei Redakteure zu einer Reise auf die Nordsee. Von Sturm war dabei allerdings nicht die Rede
In diesem Artikel:
Draußen am Rumpf rauscht das Wasser vorbei. Gischt schlägt über das längliche Salonfenster in Lee, so sehr neigt sich die Yacht vor dem steifen Wind nach Steuerbord. Die Wellen lassen den Rumpf bocken. Im Rigg heult es, orgelt, jault. Schwerwetter unter Segeln – so, wie man es sich vorstellt. Doch die Sache hat einen Haken: Wir sind noch gar nicht auf See. Wir liegen fest vertäut im Hafen, ohne Tuch, mit blankem Mast.
Ein schwerer Weststurm hat die Nordsee so fest im Griff, dass er sogar in der relativen Geborgenheit der Seaport Marina von IJmuiden für gehörige Unruhe sorgt. Seine orkanartigen Böen mit mehr als 50 Knoten in der Spitze sind dafür verantwortlich, dass unser knapp 13 Meter langer Fahrtensegler selbst am Schwimmsteg „Fahrt“ durchs Wasser macht.
Geschützt vor dem peitschenden Regen und dem feinen Sand, der vom Strand über die Dünen herübergeblasen wird, können wir es uns wenigstens unter Deck bequem machen und bei einem Bier die Lage beraten. Dafür gibt es einen guten Grund, denn eigentlich war diese Geschichte ganz anders geplant.
Zusammen wollten YACHT und BOOTE auf einem gemeinsamen Törn mit zwei Schiffen selbst erleben, was die jeweils „andere Seite“ ausmacht. Die Motorbootfahrer würden dafür auf den Segler umsteigen, die segelnden Kollegen ihrerseits auf die Motoryacht. Natürlich hatten wir dabei in erster Linie die positiven Aspekte im Kopf, dazu bei gutem Wetter, versteht sich. Eigentlich eine ganz normale Ausfahrt, nur auf jeweils anderem Kiel. Wir wollten Kurse vergleichen, Fahrzeiten, Verbrauch. Vor allem aber wollten wir verstehen, worin der Reiz der uns fremden Fahrzeuggattung liegt.
Bei den Booten fiel die Wahl auf zwei bereits von den Redaktionen getestete Modelle: eine C-Yacht 12.50i für uns, ein hochwertig gebautes Tourenschiff mit Mittelcockpit, Rollgenua und Rollgroß; und eine Elling E4 für die Segler, bei 15 Meter Länge eine äußerst stattliche Erscheinung, mit markanten Linien und starkem Turbodieselantrieb, zugleich gleitfähig, aber auch rauwassertauglich.
Da beide Yachten in den Niederlanden gebaut werden, bot sich IJmuiden als Starthafen an – für einen Kurztrip nach England, inklusive English Breakfast in einem Pub in Great Yarmouth oder Lowestoft, bevor wir wieder Kurs auf die holländische Küste nehmen würden. Das jedenfalls war der Plan.
Allerdings hatten wir die Rechnung ohne das Sturmtief gemacht. An unserem Ziel festzuhalten hätte bedeutet, den ganzen Weg zur Insel voll gegenan zu knüppeln, was im Fall der Segelyacht selbst bei 6 Beaufort schon zeitraubendes Kreuzen erfordert hätte. Bei 10 Windstärken wäre es dagegen einfach nur eine Qual – für beide Crews, für beide Boote. Mehr noch: unseemännischer Irrsinn.
Mit den beiden Skippern fassen wir deshalb den Beschluss, die Nacht noch im Hafen abzuwettern und erst am nächsten Tag auszulaufen, wenn der Sturm etwas nachgelassen hat. Dann soll es losgehen, so oder so. Nur nicht wie ursprünglich beabsichtigt nach England, sondern auf günstigerem, weil raumem Kurs an der Küste entlang nach Norden. Das Ziel: Oudeschild auf der Insel Texel.
Der Segler: Im Vorhafen steht schon ein Meter Welle, draußen auf der Nordsee sind es drei bis vier Meter. Na toll!
Anton van den Bos, der Chef von Elling, hat es sich nicht nehmen lassen, selbst dabei zu sein. Er liebt Abenteuer, und er strahlt ein Urvertrauen in seine Boote aus, das weit über das erwartbare Marketinggedöns hinausgeht. Fast könnte man meinen, er habe sich schweres Wetter gewünscht für diesen Törn. Vor ein paar Jahren ist er mit drei E4 und reichlich Zusatztanks schon über den Atlantik geschippert. Voriges Jahr ließ er sich in seinem Flaggschiff festgurten und per Kran einmal auf den Kopf drehen, dokumentiert von einem Dutzend Kameras. Er habe zeigen wollen, dass seine Boote selbstaufrichtend konstruiert seien, sagt er vergnügt – „genau wie Segelyachten“.
Das Video soll Umsteiger wie mich beruhigen und die Hochseetüchtigkeit der E4 unterstreichen. Eigens dafür hat van den Bos knallorange Jacken besticken lassen, mit Elling-Logo auf der Brust und „360°“ auf dem Rücken. Eine davon trägt er heute. Ist es Selbstbewusstsein oder Selbstsuggestion? Es beruhigt jedenfalls – ein bisschen. Genau wie die Tür zum Ruderhaus, die schwer wie ein Tresor ins Schloss fällt. Genau wie der Bootsname am hoch aufragenden Bug: „Fortuna“. Wird schon irgendwie schiefgehen.
Es fehlt die Direktheit, die Rückmeldung, die auf Segelbooten so selbstverständlich ist.
Als wir ablegen, bläst es noch immer mit 35 bis 40 Knoten durchs weite Hafenbecken. Die Elling liegt an einem Fingersteg, der Wind steht seitlich aufs Boot. Knifflig, um nicht zu sagen stressig? Nicht hier: Mit Querstrahlrudern an Bug und Heck lässt sich das 15-Meter-Trumm auf Knopfdruck in Position halten und spielerisch aus der Box fahren. Anton van den Bos schweigt und lächelt.
Die Übersicht vom hoch gelegenen Ruderhaus ist unvergleichlich, man hat voraus und seitlich alles im Blick. Nur das stark übersetzte Ruder und das vergleichsweise kleine Rad fordern Gewöhnung in der Enge des Hafens. Es fehlt die Direktheit, die Rückmeldung, die auf Segelbooten so selbstverständlich ist.
Und noch etwas ist anders – die mehr fühl- als hörbare Präsenz der Maschine. Zwei Meter unterm Steuerstand brummelt der Sechszylinder-Turbodiesel mit 5,5 Liter Hubraum – ein Aggregat, mächtig genug, um Reisebusse oder Schwerlasttransporter anzutreiben. Ich schiebe den elektronischen Fahrhebel nur ein Stück weit nach vorn, da erwacht im Kellergeschoss eine Herde wilder Broncos zum Leben.
Der Motorbootfahrer: Die Nase im Wind, das Wasser zum Greifen nah, die Wellen als Anschubhilfe für lange, schnelle Surfs
Erst, als wir die Molenköpfe schon ein gutes Stück hinter uns gelassen haben, kann ich mich einmal richtig umsehen. Die eindrucksvolle Erkenntnis: wie dicht man am Wasser ist! Normalerweise kenne ich den Blick auf die Wellen bei schlechtem Wetter nur aus dem relativen Schutz des Ruderhauses heraus – oder zumindest von der erhöhten Position des Außenfahrstandes in der Kuchenbude auf dem Achterdeck. Ganz abgesehen davon, dass man als Motorbootfahrer den eigenen Bug unter solchen Umständen ohnehin nicht aus dem Hafen steckt.
Hier, in dem engen Cockpit, dessen vorderes Ende vom Niedergang begrenzt wird, während der Steuermann achtern das große Rad in beiden Händen hält, ist man dagegen auf Augenhöhe mit der See – und oft genug darunter. Denn so hoch sind die Wellen heute, etwa drei bis vier Meter. Einige der brechenden Kämme gehen so hoch, dass die Elling, die uns in sicherem Abstand mit der Kraft ihrer Maschine immer wieder umkreist, häufig komplett verschwindet, wenn wir in einem Wellental liegen. Aber nur wenige Augenblicke später werden wir schon wieder emporgehoben auf einen Logenplatz in dem grauen Chaos, das rings um uns herrscht.
Der Wind fällt raumschots von Backbord ein, also etwas weiter achterlich als querab. 8 Beaufort. Das ist zwar kein Sturm mehr, aber immer noch stürmisch genug. Großsegel und Genua sind doppelt gerefft, und die Winschen singen, wenn unser Bootsmann die Segelstellung an Windrichtung und -stärke anpasst.
Auf den mitlaufenden Wellenkämmen beginnt die C-Yacht zu surfen, die Stimmung steigt. Großer Jubel dann, als die Digitalanzeige am Niedergang 12,1 Knoten ausweist! Immer wieder hebt sich der Bug aus dem Wasser, schießt vorwärts, und die überkommende Gischt fliegt weit nach achtern.
Mit der durchschnittlichen Motorboot-Wetterbekleidung – also einer leichten Regenjacke – kommt man hier nicht weit.
Die Sprayhood zwischen Mast und Niedergang hält dabei nicht viel mehr Spritzwasser ab als die Windschutzscheibe eines Cabrios im Regen. Wer sich nicht rechtzeitig wegdreht, hat die frische Nordsee im Gesicht. Mit der durchschnittlichen Motorboot-Wetterbekleidung – also einer leichten Regenjacke – kommt man hier nicht weit. Ölzeug und Bordstiefel sind ebenso Pflicht wie Automatikweste und Sicherungsleine, die immer eingepickt sein muss.
Dann kommt – nach kurzer Einweisung – mein Törn am Steuer. Ein Bein auf dem Cockpitboden, das andere auf der leeseitigen Bank, um die Krängung auszugleichen, den großen Kompass auf der Steuersäule vor mir, versuche ich Kurs 010 Grad zu halten, der uns entlang der so verlassen wirkenden Küste mit ihren hinter den Dünen geduckten Seebädern weiter nach Norden bringt. Jede Welle, die unter dem Heck hindurchläuft, jeden Winddreher, jede Bewegung der Yacht spürt man über das Ruderblatt sofort am Steuerrad. Genau den richtigen Gegendruck mit Gefühl auszuüben, darauf käme es an, flüstert mir der Skipper von der Seite zu – und ich muss an das Bild von der „eisernen Hand im Samthandschuh“ denken, von dem mir einmal ein erfahrener Segler erzählt hat. Das Gefühl, hier achtern zu stehen, ist wirklich etwas ganz Besonderes.
Der Segler: Im Schutz des hoch gelegenen Ruderhauses wirkt das Wetter wie gezähmt – bis auf das Rollen
Vorige Nacht, in der Zurückgezogenheit der Vorschiffskabine, hatte ich mir die Fahrt wie in einer Endlosschleife vorgestellt. Ich hatte die Wellen gesehen, die sich vor uns auftürmen, die brechenden Kämme, die Schaumstreifen, die der Wind ins grüngraue Wasser fegt. Aber wie sich die Elling darin benehmen würde, hatte ich mir nicht einmal ansatzweise ausmalen können. Meine Erfahrung mit motorisierten Schiffen in schwerer See beschränkte sich bis jetzt auf Fotoboote, Fähren und die „Queen Mary II“ – wobei die einen ungleich kleiner und wendiger, die anderen ungleich größer und träger sind als die E4.
Sicherheitshalber überlasse ich Anton van den Bos das Steuer auf den ersten Meilen vor der Küste. Es sind die ruppigsten, die beunruhigendsten. Denn wir müssen erst mal ein Stück weit sicheren Seeraum gewinnen, bevor wir nach Norden abfallen können – zu nah blieben wir sonst unter Land, zu dicht am Brandungsgürtel. Die Nordsee ist auch so schon unruhig genug, weil Wind und Tide und die Topografie des Meeresbodens sich gegenseitig darin überbieten, uns Brecher in den Weg zu legen.
Mit langsamer Fahrt, 6 bis 7 Knoten nur, steuern wir die Elling etwas höher als auf Halbwindkurs in die ausgewachsenen Kaventsmänner. Kippt der Rumpf ins Wellental, geht ein Zittern durch die Verbände. Wasser schießt vom Bug in die Höhe und übers Vorschiff, bevor es geräuschvoll auf die Sicherheitsscheiben des Ruderhauses prasselt. Es wirkt wie eine Explosion in Zeitlupe, deren Wucht nicht so recht zu unserer Geschwindigkeit passen mag. Undenkbar freilich, jetzt schneller zu fahren – nicht bei dieser See, nicht auf diesem Kurs. Drei Wischer mühen sich redlich, die eigentlich so gute Sicht wieder herzustellen. Sie wirken fast ein wenig hilflos.
Und doch grenzt es an ein Wunder, wie vergleichsweise stoisch das Boot die Prügelei erträgt. Die Scheiben halten den Wasserfontänen stand und lassen kein Tröpfchen durch. Auch das nach achtern öffnende Cabrioverdeck bleibt dicht, die Einbauten an ihrem Platz. Kein Schrank, der aus der Verankerung bricht, was auf anderen Motorbooten bei solchen Bedingungen durchaus vorkommen soll. Kaum Verwindungsgeräusche. Nur das Geschirr klappert im Schapp.
Draußen tosende See, brüllender Wind. Und wir drinnen geborgen wie in einer Raumkapsel, die alle Macht des Wetters von uns fernhält.
Die Situation mutet geradezu surreal an. Draußen tosende See, brüllender Wind. Und wir drinnen geborgen wie in einer Raumkapsel, die alle Macht des Wetters von uns fernhält. Na ja, fast. Gegen das Stampfen, Gieren und Rollen des Schiffes kann die Elling nämlich auch nichts ausrichten. Anton van den Bos, ganz Ingenieur, denkt zwar schon über einen Gyro-Stabilisator nach, ein von einem Elektromotor angetriebenes Schwungrad in der Schiffsmitte, dessen Drehimpuls die Bewegungen im Seegang dämpfen soll. Aber das bleibt wohl erst mal seinem neuen Flaggschiff vorbehalten, der E6, und ist auch nur als kostspielige Option zu haben.
„Fortuna“ dagegen wankt und schwankt um alle Achsen, solange wir die Wellen etwas vorlicher als querab nehmen. Ihr Verhalten ähnelt dem eines Katamarans, nur dass die Amplituden ausgeprägter sind, das Nicken ruckartiger. Unangenehm wirkt einzig das Rollen um die Längsachse, weil man sich richtiggehend dagegen verkeilen muss. Die extremsten Lagewinkel liegen bei 35 bis 40 Grad zu beiden Seiten, was sich dramatischer anfühlt, als es ist. Wer seitwärts aus dem Ruderhaus schaut, blickt gelegentlich in einen fünf, sechs Meter tiefen Abgrund. Tatsächlich würde sich die Elling aber auch aus mehr als 90 Grad Lage wieder in die Senkrechte drehen – das genau beweisen ja das Youtube-Video und Anton van den Bos’ orangerote Jacke. Man muss sich nur ab und zu leise vorsagen, dass es nicht so schlimm ist, wie es aussieht.
Spaß? Nicht wirklich. Eher ein Staunen über die kaum für möglich gehaltene Seetüchtigkeit.
Der Werftchef übrigens zeigt anfangs auch leichte Anzeichen von Anspannung; die legen sich aber mit jeder Meile. Und selbst der Segler am Ruder gewöhnt sich an die Sturmfahrt ohne Rigg. Sie fordert in dem Wellengewusel zwar noch mehr Konzentration als das Geradeausfahren im Hafen, aber es geht. Spaß? Nicht wirklich. Eher ein Staunen über die kaum für möglich gehaltene Seetüchtigkeit.
Selbst nach dem Abfallen, mit der Welle nun von schräg achtern, kommt nicht wirklich Freude auf. Wir könnten jetzt natürlich Gas geben und mit 18, 19 Knoten gen Texel bollern, was wir probehalber auch eine Zeitlang machen. Aber erstens zeigt der Verbrauchsmesser dann gute 80 Liter Diesel pro Stunde an, das Zehnfache im Vergleich zur Schleichfahrt zuvor. Und zweitens wollen wir ja die Segler auf ihrem Ritt begleiten. Die sitzen eingemummt in Ölzeug draußen im Cockpit, während wir im warmen Ruderhaus ihren Kampf mit Wind und Welle verfolgen. Längst hat auf „Fortuna“ der Autopilot das leidige Steuern übernommen.
Der Motorbootfahrer: Im Schutz einer vorgelagerten Sandbank lässt der Seegang nach. Alle Strapazen sind sofort vergessen
Was für ein Kontrast! Gerade noch waren wir mittendrin im grauen Tumult, jetzt hat sich die See um uns herum schlagartig beruhigt. Nur noch sanft pendelt die C-Yacht hin und her, als wir mit dem Flutstrom vom Schulpengat in das Marsdiep einlaufen, das die Nordspitze der Halbinsel Noord-Holland von Texel trennt.
Die Kraft der anrennenden Wellen wird jetzt im Westen gebrochen, wo eine Linie weißer Brecher den Verlauf der schützenden Haaks-Sandbank markiert. An Steuerbord lassen sich Radfahrer auf der Deichkrone vom steifen Wind schieben, und der hoch aufragende Leuchtturm von Kijkduin ist auch für uns das sichere Zeichen, dass das Abenteuer des heutigen Tages seinem Ende entgegensteuert.
Sogar die Sonne zeigt sich nun, die zunächst nur kleinen blauen Fetzen über uns werden größer und größer. Entschleunigung ist angesagt: Während wir uns noch bis vor Kurzem dicht an dicht im Cockpit gegenübersaßen und über Stunden hinweg gemeinsam eine kalte Dusche nach der anderen mit grimmigem Gleichmut über uns ergehen ließen – ein echtes Wir-Gefühl übrigens, das sicher viel zu der besonderen Gruppendynamik beim Fahrtensegeln beiträgt –, strecken wir uns nun entspannt und zumindest in meinem Fall wohlig erschöpft zum Trocknen aus: achtern auf dem Seitendeck zwischen Cockpit und Reling oder auf dem Vorschiff unter der weit geblähten Fock. Auch der Hunger kommt jetzt mit Macht, und das Chili con Carne, das in großen Bechern aus der Pantry heraufgereicht wird, könnte nicht besser schmecken.
Ruhig ziehen unsere beiden Schiffe nebeneinander her, und auch auf der Elling zeigt man sich nun wieder an Deck. Wir winken uns zu, schon gespannt auf die Erzählungen der anderen, wie sie diesen Tag auf ungewohnten Planken erlebt haben. Den Helder zieht vorbei, und unser ungleiches Paar schwenkt in den Texelstroom ein. Oudeschild liegt jetzt quasi um die Ecke – und die offene Nordsee wirkt schon wieder sehr weit weg.
Die Segler hatten ein Erlebnis, die Motorbootcrew Erholung – und eine ungeahnt ruhige Nordsee-Erfahrung
Die „Fortuna“ liegt längst fest vertäut, als die C-Yacht erst längsseits geht. Kein Segel, das eingerollt oder aufgetucht werden muss – noch so ein Komfortplus des Motorboots. Schneller raus, schneller rein in den Hafen, und wenn es nicht zu sehr kachelt, auch schneller unterwegs. Das macht den Nachmittagstörn genauso mühelos wie längere Strecken. Und es braucht ungleich weniger seemannschaftliches Können. Wohl deshalb prophezeien viele Marktbeobachter der Powerboot-Fraktion die höheren Wachstumsraten. Auch das Alter der Eigner spielt eine Rolle. Das letzte Boot habe häufig keinen Mast mehr, heißt es. Van den Bos verkauft „fast jedes zweite Schiff an einen ehemaligen Segler“.
Zum Après-Sail treffen sich alle wie selbstverständlich auf der Elling. Ihr erhöhtes Achterdeck entrückt die Crews dem Drumherum im Hafen. Einen vergleichbaren Panoramablick bieten allenfalls moderne Fahrtenkatamarane mit Rooftop-Sonnendeck. Und auch im Salon lässt sich famos ein Abend in größerer Runde beschließen: mehr Quadratmeter, mehr Komfort. Wie überhaupt alles am Motorboot mehr dem von zu Hause gewohnten Umfeld entspricht. Im Fall der E4 reicht das von der Warmwasser-Zentralheizung bis zum Induktions-Kochfeld in der Pantry. Es ist eigentlich, als wäre man gar nicht wirklich weg von daheim.
Gut, ökologisch mag man Vorbehalte haben gegen die Antriebsart und den bei Volllast geradezu schmerzhaften Kraftstoffverbrauch. Wirtschaftlich sieht die Bilanz für die Segelyacht auf den ersten Blick ebenfalls günstiger aus. Aber das täuscht. Für den Gegenwert eines neuen Satzes guter Segel kommt man mit dem Motorboot auch einige Tausend Meilen weit.
Ich hatte das Gefühl, sie braucht mich gar nicht.
Der entscheidende Unterschied liegt woanders. Er ließ sich an den von Kälte und Anstrengung roten Wangen der C-Yacht-Crew ablesen und aus ihren lebhaften Erzählungen heraushören. Die Segler hatten mehrfach ein- und ausgerefft, kübelweise Wasser abgekriegt und ständig die schneidende Brise um die Nase ertragen. Die letzten Meilen mussten sie mühsam vor dem Wind kreuzen. Sie hatten sich verausgabt, eine Herausforderung bestanden. Mit anderen Worten: Sie hatten wirklich etwas erlebt.
Die Besonderheit auf der Elling lag darin, dass es genau genommen keiner besonderen Anstrengung bedurfte, folglich auch keine besonderen Vorkommnisse gab. Das ist für sich genommen durchaus eine starke Leistung, fast eine kleine Sensation. Und viele werden sie genau dafür lieben. Ein vergleichbares Erlebnis ist es aber nicht. Vielleicht sind mir deshalb dreimal die Augen zugefallen. Ich hatte das Gefühl, sie braucht mich gar nicht. Und so war es ja auch.
Die Yachten unterscheiden sich nicht nur durch den Hauptantrieb, sondern auch in der Länge – ein direkter Vergleich ist somit nicht möglich. In ihrer Konzeption ähneln sie sich aber. Beide sind sehr hochwertig gebaut und uneingeschränkt langfahrttauglich