Unbehelligt im Hafen oder vor Anker liegen, in Ruhe den Sonnenuntergang genießen – so in etwa stellen sich das die meisten Eigner oder deren Gäste vor, wenn sie im Sommer durch das Mittelmeer oder die Ostsee reisen. Für die Passagiere an Bord von „Far Niente“ könnte das schwierig werden. Die 32,7 Meter sind selbst im Superyacht-Zirkus ein echter Hingucker, da werden neugierige Zuschauer und Nachfragen nicht ausbleiben.
Was die türkische Werft SES Yachts im Frühjahr 2024 ins Wasser geschickt hat, ist schwimmende Nostalgie, mit Bullaugen in den gerade gezogenen Aufbauten, einem Deckshaus aus laminiertem Holz-Epoxy, plus stilechtem Schornstein und Holzmast. Das Ganze ruht auf einem Rumpf mit elliptischem Hecküberhang, der stark an eine retro-klassische Segelyacht erinnert.
Hoek Design hat hier konstruiert und designt, und das wiederum überrascht nicht. Das niederländische Studio ist Spezialist für Segelyachten (z.B. die Vitters-Ketsch), zeichnet drei neue J-Class, viele Truly Classics und moderne Racer, und hat gleichzeitig einen großen Faible für die eleganten Linien einer klassischen Motoryacht – einer Basis, die technisch heutigen Standards entspricht. Hoek kombinierte auch das 33-Meter-Konzept mit einem CFD-optimierten Unterwasserschiff. „Dafür haben wir alle modernen Simulations-Softwares genutzt, die wir zur Verfügung haben“, sagt Andre Hoek.
Die Lady ist nicht die erste Hoek, die so entstand. „Wir haben diese Designphilosophie über viele Jahre hinweg weiterentwickelt und sie insbesondere bei der mehrfach ausgezeichneten 56-Meter-Motoryacht ,Blue II‘ angewandt“, fügt der Konstrukteur noch hinzu. „Blue II“ von Turquoise Yachts (Ausgabe 4/21) trägt zwar auch die zeitlosen Züge eines Klassikers, allerdings geht dessen weit hochgezogene vordere Rumpfpartie optisch und konstruktionstechnisch stark in Richtung Explorer.
„Far Niente“ ist ein ziemlich anderes Design“, betont Hoek. Für die 33 Meter holte sich das Team die Inspiration von den niederländischen Heringskuttern des frühen 19. Jahrhunderts, die seetüchtig der stürmischen Nordsee trotzten. Die CFD-Programme von Hoek Design führten hier nicht nur zu der runden Form des Stahlrumpfs (Klasse A), sondern optimierten auch den Propeller mit einem Durchmesser von 1,45 Metern, den der niederländischer Hersteller SIP Marine lieferte.
Dahinter arbeitet ein einzelner MAN-Motor mit 368 Kilowatt Leistung – und das ist offensichtlich eine gute Kombination. „Bei einer Reisegeschwindigkeit von neun Knoten haben wir einen Treibstoffverbrauch von 29 Litern pro Stunde“, sagt Ruurt Meulemans, der geschäftsführende Partner von Andre Hoek. Unter normalen Bedingungen und auf typischen Reisedistanzen peilt die Schiffsführung zehn Knoten an, die Maximalgeschwindigkeit liegt bei elf Knoten. Dank einer Reichweite von 3.750 Seemeilen sind sogar transatlantische Passagen möglich.
Doppelgeneratoren und vor allem die große Batteriebank versorgen den Hotelbetrieb. All das sind beste Vorrausetzungen für die aktuellen Vorhaben der Eigner, die ein wenig unter die Kategorie „Abenteurer“ fallen dürften. Das Mittelmeer in der letzten Saison war nur der Anfang. „Diese Jahr werden sie durch die Ostsee und weiter bis nach Norwegen reisen“, verrät Meulemans.
Falls die Bedingungen auf der Nordsee etwas herausfordernd werden, helfen die Sleipner-Stabilisatoren, das Schiff ruhig zu halten. Dazu vereinfachen Bug- und Heckstrahlruder das Manövrieren in den mitunter engen Häfen.
Bekommt die Yacht dort in der Saison keinen Platz, fällt eben der Anker in der nächsten Bucht und es geht mit einem der beiden Tender an Land. Ein speziell konstruierter Zwei-Tonnen-Kran hievt die Vehikel vom Vordeck ins Wasser. Dieses Spektakel können die Eigner gut durch die Glasscheiben ihrer angrenzenden Suite verfolgen.
Das Layout von „Far Niente“ gibt sich ansonsten klassisch: Weiter hinten auf dem Hauptdeck folgen der Salon mit TV-Lounge und längs ausgerichteten Speiseplatz, allerdings gibt es hier keine Galley. Diese liegt, neben weiteren vier Gästesuiten und drei Crewkabinen, auf dem Unterdeck.
Der Lieblingsplatz tagsüber an Bord von „Far Niente“ dürfte das Oberdeck sein. Im optisch wunderbar klassisch anmutenden, ganz aus kaltgepresstem Holzelementen gefertigten Deckshaus liegen Steuerstand und eine kleine Lounge, die übrige Fläche ist dem Leben an der frischen Luft gewidmet. Die Sonnenterrasse dominiert ein großer Essplatz, achtern schmiegt sich ein langgezogenes Sofa entlang der halbrund verlaufenden Reling.
Auch der Entwurf des Interieurs und die Ausstattung gehen auf das Konto des Hoek Design-Studios. Das Styling lag in den Händen der Eigner. Weiß lackierte Holzdecken mit quer verlaufenden „Stütz“-balken versetzen die Gäste in frühere Zeiten. An den ebenfalls weißen Wänden zieht sich – als Paneel oder verkleideter Stauraum - bis fast auf halbe Höhe graue, gebürstete Eiche, „die sorgfältig gebeizt wurde, um den von den Eignern gewünschten Greywash-Effekt zu erzielen“, erklärt der Designer.
Die feststehenden Sitzmöbel entwarf sein Studio, ein lokaler Subunternehmer übernahm die Polsterung. Diese Inventarliste umfasst die beiden Sofas, die vom Cockpit aus kommend gleich hinter dem Eingang zum Salon stehen, dazu die Ecksofas in der Eignersuite sowie die Sitzgelegenheiten auf dem Brückendeck. Sämtliche Bezüge und Kissenstoffe – meist mit grafischen Mustern in Blautönen – wählten die Eigner selbst aus.
Das Sofa in der TV-Lounge ist Teil der Groundpiece Serie von Flexform. „Die Eigner haben sich dafür entschieden, weil sie das gleiche Sofa auf ihrem Anwesen hatten und ihnen der Komfort und die Proportionen gefielen“, erläutert der Designer. Den Speiseplatz umringen leuchtend blaue Stühle aus der Reihe Teresa von Ceccotti Collezioni, der Tisch selbst ist wieder ein Hoek-Entwurf und wird von einer Marmorplatte getoppt, die die Eigner ausgesucht haben.
Wie ein kunstvolles Gemälde leuchtet die Wand über dem Bett der Eignersuite. Hier geht ein gepolstertes Haupt in ein Wandpaneel über, das ebenfalls mit Stoff bezogen ist. Die auffälligen Muster mit Vögeln und wellenartigen Linien stammen aus der Aravalli-Kollektion von KAI. Das tonangebende Grau ist das gleiche wie auf den Eichenmöbeln, die helleren Farben greifen die Schattierungen der Wände und Teppiche auf. So ein Ensemble wirkt in der Tat komplett durchkomponiert, ist frisch und trotzdem elegant. Es zeigt, dass Zeitlosigkeit alles andere als langweilig ist. Wie die ganze Yacht.