Ein Text von Norman Kietzmann
„Innovation“ ist ein kniffliges Wort. Meistens wird es verwendet, um etwas Normales zum Außergewöhnlichen zu erklären. Im Falle der 50Steel „Almax“ liegen die Umstände anders. Denn für das, was Sanlorenzo mit dieser 50‑Meter-Yacht zu Wasser gelassen hat, ist „Innovation“ beinahe eine Untertreibung. Worum es geht? Da ist zum einen die Brennstoffzelle, die den Stahl-Alu-Verdränger mit Elektrizität versorgt. Die Werft hat sich zur CO2-Neutralität ihrer Flotte bis 2030 verpflichtet. Einen entscheidenden Schritt macht sie nun mit diesem System, das in Kooperation mit Siemens Energy entwickelt wurde. Die Idee: Biomethanol wird in Wasserstoff umgewandelt, um daraus Elektrizität zu gewinnen. Dabei wird zwar auch CO2 ausgestoßen – jedoch die gleiche Menge, die die zur Methanolproduktion genutzten Pflanzen zuvor aus der Atmosphäre gebunden haben.
Der Grund für die materielle Transformation: Wasserstoff ist in Gasform hochexplosiv. Um ihn im flüssigen Zustand zu transportieren, muss er auf eine Temperatur von −253 °C gekühlt oder hochverdichtet werden, was den Einsatz großer Tanks erfordert. Methanol hingegen ist einfach und sicher zu handhaben. „Wir können mit dieser Lösung bis zu 100 Kilowatt erzeugen, womit wir 85 Prozent der Hotel-Last abdecken, ohne Wasserstoff direkt an Bord zu speichern“, sagt Massimo Perotti, Vorsitzender und CEO von Sanlorenzo.
Um nicht seine Kunden zu Versuchskaninchen zu machen, übernimmt er selbst die Rolle des Ersteigners von „Almax“. Der Name ist ein Kofferwort aus Perottis Spitznamen Max und dem Vornamen seiner Frau, Alessia Cozzi. Die zweite Innovation steckt in den Grundrissen. Entgegen dem klassischen Tortenprinzip mit Decks, die wie horizontale Schichten übereinanderliegen, dachten Martina und Bernardo Zuccon für die 50Steel die innere Logik neu.
Bereits bei früheren Modellen wie Sanlorenzos SP110 brachten die Geschwister aus Rom das Raumgefüge zum Fließen. Nun haben sie die Split-Level-Idee weiter nach vorn getrieben, dank einer Erfindung aus der Ingenieursabteilung der Werft. Der sich zuvor über zwei Ebenen erstreckende Maschinenraum wurde neu konfiguriert: nicht vertikal, sondern horizontal, sodass er auf einer Ebene unterhalb des Unterdecks Platz findet.
Hidden Engine Room (HER) lautet der Name des von Sanlorenzo patentierten Systems, das für die Innenraumplanung kaum weniger als eine Revolution bedeutet. Der Raum, den früher Motoren okkupierten, lässt sich nun als weiteres Wohnzimmer nutzen, die sogenannte Ocean Lounge. Sie verbindet den Beachclub mit dem geräumigen Essbereich, an den sich vier Gästekabinen sowie ein Dampfbad und ein Fitnessraum anschließen. Vom Essbereich mit einer Deckenhöhe von 3,70 Metern geht es eine Treppe hinauf in den zweiten Wohnbereich. „Hier gibt es keine Hierarchie zwischen den einzelnen Zonen, sondern einen fließenden Übergang. Ich mag den Begriff ‚Ökosystem‘, weil er einen Lebensraum beschreibt. Diese Yacht ist voll von Bereichen, die miteinander verbunden sind“, so Bernardo Zuccon.
Der Hidden Engine Room schafft mehr als einen zusätzlichen Raum. Er verbessert die Wegeführung für die Gäste an Bord. „Wer zum Baden in den Beachclub will, muss normalerweise von seiner Kabine kommend eine Treppe zum Hauptdeck nehmen und anschließend am Heck eine weitere Treppe hinabsteigen. Hier verlässt man seine Kabine, geht fünf Stufen hinauf und nimmt ein Bad“, erklärt der Designer. Die verkürzten Wege verstärken die soziale Komponente. „Auf vielen Yachten gibt es das Problem, dass man nicht sieht, wo die Freunde gerade sind. Also fragt man die Crew oder greift zum Telefon. All das gibt es hier nicht mehr“, sagt Massimo Perotti.
Die 50‑Meter-Yacht verfügt über neun Höhenebenen, vier im Bug-, fünf im Heckbereich. Sie greifen wie zwei versetzte Kämme ineinander. Die horizontale Ordnung wird überwunden. „Der Reiz dieses Parcours liegt im Dualismus zwischen öffentlicher und privater Dimension“, sagt Bernardo Zuccon. Dabei geht es ihm um eine visuelle Trennung zwischen dem, wie die Yacht von außen wahrgenommen wird, und dem, wie sie im Inneren aufgebaut ist. Inspiration fand er hierfür im Werk des Wiener Architekten Adolf Loos. Er ist der Erfinder des „Raumplans“: einer Unterteilung von Geschossen, die nicht durch starre, blickdichte Wände vollzogen wird, sondern mithilfe verschiedener Höhenebenen, die um wenige Stufen angehoben oder abgesenkt werden. „Die Besonderheit dieser Räume kann man nur im Inneren wahrnehmen. Von außen wird die Illusion erweckt, dass alles normal ist“, sagt Bernardo Zuccon.
Innovation wird nicht offensiv zur Schau gestellt, sondern mit Understatement eingeflochten. Das Interieur von „Almax“ stammt von Piero Lissoni, seit 2018 Art Direktor von Sanlorenzo. Für ihn steht die Sinnlichkeit der Materialien an vorderster Stelle. „In den Bädern haben wir dieses Mal keinen Marmor oder anderen Stein verwendet, sondern handgefertigte Keramikfliesen in verschiedenen Farben“, so der Mailänder Architekt und Designer. Dazu kombiniert er Hölzer, deren natürliche Oberflächen mit den warmen Nuancen der Fliesen korrespondieren. Besondere Aufmerksamkeit widmet er den Treppen, die längst zu einem seiner Markenzeichen geworden sind. Der Übergang von der Ocean Lounge zu Esszimmer und Wohnbereich im Hauptdeck ist aus Glas, Edelstahl und Carbon gearbeitet. „Eine hochtechnologische Treppe, die vom rechten Winkel dominiert wird. Ganz anders die Wendeltreppe gegenüber: Sie ist aus Holz gefertigt und wirkt sanft wie eine Geige“, ist der Designer überzeugt.
Eine durchleuchtete Glasdecke folgt dem Höhensprung des Esszimmers und wirkt wie eine stilisierte Welle. Lissoni zitiert den Art-déco-Stil. Doch es gibt noch eine weitere Referenz: Ein großer, maßgefertigter Marmortisch wächst pilzartig aus dem Boden des Oberdecks heraus. Dahinter erhebt sich eine durchleuchtete Rückwand, die an Papierwände im traditionellen Japan erinnert. In der Eignerkabine auf dem Hauptdeck zieht ein Paravent mit Kranichdarstellungen die Blicke auf sich. „Um ehrlich zu sein: Ich hasse Fernseher. Sonst benutze ich Zauberspiegel, hier haben wir dafür einen alten japanischen Paravent aus dem 19. Jahrhundert verwendet“, so Piero Lissoni.
Der Beachclub öffnet sich an drei Seiten zum Meer. Ausklappbare Flügel sowie eine absenkbare Badeplattform erweitern den Freiraum auf stattliche 150 Quadratmeter. Auch hier geht es um das Wechselspiel aus öffentlichen und privaten Bereichen. So kann parallel zu den Seitenflächen die rückseitige Badeplattform eingeklappt werden – um nicht nur Blicke auf die Sonnenliegen, sondern vor allem auf den mittig platzierten Pool fernzuhalten. Ein markantes Detail zeigt sich vorn auf Höhe des Hauptdecks: An den Flanken des Vorschiffs sind diagonale Schlitze eingelassen, die an die Kiemen eines Hais denken lassen. Der Bezug ist passend, denn auch hier geht es um die Luftzirkulation für jenen Raum, in dem Methanol in Wasserstoff zur Energieerzeugung umgewandelt wird. „Methanol ist weitestgehend geruchlos. Wenn es also ein Leck gibt, bemerkt man es nicht gleich. Daher haben wir ein zusätzliches Sicherheitselement eingebaut, um das Risiko zu minimieren“, sagt Massimo Perotti.
Der offene Bereich, der sich über die gesamte Breite der Yacht erstreckt, wird parallel als Garage für ein sieben Meter langes Beiboot, zwei Jetskis und weitere Wasserspielzeuge genutzt. Bis zu 30 Prozent des CO2-Ausstoßes spart das Brennstoffzellensystem ein, für das Sanlorenzo von Lloyd’s Register die Zulassung erhielt sowie eine Drei-Sterne-Bewertung des SEA Index. Der bemisst CO2-Emissionen von Yachten über 25 Meter Länge. Die MAN-Hauptmotoren von „Almax“ laufen mit Diesel, wobei auch hier grünes Methanol zum Einsatz kommen soll. „Das wird in Miami, Rotterdam oder Genua recht schnell verfügbar sein. Doch wie sieht es auf einer kleinen Insel in Griechenland aus?“, fragt Massimo Perotti. 2026 sollen erste Motoren auf den Markt kommen, die sowohl Diesel als auch Methanol verbrennen können. „Der nächste Schritt wird sein, nur noch Biomethanol zu tanken, wenn der Zugang überall gesichert ist“, so der Sanlorenzo-Chef. Es ist ein klarer Weg in die Zukunft.