Ein Text von Sam Fortescue und Martin Hager
Von Anfang an hatte der Eigner ein klares Ziel: Seine „Amadea“ sollte alle Yachten um sie herum im Schatten schwimmen lassen. „Der Kern seines Bauauftrags lautete, dass seine Yacht vor Details nur so überquellen solle. Millionen von Arbeitsstunden stecken in der Fertigung und in der Montage dieses gewaltigen Gesamtkunstwerks“, sagt Evgeniy Kochman, Gründer und Geschäftsführer von Imperial Yachts, die als Eignervertreter agierten.
Das Brokerhaus mit Sitz in Monaco hat einen gewissen Ruf für geradezu pedantische Genauigkeit. Jedem Werftmanager laufen Angstschauer über den Rücken, wenn dieser Name auftaucht. Branchenkenner wissen, dass Imperial absolute Präzision und Perfektion in jedem Teil der Yacht – ganz besonders im Finish – erwartet und einfordert. „Imperial arbeitet so präzise und zum Teil pingelig, dass man bei einigen angezeigten Mini-Mängeln einfach nicht versteht, was genau nicht in Ordnung sein soll“, erzählt ein Zulieferer.
„Amadea“ wurde trotz des erstaunlichen Detailreichtums und gemessen an ihrer Größe schnell gebaut. Vom Schneiden der ersten Stahlplatten bis zur Ablieferung vergingen 31 Monate. „Das ist sehr schnell“, sagt Michael Breman, Vertriebsleiter bei Lürssen. „Wir konnten technische Lösungen nutzen, die wir schon zuvor entwickelt hatten – das hat uns viel Zeit gespart.“ „Amadea“ entstand auf der technischen Plattform der 2014 abgelieferten und nur zwei Meter kürzeren „Quantum Blue“.
„Wir hatten trotzdem genug Zeit, um jedes kleinste Detail an Bord den Bedürfnissen des Eigners anzupassen“, erzählt Kapitän Pete Reid bei Kaffee und Kuchen aus der bordeigenen Konditorei. Dazu gehört eine Vielzahl an Änderungswünschen, insbesondere in der Galley und im Badezimmer des Eigners, die den Bau um rund sechs Monate verlängerten. Zeit, die dazu genutzt wurde, selbst allerkleinste Ungenauigkeiten zu beseitigen. „Eine Mängelliste existierte quasi nicht“, so der Kapitän. Auch die rigorose Bauplanung der Eignervertreter ließ Verzögerungen keinen Raum. „Wir sind bekannt dafür, dass wir hochgradig unflexibel sind und die Erwartungen unserer Kunden übertreffen“, sagt Kochman. „Aber genau auf dieser Philosophie basiert unser Erfolg. Wir erwarten, dass sich unsere Partner zu hundert Prozent auf unsere Arbeitsweise einlassen, und wir können mit Stolz sagen, dass die wichtigsten Werften und Designer der Branche unserem Ansatz folgen.“
Wir betreten „Amadea“ über die seitliche Passerelle, weil das Øino- Design längsseits am staubigen Kai von Barcelonas Vilanova-Marina liegt. Das Gros der Gäste wird für gewöhnlich mit dem Tender anlegen und den nach PYC-Regularien gebauten Sechsdecker über die Badeplattform und den Beachclub boarden, der teilweise vom darüberliegenden Zehnmeterpool mit gläserner Rückwand beschattet wird. Ein Willkommens-Szenario, das selbst versierte Yachtkenner in Staunen versetzt. „Ich wollte diesen Bereich dramatisch gestalten“, sagt Exteriordesigner Espen Øino über den Pool. „Liegen auf beiden Seiten schweben scheinbar über dem Deck und wirken wie zwei Flügel.
Wer sich zu schnell über die „Amadea“-Decks bewegt, dem entgehen unzählige clevere Details wie zum Beispiel eckige Nischen am Heck. „So können Sie sich, nachdem Sie an Bord gekommen sind, hinsetzen und Ihre Schuhe ausziehen, ohne dass ein Stuhl herbeigeschafft werden muss“, erklärt Øino.
Die große Anzahl an kleinen gemütlichen wie privaten Loungebereichen, in denen sich Eigner und Gäste unbeobachtet entspannen können, fällt hingegen sofort auf. Zu den schönsten Relaxzonen zählen die auf beiden Seiten der Yacht übereinander angeordneten Nocks, denen „Amadea“ nicht nur ihre markante Optik verdankt, sondern die – mit Kissen und Polstern bestückt – geradezu zum Faulenzen einladen.
„Wir haben uns bewusst für diese verschachtelte Anordnung entschieden“, erklärt Øino. Besonders deutlich kommen die maskulinen Formen der überhängenden Nocks beim Landeanflug per Helikopter zur Geltung. Die Schaffung zahlreicher Rückzugsecken war Øino besonders wichtig: „Ich besuche viele Großyachten, und dazu erhalte ich regelmäßig [sensible] Anrufe. Mitunter gibt es einfach zu wenig lauschige Plätzchen.“ Ganz im Gegensatz zu diesen Erfahrungen gibt es auf „Amadea“ eine schier unendliche Auswahl solcher Orte. Selbst der Salon auf dem Hauptdeck erzeugt Wärme durch ein kathedralenhaftes Atrium, das über zwei Decks reicht. Ein handbemalter Pleyel-Flügel und ein über die gesamte Yachtbreite reichender Speisetisch zählen zu den zahlreichen Extravaganzen dieses Decks. Für das gediegene Ambiente an Bord zeichnet Interiordesigner François Zuretti verantwortlich, dem es auf wunderbare Weise gelang, das Große mit dem Intimen zu verbinden. Von Hand mit Michelangelo-Wolken bemalte Decken und die vielen warmen organischen Farbtöne erzeugen eine wohlige Atmosphäre. „Der Eigner wünschte sich eine authentische klassische Einrichtung mit Möbeln aus dem 18. Jahrhundert“, erzählt Zuretti. „Alkohol, in Leder gebundene Bücher und Accessoires sind Teil des Designs.“
Øino empfahl ein Layout mit vielen Sitzgelegenheiten und freiem Meerblick an zahlreichen Stellen. „Wir arbeiteten bei der Gestaltung der Räume und Exteriorflächen intensiv mit dem Eigner zusammen“, gibt Øino zu. „Es ist ganz normal, dass die herausragenden Yachten von Eignern stammen, die sich ausgiebig und im Detail mit ihrem Projekt beschäftigen.“ Auf „Amadea“ ist der Einfluss des Eigners auf jedem Deck präsent, besonders jedoch auf dem Bug, von dem aus sich ein riesiger Adler im Art-déco-Stil in die Lüfte zu erheben scheint. „Der Künstler Willem Lenssinck fertigte den fünf Tonnen schweren Greifvogel aus Edelstahl, und die Werft schweißte ihn auf den Steven“, erzählt Espen Øino.
Die Galley auf dem Oberdeck entstand ebenfalls nach den Wünschen des Eigners. Der Kochbereich wird von glänzenden Kupfertöpfen und -pfannen dominiert und bietet neben einem XXL-Grill sogar ein Hummeraquarium. „Die Galley ist Teil des Gästebereichs“, erklärt Kapitän Reid. „Jeder Gast, der sich gerne mit seinem Essen beschäftigen möchte oder der einen Wunsch an den Chef hat, ist herzlich eingeladen.“ Die Galley liegt unmittelbar neben der Winterterrasse, einem außergewöhnlich grünen Speisebereich für 24 Gäste, an dessen Wänden und Decken sich Efeu und Farne entlangranken. Wasser plätschert beruhigend und sanft über eine Schieferwand, und indirektes Licht, das durch opake Deckenplatten fällt, sorgt für ein helles Ambiente. Wer hier Platz nimmt, hat eher das Gefühl, in einem versteckten Pariser Sternerestaurant zu speisen als in den hochmodernen Räumlichkeiten einer 106 Meter langen Yacht. Und doch, nur wenige Zentimeter hinter dem lebendigen Grün befindet sich der Schornstein, der die Abgase aus dem Motorenraum bis zu den Lüftungsschlitzen ein Deck höher transportiert. Es spricht für die herausragende Qualität einer Lürssen-Yacht, dass nicht ein Dezibel dieses Prozesses in den Raum entweicht.
Das Außendeck hingegen wurde nicht für ruhige Stunden konzipiert. Hier warten in das Exterior integrierte Lautsprecher mit insgesamt 20 000 Watt nur darauf, ihre Schallwellen auf die Trommelfelle der Gäste zu entsenden. Eine Laseranlage bereitet bei Bedarf die passende Lichtshow. Eine schalldichte Schiebetür trennt hier das stille Interior von der Partyzone, zu der ebenfalls ein von Sonnenliegen eingerahmter Jacuzzi gehört, der sich in die Bühne für eine Band oder den DJ verwandelt. Das Soundequipment ist direkt mit dem schiffseigenen Audiosystem koppelbar. „Wir haben die Anlage noch nie weiter aufgedreht als fünfzig Prozent“, schmunzelt der Kapitän. „Die Bässe machen dann schon ordentlich Druck!“
„Hier geht es nur ums Feiern“, lautet Espen Øinos Resümee für diesen Bereich. „Die Decksabschlüsse gestalteten wir auf diesem und dem darunterliegenden Deck invertiert, also nach innen geneigt, sodass sich die Struktur sehr gut zur Verankerung von Leuchten und Lautsprechern eignet. Die Geometrie ist nicht zufällig gewählt.“ Im seitlichen Stauraum lagert der Chef einen Teppanyaki-Grill, die Rotisserie und den für ganze Schweine gedachten Drehspieß. Über einen in das Schanzkleid integrierten Kran lassen sich die sperrigen Gerätschaften auf den Tender und so bei Bedarf an einen Strand bewegen. „Der exklusiven Beachparty steht also nichts im Weg“, kommentiert Pete Reid die selbst für Großyachten ungewöhnlichen Koch-Toys. Einzigartig ist auch das Kino auf dem Brückendeck eine Etage tiefer. Der Projektor und die Großbildleinwand verschwinden nach Gebrauch in der Wand, und die beiden Sofas verfügen über eine D-Box-Bewegungssteuerung, die dafür sorgt, dass sich die Sitzmöbel entsprechend der Kinoaction bewegen und vibrieren. Eine ganzkörperliche Erfahrung. Für den passenden Snack steht an der Bar selbstverständlich eine Popcornmaschine bereit.
Wie gelungen die Raumaufteilung ist, fällt erst bei einem Gang über die „Amadea“-Decks auf. Selbstverständlich steht dem Eigner auf seinem Deck ein privates Büro zur Verfügung, es ist jedoch alles andere als riesig. Vielmehr verlieh ihm François Zuretti die Anmutung eines Privatzimmers in einem exklusiven Gentleman’s-Club, mit dominantem Ledersessel und handgemalter Weltkarte an der Decke. Für weniger persönliche Geschäfte befindet sich auf dem Unterdeck eine Konferenzsuite, passenderweise in direkter Nachbarschaft zum begehbaren Humidor und Weinkeller.
Das Eignerdeck verfügt über alle Details, die man von einer Großyacht erwartet: einen Ankleideraum, ein Badezimmer mit in den Boden eingelassener Badewanne, einen Beautysalon sowie ein Fitnessstudio. Doch den größten Teil des Decks nimmt der Salon mit integrierter Bar und privatem Speisebereich ein. Viel Marmor, seltene Hölzer und exquisite Stein- und Holzintarsienarbeiten beherrschen das warm und einladend wirkende Eignerreich. Auf dem geräumigen Achterdeck steht ein runder Speisetisch für acht Personen, der sich dank ausgeklügelter und versteckt integrierter Mechanik in einen Tisch verwandeln lässt, an dem bequem sechzehn Gäste Platz finden. Gläserne Windschutzscheiben lassen sich bei Bedarf öffnen, eine Feuerstelle lädt zum Entspannen ein – natürlich mit angrenzendem Loungebereich.
Am anderen Ende des Decks führt eine Tür aus der Eignersuite auf eine private Terrasse mit einem mosaikverkleideten Pool. Wer im Wasser rekelnd den Kopf nach oben hebt, mag seinen Augen kaum trauen: In der Decke spielt sich eine eindrucksvolle Lichtshow ab. Alle Sternzeichen finden sich dort im nachgebildeten Panorama eines sternenklaren Nachthimmels. „Beeindruckend, nicht wahr?!“, fragt der für diesen Bereich zuständige Elektrotechniker und fügt mit erfreutem Grinsen hinzu: „Sie würden sich beim Blick hinter die Verkleidung erschrecken. Hier laufen zweitausend Glasfaserkabel und eine rotierende Scheibe für den Glitzereffekt.“
Beleuchtung ist an Bord omnipräsent. LED-Streifen illuminieren indirekt zahlreiche Möbelstücke und sind sogar in die Edelstahlmasten integriert, an denen die Crew Sonnensegel befestigt. Die gesamte Unterhaltungs- und Ambientesteuerung funktioniert über iPads und natürlich Raum-unabhängig. „Im gesamten Interior haben wir so Zugriff auf 6500 Geräte“, ergänzt der Techniker.
Bei der Ausstattung von „Amadea“ wurden – selbstredend – keine Kosten gescheut. So verfügt ihr für einen bis zu 3,5 Tonnen schweren Aerotender ausgelegtes Helipad über einen Glide Path Indicator, der dem Piloten dabei hilft, sicher auf dem Deck aufzusetzen. Ein Ausstattungsmerkmal, das weit über die Anforderungen der Klassifikationsgesellschaft hinausgeht. Die über die gesamte Breite reichende Tendergarage bietet reichlich Platz, um neben einer Zehnmeterlimo (Windy) und einem 9,10 Meter langen Beachlander von Pascoe ein 10,50 Meter langes Sportcabrio (Windy) unterzubringen, das an Bord nur „Boot vom Boss“ genannt wird. Das Design der beiden Windy-Formate stammt, wie das bei großen Formaten mittlerweile nicht unüblich ist, ebenfalls aus dem Rechner des Exteriordesigners Espen Øino.
Selbst nach vielen Stunden an Bord fallen dem Besucher zahlreiche Feinheiten auf, die „Amadea“ zu einem eindrucksvollen Gesamtkunstwerk machen. An Bord wurde nichts dem Zufall überlassen. „Der Managementstil von Imperial ist sehr gründlich und enorm detailverliebt“, bestätigt auch Zuretti, der in der Vergangenheit nur auf kleineren Yachten mit den erfahrenen Eignervertretern zusammengearbeitet hatte. „Alle Zulieferer müssen sich anstrengen, um die strengen Qualitätsanforderungen zu erfüllen.“ Espen Øino stimmt zu: „Imperial arbeitet sehr strukturiert und überaus gründlich. Mitunter bedeutet das mehr Arbeit für uns, aber am Ende sind die Eigner zufrieden – und darauf kommt es an. Da Yachten immer größer und komplexer werden, ist die Investition der Eigner beträchtlich. Niemand kann es sich erlauben, leichtherzig in ein solches Projekt zu starten.“
Der Designer genoss den Schaffensprozess. „Im Allgemeinen passen Kreativität und strenge Unternehmensstruktur nicht unbedingt gut zusammen“, gesteht Øino. „Die enge Zusammenarbeit mit dem Eigner hat mich beflügelt, wir standen in einer Art symbiotischen Beziehung zueinander. Es war wie ein Tischtennisspiel, das immer schneller und schneller wird.“ Und wie es scheint, haben dabei alle gewonnen.
Der Artikel erschien zum ersten Mal in BOOTE EXCLUSIV 6/19 und wurde für diese Onlineversion überarbeitet.