“Barbara”Boat-Office mit Meerblick auf über 88 Metern

Friedrich W. Pohl

 · 26.07.2023

Stilsicherheit: Die schwungvollen Linien der Aufbauten gehören zum Repertoire von Sam Sorgiovanni
Foto: Guillaume Plisson
Manche Eigner lenken ihre Unternehmen gern an Bord. Bescheidene Studios dürfen darum wachsen. Für die 88,50 Meter von Oceancos „Barbara“ zeichnete der Australier Sam Sorgiovanni jetzt die neue Büro-Benchmark

Das Eignerbriefing gehörte nicht zu denen, die ein überraschtes Aufhorchen des Designers hervorrufen. Stattdessen wirken Auftragslisten dieser Art in ihrer Schlichtheit herausfordernd. Der „Barbara“-Eigner wünschte sich wie die meisten anderen auch eine „individuelle und zeitlose“ Yacht, wie der Australier Sam Sorgiovanni lakonisch berichtete, nachdem er den Auftrag erhalten hatte, gute 80 Meter sowohl außen als auch innen zu gestalten. Der Eigner war ihm bekannt, und auch Oceanco war wieder mit im Spiel. Zur Individualität des Neubaus „Barbara“ sollte zudem ein außergewöhnliches Eignerbüro gehören, mit Unterkünften für persönliche Assistenz ganz in der Nähe. „Barbara“ funktioniert nicht zuletzt als mobiler Arbeitsplatz.

Organische Formen

Zu Sam Sorgiovannis Designer-Genen gehören schwungvolle organische Formen. Die implementierte er auch in das äußere Styling. Die gerundeten Fashionplates und Schanzkleider, schwebende Kurven allesamt, lassen auf die Entfernung kaum erkennen, wie die Decks strukturiert sind. „Barbara“ wirkt nicht wie ein mehrstöckiges Haus auf dem Wasser mit gestapelten Etagen, sondern mit ihrem gestreckten Bug eher wie ein Lebewesen auf dem Sprung. Sie erinnert damit an die Oceanco-Werke „Nirvana“ und „Anastasia“, ebenfalls vom Zeichenbrett Sorgiovannis.

Meistgelesene Artikel

1

2

3

Diese streckende Wirkung des Exteriors erzielte der Australier auch mittels eines Tricks aus dem Schatzkästchen der Materialwahl. Wo immer die Aufbauten Schwarz zeigen, ist Glas im Spiel. Dunkle Fensterverglasungen wechseln sich außen nicht etwa mit dem Aluminium der Aufbauten ab; Sorgiovanni ließ die Verglasungen der Fenster über das tragende Metall weiterlaufen und das Aluminium mit Glas verblenden. Die perfekt glatten Glasfenster werden auf diese Weise nicht von noch so sorgfältigen Lackierungen unterbrochen. Sam: „Nichts ist flacher und glatter als Glas. So perfekt kann keine Lackierung sein.“

Zwei Lifte für Gäste und Crew

Das Layout der Decks mit den Raumaufteilungen nahm der Eigner weitgehend selbst in die Hand, mit professioneller Unterstützung der Konstrukteure des Haarlemer Büros Azure Yacht Design & Naval Architecture. Obwohl das Zeit kostete, macht das sogenannte General Arrangement kaum Anleihen bei bekannten Standards. Dass auf das Unter­deck achtern der Beachclub in die Nähe des Wassers gehört, davor Tender parken und die schweren Motoren und Generatoren im Zentrum des Rumpfs arbeiten, bleibt davon allerdings unbenommen. Auch auf „Barbara“ wohnt die Crew hier unten im Bug. Weil die Gäste jedoch in sechs Kabinen vorn auf dem Hauptdeck schlafen, blieb auf dem Unterdeck Platz für ein Kino, einen Raum für den Friseur und die Pediküre, ein kleines Spa und zwei Massageräume.

Hier, zwischen Crewbereich und Motoren, startet auch der Lift für Eigner und Gäste und gleitet über das Haupt- bis zum Brückendeck. Ein zweiter Lift für die Crew reicht hinab bis auf das Tankdeck.

Hinter den Gästekabinen vorn auf dem Hauptdeck – die Crew kann die beiden vorderen dank mobiler Wände zu einer herrschaftlichen VIP-Unterkunft mitein­ander verbinden – baute Oceanco auf Wunsch des Eigners eine Galley mit Pantry ein. An die Gästelobby, das Foyer mit Haupteingang, schließt sich ein Salon mit Speiseplatz und zwei symmetrischen Sitzgruppen an. Den drehbaren Esstisch und die Sessel- und Sofaabteilung trennt ein Aquarium. Das lieferte Living Color Aquariums aus Deerfield Beach in Florida. Die Einrichtungen bauten übrigens österreichische Einrichter, Sinnex aus Griffen in Kärnten und List aus Thomasberg in Niederösterreich.

Zwei Balkone für das Büro

Der Grundriss des Brückendecks startet voraus mit dem Arbeitsplatz des Kapitäns. Im Steuerstand können es sich wie üblich Eigner und Gäste auf einem Sofa bequem machen, um dem Kapitän bei der Arbeit zuzusehen. Der Mann mit den vier Streifen wohnt auch hier, neben einer Kabine und einem Büro für die persönlichen Assistenten des Eigners.

An den Brückenbereich schließt sich das Eignerbüro mit einer wahrlich repräsentativen Raumhöhe von 3,50 Metern an. Es reicht über die komplette Breite der Aufbauten und macht in jeder Hinsicht das Zentrum der „Barbara“ aus. Balkone sind nach beiden Seiten abklappbar. Zu diesen Aussichtsplätzen in luftiger Höhe geht der Eigner durch große Glastüren, den größten, die Ocean­co jemals auf einer Yacht einbaute, geliefert vom Hamburger Yachtglas-Spezia­listen Tilse. Diese Schiebetüren, die zwangsläufig Glas und Metall miteinander verbinden, zählten zu den größten Herausforderungen der Konstruktion. Glas gehört nicht gerade zu den Baustoffen, die Klassifikationsgesellschaften als tragende Bauelemente akzeptieren. Zur Strafe ist es schwerer als das Aluminium der Aufbauten und nicht tolerant gegenüber Verwindungen.

Diese im Aufbau glatt montierten und wetterfesten Türen, jede eine einzelne Glasfläche von fast vier Metern Höhe, gleiten auf unsichtbaren Schienen. Ocean­co konnte sie erst nach der Wasserung während der Ausrüstungsphase einbauen, nachdem alle anderen Maßarbeiten erledigt und installiert waren. Die Montage erforderte einen großen Kran. Nicht nur das: Ein Tender bat die Berufsschifffahrt rundherum, Fahrt aus den Schiffen zu nehmen, um den präzisen Einbau nicht durch Schwell zu gefährden.

Die gläserne Decke des Büros lässt übrigens Wellenbewegungen durch den Raum tanzen. Dafür sorgt der Glasboden des Sundeckpools eine Etage höher. Vom Büro aus geht der Eigner steuerbords ein halbes Deck höher in seine Suite. Er wohnt damit direkt über dem Kapitän und seiner Büroassistenz. Hinter Büro und Lift ist die Nanny untergebracht.

Froschleder für die Betten

Von der privaten Lounge hinter Lift und Treppenhaus, dem oberen Salon mit Spieltischen und Sofa wandern Eigner und Gäste auf ein achterliches Freideck. Das Sundeck darüber erlaubt ein Heli-Touch-and-go. Ein Gym mit einem Komplettpaket an Foltergeräten und der Pool mit Glasboden über dem Eignerbüro runden die Ausstattung ab.

Wer sich nach den Gym-Übungen den Wind um die Nase wehen lassen möchte, der erklimmt über einen Niedergang das Observationdeck und prüft in seiner Neugier auf einem der vier Sessel mit Blick voraus, was eine Reisegeschwindigkeit von 16 Knoten mit der auf dem Unterdeck frisch geföhnten Frisurenkonstruktion anstellt.

Bei der Ausstattung des Interiors arbeitete Sam Sorgiovanni mit den Schweizern von Nature Squared zusammen. Sie verwandeln Materialien aus der Natur vom Tier bis zum Mineral in Oberflächen für Inneneinrichtungen und Möbel. Sorgiovanni orderte Froschleder für Bett­umrandungen, gespaltene Seeigel für Spiegelrahmen, Schalen von Gänseeiern und Hörner von Wasserbüffeln für Möbel. Was für ein Arbeitsplatz!


Technische Daten

  • Länge über alles: 88,50 m
  • Breite: 14,50 m
  • Tiefgang: 3,99 m
  • Gross Tons: 2984 GT
  • Material: Stahl, Aluminium
  • Motor: 2 x MTU 20V 4000 M73L
  • Motorleistung: 2 x 3600 kW
  • Geschwindigkeit (max.): 19 kn
  • Geschwindigkeit (Reise): 16 kn
  • Reichweite: 8300 nm @ 12 kn
  • Stabilisatoren: Zero Speed
  • Glas: Tilse
  • Konstruktion: Oceanco, Azure
  • Exteriordesign: Sam Sorgiovanni
  • Interiordesign: Sam Sorgiovanni
  • Klassifikation: Lloyd’s + 100A1, SSC Yacht Mono, + G6 LMC UMS, ECO SCM, MCA LY2
  • Werft: Oceanco, 2017
Unkonventionell: Gäste wohnen auf dem Hauptdeck, Nanny, persönliche Eigner-Assistenten und Kapitän darüber. Die Crew hat ihren eigenen Lift | Abbildung: pcasanovaUnkonventionell: Gäste wohnen auf dem Hauptdeck, Nanny, persönliche Eigner-Assistenten und Kapitän darüber. Die Crew hat ihren eigenen Lift | Abbildung: pcasanova

Dieser Artikel erschien in der BOOTE Exclusiv-Ausgabe 04/2018 und wurde von der Redaktion im Juli 2023 überarbeitet.


Auch interessant:

Meistgelesen in der Rubrik Boote