Sören Gehlhaus
· 20.08.2024
Obwohl Wasserhosen zu dieser Jahreszeit im Mittelmeerraum nicht ungewöhnlich sind, könnte die hohe Oberflächentemperatur des Wassers zu der besonders starken Intensität des Mini-Tornados vor Sizilien beigetragen haben. Die “Bayesian” hatte ihre Anker eine halbe Seemeile von Porticello entfernt, einem kleinen Küstenort etwa zehn Seemeilen östlich von Palermo. Zum Zeitpunkt des Unglücks befanden sich insgesamt 22 Personen an Bord, darunter zwölf Gäste und zehn Crewmitglieder. Ein Todesopfer, der Koch, wurde von Feuerwehrtauchern im Wasser gefunden. Die Rettung von 15 Personen, darunter ein einjähriges Mädchen und deren Mutter, war auch dank der Hilfe von Kapitän Karsten Börner von der 42 Meter langen “Sir Robert Baden Powell”, die sich in der Nähe der Unglücksstelle befand, möglich.
Der Toppsegelschoner bietet für die Saison 2024 Sommertörns zwischen Albanien und Cannes an und ankerte in unmittelbarer Nähe von „Bayesian“. Börner beschreibt das Geschehen in einem Video-Interview mit der BBC. Nachdem sie eine Leuchtrakete sahen, machten er und der Erste Offizier sich auf den Weg und fanden kurz darauf eine Rettungsinsel mit 15 Person darin: vier Verletzte, drei davon schwer. Sie brachten sie an Bord und informierten die Küstenwache. Börner sagt in dem Video: „Ich denke, in Böen waren das zwölf Beaufort. Wir mussten den Motor starten, um die Ankerposition halten zu können. Als der Sturm vorbei war, bemerkten wir, dass das Schiff hinter uns verschwunden war.“
Am Dienstag nach der Sturmnacht tauchten die Feuerwehrtaucher laut Giornale di Sicilia ab 7.30 Uhr zum 49 Meter tiefe liegenden Havaristen ab. Zusätzlich vor Ort sind Höhlentaucher, die laut der Regionalzeitung am Abend bis in die Brücke vorgedrungen waren, aber aufgrund von Möbeln, die den Weg versperrten, nicht weiterkamen.
Als noch vermisst gelten der britische Tech-Milliardär und mutmaßliche „Bayesian“-Eigner Mike Lynch und seine 18-jährige Tochter. Unter den Vermissten sind auch der Vorsitzende der Bank Morgan Stanley International, Jonathan Bloomer und seine Frau, sowie der US-amerikanische Anwalt Chris Morvillo mit Frau. Der 59-jährige Lynch gründete 1996 die Softwarefirma Autonomy mit und verkaufte diese 2011 an Hewlett-Packard. Anfang Juni 2024 war Mike Lynch nach mehreren insgesamt 13 Jahre andauernden Verfahren von einem Gericht in San Francisco freigesprochen worden. Ihm und seinen Top-Managern war vorgeworfen worden, die Bücher vor der Übernahme geschönt zu haben. Bei der Zusammenkunft an Bord von „Bayesian“ soll es sich um eine Feier des Freispruchs gehandelt haben.
Ein großer Temperaturunterschied zwischen Wasseroberfläche und höherer Atmosphäre ist Voraussetzung für das Entstehen von Wasserhosen. Wird man von einem derartigen Mini-Tornado getroffen, können die Folgen erheblich sein, da in unmittelbarer Nähe Windgeschwindigkeiten in Orkanstärke möglich sind. Diese lokalen Starkwindereignisse suchen das Mittelmeer im Hochsommer immer wieder heim. Zu zwei Vorfällen im Mittelmeerraum sagte YACHT-Meteorologe Dr. Michael Sachweh bereits im Jahr 2018: „Beide Phänomene gehen auf die noch immer ungewöhnlich hohen Wassertemperaturen im Mittelmeer und die sehr aktiven Tiefdruckgebiete zurück, die dort zurzeit durchziehen.“ Die Oberflächentemperatur des Mittelmeers ist im zweiten Jahr in Folge so hoch wie nie zuvor. Forscher des Instituts für Meereswissenschaften (ICM) in Barcelona informierten Mitte August über einen täglichen Mittelwert von 28,9 Grad.
Die 56 Meter lange „Bayesian“ lief 2008 bei Perini Navi im toskanischen Viareggio vom Stapel und soll zum Zeitpunkt der Havarie 18.000 Liter Diesel im Bunker gehabt haben. Die Besonderheit der kuttergetakelten Slup war der Sechs-Salings-Mast mit einer Länge von 74 Metern. Daran trug die Ex-„Salute“ eine Segelfläche von knapp 3000 Quadratmetern, wobei sich alle Segel per Knopfdruck bewegten. Das modern gestaltete Interieur mit sechs Gästekabinen auf dem Unterdeck entwarf der französische Gestalter Rémi Tessier.