In der Hafeneinfahrt von Port d’Andratx schwoit „Calypso“ leicht vor sich hin und wirkt doch so grundsolide wie die Werft, aus der sie kommt. Zur Probefahrt geladen hat Mulder Shipyard aus dem niederländischen Zoeterwoude. Das Dienstboot sorgt für den Transfer vom Hafen in Mallorcas Westen. An Bord befinden sich Dirk Mulder, Werftchef in zweiter Generation und vom Typ anpackender Pedant, sein ähnlich hünenhafter Sohn Nick – der smarte Nachwuchs kümmert sich um Sales und Marketing –, und der britische Designer John Vickers, der sich seine Sporen bei Terence Disdale und Redman Whiteley Dixon verdiente und für Mulder schon das Interior der ersten ThirtySix gestaltete. Da auch Vickers über 1,80 Meter misst, stellt das sechs Meter lange RIB das adäquate Fortbewegungsmittel dar.
Wir boarden die 36 Meter lange “Calypso” über die Heckplattform und gelangen durch den Beachclub in die reich mit Teak verzierte Tendergarage. Der Williams-625-Dieseljettender rutscht wie ein Seehund auf die angeschrägte Slipanlage, lässt sich an den Haken nehmen und von der Winde auf die quer im acht Meter breiten Alurumpf liegende Parkposition ziehen. Nick Mulder deutet auf die Fläche vor zwei daneben liegenden Jetskis: „Hier haben wir Stauraum für Toys geschaffen, der auf ,Delta One‘ nicht existierte.“ Gemeint ist die 2017 gewasserte erste Baunummer, die der Eigner nicht der Öffentlichkeit präsentierte.
Weihnachten 2016 entschieden die Mulders, eine zweite ThirtySix auf Kiel zu legen, für sich selbst. „Hätten wir für die Yacht keinen Käufer gefunden, hätten wir sie verchartert und als schwimmenden Showroom genutzt“, berichtet Nick Mulder. Die Yachting-verrückte Familie machte nicht nur sich ein Geschenk. „Nick und Dirk ließen mich endlich das Strandbar-Interior umsetzen, das mir seit zehn Jahren vorschwebt. Man soll sich wie im ,Le Club 55‘ in Saint-Tropez fühlen, also in einer ungezwungenen Umgebung, in der alle gleich sind, seien sie noch so glamourös“, erzählt John Vickers auf dem Achterdeck, dem Treff- und Ausgangspunkt auf „Calypso“.
„Mein Vater und ich verbringen jede freie Minute auf Booten oder Yachten und wollen die Natur erleben. Deshalb besteht das Schanzkleid auf dem Achterdeck aus Glas. Darin wurde der Yachtname graviert, wobei nur die Buchstaben nachts leuchten!“, freut sich Nick Mulder. Es sind diese technischen Feinheiten, die das Familiengespann auszuhecken liebt. Genauso wie eine auf den Steven gerichtete Kamera auf dem Bug, die Dolphin Cam.
Vickers steht vor dem Salon und betont, dass dessen Natur am besten zum Ausdruck komme bei geöffneten Schiebetüren. Sie produzierte die werfteigene Edelstahlwerkstatt mit Tormax-Komponenten. Der Teppich besteht aus Seidenimitat – ein Zugeständnis an die Chartertauglichkeit und doch Ausdruck Vickers’scher Raffinesse: „Ich sah einmal dieses Strandfoto mit Rippeln, die überspültes Wasser in den Sand gemalt hat. Das ließ ich in CAD nachbauen und in den Teppich schneiden.“ Hölzerne Jalousien, die als Raumtrenner agieren, verstärken die lockere Strandatmosphäre. Nur die Marmorplatten der Couchtische wollen zunächst nicht ins Bild passen. Vickers klärt auf: „Von oben betrachtet sind das vom Meer angeschwemmte Steinchen.“
Die an Backbord gelegene Bar führt das lockere Flair fort, mit einer Front aus dünnen, sich diagonal überlappenden Eichenholzplanken, die wie geflochten wirken. „Das hat den Vibe von Bambusmatten, die in Beachbars als Decke und Sonnenschutz dienen. Und es absorbiert Geräusche.“ Eine weitere Vickers-Feinheit sind die Decken- und Wandlampen im Stil von Fackeln, wie man sie beim Übersetzen an einen verlassenen Strand mitnehmen würde. Die Fackelleuchten sehen vom Achterdeck alle gleich groß aus, sind es aber eben nicht, um genau diesen Effekt hervorzurufen.
Dass man sich auf einer Yacht befindet, dazu noch einer aus Holland, zeigen Lampeneinfassungen aus poliertem Edelstahl an. John Vickers kniet sich hin und richtet den Blick auf die Füße der Bar, die wie bei allen Sideboards scheinbar massive Querbalken bilden. „Calypso“ ist ein Verdränger in Leichtbauweise mit Möbeln aus furniertem Holz, Mulders Holzprofis mussten passende Furniere für die Enden suchen. Der hölzerne 2-D-Riss einer Segelyacht, der über dem Speisetisch prangt, basiert auf einer Konstruktionszeichnung von Dirk Mulders Vater und Werftgründer, ist also durchaus als selbstreferenziell zu werten.
Schon nach Besichtigung des ersten Wohnbereichs kommt der Eindruck auf, dass hier jemand eine versierte Werft im positiven Sinne herausfordert. Und Mulders Reaktion? Die Gewerke machen lassen und um Praktikabilität ergänzen. So tut sich hinter dem Rumpfgerippe einer Geheimtür gleich ein Stauraum auf. Während der Fahrt von Andratx nach Palma öffnen Nick und Dirk häufig wie aus dem Nichts eine Tür, klappen ein Paneel oder Bodenbrett auf und verkünden: „Stauraum kann man nicht genug haben.“
„All diese Details“, setzt Vickers an, „ich dachte nicht, dass Mulder sie umsetzen würde. Dirk tat das in der Vergangenheit längst nicht immer, diesmal aber bauten die Jungs wirklich alles, was ich zu Papier brachte. Meine Vorgaben hätte ich so nie an eine andere Werft geschickt. Es wäre untergegangen.“ Doch abgesehen davon, dass Vickers das Interior ursprünglich für Familie Mulder ausarbeitete, besteht eine spezielle Designer-Werft-Konstellation. Man kennt und schätzt sich seit der Arbeit an „Firefly“ vor fünf Jahren. „Der Eigner versuchte es mit vier oder fünf Designern. Ich ging von Redman Whiteley Dixon in die Selbstständigkeit und hatte ein glückliches Händchen“, sagt Vickers mit britischem Understatement. Sechs Yachten und viele Preise folgten.
Als Nick Mulder im August 2018 einen Käufer für „Calypso“ fand, waren alle Innenräume weitestgehend fertiggestellt. Dem neuen Eigner gefiel, was er sah. „Er tauschte nur die Stühle um den Speisetisch aus, da er sehr groß ist“, erzählt Nick Mulder, der den Deal noch so rechtzeitig einfädelte, dass sein Vater in der Metallwerkstatt für die Seitendecks individuelle Wasserabläufe aus Edelstahl in Auftrag geben konnte. Sie zieren die Walfluke, die im Yachtnamen am Heck das Y bildet. „Der Eigner gab bei einem Maler individuelle Bilder in Auftrag“, so Mulder weiter. Die Kunstwerke gehören zu den wenigen empfindlichen Gegenständen an Bord. Alle Stoffe, die innen auf Sofas oder an Wänden vorkommen, sind für Außenbereiche gemacht. „Alles ist sehr strapazierfähig, auf Leinen etwa haben wir bewusst verzichtet.“ Das ist gut für den Charterbetrieb und laut Vickers auch für das Raumgefühl, da Innen und Außen zu einer Zone verschmelzen.
„Wir haben eine Studie mit der Universität von Amsterdam über die Entwicklung des Chartermarkts durchgeführt und realisiert, dass viele Menschen Yachten so wie mein Vater und ich nutzen: in Shorts und barfuß, relaxt und nicht formal.“ Die Nachfrage ist von Beginn an groß, schon in der ersten Saison 2019 waren nur noch wenige Slots frei. Der Eigner will insgesamt zwanzig Tage an Bord verweilen. Wesentlichen Anteil am vorauseilenden kommerziellen Erfolg hat die zweite Masterkabine.
„Wow!“ Das hätten alle beim ersten Anblick der VIP gesagt, versichern Dirk Mulder und Kapitän Ian Jinks unabhängig voneinander. Der Besucher versucht das wieder zu vergessen und neutral zu bleiben. Doch als sich die Tür zum achterlichen Unterdeck öffnet, stößt auch er die ehrlichste aller spontanen Begeisterungsbekundungen aus: „Wow!“ Weil man hier unten nicht damit rechnet; weil zunächst ein Sichtschutz vor dem Bett die Kabinengröße verschleiert; weil hier kurz über der Wasseroberfläche die See zum Greifen nah scheint.
Im Wechsel vom Fünf- auf ein Vier-Kabinen-Layout grenzt sich die zweite ThirtySix am stärksten von der ersten ab. Das erscheint konträr zur allgemeinen Chartermaxime, so viele Gäste wie möglich an Bord unterzubringen. Aber: „Die VIP ist genauso groß wie die Kabine des Eigners. Er ruft bei Freunden nicht das Gefühl hervor, er würde sie abstellen“, erklärt Dirk Mulder und weist darauf hin, wie über die Pullman-Betten der beiden Gästekabinen dennoch bis zu zehn Gäste auf „Calypso“ schlafen können.
Obwohl von der Größe gleichwertig, bezeichnet Mulder die VIP auf dem vorderen Hauptdeck als Eignersuite. Das liegt an der prominenten Lage, der mit 2,20 Meter zehn Zentimeter höheren Decke und den Oberlichtern. Sie sind ein Gemeinschaftsprojekt von John Vickers, der die Idee hatte und sie mit Exteriordesigner Claydon Reeves entwickelte. Dirk Mulder integrierte eine 3,30 Meter breite Fensterfläche in die Aufbauten, direkt über dem Bett. Sonnenstrahlen rücken auch die konkav gearbeiteten Wände jeweils neben dem Kopfende ins rechte Licht. „Hier habe ich einen Akzent gesetzt, da eine gerade Wand zu hart gewirkt und das Bett in den Hintergrund gerückt hätte“, dechiffriert John Vickers.
Darüber hinaus kombiniert Vickers das Eichenholz, das für entspanntes Strandgefühl steht, wie im Salon mit soliden Edelstahldetails: Nach oben und unten läuft eine polierte Metallzierleiste über die Wandlampe hinweg und durchbricht die Eichenfläche. Auch das Bad zeugt von legerer Pracht. Hier trifft Eiche auf Marmor, in der Dusche dient eine Baumscheibe als Sitz. Danach könnte es im Bademantel über eine Zimmertür, eine Schotttür und Teakstufen durch den Notausstieg auf das Vordeck zum allgemeinen Lieblingsplatz gehen, einer Sitzbank mit bestem Ausblick, ganz ohne Ankergeschirr zu den Füßen. Das lagert eine Ebene tiefer.
Ein Faktor für lang anhaltenden Chartererfolg sind Kapitän und Crew, das weiß keiner besser als Ian Jinks. Der Brite fuhr zuvor auf 50-Rossinavi-Metern, brachte zwei seiner Crewmitglieder mit und stockte um weitere drei auf. Das neue Kommando ist für den Kapitän – er ist Ausbilder für Sportbootführerscheinprüfer und besitzt ein 3000-Tonnen-Patent – alles andere als ein Abstieg. Jinks steht auf der Flybridge und gibt begeistert Auskunft über die momentanen Leistungswerte: „Jetzt laufen wir 14 Knoten und verbrauchen 240 Liter die Stunde. Die Effizienz bei zehn Knoten ist unglaublich, der Verbrauch beträgt dann nur siebzig Liter die Stunde, für beide Motoren. So hat der Eigner auf der Überführung von Holland nach Gibraltar verglichen mit zwölf Knoten Marschfahrt 15.000 Liter Treibstoff eingespart. Wir hätten es sogar mit einer Tankfüllung geschafft.“
Dirk Mulder schaltet sich ein: „Da lohnt es sich, lange Überführungen auf eigenem Kiel und nicht per Yachttransport zurückzulegen. Ich halte jeden für verrückt, der behauptet, dass die Cruising-Geschwindigkeit bei 20 oder mehr Knoten liegen sollte. Du verbrennst dreimal mehr Diesel und gewinnst nicht sonderlich viel Zeit.“ Immerhin 16,8 Knoten wären mit den beiden je 847 Kilowatt starken Caterpillar-Aggregaten möglich.
Mit Werftchef Mulder geht es ein halbes Deck tiefer auf die Brücke. „Hier können sich zwölf Personen aufhalten“, sagt er und zeigt auf die beiden leicht erhöht angeordneten Sofaecken. „Auch die Crew nutzt diesen Bereich als Lounge, aber es finden sich die gleichen Materialien wie in der Eignerkabine wieder.“
Dirk Mulder ist ständig in Bewegung und füttert seine berüchtigte Liste, die er auf dem Smartphone führt. „Er macht das auch im Urlaub und egal auf welchen Booten“, lacht Nick Mulder. „Die Projektmanager schlagen an seinem ersten Arbeitstag immer die Hände über ihren Köpfen zusammen.“ Dabei habe der Vater stets „die Vereinfachung des Bordlebens“ zum Ziel und verzeichnet in der digitalen Kladde nicht unbedingt Mängel – davon gibt es in der Tat kaum welche auf „Calypso“ –, sondern notiert Verbesserungsvorschläge. Die fließen in Baunummer drei der ThirtySix ein.
Dieser Artikel erschien in der BOOTE Exclusiv-Ausgabe 05/2019 und wurde von der Redaktion im September 2023 überarbeitet.