Custom Line Navetta 38Kleines Raumwunder der Extraklasse

Uske Berndt

 · 25.07.2024

Auf große Fahrt geht es mit zwei MAN-Motoren, die Reichweite liegt bei 2800 Seemeilen.
Foto: Custom Line
Mit der Custom Line Navetta 38 schiebt sich der Inbegriff der zeitlosen Klassik auf die maritime Bühne. Hinzu kommt ein wahrhaft generöses Raumgefühl. Während Filippo Salvetti die Außenlinien stylte, verpassten die ACPV Architects den knapp 39 Metern ein elegantes Interieur, das Nachahmer finden wird.

Das sind doch mindestens 50 Meter? Schon vor dem ersten Besuch auf der Custom Line Navetta 38 erscheint Ferrettis Neuzugang viel größer als die von der Werft angegebenen knapp 39 Meter. Vor allem die Außenflächen ziehen sich optisch stärker in die Breite als die tatsächlichen acht Meter vermuten lassen. Ein Blick in die Datenblätter liefert die Zahlen schwarz auf weiß und beweist, dass die Baunummer eins des neuen Modells, das die Navetta 37 ablöst, tatsächlich viel Platz für die Gäste bietet. Nimmt man auch die umbauten Areale mit dazu, kommen die drei Decks auf stolze 465 Quadratmeter Wohn- und Nutzfläche. Ein Raumwunder, dem die Ferretti-Konstrukteure zusammen mit den hauseigenen Produktstrategen um Piero Ferrari 299 Gross Tons zubilligten und für das die Marke eine Art Motto ausgegeben hat: „Optimale Kontrolle des Volumens, funktionale Nutzung der gesamten Fläche“.

Es lohnt sich auf jeden Fall, vor der Besichtigung der Terrassen, Salons und Suiten für zwölf Gäste noch einmal zurückzutreten und vom Steg aus die gerade gezogenen Außenlinien zu bewundern. Filippo Salvetti, ein guter Bekannter bei Ferretti, hat sichtbar seine Handschrift hinterlassen. „Ein klares, zeitloses Design“, wie er sagt, „mit drei horizontalen Hauptlinien.“ Ganz offensichtlich wollte er alles „so fließend wie möglich“ haben. Ein Leitmotiv der Gestaltung ist das Dreieck, das als Bügel das Hardtop stützt und sich dann eher trapezförmig bei den gläsernen Fashionplates an den Seiten sowie den Öffnungen der Schanzkleider wiederholt. In ebendiese wurden die Handläufe elegant integriert. Das Hardtop und der Geräteträger sind schwarz abgesetzt, „wie bei der Custom Line 50“, fügt Salvetti hinzu.

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Die erste Navetta 38 bekommt der Ferretti-Boss

Die Marke hat sich gut auf die immer wieder neuen Kundenwünsche eingestellt und steht solide da. „300 Custom Line-Yachten in fast 30 Jahren“, verkündete der kaufmännische Leiter der Ferretti-Gruppe, Stefano de Vivo, im Zusammenhang mit der Vorstellung der Navetta 38. Auch von dieser seien schon sechs verkauft. So einen Schnitt gilt es zu halten, da kommt interne Produktwerbung gerade recht. Denn ganz offiziell ist die erste 38 Chefsache: Ferretti-Gruppen-Boss Alberto Galassi ließ sich mit ihr einen würdigen Ersatz für seine Navetta 33 bauen. Kein Wunder also, dass er auch für das Interieur großen Wert auf renommiertes italienisches Design legte, von einem Studio, das viel frischen Wind in die Marke bringen soll. Für Antonio Citterio und Patricia Viel (ACPV) war die 38 allerdings nicht die erste Navetta, die beiden statteten auch schon die 30er aus. „Es gibt familiäre Ähnlichkeiten“, erklärt Patricia Viel, „die 30 war aber eher sportlich, blau und glänzend, mit vielen maritimen Details.“

Für die 38 wählte das Designduo eine andere, elegantere Sprache mit neutralen Farbtönen und viel Wärme mit weitgehend naturbelassenen Hölzern wie Eiche oder Teak, Leder sowie grob gewebte Möbelstoffe. Dazu bilden Wandverkleidungen in 3-D-Optik eine passende Kulisse, etwa aus Raffia – ein Naturbast von den Blattoberflächen der Raphiapalme. Die elfenbeinfarbenen Strukturtapeten stammen aus dem Hause Phillip Jeffries. Durch alle Etagen weht eine auffällige Vorliebe für naturfarbenes, hellbraunes Leder, das gerne großflächig zum Einsatz kommt – zum Beispiel am Kopfteil des Bettes in der Eignersuite. In der Lobby, im Treppenaufgang sowie im Flur vor den vier Gästesuiten auf dem Unterdeck zieht sich das Naturmaterial über die gesamte Wandfläche vom Boden bis zur Decke. Selbst die Handläufe wurden akkurat mit Leder umwickelt, das so dekorative Falten wirft und gleichzeitig jeden Handgriff angenehm und sicher macht.

Antonio Citterio entwarf die Möbel für B&B Italia Maxalto

Der edle Naturlook findet sich auch in den Gästebädern wieder. Während in der Mastersuite Pietra d‘Orcia zum Einsatz kam, entschieden sich die Designer auf der unteren Etage für Crema d‘Orcia. Dazu passen die Raumdecken aus gebürsteter Eiche, deren Rillen ein feines, regelmäßiges Streifenmuster erzeugen. Das sieht toll aus, „und hat auch akustische Vorteile“, wie Patricia Viel bekräftigt. Dass sich diese Decken, die von dünnen, schwarzen Linien in große Rechtecke unterteilt werden, fast nahtlos weiter über die Außenterrassen ziehen, betont ein weiteres derzeit überall beliebtes Motto: die Verschmelzung von Innen- und Außenräumen. Die Basis dafür sind natürlich die riesigen Fensterflächen der Salons, die sich weitgehend als Schiebetüren entpuppen.

Noch ein gestalterisches Element verbindet die Salons und Suiten, nämlich an den oberen Ecken abgerundete Holztürrahmen, in denen Spiegel- oder Glaselemente hin- und hergleiten, um Bäder, Galley oder Flure abzutrennen. Dann wären da noch die vielen frei stehenden Möbel, die maximale Flexibilität garantieren oder wie Patricia Viel es ausdrückt „verschiedene Layouts ermöglichen“. Ein Großteil der Stücke stammt aus Antonio Citterios Kollektion für B&B Italia Maxalto, etwa das Sofa im 42 Quadratmeter großen Hauptsalon oder der Speiseplatz mit zwölf Sitzmöglichkeiten. Auch der runde Lederpouf ist sein Werk – ein Möbelstück, das allein dadurch diverse Optionen bietet, dass man es auch als Kaffeetisch nutzen kann. Andere Möbel haben die Designer extra für die Navetta 38 kreiert und anfertigen lassen, etwa die deckenhohen Einbauschränke mit Spiegeltüren, die im Salon mittig und achtern positioniert wurden und in denen die Crew Geschirr und Gläser aufbewahrt.

Allein das Sonnendeck misst 75 Quadratmeter

Eigenkreationen sind auch die filigranen Sofamodule und Sessel auf dem Sonnendeck oder dem achterlichen Cockpit, das dank einer gläsernen Balustrade auch optisch den Beachclub um eine veritable, etwas höher liegende Lounge erweitert. Bei der Gestaltung der Skylounge auf dem Oberdeck ließen sich die Interieur-Spezialisten am deutlichsten von dem Innen-ist-außen-Motto leiten. „Der Raum wirkt wie ein Wintergarten“, sagt Viel und meint damit nicht nur die bodentiefen Fensterflächen. „Wir haben bewusst Teak als Bodenbelag gewählt.“ Damit geht der Raum bei offener Schiebetür ohne optische Brüche direkt auf die imposante Heckterrasse über, wo neben einem langen Sofa noch ein schattiger Speiseplatz für zehn Personen bereitsteht.

Ebenso nahtlos schlüpfen die Gäste auf die beiden Seitendecks und gelangen von dort, vorbei an der Kapitänssuite und dem Ruderhaus, auf die sogenannte Sunset-Lounge, die sich auch tagsüber sonnenhungrigen Gästen zum Relaxen in privatem Ambiente anbietet. Dass hier in der Bugspitze unter einer Klappe ein knapp 2,85 Meter langer Williams-Tender oder alternativ diverse Wasserspielzeuge verstaut sind, stört niemanden. Auf dieser Terrasse – sowie ganz oben auf dem Sonnendeck – konnten sich die Designer in Sachen Möblierung noch einmal kräftig austoben. „Das Sundeck ist 75 Quadratmeter groß“, verrät Patricia Viel beeindruckt. Oder anders ausgedrückt: Vom Jacuzzi am Heck über die Lounge mit Bar und Grill bis hin zu den vorderen Liegen durften sie und ihr Geschäftspartner eine 15 Meter lange Fläche in einzelne Zonen unterteilen und passend bestücken.

Im Ruderhaus der Custom Line stehen sieben Bildschirme

Bei allem Fokus auf das Interieurdesign legte Custom Line Wert auf einen soliden und möglichst sauberen Antrieb des Verdrängers, schließlich möchte die Ferretti-Gruppe ihre Vision von einem nachhaltigen Umgang mit Ressourcen weiter vorantreiben. Die Navetta 38 fährt mit zwei MAN-Paketen bis zu 15 Knoten schnell und ist vorbereitet für die Nutzung der SCR-Technologie (Selective Catalytic Reduction). Die Katalysatoren können 70 Prozent der Stickstoffe aus den Abgasen herausfiltern, was dann den IMO3-Regeln entspräche. Auf Reisen – die 38 liefert bei zehn Knoten Fahrt eine Reichweite von 2800 Seemeilen – bleibt es an Bord dank Stabilisatoren von Naiad und Seakeeper auch bei stürmischen Überfahrten oder in welligen Ankerbuchten angenehm ruhig.

Für die Unterhaltung sorgt modernste Audio-Video-Technik, die die Gäste über iPads bedienen und dessen Endgeräte sich in den Räumen optisch mehr oder weniger dezent zurückhalten. So versteckt sich im großen Salon der TV-Bildschirm in der Deckenverkleidung und klappt erst herunter, wenn er benötigt wird. Die Bang & Olufsen-Lautsprecher wiederum greifen mit ihrer gerippten Holzverkleidung das Design der Decken auf.

Im Ruderhaus darf sich die Steuerungstechnik von Team Italia gerne in den Vordergrund drängen. Alle wichtigen Daten laufen auf einem zentralen 44-Zoll-Bildschirm zusammen, flankiert von jeweils zwei aufrecht stehenden 27-Zoll-Monitoren sowie zwei eingebetteten Touchscreens mit 24 Zoll. Zusätzlich bedient die Crew um den Kapitän zwei sogenannte Multi-Keyboards mit Trackball und 7-Zoll-Anzeige, was die Gesamtanzahl der Bildschirme auf sieben erhöht. Das große Steuerrad wirkt hier fast ein wenig aus der Zeit gefallen und passt dennoch hervorragend in den ruhig und geradlinig gestalteten Raum. So wie sich auf der Custom Line Navetta 38 am Ende alles zusammenfügt – bis ins kleinste Detail.


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