Ein gutes Gedächtnis erinnert sich beim ersten Anblick der „Cyclone“ sofort an „Izanami“ (heute „Ronin“). Lürssen entließ aus seinen Hallen 1993 ein 59 Meter langes Design aus dem Architekturbüro von Norman Foster. Ein Japaner hatte ein Fahrzeug geordert, das die Designer auf einen militärischen Schnellbootrumpf für 30 Knoten plus setzten und grau lackiert wie eine Marineeinheit aussehen ließen. Zu vermuten ist, dass der Istanbuler Designer Riza Tansu diesen ungewöhnlichen Eyecatcher damals wahrnahm.
Ob er sich bei seinen um Jahre jüngeren Entwürfen an der Lürssen-Ikone orientierte oder nicht, Tansu hat jedenfalls seinen Stil gefunden. Der Marinetouch gehört zur DNA seiner Designkarriere. Die startete Tansu mit dem 23,60 Meter langen „Troy Explorer“ im Jahre 1998. Unter anderem lieferte er 2002 mit „Esma Sultan“ einen elf Meter langen Bosporus-Shuttle, orientierte sich bei Yachten an Schleppern, Trawlern und Commutern, erfand seine Tigershark Class („Obo“, 35 Meter), die kleinere Typhoon Class („Zero Two“, 24 Meter) und bot mit „Sexy Fish“ 2016 ein 39 Meter messendes Exemplar der Tigershark, das „Cyclone“ deutlich vorwegnimmt. Auch „Highlight“ (38 Meter, 2017) und „Esosh“ (39 Meter, 2017) sehen aus wie elegante Patrouillenboote.
Die knapp 44 Meter lange „Cyclone“, Tansus Flaggschiff, folgt ihnen unverkennbar: grausilberne DuPont-Lackierung, klare Kanten mit Stealth-Charakter, im Ergebnis ein reduziert-schnörkelloses Styling, das nach außen kompromisslos Zweckmäßigkeit demonstriert.
Auch Vergleiche mit Minenräumern sind erlaubt. Denn, wichtig zu wissen: Tansu baut Rumpf und Aufbauten aus Holz. Als Konstruktion gibt er an: Tansu Engineered Wood Composite. Bereits in der Wahl dieses klassischen Materials für den Bootsbau liegt Bescheidenheit. Die zweckmäßige Kunst des Weglassens, die architektonische Klarheit, gehört darum ebenfalls zu den Prinzipien des Tansu-Designs. „Cyclone“ weist als Folge dieser Maxime ein um 100 Gross Tons geringeres Volumen auf als Konstruktionen vergleichbarer Größe. „Alles so, wie es sein soll – nicht zu viel und nicht zu wenig“, erklärt der Werftchef.
Dazu gehört auch der Verzicht auf technische Herausforderungen und Finessen. Im Vordergrund stehen Funktionalität und einfache Bedienbarkeit. Tansu zieht auch darum eine konventionelle Wellenanlage den technisch aufwendigeren Pods vor. Zwei C32-Aggregate beschleunigen „Cyclone“ auf 20 Knoten in der Spitze. Bluetooth-Lautsprecher von Bang & Olufsen machen ein komplexes Entertainment-Netzwerk überflüssig. Knopfdrucktechnik mit Fernbedienung und 007-Effekten lehnt Riza Tansu dankend ab. Was tun, wenn der Lift in der Karibik ausfällt? Eine Tansu-Yacht wird dieses Problem nie erleben.
Ähnlich konsequent verfährt die Werft mit dem Interiormaterial: Marinesperrholz, lackiert, statt Edelhölzer. Auch darum kann Tansu eine Yacht wie „Cyclone“ für 37 000 Euro pro Gross Ton anbieten. Das Geld steckt er lieber in die erste Qualität der technischen Ausrüstung in Sachen Sicherheit auf See.
Das Styling reduzierte Tansu wieder auf horizontale, vertikale und diagonale Linien. Die große Ausnahme bei „Cyclone“ besteht im schwungvollen Knick zwischen Schanzkleid und Rumpf. Er zieht sich vom oberen Ende des Vorderstevens über das Hauptdeck bis zum Heck.
Die äußere Nüchternheit der „Cyclone“ durchbricht Tansu beim Interior mit Fußböden aus Eichenholz, denen er eine Vintage-Optik verleiht. Den Speisetisch im vorderen Backbordbereich des Salons ließ er aus drei massiven Holzbohlen mit Waldkante fertigen. Eine Bücherwand verbreitet heimelige Atmosphäre mit dem frisch-fröhlichen Charakter eines Strandhauses. Im Salon liefern zurückhaltende Leuchten des amerikanisch-japanischen Bildhauers und Designers Isamu Noguchi künstliches Licht.
Das Layout der Decks weicht in einigen Punkten deutlich vom Standard dieses Längenformats ab. Eine Eignersuite auf eigenem Oberdeck gehört eher zu den Selbstverständlichkeiten ab 70 Metern. Die fünfköpfige Crew schläft nicht vorn auf dem Unterdeck, sondern zwischen Gästen und Motorenraum. Im Bug, wo fast ohne Ausnahme die Crew übernachtet, richtete Tansu eine VIP- und zwei Gästekabinen ein. Der Kapitän peilt den Standort vor dem Salon auf dem Hauptdeck. Für Tender hat die Lazarette keinen Platz. Motoren und Wellenanlagen beanspruchen den Raum. Die Crew staut zwei Boote achtern auf dem Hauptdeck.
Riza Tansus Werdegang zum Yachtdesigner verlief über Umwege. Er begann als Möbeldesigner und eröffnete ein sehr erfolgreiches Restaurant mit Bar in Istanbul. „Dann wollte ich etwas vollkommen anderes machen.“ Das war vor zwanzig Jahren und zwei Dutzend Neubauten auf eigener Werft. „Ich wollte ein Boot bauen und sehen, ob mir das gelingt.“
Als ob ein solcher Entschluss nicht bereits spannend genug gewesen wäre, wartete Tansu nicht auf Kunden. Er legte einfach los, um den Neubau dann anzubieten. Bis heute baut er alle Projekte on spec, ohne Auftrag, in der Hoffnung, einen Eigner zu finden. Man darf ihm eine Spielernatur unterstellen.
„Zum Nervenkitzel gehört, dass ich alle finanziellen Kapazitäten in das nächste Projekt stecke.“ Mit dem erfolgreichen Verkauf des einen Projekts finanziert Tansu sofort das nächste. Er geht als Einzelkämpfer ins Risiko. So hält Riza Tansu alle Fäden in der Hand – bis auf die Architektur. Die technisch-konstruktive Seite seiner Projekte überlässt er den Spezialisten von Diana Yacht Design. Vier Tansu-Yachten wachsen derzeit heran, „CV114“ (35 Meter), „Alea“ (38 Meter), „Manta“ (39 Meter) und als neues Flaggschiff „Orca“ (44 Meter).
„Cyclone“ ging bereits 2017 zu Wasser. Nach Herbsttouren im Bosporus unternahm Riza Tansu mit ihr eine Dezemberreise ins Mittelmeer, bei stürmischen Winden und Seen von bis zu drei Metern Höhe. Ein tiefer Schwerpunkt und effiziente Stabilisatoren ermöglichten recht bequeme Fahrten. Im Juli 2018 fand „Cyclone“ ihren neuen Eigner.
Dieser Artikel erschien in der BOOTE Exclusiv-Ausgabe 06/2018 und wurde von der Redaktion im September 2023 überarbeitet.