Falls die Geschenke an Bord waren, kamen sie rechtzeitig an. Kurz vor Weihnachten, am 11. Dezember 2018, legte „El Leon“ auf den Kapverden ab, am 17. Dezember erreichte die Yacht Barbados. Für die rund 2000 Seemeilen benötigte sie 144 Stunden, fuhr also einen durchschnittlichen Speed von 14 Knoten. Das sind jetzt keine so ungewöhnlichen Werte, wenn „El Leon“ nicht eine Mangusta wäre und damit eines der ersten Fabrikate der Marke, das jemals auf eigenem Kiel über den Atlantik fuhr.
Mangusta – den Begriff erklärt der einigermaßen informierte Yacht-Aficionado vermutlich wie folgt: schnittige Linien, starke Motoren, Oberflächenantriebe mit Roostertail, eher ein Spielzeug für adrenalingetriebene Kerle denn eine komfortable Familienyacht. Mangustas beziehungsweise deren Eigner liegen mit ihren dreißig, vierzig oder gar fünfzig Meter langen Poweryachten gern in St. Tropez, Ibiza oder Miami. Ein schneller Trip auf die Bahamas oder nach Formentera gehören zum üblichen Lifestyle.
Reicht dieses Portfolio aber, um stetig neue Eigner zu begeistern, fragte sich zu Recht vor einigen Jahren das Management der Overmarine-Werft aus Viareggio, die seit Jahrzehnten Mangustas baut. Schließlich zog damals in der Superyachtbranche der Green-Glamour-Trend so langsam auf, fragten Eigner verstärkt nach optimierten Antrieben oder entfernten Zielen, die mit einer dieselhungrigen Mangusta nicht zu erreichen sein würden.
Es bestand Handlungsbedarf. Und so entwickelte Overmarine zusammen mit dem talentierten Yachtdesigner Alberto Mancini die Oceano-Linie: Dreidecker aus Stahl und Aluminium mit erkennbarer Design-DNA der Open-Serie – gebaut in einer extra akquirierten Werft in Pisa und vom Markt exzellent aufgenommen. 43 und 46 Meter lange Oceano-Verdränger sind mit ihren Eignern bereits unterwegs. Viele weitere werden, so die Prognose der Sales-Abteilung von Overmarine, noch folgen. Und mit dem Erfolg dieser zweiten Linie im Rücken fiel es dann relativ leicht, eine dritte Mangusta-Linie zu entwickeln, sozusagen eine Mischung aus den beiden bereits bestehenden.
Damit sind wir zurück bei „El Leon“, der ersten Mangusta GranSport 54. Die Zahl steht für die Länge in Metern und macht die GranSport damit zur bislang größten Mangusta. Das Exterior erinnert mehr als bei den Oceano-Modellen an eine übliche Mangusta-Open, nur dass die GranSport 54 ein Raised Pilothouse besitzt und noch etwas „muskulöser“ wirkt als ihre Markenschwestern. Anders als bei einer Open wurde die Brücke um einige Stufen nach oben verlegt, um auf dem Hauptdeck Platz für die Eignerkabine zu schaffen. „Mit der GranSport 54“, sagt Overmarines Sales-Director Francesco Frediani, „wollten wir eine Maxi-Open mit großer Reichweite schaffen. Eine Fast-Displacement-Yacht, die eine neue, jüngere Zielgruppe anspricht.“
Einen bestehenden Rumpf gab es für dieses ehrgeizige Vorhaben nicht, und so engagierte Overmarine das renommierte Konstruktionsbüro von Pierluigi Ausonio, um die Wunschwerte von 30 Knoten Topspeed und 15 Knoten Reisegeschwindigkeit mit Transatlantik-Reichweite zu erreichen. Ausonio, erfahren mit schnellen Marineschiffen, zeichnete der GranSport einen Rumpf, der, wie er sagt, nicht gleitet, sondern sich bis zu einem gewissen Grad aus dem Wasser liftet und durch die Oberfläche prescht. Im Heck verordnete Ausonio der Yacht eine runde Bilge, um die vier Antriebsstränge unterzubringen und die Anströmung der Propeller zu optimieren. Wie in Mangustas größter Open, der 165S, stehen im Maschinenraum der GranSport 54 vier MTU-Diesel vom Typ 16V 2000 M96L, von denen jeder 1965 Kilowatt mobilisiert. „Erst als dieses Paket realisierbar war, haben wir uns mit den weiteren Features beschäftigt. Die Grundlage musste zunächst stimmen“, erklärt Francesco Frediani den Entstehungsprozess der Yacht.
Mit an Bord kam dann erneut Alberto Mancini, der seit einigen Jahren im Yachtsegment bis 50 Meter immer stärker von sich reden macht und fleißig Referenzen und Auszeichnungen sammelt. Wichtige Vorgaben der Werft waren unter anderem ein Beachclub, eine große Flybridge, exorbitante Glasflächen und ein Pool im Bugbereich – diese Elemente hatten bei fast allen Oceano-Interessenten und -käufern für Begeisterung gesorgt. Während Mancini zunächst mit einem 45-Meter-Design startete, wurde schnell klar, dass die Yacht andere Proportionen benötigte. Die Werft gab den Startschuss, sodass Mancini um neun Meter erweiterte und dabei wahrscheinlich das Idealmaß traf. „Ich hatte“, so sagt der junge Italiener, „immer ein Schwert als Inspiration im Kopf. Zudem wollte ich die Mangusta-DNA in eine Raised-Pilothouse-Yacht integrieren.“ Wer schon einige Mangustas gesehen und gefahren hat, kann Mancini ein sehr talentiertes Händchen bescheinigen.
Dass eine solche Yacht in puncto Volumen nicht mit Verdrängern mithalten kann, ist selbstverständlich. Umso überraschender ist der Effekt indes, wenn man den Salon von „El Leon“ betritt. Die Decken sind hier 2,60 Meter hoch, was für eine Yacht dieser Größenordnung und Art einen exzellenten Wert darstellt. „Ich habe versucht, die Ingenieure zu pushen, da eine solche Höhe immer ein schönes Raumgefühl vermittelt“, so Mancini. Den Loftcharakter unterstützen dabei noch die bodentiefen Fenster; quer verlegte Bodendielen lassen den Raum zudem breiter erscheinen, als er tatsächlich ist, und so wurde aus dem kombinierten Wohn-Ess-Bereich das lichtdurchflutete und großzügige Zentrum von „El Leon“. Weiße Vorhänge können den Lichteinfall filtern und sorgen so dafür, dass das riesige, rund sechs Quadratmeter große Gemälde am Speiseplatz für zehn noch besser zur Geltung kommt.
Licht spielt auch in der Mastersuite, die dem Salon vorausliegt, eine wichtige Rolle. Wie bereits auf den Oceano-Modellen von Mangusta beleuchtet der Glasboden des darüberliegenden Pools die Suite. Der Eigner, der relativ stark in die Gestaltung der Yacht involviert war, hat sich mit seiner Kabine möglicherweise den idealen Rückzugsort geschaffen. Sie besitzt nicht nur eine veritable Größe über die volle Rumpfbreite, sondern auch ein abschließbares Office, einen kleinen Esstisch für zwei, einen zweiten Schmink- oder auch Schreibtisch im Schlafgemach, einen Relaxsessel samt Beistelltisch und einen Balkon an Steuerbord, der sich zum Frühstücken oder für den Sundowner eignet. Auf dem Boden verlaufen die braunen Dielen mit hellen Fugen ebenfalls quer, für die Wände wählten Mancini und der Eigner Materialien von Rubelli und Hermès. Bis auf einige Sofas sind an Bord übrigens fast alle Möbelstücke – die meisten aus Nuss- oder Makassar-Holz – custom-made.
Solch ein individueller Anspruch passt natürlich zu einer Yacht wie „El Leon“, die auch auf den Außendecks einiges zu bieten hat. Da ist zum einen der Pool im Bugbereich mit herumdrapierter Lounge, unter der der Tender lagert; zum anderen gibt es den rund 70 Quadratmeter großen Beachclub, der sich im Heck öffnet, und das 100-Quadratmeter-Sundeck mit einem ausgedehnten, schützenden Hardtop samt Skylight und einer Vielzahl von Möglichkeiten zum Socializing.
Ihre Gäste nimmt „El Leon“ übrigens auf dem Unterdeck mit, auf dem es werftseitig mehrere Optionen gibt; während eine private Yacht wie „El Leon“ mit dem Vier-Kabinen-Layout bestens ausgestattet ist, können Eigner, die verchartern möchten, auch fünf Kabinen bekommen. Das erhöht die Nachfrage noch einmal, zudem lassen sich höhere Wochenpreise generieren. Auch ein Gym, ein Kino und zwei VIP-Kabinen sind möglich. „Es ist nur wichtig, dass der Eigner möglichst früh in den Bauprozess einsteigt“, sagt Francesco Frediani. Der Spec-Bau der zweiten Mangusta GranSport 54 hat nämlich bereits begonnen.
Dieser Artikel erschien in der BOOTE Exclusiv-Ausgabe 04/2019 und wurde von der Redaktion im Juli 2023 überarbeitet.