Es ist kalt. Nein, nicht Klimaanlagen-kühl. Selbst nicht, wenn man die US-Standards sommerlicher Raumtemperierung zugrunde legt. Es ist auch kein Kühlraum, jedenfalls nicht für Lebensmittel. Hier stehen Lithium-Ionen-Batterien, in Regalen je fünf Reihen à fünf Stacks. Daraus ergibt sich eine Kapazität von 550 Kilowattstunden und die Option für vollelektrisches Fahren, wie Bogdan Gusarev zum Beginn der Begehung berichtet. Die Akkus von Corvus sind verkabelt und werden ständig überwacht. Das hybride Antriebssystem ist der Grund, warum sich die Ablieferung des Bering-Flaggschiffs verzögerte. Mit der ersten 145 stemmte man eine weitere Herausforderung: die größte Yacht der Werftgeschichte. Es ging von 80 auf 145 Fuß.
An der Pier von Antalyas Freihandelszone – sie wird von allen dortigen Werften genutzt – sind ebenfalls ein 55- und 58-Meter-Format zweier großer Werften vertäut. „Heeus“ mag zwar nur 44,20 Meter von Steven-Spitze bis zur Heckplattform messen, fällt mit der Breite von 9,70 Meter dennoch auf. Damit ist sie die Prima eines Längen-Segments, in dem sich die Decks von Halbgleitern typischerweise über etwas mehr als acht Meter spannen; als breit angesehene Verdränger kommen auf knapp über neun Meter. Trotz ausladenden Rumpfkörpers aus Stahl ergibt sich ein Volumen von unter 499 Gross Tons. Wobei man diese magische Kubatur-Marke mithilfe der üblichen Tricks erreichte: hier ein luftiges Sonnendeck, da ein Beachclub, der über Lamellen im Rumpf zu einem Außenbereich wird.
Mit dem hochgezogenen Bug, dem Eisring entlang der Wasserlinie, der mausgrauen Lackierung und den Tendern achtern auf dem Oberdeck schreit alles nach Explorer, und doch markiert „Heeus“ für Bering auch eine Wende, was die äußere Gestaltung angeht. Die Linien sind wesentlich flacher und feiner als die der Kompakt-Explorer und stammen doch wieder vom australischen Designer Scott Blee, der mit Sabdes Superyacht Design Büros in Melbourne und Hobart unterhält. Blee mag physisch maximal weit von den Superyacht-Hotspots dieses Planeten entfernt sein, aber irgendwie passt ein gestalterischer Außenposten in Tasmanien zu dieser Werft mit bemerkenswerter Historie und ihrem russisch-amerikanischen Gründer (Werftreport ab Seite 150).
Ein weiterer Meilenstein für Bering ist die Güte und Vielfalt des selbst ausgeführten Innenausbaus. Bogdan Gusarev, der von Düsseldorf aus Bering in Europa vertritt, bittet in den Salon: „Hier haben wir eine Deckenhöhe von 2,35 Meter. Genauso viel wie auf der Bering 80.“ Vor dem Speisetisch steht eine Einheit aus vier Weinkühlschränken, dahinter wird eine Luke im Boden deutlich sichtbar. So ganz vermag man die praktischen Details nicht zu verstecken. Alles andere würde Bering auch nicht stehen, hohes Stauvolumen ist schließlich ein elementarer Baustein der für Explorer wichtigen Autarkie.
Die Speisestühle aus eigener Fertigung stechen durch ihre knallig-orangenen Bezüge aus Foglizzo-Leder ins Auge. Gusarev informiert: „Der Kunde liebt diesen Farbton. Irgendwas an ihm ist immer orange, seien es die Schnürsenkel.“ An Bord sind es dann auch mal die Schubladengriffe. Für das Dekor bediente sich Berings Designteam aus dem obersten Regal. Möbel kommen von Tribù und Flexform, die Wände zieren Alpi-Furnier und Leder von Moore & Giles. In den Bädern sind die Armaturen von Dornbracht, der Marmor von Antolini. Es zeigt sich, dass Eigner in diesem Segment andere Anforderungen haben und dass Bering dazugelernt hat. Kristina Guner von der eigenen Kreativabteilung lässt wissen: „Wir sollten eine ruhige, skandinavisch inspirierte Atmosphäre schaffen. Im Mittelpunkt dieser Ästhetik stand die Verwendung natürlicher Materialien. Die Farbpalette ist absichtlich gedämpft, wurde aber durch Akzente in Kürbisorange aufgelockert.“
An den Salon schließen sich Lobby und Treppenhaus an, das ein Zylinder aus Lichtkreisen und Wände mit hinterleuchteten Quallen ausfüllen. Designerin Guner erinnert sich: „Der Kunde hatte eine Idee, die das Meer und seinen Glanz widerspiegeln sollte.“ Das vordere Hauptdeck belegt die Eignersuite, mit Weinkühlschrank versteht sich. Gusarev weist auf die Türen hin: „Diese Scharniere von Simonswerk verwenden wir für alle Berings.“ Für Abwechslung wurden im Schlafraum in ausgewählte Wandpaneele und Spiegel geschwungene Linien eingraviert. Ähnlich groß dimensioniert ist die Dusche, die gleichzeitig als Dampfbad dient.
Klassisch hinter der Suite liegt die Galley mit offener Pantry zum Anrichten oder den schnellen Kaffee. Speisen werden im Aufzug vom Unter- bis hoch zum Sonnendeck verschickt. Warum der Kochbereich Fine-Dining-Anforderungen erfüllt, erläutert Kristina Guner: „Der Eigner wollte eine Galley haben, in der mit professionellen Gerätschaften hochwertige Speisen für Kunden zubereitet werden. Da er jeden Teil des Raumes aktiv nutzen wollte, fügten wir Regale, viele Schränke und breite Arbeitsflächen hinzu.“
Auf das Unterdeck verteilen sich mittschiffs vier Gästekabinen, zwei mit VIP-Abmessungen, zwei mit Einzelbetten. Nach achtern schließt ein Beachclub mit Sauna, Spa-Pool und Tauchkompressor ab, im Vorschiff liegen vier Crewkabinen. Der Kapitän hat seinen Rückzugsort hinter der Brücke. Eine weitere vordere Kabinen belegt entweder die Besatzung oder Gäste. Daneben führt eine Treppe noch tiefer in den zehn Millimeter dicken Stahlrumpf. Jetzt heißt es ducken, Gusarev führt auf das Tankdeck und zeigt drei Kühlschränke und die Wäscherei. „Das macht einen Explorer aus, lange Reisen erfordern viel Proviant“, so Gusarev. „Vom Bugstrahlruder geht es bis zum Maschinenraum. Es können sogar Tanks inspiziert werden.“
Von ganz unten geht es nach oben in die Skylounge. Blicke auf sich ziehen die Bar mit Front aus hinterleuchtetem Onyx und ein Spieltisch aus Nero-Gali-Marmor. Auf der Couch kann auch geschlafen werden, das Bad nebenan verfügt über eine Dusche. Noch weiter vorn gelangt man in das Ruderhaus, das mit Leder von Foglizzo ausstaffiert ist. Gusarev betont: „Unsere Brücken sind immer schwarz, Instrumente rot hinterleuchtet und die Scheiben negativ, damit das Licht gebrochen wird.“ Ein Fenster vertraut statt Scheibenwischer auf Schleuderscheibe. „Damit können Wellen bis hier hoch schlagen“, lacht Yuri Kachan.
Der Werftkapitän sammelte jahrzehntelang kommerzielle Erfahrung, Hybridantriebe sind neu für ihn. „Der vollelektrische Modus funktioniert besonders gut beim An- und Ablegen“, so Kachan. Flüsterleise sind mit den zwei 100 Kilowatt starken E-Motoren von Danfoss höchstens acht Knoten und für zwei Stunden möglich, wenn die Batterien zuvor von den drehzahlvariablen Generatoren vollgeladen wurden. Dem gegenüber stehen 15 Knoten Fahrt, wenn die CAT-Aggregate direkt auf die Wellen wirken. Wer weit kommen und sowohl Verbrauch als auch Emissionen drosseln möchte, fährt dieselelektrisch. Dann geht es bei unter zehn Knoten und 95 600 Liter (!) Diesel im Bunker nonstop knapp 10 000 Seemeilen weit.