Keine Frage, in Sachen GFK-Serienbau spielt Gulf Craft in der ersten Liga. Mit der 55,10 Meter langen Majesty 175 steht die im Jahr 1982 gegründete Werft aus dem Emirat Umm al-Qaiwain nördlich von Dubai sogar auf der Poleposition im weltweiten Rennen um die größte Komposit-Motoryacht (Heft 3/22). Während Cristiano Gatto neben der 175 auch die neue Majesty 160 von außen gestaltete, zeichnet für die Majesty 111 das niederländische Studio Phathom verantwortlich. Bereits 2019 wandte sich das junge Team um die Designer Raquel H Grijota, Sean Bekeschus und Fabian Henke an Werftgründer Mohammed Hussein Alshaali, um nach potenziellen Projekten und Kooperationen Ausschau zu halten. Infolgedessen durften sie sich beim Interieur der Majesty 72 sowie bei Exterieur-Überarbeitungen für die zweite Produktlinie von Gulf Craft, der Nomad 70 SUV und der Nomad 101 Yacht, beweisen. Nach der gelungenen Generalprobe folgte ihr bis dato größter Auftrag. „Als junges Start-up waren wir begeistert, als Gulf Craft uns die Gelegenheit bot, ein völlig neues Modell zu entwerfen“, blickt Sean Bekeschus auf die Anfangsphase des Projekts zurück. Es sollte sich nicht nur zwischen den erfolgreichen Majesty-Modellen 100 (Heft 1/18) und 120 einordnen, sondern zugleich auch eine neue Linie innerhalb der „Superyacht Collection“ von Gulf Craft begründen und weitere Zielgruppen überzeugen.
„Im Nahen Osten war Gulf Craft schon immer ein Big Player, aber am Design der Majesty 111 sieht man, dass Gulf Craft sich nicht mehr allein auf den asiatischen Markt konzentriert, sondern immer mehr auf die Bedürfnisse unserer Kunden in Europa und Amerika eingeht“, beschreibt es Matthias Ebert von ME Yachting aus Händlersicht und konkretisiert: „Im neuen Design setzt Gulf Craft auf viele moderne Elemente wie multifunktional einsetzbare Außenbereiche, durchsichtige Bordwände und den Beachclub im Heck. Diese Besonderheiten waren bisher ausschließlich den größeren Modellen vorbehalten.“ Tatsächlich standen derartige Punkte bereits im Anforderungskatalog der Werft für das Studio Phathom ganz oben. Eine Priorität bestand darin, die Freiflächen durch die Flexibilität loser Möbel anstelle fest verbauter Sitzgelegenheiten zu maximieren. Zudem waren die nahtlose Verbindung zwischen außen und innen, ein optimiertes Vordeck sowie ein zeitgemäßer Heckbereich gefragt. Außerdem stellte es eine Herausforderung dar, im Segment bis 300 Gross Tons ein noch großzügigeres Interieur anzubieten. Üppige Glasflächen bieten atemberaubende Ausblicke und fluten den Innenraum mit natürlichem Licht. All dies sollte in ein charterfreundliches Modell mit sechs Kabinen münden, das im frühen Stadium noch als Majesty 110 bezeichnet wurde.
Um möglichst passgenaue Lösungen für die Erwartungen westlicher und grundsätzlich jüngerer Eigner bieten zu können, begann Phathom mit einer gründlichen Wettbewerbsanalyse des Marktes und verglich zahlreiche Modelle anderer Mitbewerber in diesem Größensegment. Ziel war es herauszufinden, wo und wie das Wohnerlebnis an Bord verbessert werden könne. Eine – wenn auch nicht neue – Erkenntnis war, dass zunehmend mehr Zeit im Freien verbracht wird, wobei der Außenbereich zu einer Erweiterung des Wohnraums wird. Daraus folgten Schlüsse, wie die Freiluftareale am besten mit mehr Wohnlichkeit, Bequemlichkeit und Komfort gestaltet werden können. Für den fließenden Übergang wurden beispielsweise Designelemente der Wandverkleidung und Deckenbeleuchtung aus dem Hauptsalon nach außen übernommen. Wichtig war ebenfalls, dass das Achtercockpit den Blick nach außen statt nach innen ermöglicht. Dafür implementierten die Designer eine rückwärtige Verglasung, ein bündiges Teakdeck mit Überwurfteppich, frei beweglichen Sofas und Tischen sowie ursprünglich für den Innenbereich gedachten Accessoires. Dank deren Modularität ist eine flexible Neukonfigurierung mühelos möglich.
„Das neue Outdoor-Konzept wird sehr gut angenommen. Nicht zuletzt, da sich unsere Kunden ihr persönliches Ambiente selbst gestalten können und sich das Deck für jede Gelegenheit anpassen lässt. Speziell durch die wandelbaren Plätze an Bord ist die Majesty 111 prädestiniert sowohl für die private Nutzung als auch im Charter“, beurteilt Matthias Ebert ihr Potenzial und bringt das Beispiel des Formel-1-Grand-Prix in Monaco: „Für das Wochenende kann das Deck und die Fly komplett leer geräumt werden, um Platz für Zuschauer zu bieten. Anschließend räumt die Crew am Montag die Loungemöbel aus dem Beachclub zurück an Deck und die Yacht ist bereit für einen Wochencharter oder den Eigner.“ In Verbindung mit der 1,60 Meter breiten Badeplattform kann tatsächlich ein ansehnlicher Beachclub entstehen. Unter der hydraulischen Klappe mit integrierter Sitzbank können auch ein Tender vom Format eines 4,15-Meter-Williams, Tauchequipment, Kajaks und Surfboards gelagert werden. Eine speziell für die Majesty 111 konstruierte Passerelle dient als Kran, der mit einer Tonne Kapazität locker einen dreisitzigen Jetski hebt. Ein zusätzliches Verstauabteil für Seabobs und aufblasbares Wasserspielzeug befindet sich im Bugbereich. Dort, neben dem eigentlichen Arbeitsbereich mit Ankerwinde, wartet an vorderster Position noch eine Sitzmöglichkeit und wenige Stufen höher, umrahmt von Liegeflächen, der rund 2,50 Meter lange Jacuzzi mit gläsernem Boden.
Zunächst führt der Rundgang entlang zweier Tische für das U-förmige Outdoor-Sofa mit Stauraum weiter zum geschlossenen Steuerstand dahinter. Von Backbord wird er durch die wasserdichte Tür betreten und bietet durch die negativ geneigten Fenster zumindest nach vorn eine sehr gute Sicht. Den Rest übernehmen Kameras sowie drei große Touchscreens von Garmin. Elektrische Humphrey-Stabilisatoren zählen inzwischen zum Standard aller neuen Gulf-Craft-Yachten und arbeiten ebenso leise wie effizient. Geräusch- und vibrationsarm präsentierten sich die beiden MAN V12-1900 mit je 1397 Kilowatt Leistung, die den 140-Tonnen-Halbgleiter in der Spitze auf bis zu 20 Knoten beschleunigen. Bei zwölf Knoten sollen die 20 190 Liter Kraftstoff eine Reichweite von 1300 Seemeilen ermöglichen. Auf der Optionsliste stehen zwei 1489 Kilowatt starke C32B-Aggregate von CAT. Hinter dem Ruderhaus befindet sich zwar keine Kabine für den Kapitän, zumindest aber eine Tagestoilette. Die Messe und alle drei Crewkabinen nennenswerter Größe und nach MLC-Standards belegen das Unterdeck mittschiffs und haben einen eigenen Zugang von außen. An den Steuerstand auf dem Oberdeck schließt sich das Treppenhaus an, das Tageslicht von oben erhellt. Durch die offene Bauweise beansprucht es vergleichsweise wenig Platz und bildet dank schwebender Stufen ein architektonisches Highlight; hinterleuchtete Natursteinverkleidungen wirken feuchtigkeitsmindernd.
Das Designteam vom Studio Phathom beschäftigte sich intensiv mit den Laufwegen an Bord und kam zum Fazit, dass ein Durchgang ausreicht, um das Vordeck mit dem oberen Achterdeck zu verbinden. Als Konsequenz entwickelten sie ein asymmetrisches Oberdeck mit Niedergang an Steuerbord und an gleicher Seite zusätzlicher Breite für die dadurch 56 Quadratmeter messende Sky Lounge. Den meisten Betrachtern wird das optische Ungleichgewicht von außen, wenn überhaupt wohl erst auf den zweiten Blick auffallen. Unübersehbar zieht hingegen die innen dominierende Bar samt integriertem 65-Zoll-TV bewusst die Blicke auf sich. Mindestens ebenso reizvoll sind der 270-Grad-Ausblick und das L-förmige Sofa für mehr als acht Gäste. Wie auch im Salon auf dem Hauptdeck sind die meisten frei beweglichen Möbel an Bord von Phathom individuell entworfen, um „Opulenz mit ästhetischer Leichtigkeit zu vereinen“, ohne die Sicht nach außen zu versperren. Helle Creme- sowie Erdtöne passen ebenso zu dem luftigen Charakter wie mattes Eichen- und Walnussholz mit Akzenten aus Amara-Ebenholz. Harmonisch fügen sich außerdem gebürstete Metalldetails und Calacatta-Marmor in das elegante, aber dennoch ruhige Gesamtbild mit abgerundeten Sideboards und Schränken ein.
Das Interieur-Konzept der Majesty 111 ist wiederum das Ergebnis einer von Phathom durchgeführten Wettbewerbsanalyse aktueller Designrichtungen. „Dabei ging es nicht darum, das Bestehende nachzuahmen, sondern die Entwicklung der Interieurtrends zu verstehen und einen ausgesprochen attraktiven Stil zu entwickeln, der sich subtil von der Konkurrenz abhebt“, fasst es Sean Bekeschus zusammen und ergänzt: „Unser Team war fasziniert von den zahlreichen sanften Anspielungen auf die beliebte Mid-Century-Moderne, bei der die Form der Funktion folgt.“ Und was die Möglichkeiten der Individualisierung angeht, gibt es laut Matthias Ebert trotz des Serienbaus kaum Grenzen: „Wir bieten sehr viele Möglichkeiten für unsere Kunden. Beispielsweise hat Gulf Craft im Port Rashid in Dubai ein Experience Center gebaut, wo die Yachten in verschiedenen Ausführungen und alle angebotenen Stoffe, Hölzer und Marmorvarianten hautnah erlebt werden können.“ Das werden nicht nur, aber insbesondere „Eigner der nächsten Generation“ zu schätzen wissen, die laut Phathom immer jünger und legerer werden, neugierig auf neue Materialien sind und eine nachhaltigere Agenda verfolgen. Dazu passen natürliche Stoffe aus ökologisch schonender Produktion ebenso wie technische Lösungen zur Effizienzsteigerung.
Kompromisslose Professionalität strahlt die Galley mit ihren Edelstahlfronten aus. Die Crew profitiert von der Großzügigkeit der Stauräume und der Pantry mit viel Platz zum Vorbereiten und für den Service. Gegenüber an Steuerbord wartet eine weitere Tagestoilette, nach der es in die Eignerkabine geht, die einige Überraschungen parat hat: Direkt nach dem Betreten muss via Schiebetüren der begehbare Kleiderschrank passiert werden, um in das Bad mit XL-Dusche an Backbord zu gelangen. Dadurch bleibt das eigentliche Schlafgemach frei von breiten Türen und bietet Platz für einen 75 Zoll großen Fernseher, den Gulf Craft optisch elegant in die Wand gegenüber dem Bett einfügte. Ein herunterklappbarer Balkon ist nicht vorgesehen. Fixe Glasflächen an den Seiten und vor allem das mehr als einen Quadratmeter große Oberlicht in Form des Jacuzzi-Bodens verleihen der Kabine auch so einen luftigen Charakter. Eine herausfahrbare Blende sorgt für Privatsphäre und Verdunkelung.
Zum Abschluss unserer Tour der Majesty 111 lohnt ein genauerer Blick auf das Unterdeck. Hinter den Wandpaneelen wurden intelligent mehrere Schränke für Bettwäsche und Gepäckstücke versteckt. Von angenehmer Kopffreiheit sowie gut dimensionierten Duschbädern profitieren die beiden Doppelkabinen mittschiffs ebenso wie die beiden Kabinen mit Einzelbetten entlang des Korridors, der zur sechsten Kabine nach ganz vorn führt. In dieser 15 Quadratmeter großen VIP-Suite gibt es zwar nur Bullaugen, aber dafür ein adäquates Doppelbett. Mit diesen fünf statt den üblichen vier Kabinen unter Deck wird das Maximum von zwölf Übernachtungsgästen an Bord ohne klappbare Pullman-Betten erreicht. Das für ihre Größenordnung überraschende Sechs-Kabinen-Layout, das westlich orientierte Interieurdesign, die flexiblen Außenbereiche und der Startpreis von 10,9 Millionen Euro machen die Majesty 111 zur attraktiven Charter- und Familienyacht. Mit ihr setzt Gulf Craft neue Maßstäbe für zukünftige Modelle und schafft die Grundlage für eine breitere internationale Marktpräsenz.