Nachdem Golden Yachts 2022 die 88 Meter lange „Project X“ vorstellte, folgte ein Jahr danach mit „O’Rea“ zwar ein zehn Meter kürzerer, aber nicht minder aufsehenerregender Neubau. Dabei vertraute das griechische Familienunternehmen um den Kapitän und Reeder Paris Dragnis erneut auf die Design-Dienste von Studio Vafiadis, schließlich kennen sich Dragnis und Giorgio Vafiadis schon lang. Gemeinsam realisierten die beiden Patriarchen bereits zwölf Yachten – zumeist konsequent für den Charterbetrieb konzipiert und entsprechend erfolgreich wie die 95 Meter lange „O’Pari 4“. Doch im Fall des jüngsten, zunächst „Andromeda“ genannten Projektes gab es diesen explizit kommerziellen Fokus nicht. Es oblag der jeweils nächsten Generation, Verantwortung zu übernehmen. Ioannis (genannt John) sowie Vasilis, die Söhne von Paris Dragnis, hatten über die Jahre viel Erfahrung mit dem Bau und Betrieb der „O“-Flotte gesammelt. Stefano Vafiadis auf der anderen Seite sieht zwar so jung aus, als käme er direkt vom Studium, kann inzwischen aber auch schon auf ein Jahrzehnt im erfolgreichen Designbüro seines Vaters zurückblicken.
Erste Ideen wurden im Herbst 2020 zusammengetragen und schnell war klar, dass der neue Solitär im Segment zwischen 60 und 80 Metern positioniert sein würde, wo die Familie Dragnis eine hohe Nachfrage erkannte. Zudem waren die avisierten 75 Meter wesentlich schneller realisierbar als ein noch größeres Format. Bestärkt von ihren Vätern lösten sich die „Youngster“ von der bisherigen Formensprache bei Golden Yachts samt traditioneller Bugpartie. Erstmals in der nahezu dreißigjährigen Historie des Unternehmens mit inzwischen eigener Werft westlich von Athen wurde ein nahezu vertikaler Steven an den letztendlich auf 77,70 Meter Länge und 13,20 Meter Breite gewachsenen Stahlrumpf geschweißt. In Verbindung mit den vom Automobildesign inspirierten, stromlinienförmigen Alu-Aufbauten verleiht er „Malia“ einen maskulinen Charakter. Einen großen Anteil daran haben ebenfalls die trapezförmigen Designelemente und XXL-Glasflächen. Vafiadis griff sogar auf mathematische Formeln aus der Antike zurück, die für harmonische Proportionen von Skulpturen verwandt wurden, um das Volumen von 2165 Gross Tons geschickt zu kaschieren. „Damit eine 75-Meter-Yacht heutzutage auffällt, muss sie speziell sein“, ist sich der in Rom geborene Designer mit griechischen Wurzeln sicher und ergänzt: „Deshalb haben wir uns für einen sportlichen Look, aber zugleich für den Komfort eines Verdrängers entschieden.“
Diese Komfort-Attribute beinhalten ein hohes Maß an Seetüchtigkeit, ebenso wie das Dynamic Positioning System und eine Deckenhöhe von mindestens 2,30 Metern trotz der niedrigen Silhouette. Dass die typischen Frischluftareale aus der Ferne kleiner aussehen, als sie sich in der Realität präsentieren, liegt hauptsächlich am langen wie unverbauten Vordeck. Wenn nicht gerade als Helipad genutzt, lässt sich die großzügige Teakfläche gleichfalls für Yoga-Sessions oder diverse Sportarten nutzen.
Work-outs bei Panorama-Aussicht aus breiten Glastüren und auf Wunsch voll klimatisiert bietet das Gym auf dem Sonnendeck inklusive Bar für den Protein-Shake nach dem Schwitzen. In den Abendstunden verwandelt die 22-köpfige Crew achtern die flexibel nutzbare Sitzgruppe in ein Freiluft-Filmtheater. Auf der anderen Seite des Fitnessbereiches ergänzt ein Jacuzzi mit gläsernem Boden den primären Pool auf dem Hauptdeck, der mit seinem Glasboden wiederum den Beachclub darunter illuminiert. Letztgenannter wirkt trotz der zu beiden Seiten aufklappbaren Bordwände für 78 Meter Länge zwar relativ kompakt, ist dank der separaten Tendergarage jedoch kompromisslos hochwertig sowie mit türkischem Dampfbad, finnischer Sauna und Behandlungsraum überkomplett ausgestattet.
Gespeist wird al fresco auf dem Oberdeck an einem windgeschützten runden Tisch, der zwölf Gästen bequem Platz bietet. Dessen Design erinnert ebenso wie der sich nahtlos anschließende Salon nicht zufällig an jenes von „Project X“. Alessandro Massari wurde erneut hinzugezogen, um dem Interieur eine exquisite Note zu verleihen. Ursprünglich sollte Stefano Vafiadis neben dem Exterieur auch das gesamte Interieur gestalten. Doch die Familie Dragnis war von Massaris meisterhafter Arbeit für „Project X“ so beeindruckt, dass sie den humorvollen Italiener – übrigens nach seinem Vater Luigi Massari selbst in zweiter Generation Designer – kurzerhand wieder in das laufende Projekt holte. Weniger als ein Jahr blieb Alessandro Massari für die ähnlich imposante Gestaltung des Treppenbereichs und der Salons. Insbesondere das Oberdeck präsentiert sich als das Motiv mit dem höchsten Wiedererkennungswert für das Interieur von „Malia“. Die spektakulär geschwungenen Deckenpaneele aus Ahorn sollen den Eindruck einer frischen Meeresbrise über Sanddünen vermitteln, die durch die großen Fenster strömt. Die Öffnungen für Klimaanlage und LED-Beleuchtung wurden geschickt unauffällig in die Paneele integriert. Ihre Form wird von der Holzeinfassung des nahezu raumbreiten, halbrunden Sofas mit Ausrichtung auf den großen Flatscreen mit passendem Surround-Soundsystem aufgenommen und von einer Lichtinstallation aus dem tschechischen Hause Lasvit gekrönt.
Für die Kreativität von Massari steht auch ein ganz besonderer „Fernsehsessel“ in Form eines Boxhandschuhes, dessen Komfort der 51-Jährige während des Rundgangs sogleich demonstriert. Besondere Beachtung fand und verdient im informellen Salon auf dem Oberdeck außerdem die Bar an Backbord. Deren Marmorplatte steht im Gegensatz zu „Project X“ zwar nicht auf Flaschen, stattdessen verleihen indirekt beleuchtete, versetzte Marmorfliesen der Bar optisch eine Dynamik und lassen sie weniger massiv wirken. Die markanten Holzpaneele des Oberdecks finden sich im Salon auf dem Hauptdeck wieder und lassen ihn gemeinsam mit den großen Fenstern noch weiter wirken, als er ohnehin schon ist. Eine Parallele zum Deck darüber stellt die Lichtinstallation von Lasvit über den breiten Sofas mit Massari-typischen Lederriemen dar, ebenso wie über dem unmittelbar davor positionierten Esstisch aus schwarzem Marmor. Daneben sind es zahlreiche weitere Details aus Edelstahl und Leder, die oft erst beim genaueren Betrachten auffallen. Erneut ist es Alessandro Massari gelungen, Wow-Effekte mit mehr als 250 verschiedenen Materialien und einen Stil zu kreieren, der es nicht an Behaglichkeit und Wohnlichkeit mangeln lässt.
Gleiches gilt für das zentrale Treppenhaus mit Aufzug. Der fast zwei Meter breite Glasboden des Jacuzzis darüber spendet Tageslicht, während das rundum laufende Floralmuster eines Kirschbaumes zusammen mit der Glas-Stahlskulptur von Lasvit in dessen Mitte per indirekter LED-Beleuchtung eine magische Atmosphäre zaubert. Die Vielzahl an zeitgenössischen Kunstwerken, wie der goldene Globus am Fuße der Stufen auf dem Hauptdeck, wurde von Vasilis Dragnis gemeinsam mit Anna Chatzinassiou von ACH ART Advisory und Alessandro Massari ausgewählt oder in Auftrag gegeben. Wo das Schaffen von Massari endete, begann das von Stefano Vafiadis. „Der Übergang ist schön gelungen, weil unser moderner europäischer Stil gut mit dem von Vafiadis harmoniert“, zeigt sich Massari zufrieden und schmunzelt: „Griechen und Italiener passen gut zusammen!“ Tatsächlich verläuft die „Grenze“ zwischen beiden Designwelten fließend. Die insgesamt acht Kabinen mit jeweils eigenem Farbkonzept passen mit ihrem modernen und zeitlosen Charakter zu den von Massari gestalteten Bereichen sowie zu Vafiadis Exterieur. Der teilweise Einsatz von Holz- statt Teppichboden wird nicht nur Allergikern gefallen, sondern trägt ebenso wie die abgerundeten Ecken und Kanten zum großzügigen Raumgefühl bei. Die Materialvielfalt fällt etwas reduzierter als in den Salons aus. Ebenholz wird unter anderem mit Eukalyptus, matter Bronze und Stoffen von Loro Piana kombiniert.
Neben einer Doppelkabine an Backbord reihen sich auf dem Hauptdeck zwei VIPs an Steuerbord aneinander. Durch den bewussten Verzicht auf ein separates Eignerdeck zugunsten des dynamischen Auftritts mit flacher Silhouette nimmt die größte Suite den vorderen Bereich des Rumpfes auf dem Hauptdeck ein. Ein Arbeitsbereich mit Schreibtisch wurde ebenso integriert wie ein begehbarer Kleiderschrank mit Tageslicht und das Bad inklusive Dusche. An Platz mangelt es selbstverständlich nicht, jedoch haben sich ähnlich große Formate schon mit deutlich größeren Refugien hervorgetan.
„Malia“ setzt aber auch bei den privaten Wohnräumen auf Gemütlichkeit und höchsten Komfort und folgt dem Credo der Familie Dragnis, dass trotz schönster Kabinen die meiste Zeit an Bord nicht darin verbracht wird. Das gilt insbesondere für jene vier auf dem Unterdeck, deren vier – eine sogar mit Badewanne – dank großer Glasfronten und besagter Kopffreiheit die Lage fast vergessen lassen. Reizvollere Bereiche zum Verweilen in Ruhe und für sich allein oder in Gesellschaft von Familie und Freunden finden sich auf den 78 Metern mehr als genug. Und für Ausflüge an Land oder auf dem Wasser warten in der Garage mittschiffs neben zwei Jetskis insgesamt drei Tender: ein 7,50 Meter langer Castoldi Jet 25, ein Sieben-Meter-Novurania LX 700 und ein Novurania Deluxe 460 von 4,60 Meter Länge.
Die griechisch-italienischen Nachwuchskräfte der Familien Dragnis, Vafiadis und Massari – sofern man diese schon dazuzählen möchte – schnürten mit „Malia“ beziehungsweise „O’Rea“ ein bemerkenswertes Gesamtpaket und bewiesen Mut zur Veränderung. Sie brachten nicht allein frischen Wind in das Formenvokabular von Golden Yachts, vielmehr vereinten sie mit der außergewöhnlichen Hybridlösung des Interieurs zwei an sich unabhängige Designkonzepte harmonisch miteinander. Mehr noch: Der rasche Verkauf wenige Wochen nach der öffentlichen Vorstellung in Monaco hat ihnen recht gegeben. Auch durch den Erfolg gestärkt stellte die griechische Werft bereits neue Projekte wie etwa „Vesper“ vor. Die 65-Meter aus den Rechnern des niederländischen Studios Phathom hätte optisch noch viel weniger mit Goldens typischen Vertretern der „O“-Flotte gemein. Doch wie einst der griechische Philosoph Heraklit sagte: „Nichts ist so beständig wie der Wandel.“