Boote Exclusiv
· 21.02.2024
Ein Text von Norman Kietzmann
Typologien sind dazu da, neu erfunden zu werden. Das gilt an Land wie auf dem Wasser. Eine verlässliche Strategie liegt in der Verschmelzung von Gegensätzen. Zu welch überraschendem Ergebnis das führt, zeigt Pershing mit dem neuen Modell GTX116. Es ist mit 34 Knoten nicht nur das schnellste Boot seiner Klasse. Die GTX116 legt bei aller Dynamik auch Wert auf ein gesteigertes Raumgefühl. „Es ging darum, den Pershing-Stil beizubehalten, der für Performance und Geschwindigkeit steht. Zugleich wollen wir mehr von dem bieten, was die Leute erwarten, nämlich zusätzlichen Platz in den Innen- und Außenräumen“, sagt Fulvio De Simoni. Der Yachtdesigner aus La Spezia hat sowohl das Exterieur als auch das Interieur der GTX116 entworfen.
Die Formensprache des 35 Meter langen und 7,70 Meter breiten Gleiters meistert einen Spagat: Er will schnell sein wie ein Pfeil. Und doch den Komfort und die Weitläufigkeit bieten wie in einem Loft an Land. Die Schnittstelle dieser Extreme offenbart sich am Bug. Er ist weniger spitz, sondern stärker in die Vertikale geneigt und vollzieht einen markanten Knick nach oben. „Gegenüber einer normalen Pershing-Form haben wir zwei, drei Meter an Platz im Innenraum gewonnen, ohne den Rumpf zu verlängern. Positiver Nebeneffekt: Wir geben der Yacht ein sehr starkes, charaktervolles Gesicht“, erklärt Fulvio De Simoni. Auch der übrige Rumpf zeigt Kraft und Stärke. „Wir haben ihm einen imposanten Look gegeben mit sehr großen, voluminösen Formen“, fügt der Pershing-Formgeber hinzu.
Das formelle Vorbild stammt aus dem Automobilbereich. Das SUV hat den Geländewagen komfortabel und die Limousine sportlich gemacht – durch einen Hybrid aus scheinbar unvereinbaren Welten. Aus dem SUV auf der Straße wurde nun die SUY (Sport Utility Yacht) auf dem Wasser. „Wir wissen, dass für fünfzig Prozent unserer Eigner der erste Grund, eine Pershing zu kaufen, im Design liegt. Dieser aggressive, sportive Look soll auch für die Sport Utility Yacht gelten“, sagt Stefano de Vivo, Chief Commercial Officer (CCO) der Ferretti-Gruppe. Das zeigt sich schon in der Farbe. Der Rumpf ist in einem eleganten, „Montecarlo“ getauften Grauton gehalten, der an die Tradition der Gran-Turismo-Sportwagen anknüpfen soll und für eine prägnante Erscheinung auf der Wasseroberfläche sorgt.
Den Gegenpol zum steilen Bug bildet das geräumige Heck. „Wer eine Pershing kauft, will mit der Familie oder Freunden in der Nähe des Wassers sein. Und so haben wir eine 40 Quadratmeter große Plattform für den Beachclub vorgesehen, was für ein 116-Fuß-Boot eine riesige Fläche ist“, kommentiert Stefano de Vivo. Der Beachclub wird um ein 35 Quadratmeter großes Cockpit ergänzt, sodass achtern eine nutzbare Außenfläche von 75 Quadratmetern entsteht. „So kann man das Leben an Bord wirklich genießen. Man kann eine Party geben, viele Freunde und parallel die Familie empfangen. Es können sich verschiedene Gruppen an Bord aufhalten, einige in der Sonne, einige im Schatten“, so der Manager. Der Clou: Der Innenraum folgt einer Asymmetrie, ohne diesen Umstand nach außen zu kommunizieren. Auf dem Hauptdeck ist der Gang auf der Steuerbord-Seite ausgelassen, sodass die Sofaecke direkt an die Außenverglasung rückt. Die Nähe zum Wasser wird verstärkt, das Erlebnis des Wellenspiels intensiviert. Allein dadurch ist das Boot viel geräumiger als alle anderen Pershing-Modelle. Vom Heck führen zwei Treppen hinauf zur Flybridge, eine back-, die andere steuerbords. Sie münden jeweils in einen schmalen Gang, der auf dem letzten Meter eine 90-Grad-Kurve vollzieht und so für einen Perspektivwechsel sorgt. Die 40 Quadratmeter große Flybridge wird folglich nicht von achtern betreten. Das Oberdeck ist teilweise von einem Hardtop bedeckt und verfügt über zwei Polsterbänke und ein gepolstertes Sonnenbett. Im Vorschiff befindet sich der Außensteuerstand mit bis zu drei Sportsitzen. Rückseitig wird dieser von einem Barbereich flankiert. Durch die beiden Treppen wird die Asymmetrie im Wohnbereich geschickt kaschiert. Von außen ist alles in gespiegelter Ordnung. „Auch wenn wir ein asymmetrisches Design haben, gibt es keine Unterbrechungen in den Gängen, wenn man sich vom Heck zum Salon und weiter bis zum Bug bewegt“, sagt Fulvio De Simoni. Indem er den Steuerstand weiter nach vorne verlegte, konnte er den Salon auf stattliche neun Meter Länge vergrößern.
Die Inneneinrichtung erzeugt einen Kontrast aus dunklem Holz in den Vertikalen sowie hellen Farben an den Decken und Fußböden in den Horizontalen. Möbel aus Eukalyptusholz sind in allen Wohnbereichen der Yacht zu finden. Sie besitzen eine markante Maserung, die in ihrer Farbigkeit und Anmutung mit den Wandpaneelen korrespondieren. Möbel und Raumgrenzen werden nicht getrennt betrachtet, sondern erzeugen eine visuelle Kontinuität. Das L-förmige Sofa im Wohnbereich auf dem Hauptdeck bietet Platz für bis zu zehn Personen. Es wird von der Möbelmanufaktur Poltrona Frau gefertigt, ebenso wie die Kopfteile und Bettgestelle in den Kabinen. Die voll ausgestattete Galley stammt von der italienischen Küchenmarke Ernestomeda. Sie kann nach Wunsch des Eigners auch mit einem Bartresen ausgestattet werden und sich so in eine Showküche verwandeln. Das Fünf-Kabinen-Layout auf dem Unterdeck bietet Platz für bis zu zehn Gäste und fünf Crewmitglieder. Achtern spannt sich die Eignerkabine über die gesamte Breite. Hinzu kommen zwei Doppel- und zwei Zweibettkabinen, die Gäste von einem mittig platzierten Korridor aus erschließen und die jeweils mit eigenen Bädern ausgestattet sind. Alternativ kann eines der Gästegemächer in eine Dinette verwandelt werden, um einen zusätzlichen Rückzugsort unter Deck zu schaffen. Die Crewräume mit Pantry, Waschküche und drei Kabinen sind im Bug platziert. Eine separate Treppe führt von hier direkt zum Steuerstand auf dem Hauptdeck.
Eine wichtige Rolle bei der Planung nahm die Verbindung von innen und außen ein. Den Wohnbereich öffnen zwei gläserne Schiebetüren, sodass eine gesamte Ecke freisteht. Der Seitengang lässt sich mit separaten Türen vom Wohnbereich abtrennen. Gäste und Personal können den Korridor passieren, ohne Unruhe auf dem Sofa zu erzeugen.
„Die Linien der Doppelverglasung, wo sich eine seitliche Kontur mit der des Bugbereiches überlappt, ist meiner Meinung nach eines der Elemente, das dem Boot einen sehr persönlichen Charakter verleiht und das es auch von vielen anderen Yachten unterscheidet“, sagt Fulvio De Simoni. Er will ein Gleichgewicht erzeugen, statt die Extreme zu betonen. Sportlichkeit und Eleganz werden nicht als Antipoden, sondern als Verbündete begriffen. „Ein weiteres Merkmal, auf das ich sehr viel Wert gelegt habe, war die Tatsache, dass wir in einem sportlichen Boot wie diesem eine sehr niedrige Plattform am Heck kreieren wollten, um näher am Wasser zu sein“, so De Simoni. Ungewöhnlich ist hierbei ein terrassenartiger Aufbau. „Wir haben eine Möglichkeit gefunden, den Tender zu verstecken, damit er nicht die Sicht versperrt, was bei vielen Yachten dieser Art üblich ist. Also haben wir eine doppelte Ebene geschaffen, wodurch eine Art zweites Heck entsteht. Das Boot endet, und danach schließt sich noch eine weitere Ebene an“, so Fulvio De Simoni. In der Heckgarage parken ein bis zu 5,20 Meter langer Jet-Tender und ein dreisitziger Jetski. Im Schanzkleid verbirgt sich ein Kran, mit dem die Spielzeuge nach dem Hinausgleiten auf Schienen schnell ins Wasser kommen. „Für ein Schiff dieser Größe und Leistung gibt es sehr viel Platz für Toys. Sie sind unverzichtbar für diesen Typ Eigner, der die GTX116 als absolutes Spaßboot nutzt“, weiß der Pershing-Händler Torsten Sieckmann aus Erfahrung zu berichten.
Das zweistufige Heck dient keineswegs nur einem Zugewinn an Aufbewahrungsfläche. Es geht zugleich darum, ein ausgewogenes Gesamtbild zu erzeugen. „Ich wollte der Heckansicht eine gewisse Stärke verleihen. Wenn wir uns all die offenen Boote anschauen, die achtern mit aufklappbaren Badeplattformen ausgestattet sind, dann sind diese Bereiche normalerweise nicht geschlossen. Sie erwecken den Eindruck einer zum Boot hinzugefügten Plattform. Wir wollten dem Boot hingegen ein fertiges Aussehen geben. Daher haben wir die zwei Ebenen achtern geschlossen“, sagt Fulvio De Simoni. Die Herausforderung bestand darin, den Beachclub nicht vom Wohnbereich im Freien abzuschneiden. Ermöglicht wird dies mithilfe zweier beweglicher Segmente des rückseitigen Schanzkleids. Wie Flügel lassen sie sich synchron zur Seite fahren, um ein fließendes Raumkontinuum zu schaffen, das vom Hauptdeck zur vorgelagerten Plattform und schließlich hinab zur Wasseroberfläche reicht. Eine weitere Besonderheit: „Es gibt offene Bereiche, an denen man sich sonnen kann. Es gibt aber auch Zonen in der Bootsmitte und am Bug, die überdacht sind. Man kann dort sitzen und die Aussicht genießen im Schatten, ohne dass Sonnensegel angebracht werden müssen, die beim Fahren stören und wieder abgebaut werden müssen“, betont Torsten Sieckmann. Die Yacht soll immer bereit sein, zu neuen Abenteuern aufzubrechen. Aufwendige Sonnenschutz-Montagen halten dabei nur auf. Den großzügigen Bug-Bereich stattet Pershing optional mit einem Whirlpool für sechs Gäste aus. Im Heck sitzen drei Waterjets von Kamewa, deren Pumpen MAN-V12-Motoren mit je 1324 oder 1471 Kilowatt antreiben. Unter Volllast zeigt die Logge maximal 34 Knoten an, 29 Knoten im Reisemodus. „Damit ist die GTX116 das schnellste Boot in seinem Segment. Wir haben uns sehr auf die Verwendung von Carbon konzentriert, weil es die Leistung verbessert und den Verbrauch senkt“, so de Vivo. Die räumlichen Dimensionen des Motorenraums wurden kompakt gehalten, um Platz für die darüber liegende Tender-Garage zu schaffen.
Durch zwei Türen – eine im Salon und eine in der Galley – wird der Steuerstand betreten. Die Windschutzscheibe spannt sich in einem Stück über eine Breite von rund fünf Metern und kommt ohne vertikale Elemente aus. Den Rahmen stellte Pershing mithilfe von 3-D-Druck-Technologie her, die auch für die unkonventionellen Geometrien der Lüftungsgitter zum Einsatz kam.„Bei Pershing übernimmt der Eigner häufig selbst das Ruder. Daher haben wir uns darauf konzentriert, ihm und seinem Kapitän eine Brücke zu installieren, die auf dem allerneuesten Stand der Technik ist“, sagt Stefano de Vivo. Optional gibt es einen ergonomischen Kapitänsstuhl aus Kohlefaser, der speziell für GTX116 entworfen wurde. Er sieht aus, als gehöre er auf ein Raumschiff. Alle Bedienelemente und Bildschirme sind in die Armlehnen integriert, sodass man sitzen bleiben kann und die gesamte Steuerung in Reichweite hat. Den Joystick des Bugstrahlruders betätigt der Kapitän mit dem Ellenbogen. Für hochpräzise Navigation wird die Brücke mit ultrabreiten und hochauflösenden Simrad-Bildschirmen ausgestattet.
„Wir wollten Pershing ein zweites Leben geben. Natürlich sind sehr schnelle Boote die Seele der Marke. Mit Bravour hat sie ihren Anteil an diesem Markt erhöht, auch wenn das Segment insgesamt geschrumpft ist. So bleibt Pershing eine sehr wichtige Marke für die Ferretti-Gruppe und die Super-yacht-Welt“, sagt Stefano de Vivo. Die GTX116 bildet den Auftakt für eine ganze Yacht-Reihe, die in den nächsten Jahren sukzessive um weitere Größen ergänzt wird. Sie markiert die Zukunft des Unternehmens, indem sie auf die Veränderungen des Marktes reagiert. Die erste GTX öffnet den Weg zu einer neuen Typologie, die keine Entweder-oder-Entscheidung abverlangt. Sie verschmilzt Gegensätze, ohne einen Bruch zu erzeugen. Komfort wird schneller. Und Schnelligkeit wird komfortabler. Im richtigen Gleichgewicht liegt ihre Kraft.