geschrieben von Sam Fortescue und Martin Hager
“Planet Nine“, deren Mast weit über die Geräteträger der anderen Yachten in Neapels Marina Molo Luise ragt, sieht nicht so aus, als würde sie hierhergehören. Vom Kai aus verdecken ihre gewaltigen Aufbauten fast den Blick auf den dahinterliegenden Vesuv. Mit ihrem hohen und steilen Steven und ihrem wuchtig breiten Helipad auf dem Achterschiff wirkt sie wie der Inbegriff eines Explorers, der sich stark vom glitzernden Einerlei der konventionellen Yachten ringsum unterscheidet.
Aber wie ich schon beim Betreten der 73,20 Meter langen „Planet Nine“ feststelle, ist ihre Passerelle die schlanke Brücke in eine Welt, die Eigner und Gäste mit größtem Komfort empfängt. Von der elegant-modernen Inneneinrichtung über eine großzügige Eignersuite bis hin zu einem Kino und Spa an Bord ist diese Yacht so exquisit und gemütlich gestaltet, dass man sich einfach wohlfühlen muss. „Die Kernidee war, den besten Explorer Europas zu bauen“, erzählt Kapitän Rob Williamson, der auch die Bauphase als Eignervertreter begleitete. „Wir wollten deutsche Maschinen in einem italienischen Neubau.“
„Planet Nine“, die derzeit aufgrund veränderter familiärer Verhältnisse in der Eignerfamilie über die Broker von Fraser für 85 Millionen Euro zum Verkauf steht, hat eine lange Entstehungsgeschichte. Rumpf und Aufbauten schweißte die Werft Cantieri San Marco, die Einrichtung und Ausrüstung fand wenige Kilometer südlich in Marina di Carrara auf dem Gelände der zur Italian Sea Group gehörenden Werft Admiral Yachts statt. „Der Kunde hatte höchste Ansprüche in Bezug auf Qualität, Stil und Interior“, berichtet Admiral-Vizepräsident Giuseppe Taranto. „Die Verhandlungen waren nicht immer einfach, aber das Ergebnis ist ausgezeichnet.“
Die Klassifikationsgesellschaft Lloyd’s Register zertifizierte „Planet Nine“ mit der Eisklasse 1D. Dank dickeren Rumpfplatten, stärkeren Rahmen und Schotten sowie einem sorgfältigen Schutz der Meerwasserzuläufe ist sie vor Eis und kalten Temperaturen in hohen Breitengraden bestens geschützt. „Aus diesem Grund wählte der Eigner eine Werft für kommerzielle Schiffe als Partner und keinen Yachtbauer“, so der Kapitän.
„Planet Nine“ darf durch Eis mit einer Stärke von 15 Zentimetern fahren, wodurch sich das mögliche Fahrtgebiet erheblich vergrößert. Chartergäste können jetzt auch Reiserouten nach Grönland oder zur Halbinsel Grahamland in der Antarktis wählen.
Um sie auf die antarktischen Gewässer vorzubereiten, wurde der Hubschrauberlandeplatz sehr sorgfältig mit einer Absenkplattform konzipiert, sodass der Aerotender bei Nichtgebrauch sicher in einem Hangar verstaut werden kann. Das bedeutet zudem, dass die Yacht zwei Helikopter aufnehmen kann, einen im Hangar und einen an Deck, ideal, um zum Beispiel wenn nötig einen Eislotsen an Bord zu nehmen.
„Wir können effektiv einen Heliport betreiben“, so Rob Williamson. „Die Gäste können mit dem Hubschrauber auch anreisen, während der Heli des Eigners an Bord parkt.“ Das ist im Übrigen nicht nur irgendein Helikopter. Das Planungsteam entschied sich dafür, die Bordtechnik für einen AgustaWestland AW109 Grand zu konzipieren – bevorzugt wegen seiner großen Kapazität von sieben Passagieren. Der mit zwei Motoren ausgestattete Flugtender wiegt voll beladen 3,18 Tonnen, das Helipad legte das werfteigene Team jedoch für bis zu zehn Tonnen aus. Als Heli für den täglichen Einsatz fliegt ein kleinerer MD Explorer 902.
Mit einer Reisegeschwindigkeit von 14 Knoten hat „Planet Nine“ die erstaunliche Reichweite von über 6000 Seemeilen – dank 340.000 Liter Diesel-Treibstoff, die sie in ihren Tanks mitführt. Reduziert der Captain die Reisegeschwindigkeit auf angenehme zehn Knoten, steigt die Reichweite auf mehr als 10.000 Seemeilen – genug, um von Sydney nach Ushuaia und weiter in die Karibik zu gelangen, ohne unterwegs Diesel bunkern zu müssen. „Diese Berechnungen beinhalten übrigens auch den Treibstoff für die Generatoren“, ergänzt der Kapitän, der auch die Neugestaltung der Energiesysteme beaufsichtigte, um den Hotelbetrieb auf ein einziges 275 Kilowatt starkes Caterpillar-Aggregat zu reduzieren, obwohl aus Redundanzgründen drei dieser Anlagen an Bord arbeiten.
Dazu kommen 9000 Liter Jet-A1-Helikopter-Treibstoff, die für die zehnfache Reichweite der Agusta Grand reichen. Die 40.000 Liter Frischwasser in Bunkern können durch täglich rund 18 000 Liter Frischwasser per Aggregate ersetzt werden. Die Zahlen belegen, wie autark „Planet Nine“ unterwegs ist. Der einzige limitierende Faktor für monatelange Expeditionstouren ohne Nachschub sind die irgendwann zur Neige gehenden Vorräte an frischen Lebensmitteln. Auf dem Unterdeck und nahe der Galley befinden sich etliche Kühlräume und ein begehbarer Gefrierschrank. „Wir können frische Nahrungsmittel für etwa einen Monat lagern“, erklärt Rob Williamson beim Rundgang. Es existiert Lagerraum für deutlich mehr Nahrung, die allerdings in Umgebungstemperatur aufbewahrt werden muss. „Die tatsächliche Reichweite hängt also davon ab, wie lange der Eigner und seine Gäste sich von Dosennahrung oder Fertignudeln ernähren wollen“, lacht der Kapitän.
„Planet Nine“ nur als Explorer zu charakterisieren wird ihr nicht gerecht. Das meint auch Exteriordesigner Tim Heywood. Er sieht keinen Widerspruch zwischen Expeditionsyacht und größtmöglichem Komfort. „Dass ,Planet Nine‘ in der Lage ist, durch stark vereiste Regionen dieser Erde zu fahren, ist ein unfassbarer Vorteil. Dabei bietet sie ebenso viel Bequemlichkeiten wie nahezu alle Großyachten, mit dem Unterschied jedoch, dass sich diese Yacht fernab der Zivilisation immer noch in größter Sicherheit bewegen kann“, so Heywood.
„Der Kunde war auf der Suche nach einer rund 70 Meter langen Yacht, die in der Lage sein sollte, abgelegene Ziele zu erreichen und die sich vom Design her an der 90 Meter langen ,Ice‘ orientiert, die ich vor über 15 Jahren für einen anderen Kunden entworfen hatte“, fährt der britische Designer fort. „Ich bin sehr zufrieden mit den ‚Planet‘-Proportionen, der Gesamtform und den subtilen skulpturalen Merkmalen.“ Er hebt die markanten, nicht zu großen Brückennocks, die Mastkonstruktion und die Form der Aufbaudächer hervor. „Alles wurde so gebaut, wie ich es mir vorgestellt habe.“
In der Tat gibt es eine harmonische Balance in der Art und Weise, wie Hubschrauberlandeplatz und Hangar im gleichen Design wie die Gästedecks gestaltet wurden. Die drei Decks des Aufbaus wirken in ihrer Einfachheit recht bescheiden, doch das Volumen, das hier entstand, ist enorm. Alle Tanks, Motoren und Aggregate wurden auf ein technisches Deck unterhalb der Wasserlinie verlagert. „Indem wir den Motorenraum auf das Tankdeck legten, konnten wir viel Raum auf dem Unterdeck gewinnen“, erklärt Rob.
Die Fläche wird für fünf Gästesuiten und eine Nannykabine genutzt, die über einen langen zentralen Korridor miteinander verbunden sind. Von hier aus geht es auch direkt in den Spa-Bereich und den im Heck untergebrachten Beachclub, der sich nach drei Seiten über herunterklappbare Luken vergrößern lässt. „Diese Beachclub-Lösung gefällt mir sehr, war allerdings auch schwer zu konstruieren und umzusetzen“, so Williamson. „Die Werft ist zu Recht besonders stolz darauf, wie ruhig es in den Gästekabinen ist. Die Menge an Schallschutzmaterial, die in und um die Kabinen verbaut wurde, ist beachtlich.“
Nahezu das gesamte Hauptdeck darüber steht dem Eigner zur Verfügung, er breitet sich auf insgesamt 250 Quadratmetern aus. Sein Schlafzimmer besitzt massive Ausmaße und verfügt neben einem Kingsizebett über eine Sofaecke mit verschwenderischen Proportionen. TV-Geräte finden sich überall an Bord, doch da der Eigner selbst nicht der größte Bildschirmfan ist, lassen sich nahezu alle Monitore mit Elektromotoren in den Möbeln versenken.
Schiebetüren ermöglichen den Zugang zu den großen Seitendecks, die von der Crew und den Gästen nur für Andockmanöver genutzt werden und dem Eigner sonst Privatsphäre bieten. Zu seinen weiteren Rückzugsorten zählen eine Bibliothek und ein separates Büro. Diese Räume ergänzt ein Konferenzzimmer. „Als wir die Yacht planten, stand der Eigner noch aktiv im Geschäftsleben. Er wollte sein Reich komplett vom Gästetrakt entkoppeln“, erklärt der Interiordesigner Tino Zervudachi.
Die VIP-Suite auf dem Brückendeck ist der wohl schönste Platz an Bord. Hier oben wohnen Gäste, die dem Eigner besonders nahestehen. Zwar ist der Raum deutlich kleiner als die Eignerkabine, doch Ambiente und Aussicht sind fantastisch. Es gibt ein Ankleidezimmer, ein Bad und ein mit Sonnenliegen und Speisetisch bestücktes privates Achterdeck.
Wer mit dem Tender anreist, betritt zuerst die Lobby knapp über der Wasserlinie. Zwei Aufzüge – ein großer Lift für die Gäste und eine Kompaktvariante für die Crew – sorgen dafür, dass sich niemand beim Bewegen über die fünf Decks zu sehr verausgabt. Der Crewaufzug wird hauptsächlich vom Chef genutzt, um Vorräte aus den Lagerräumen im Tankdeck zur Galley zu transportieren. „Anfangs war ich skeptisch gegenüber dem Crewlift“, gesteht Rob. „Ich wollte eine fitte Crew, die der abenteuerlichen Natur der Yacht entspricht. Für die Galley hat sich der Lift jedoch bewährt.“
Das Interiorfinish macht einen hervorragenden Eindruck. Ein Großteil der Möbel stammt aus der Produktion von Fitz Interior (Heft 6/18). Die Einrichtungsexperten mit Fertigungshallen im bayerischen Mertingen setzen auf eine höchst effiziente Produktionstechnik. Unterkonstruktionen und Möbel bauen die Tischler voll funktionsfähig als Original in ihrer Werkstatt auf. Nachdem die Firma alle Komponenten geprüft hat, werden die Räume wieder in ihre Einzelteile zerlegt und zur Yacht transportiert. „Diese Methode bietet einige Vorteile“, erklärt Fitz-Projektleiter Markus Jechnerer. „Wir können hier sehr präzise arbeiten, und der Einbau auf der Yacht geht so erheblich schneller.“
Tino Zervudachi verantwortete das Interiorstyling basierend auf den Erfahrungen, die er in mehreren Häusern des Eigners gesammelt hatte. „Er gab mir nur einige wenige Hinweise, eine detaillierte Beschreibung hatte ich nicht“, erklärt der Designer. „Wir verstehen uns sehr gut, und er machte deutlich, dass seine Yacht extrem komfortabel und wohnlich, aber auch maskulin und markant sein sollte.“ Das Interiorteam ging auf die Suche nach exotischen Hölzern und Stoffen aus der ganzen Welt, um die Reisefreude des Eigners zu dokumentieren.
„Planet Nine“ wirkt wie eine Yacht mit zwei Persönlichkeiten. Einerseits ist sie für den maximalen Komfort der Gäste eingerichtet – 20 Crewmitglieder lesen diesen jeden Wunsch von den Lippen ab, während sie in den Aufenthaltsräumen entspannen oder sich vom erstklassigen Entertainment-System im Surround-Sound-Kino unterhalten lassen. Oder wenn sie sich im Spa-Bereich mit Dampfbad, Jacuzzi und Bar ganz dem eigenen Wohlbefinden widmen.
Andererseits scheint „Planet Nine“ unruhig an den Festmachern zu zerren und den Drang zu haben, sich in schlechtes Wetter und harsche Umgebungen zu stürzen, um ihr Abenteuerpotenzial auszuschöpfen. „Sie ist ein wahrer Entdecker“, sagt Tim Heywood, „entworfen und gebaut, um den härtesten Bedingungen standzuhalten, und nicht, um Tiefdruckgebiete zu vermeiden.“ Passend zu beiden Eigenschaften offenbart sich eine chartertaugliche Tender- und Toyauswahl in der Garage. Neben den zwei robusten Rupert-RIBs stehen Seabobs, Jetskis, SUPs, Wakeboards, Surfboards und eine vielfältige Tauchausrüstung zur Wasserung bereit. Langeweile wird also nicht aufkommen. Kapitän Rob zeigt uns seinen privaten Schatz, verstaut hinter einer Schranktür: ein wunderschönes Paar Carvingski. Wer mit einem Helikopter als Haupttender Polarregionen besuchen wird, sollte natürlich vorbereitet sein. Denn Heliskiing wird auf jeden Fall auf der Tagesordnung stehen.
Dieser Artikel erschien in der BOOTE Exclusiv-Ausgabe 01/2019 und wurde von der Redaktion im August 2023 überarbeitet.