Sören Gehlhaus
· 29.03.2025
Im voll belegten Hafen den Sound aufdrehen – das wagt nur, wer sich einer mächtigen Soundanlage sicher ist. „Special One“ enthält über 150 Lautsprecher von Focal. Und ähnlich den Decks des 52 Meter langen Sportfishers baut sich ein stetiges Klanggerüst auf: Erst ertönen nervöse Synthis gepaart mit dem Falsett-Gesang von Sting, dann setzen Drumset und Mark Knopflers Gitarre ein. Riff für Riff wird es lauter. Dem ausgezeichneten Sound tut das keinen Abbruch, selbst der Wind vermag die Schallwellen nicht zu zerstreuen. Marnix Hoekstra von Vripack hat „Money for Nothing“ von den Dire Straits aufgelegt und steht erfreut hinter dem DJ-Pult des voll ausgebauten Vordecks. Ein Sportfisher mit Frontcockpit? Dem „Special One“-Eigner geht es eben nicht nur um dicke Fische.
Bei herkömmlichen, in den USA überaus populären Sportfisher-Formaten zwischen 44 und 90 Fuß kommt das Vordeck verschwenderisch lang und vor allem schier daher – ohne Reling, Nutzung nicht vorgesehen. Das Deck ist schnöder Deckel auf dem nach oben dramatisch konkaven Bordwandverlauf im Stile einer Vase mit geschwungenem Hals. Von vorn zeigen die spitz-schmalen Bugsektionen Parallelen zu Segelyachten.
Der praktische Nutzen der sinnlichen Front: Verdrängte See wird kanalisiert, und bei Wellengang stiebt die Gischt nicht einfach nur auf, das Luft-Wasser-Gemisch verteilt sich kunstvoll zu den Seiten weg. Sonst spritzte es wohl bis auf 18 Meter hinauf zum „Buggy-Top“ des „Tuna Towers“, dem Dach des Mini-Steuerstands, der die konisch verlaufenden Aufbauten krönt. Das neue Flaggschiff der globalen „Big Game Fishing“-Flotte behält eben jene charakteristischen Features bei, die sich über Jahrzehnte etabliert und kaum verändert haben. Der Rumpf ist allerdings eine Mischform, für Vripack die „radikalste Konstruktion“ in der Geschichte des 1961 gegründeten Büros, das mit Bart Bouwhuis und Marnix Hoekstra an der Spitze auch als Designstudio auftritt. Die Niederländer wandten sich vom traditionellen Deep-V-Rumpf ab und wollten Widerstand und Kraftstoffverbrauch drastisch senken, sowohl unter Marschfahrt mit 14 Knoten als auch unter Volllast.
Kommt vorn das schräg verlegte Teakdeck doch mal mit Wasser in Berührung, läuft das über Speigatten in Schlitzform ab. In den Schanzen stecken je drei Lautsprecher, zwölf in den Carbonstangen des Biminis. Marnix Hoekstra scherzt: „Es ist ein Speaker Carrier. Auch die Crew hat genau die gleichen Lautsprecher in der Galley, Messe und den Kabinen.“ Im Rücken des DJ-Pults öffnet sich das Dach der Tendergarage und wird zur Kinoleinwand, unten mit wasserdichtem Fach für den Projektor und eigenen Kühlkanälen.
Nicht minder laut und dramatisch wird es achtern im Cockpit. Rutenhalterungen rings um das Cockpit, am und über dem zentralen Fighting Chair und den Ausläufern des Oberdecks geben Aufschluss über die Angelambitionen. Ehe sich die Carbonspitzen der Ruten biegen, steht viel Arbeit an. Lebendköder wie kleine Thunfische erleben dank eines redundanten Pumpensystems stete Wasserbewegung; eine Glasfront gibt Aufschluss über ihren Zustand. Die über Stagen versteiften Ausleger am seitlichen Oberdeck bringen Köder in Bereiche aus, die sich über die drei- bis vierfache Yachtbreite erstrecken. Hat einer angebissen, geht die Schnur über das Öffnen eines Karabiners von den recht starren auf die im wahrsten Sinne des Wortes flexiblen Ruten weiter unten über.
Das Finale wird in der 28 Quadratmeter großen Angel-Arena ausgetragen. Dann werden Gürtel oder Gurte ähnlich denen vom Windsurfen angelegt, und die handballgroßen Alutecnos-Rollen laufen heiß. Schließlich landet der Fang, so er nicht wieder ins Meer geht, in Kisten unter dem Cockpit mit Crushed Ice aus Salzwasser-Eismaschinen. Backbords geht es in einen Raum für Köder und Angelgerät, Spulmaschinen und Gefrierschränke mit weiteren Ködern. Das 45 Zentimeter breite, wundervoll strakende Teakbord des Cockpits ist nicht dem Wunsch nach Superyacht-Flair geschuldet; es ist der Goldstandard unter Sportfischern und unschlagbar in puncto Haltbarkeit und Hygiene. „Der Eigner ist leidenschaftlicher Sportfischer. Jetzt, da sein Sohn und seine Enkel mit in den Urlaub fahren, war er aus seiner Viking 92 Sportfish herausgewachsen“, berichtet Royal Huismans CEO Jan Timmerman.
Größer sollte jedoch nicht minder schnell bedeuten. An Bord greift Hoekstra das Yacht-Sportfisher-Dilemma auf: „Im Prinzip ging es um Gewicht und Leistung. Leichtbau war mit Royal Huisman eine Selbstverständlichkeit. Für den dritten Motor aber hätte man zwei Kabinen opfern müssen. Das war keine Option, das Fünfkabinenlayout mit Eignersuite auf dem Hauptdeck war gesetzt. Also einigten wir uns auf ,nur‘ 30 Knoten.“ Bevor man in Vollenhove anklopfte, trat das Eignerteam an Motoryacht-Werften in Nordeuropa heran. Das Gros winkte ab, zu eng, zu komplex, zu gewagt. Einer internen Diskussion entsprang die These, nur eine Segelyachtwerft könne eine so dichte und technisch komplexe Yacht innerhalb ehrgeiziger Gewichtsvorgaben realisieren. „Wir konstruierten und bauten so, als ob es sich um eine Segelyacht handelt. Also sehr leicht und sehr steif“, bestätigt Timmerman. Auf die penible Einhaltung von Gewichtsvorgaben versteht sich Royal Huisman bestens. Primär verlassen die Huisman-Hallen Segelyachten aus Alu.
Der Maschinenbauingenieur berichtet von White Smoke Sessions nach dem Vorbild der Concurrent Engineering Challenge der Europäischen Raumfahrtagentur ESA. Stockt es irgendwo, kommen alle Disziplinen in einem Raum mit zwei großen Bildschirmen zusammen, auf die jeder projizieren kann. Erst, wenn weißer Rauch aufsteigt, geht man auseinander. Dort wurde auch jener Vakuum-Lift verhandelt, wie er in den USA seit über einem Jahrzehnt auch auf Yachten üblich ist. Im Glaszylinder geht es per Kompressor vom Hauptdeck zwei Etagen nach oben, ganz ohne Hydraulikschacht. Das sparte Platz, viel entscheidender aber war das Gewicht von weniger als einer Tonne und damit einer Ersparnis gegenüber mechanischen Aufzügen von 1,5 Tonnen. Nachträglich in die Spezifikation kam das Sonar kommerzieller Bauart. Es fährt vor dem Motorenraum aus dem Rumpf und verbleibt dort wie ein entgegengesetztes Periskop bei bis zu 18 Knoten.
Der nächste Brocken war die Klimaanlage mit der alles verkomplizierenden Vorgabe „Gulf Spec“. Man rechnete mit Außentemperaturen von bis zu 45 Grad Celsius, 60 Prozent Luftfeuchtigkeit, 38 Grad warmem Seewasser und berücksichtigte sogar das Aufheizen der Außenflächen und Verglasung je nach Sonnenstand. Ziel waren 18 Grad Celsius in den Wohnbereichen und die „Kühlung“ der Bordsysteme zu jedem Zeitpunkt. Sechs Gebläsekonvektoren erkalten und verteilen im Motorenraum Luft aus diversen Einlässen. Unter keinen Umständen wollte man die beiden 4.400 Kilowatt starken Zwanzigzylinder auf dem Weg zu Fanggründen drosseln müssen. Die MAN-Aggregate befanden sich zum Projektstart in der Entwicklung, wurden von der V16-Baureihe abgeleitet und waren kompakter als die bislang leistungsstärksten schnelllaufenden Motoren. Und doch brachten sie jeweils 15 Tonnen auf die Waage.
Hoekstra sagt im Motorenraum: „Das sind die Baunummern zwei und drei, der erste ist als Testmotor im MAN-Werk verblieben.“ Die Schubkraft ins Nass bringen eigens entwickelte Propeller mit fünf überlappenden Blättern, deren Spitzen sich bei voller Leistung mit 181 km/h drehen. „Special One“ gab ihnen recht, lief bei der Seeerprobung sogleich 21 Knoten mit zunächst einem Aggregat und beschleunigt nun von 0 auf 30 Knoten in 46 Sekunden. Der Wendekreisdurchmesser beträgt nur das 2,5-Fache der Schiffslänge, und Rückwärtsfahrten gelingen mit sieben Knoten, wichtig beim Fischen.
Wie alle qua Konzept arg in die Höhe gebauten Sportfisher, ruft der Fischfang auch die 52 Meter bei allen Wettern. „Einer der wichtigsten Faktoren war, Rollbewegungen zu unterbinden, da auch ältere Personen und Kinder an Bord kommen“, betont Marnix Hoekstra. Ein Aufschaukeln bei Verdrängerfahrt oder Stillstand verhindern zwei Kreiselstabilisatoren von Veem, die in Huismans Gewichtskalkulation mit jeweils 6,5 Tonnen zu Buche schlugen. Der Vripack-Designer berichtet, wie der Kapitän während Probefahrten bei 32 Knoten voll Ruder gab, und sich maximal 3,1 Grad Krängung einstellten, ohne jegliche Stabilisierung oder Trimmklappen. Durch das Fehlen eines zentralen Skegs – der hätte etwa ein Knoten Topspeed gekostet – würde „Special One“ etwas durch den Turn sliden. Kontrolliert natürlich.
Dass sich innen Dinge bei Lage auf den Weg machen, verhindern Schlingerleisten auf sämtlichen Sideboards, die sich auch gut greifen lassen. Wie auf Segelformaten ist die Dichte an Handläufen hoch, zudem ebnet eine Schräge statt Stufen den Flur zur Eignerkabine. Dort ist der Lederanteil höher, Panda- Marmor gibt es in allen Bädern. Das Interieur legte Vripack einheitlich an, mit Walnussfurnier von einem einzigen Baum als erste Materialwahl. Esche schmeichelt den Füßen, vereinzelt tauchen gebeizte Eiche und aquamarinfarbene Textildetails auf.
Der Innenausbau schmiegt sich an Rumpf und Aufbau für maximale Raumausnutzung, um auch alle Annehmlichkeiten unterzubringen. Wie die Bar auf dem Oberdeck mit ihrer hinterleuchteten Front und einem Weinschrank mit 300 Flaschen. Ein Deck tiefer sitzt es sich am Speiseplatz über einer ovalen Intarsie aus 237 Esche- und Wengé-Elementen. Money for Nothing? Mitnichten. Dire Straits‘ Hymne auf das vermeintlich leicht verdiente Geld lässt sich auf beide Seiten anwenden. Werft, Designer und viele mehr erschufen nie Dagewesenes. Und der Auftraggeber erhielt viel für viel: Ein „Sportschiff“, das auch Entspannungsvehikel ist.
Trotz Ausrichtung auf die Golfregion zeigte sich „Special One“ reisefreudig und unter anderem beim America’s Cup vor Barcelona. Aufmerksamkeit ist den 52 Metern gewiss: „Die Bewunderung, die uns überall an den Docks entgegengebracht wird, ist einzigartig und unterstreicht, dass ,Special One‘ bereits eine Ikone ist. Ich freue mich auf viele weitere Erlebnisse an Bord mit meiner Familie, meinen Freunden und denen, die wir unterwegs treffen. Sie ist wirklich etwas Besonderes“, beschließt der Eigner. Nachts für Aufsehen sorgt lückenlose wie robuste Außenbeleuchtung durch Laser, die Royal Huisman mit Fibre8 für das Motorformat „Phi“ entwickelte. Aktuell bauen die Niederländer an zwei 80-Meter-Seglern. Wieso nicht erneut eine Yacht mit schmalem Rumpf, langem Mast, aber ohne Segel angehen? Für einen zweiten XXL-Sportfisher wäre Michael Jordan der perfekte Kunde. Derzeit fährt die Basketball-Legende eine Zwei-Yacht-Strategie aus 74 Meter langem Mutterschiff und 82-Fuß-Sportfisher. Noch.