Sören Gehlhaus
· 05.07.2025
Wenn Feadship als Werft eine Traumfabrik ist, dann sind die Designer der angegliederten Gestaltungsabteilung professionelle Träumer. Den Beweis liefert ein von Glaswänden und -Türen abgetrennter Raum innerhalb der Bürofläche. Darin steht ein Mann mit VR-Brille, der teils mit beiden Armen angestrengt herumfuchtelt und teils weich wie langsam gestikuliert. Es hat den Anschein, als würde er schlafwandeln – oder dirigieren. Nur hat er kein Orchester vor sich sitzen; auf seine Handbewegungen im scheinbar leeren Raum gehorchen viele Linien und Kurven, davon zeugt ein großer Wandmonitor, auf dem das dreidimensionale Modell einer Yacht rasch Form annimmt.
Thijs Orth hält in jeder Hand Controller mit Mini-Joysticks und Tasten. Der Designer von Studio De Voogt arbeitet damit am lebenden 3D-Objekt. Nicht etwa, um seiner Kreativität freien Lauf zu lassen oder einen Idealentwurf zu erstellen. Das Skulptieren mit einer Design-Software ist ein elementarer Baustein im Wettlauf um die Aufmerksamkeit von Eignern in spe. Auf Basis der rasant aufgezogenen Exterieurs erstellen Modellierer detaillierte Renders in Rekordzeit. Derzeit hat das Gros der Feadship-Klientel statt eines eigenen Designers eigene Ideen im Schlepptau, die sie mit dem Team von Studio De Voogt entwickeln. Es gilt: zuhören, interpretieren, kreieren. „Bei der Gestaltung ist die Zeit immer gegen uns. Über optimale Prozesse kommen wir rasch von einem leeren Blatt Papier zum Endprodukt. Für uns sind detaillierte 3D-Darstellungen eine erweiterte Form der Präsentation“, sagt Tanno Weeda, während er durch die Räumlichkeiten in Hoofddorp führt. Der Niederländer ist seit 2020 Head of Design und koordiniert sämtliche Aktivitäten des werfteigenen Kreativbüros. Davor arbeitete Weeda über 20 Jahre als Designer an Projekten wie „Venus“ oder „Promise“.
Aktuelle Zahlen validieren das Konzept der kurzen Design- und Konstruktions-Wege. Wobei die Jahre 2024 und 2025 für Feadship eine ungewöhnlich hohe Frequenz an fertiggestellten Einzelbauten bedeuteten. Binnen eines Jahres wasserten die Niederländer neun Customyachten, über 784 Längenmeter in Summe! Die Exterieurs von fünf der neun Solitäre entwarf Studio De Voogt. Den Stapellauf-Reigen der Haus-Designs eröffnete im Juni 2024 „B“ (59,5 m) in Aalsmeer. Noch im alten Jahr dockte Feadship „ONE“ (75,75 m) in Kaag aus. Im März 2025 hatte dann „Moonrise“ (101 m) Wasser unter dem Kiel und im Mai das 71,76 Meter lange Projekt 827. Zuletzt aus der Halle in Aalsmeer kam „Valor“ (79,5 m). Und es geht weiter: Drei Projekte mit Linien von Studio De Voogt, von 50 bis 89 Meter, befinden sich in der Ausrüstungsphase.
Die Gestaltungsvorgaben und in den meisten Fällen auch der konstruktive Unterbau kamen von Rechnern aus Hoofddorp. Feadship bezog das vierstöckige Bürogebäude in unmittelbarer Nähe zum Amsterdamer Flughafen im Jahr 2021. Ganz unten kommen alle beim Mittagessen in der Kantine zusammen, die eher wie ein Restaurant wirkt und auf Buffet statt Essensausgabe per Kelle setzt. Im obersten Stockwerk sitzen die Marketing- und Innovationsabteilung. Dazwischen arbeiten Designer, Controller, Verkaufsingenieure, Vertreter von Feadships Refit- und Zertifizierungsprogramm und die Konstrukteure von Feadship De Voogt Naval Architects. Sie machen mit 120 den Löwenanteil der Mitarbeitenden in Hoofddorp aus.
Den Vorgänger von De Voogt Naval Architects hob Henri de Voogt 1913 zunächst als Werft in Haarlem aus der Taufe. Er begann in den 1920er-Jahren schiffbauliche Berechnungen für Yachten der Werften De Vries und Van Lent – beide sind Teil des jetzigen Werftenverbunds Feadship – zu erstellen. De Voogt untermauerte seinen Ruf als der größte Motoryachtdesigner der Vorkriegszeit mit der 54 Meter langen „Chasevar“, die 1936 für den Schah von Persien vom Helgen glitt. Allerdings nicht bei Feadship. Der Zusammenschluss entstand 1949 als Exportvereinigung niederländischer Yachtbauer.
Im Werftenverbund agierten Henri de Voogt und ab 1960 sein Sohn Frits als Dreh- und Angelpunkt. Fast alle Feadships wurden bis in die frühen 1980er-Jahre von De Voogt Naval Architects entworfen, meist mit den typisch feinen Bugformen und diagonalen Fashion Plates zwischen den Decks. Der zunehmenden Individualisierung von Eignern begegnete man auf zwei Pfaden: Gebaut wurde nun auch nach Vorgaben externer Gestalter und Konstrukteure, zudem emanzipierten sich die Designer mit der Eigenmarke von der schiffbaulichen Mutter. Seit 2005 taucht der Name Studio De Voogt in den Spezifikationen unter Exterieurdesign auf.
Eng arbeiten die Disziplinen weiterhin zusammen. Das Schöne geht nicht ohne das Komplexe – und umgekehrt. So sitzen einige Schiffbauingenieure auf der Ebene der Gestalter, um Machbarkeiten der dreidimensionalen Gerüste zu prüfen, die laut Weeda meist sehr nah an dem seien, was später gebaut werde. Bram Jongepier ist einer der Techniker in den Reihen der Designer, der für Feadship die Dekarbonisierung vorantreibt und den werftübergreifenden YETI-Score entwickelte. Regelmäßigen Austausch bringen Meetings von Projektgruppen.
Auf die Kreativfläche verteilen sich 15 Studio-Mitarbeitende ohne Abtrennungen, der Austausch von Tisch zu Tisch ist rege. Vor dem Fenster steht ein Lego-Baukasten von Projekt 715 bereit für den Eigner und seine Familie, zahlreiche Yacht-Modelle lugen hinter Pflanzen und Monitoren hervor. Die aktuellen kommen aus dem 3D-Drucker und dienen der Proportionskontrolle und dem Realisierungsnachweis. Jan Schaffers nimmt eins in die Hand: „Das hier ist schon elf Jahre alt. Es ist immer noch ziemlich gut, aber das hier ist ganz, ganz anders. Es wurde gedruckt und danach geschliffen.“ Weiter finden sich Champagnerflaschen, die das Team während der Taufen ihrer Projekte köpfte. Deren Baunummern schreiben sie mit Edding auf die Korken. Der finalen Materialisierung wohnen die Designer einen kurzen Moment bei.
Den Entstehungsprozess bestimmen für Studio De Voogt Visualisierungen. Dafür, dass Yachten vor der Wasserung in 3D über Bildschirme fahren, die kaum vom Original zu unterscheiden sind, sorgt Dennis Kleiss. Der 3D-Spezialist integrierte die Software für Freiform-Sketching in den Designprozess und taucht selbst im Paralleluniversum aus Linien und Volumen ab. Kleiss gibt eine kleine Einführung und VR-Brille mitsamt Fernbedienungen an den Besucher weiter. Den verleitet das Aufziehen hier und Zuppeln da zur Kreation skulpturaler Formen mit Konkaven und Beulen – alles, was man sich vorstellen, aber nicht immer in Aluminium oder Stahl darstellen kann.
Erfahrene Anwender wie Kleiss oder Orth bringen nach zwei Tagen ein ansehnliches Rendering mit strakenden Linien hervor, für das man sonst drei Wochen benötigt hätte. Die Basis eines komplexen 3D-Polygon-Modells kann ein schnöder Würfel bilden. In die virtuelle Welt wird eine 2D-Skizze zur Orientierung geladen und los geht das Skulptieren. Details werden danach modelliert. „Es ist gut, um ein Gefühl für die Volumina und den Ausdruck der Formen zu erhalten“, sagt Designer Thijs Orth beim Versuch, Linientreue herzustellen. Allerdings sind dem Prozess menschliche Grenzen gesetzt: Das Bewegen in der digitalen Parallelwelt ist intuitiv, aber auch anstrengend. „Manche schaffen eine Stunde oder zwei. Man kann es auch den ganzen Tag machen. Aber es ist besser, zwischendurch mal zu pausieren“, betont Dennis Kleiss.
Später sitzt Thijs Orth an seinem Platz vor drei Monitoren mit VR-Brille und Controllern in den Händen. „Dann kann man wirklich lange Sitzungen machen. Aber man kann auch zusammenarbeiten. Wenn ich zum Beispiel mit der Oberfläche des Rumpfes beschäftigt bin, kann ein anderer Konstrukteur oder Modellierer die Aufbauten machen.“ Die Treffen im virtuellen Raum dienen auch Projekt-Übergaben oder dem gemeinsamen Entwickeln von Ideen. Teilnehmer werden als Avatar sichtbar und chatten miteinander, sollten sich aber beim kollaborativen Arbeiten physisch nicht im selben Raum befinden.
Tanno Weeda geleitet ein Stockwerk höher und öffnet das Archiv. Aus Büchern in Ledereinband fliegen Fotos von Feadships entgegen, die ein ähnliches Baujahr wie Weeda haben. Ein Sundeck mit Wetbar an der Stirnseite, ein schnöder weißer Kasten mit abgerundeten Ecken, kommentiert der Designer beinahe entschuldigend: „Solch einfache Formen würde es heute nicht mehr geben.“ Was nun die Hallen verlässt, steht im krassen Kontrast zu den typischen Feadship-Formaten von anno dazumal. Obschon sich die Dimensionen und Formen innerhalb der Größensegmente ähneln, wird immer bei null angefangen. Selbst scheinbar identische Rümpfe sind immer auf die Nutzung und Aufbauten angepasste Unikate.
Full Custom gilt bei Studio De Voogt umso mehr auf gestalterischer Ebene. Wo unabhängige Designstudios über die Jahre ihren eigenen Stil entwickelt haben, von dem sie ungern oder teils partout nicht abweichen wollen, treffen Kunden hier nicht auf ausgeprägte Egos und ihre „Trademark-Linien“. Tanno Weeda: „Wir haben unseren eigenen Stil, aber auch die Freiheit, maximal individuell, kreativ und immer sehr nah am Kunden zu sein. Wir verkaufen nicht nur das Design, auch die Marke, den Feadship-Stil.“ Zum Komplettprogramm gehören Interieurs, von denen es erst zwei seit Abkopplung des Studios gab. Zuletzt betreute Jan Schaffers „Sibelle“ außen wie innen. Weeda und sein Team rühmen sich damit, maximal unvoreingenommen an Entwürfe heranzugehen.
Wie das geht? „Carte Blanche Experience“ heißt ein Verfahren, mit dem noch während eines Messebesuchs Wunschdesigns entstehen. Abgefragt werden die geplante Nutzung oder ästhetische Vorlieben. Dabei geht es um Yachten, die gefallen (werft- übergreifend!), favorisierte Luxusmarken, Designermöbel und natürlich um die Inhalte der Privatgaragen. Darauf basierend fertigt ein Studio-De-Voogt-Gestalter auf einem Tablet spontane Entwürfe an, die ein-, zweimal weiterentwickelt und als finaler Wurf Standbesuchern live auf Displays präsentiert und für den Kunden ausgedruckt sowie eingerahmt werden.
Design-Chef Weeda führt nach oben, wo Innovationsmann Marc Levadou sitzt. „Wir sind gut zehn Jahre voraus in der Designabteilung, aber hier sind sie etwa zehn bis 30 Jahre voraus“, so Tanno Weeda. In einem Regal liegen Proben von alternativen Decksbelägen. Der Endlichkeit natürlicher Teakreserven ist man sich sehr wohl bewusst und setzt Alternativen auf dem Dach seit drei Jahren der Witterung aus. Dabei sind synthetische Decks, welche aus Kork, Plantagen-Teak, Harthölzern wie Lignia oder aus Keramik. Zurück auf der Designebene skizziert Jan Schaffers auf einem Display direkt in Photoshop. Der Gestalter arbeitet auch analog mit Bleistift und Block, mit Kunden sei es die einfachste Interaktion – und sicher auch die beeindruckendste. „Viele der größten Feadships, die jemals gebaut wurden, entstanden bei einem Treffen, bei dem wir die Ideen des Eigners auf einem leeren Blatt Papier zum Leben erweckten“, informiert Feadships Chief Marketing Officer Farouk Nefzi beim Mittagessen in der Kantine im Erdgeschoss.
Von ersten Skizzen über Konzeptentwürfe bis hin zu dreidimensionalen Visuals mag der Weg überschaubar wirken. „Wir brauchen etwa zwei Monate für einen kompletten Entwurf“, erklärt Studio De Voogts Designchef Weeda. Custom-Yachten aber bleiben hochkomplexe Gebilde, für die Kollegen von der Konstruktion parallel zur Gestaltung und in deren Folge sämtliche schiffbautechnischen Parameter festlegen.
Gebaut wird an einem der vier Werftstandorte, die Feadships Bürogebäude in Hoofddorp auf konzentrischen Kreisen umschließen. Fast vor der Tür liegen die Feadship-Hallen in Aalsmeer. Auf einem Radius von knapp 20 Kilometern verteilen sich mit Kaag im Süden die älteste und mit Amsterdam im Norden die jüngste wie größte Anlage. Bis nach Makkum am IJsselmeer sind es knapp anderthalb Stunden Fahrt. Unabhängig vom Bauplatz ist ein Besuch von Tanno Weeda und seinem Team in ihrem Büro anzuraten, schöpferisches 3D-Erlebnis inklusive.