PorträtWie die Model Maker Group Yachtbau-Exzellenz im Kleinen betreibt

Sören Gehlhaus

 · 06.10.2024

Unbedingte Maßstabstreue: Beim „Haven“-Modell wurden selbst kleinste Teile berücksichtigt.
Foto: MMG - Model Maker Group
Die Model Maker Group betreibt Yachtbau-Exzellenz im Kleinen. Ihre präzisen Modelle materialisieren Ideen von Designern und erzeugen Eigner-Emotionen.

Wer eine große Yacht besitzt, der nennt in den meisten Fällen auch ein detailgetreues Modell ebendieser sein Eigen. Bei Seglern sind es oftmals Halbmodelle, die Motorfraktion tendiert zum Vollmodell. Große Faszination vermögen sie beide zu erzeugen. Der maßstäbliche Nachbau mag im Kontor hinter Glas stehen und als Vehikel dienen, um die Zeit an Bord gedanklich herbeizusehnen oder sich ihrer zurückzubesinnen; oder das feine Abbild ruht an Bord hinter Glas mit dem Zweck, sich der Form gewahr zu werden, die einen umgibt.

Der Modellbau besetzt eine analoge Nische. Noch thronen auf Sockeln und unter Vitrinen keine VR-Brillen, um das Exterieur im Metaversum zu umkreisen. Werften oder Designer gehen diesen digitalen Weg vereinzelt oder mussten darauf während der Corona-Zeit ausweichen, treten an Kunden aber vorrangig mit hyperdetailgetreuen Materialisierungen ihrer Idealentwürfe heran. Viele sind – wie das Gros ihrer Vorbilder es später einmal sein werden – wahre Globetrotter und reisen gut geschützt auf Messen weltweit. Jeder, der eine Yachtshow am Vor- oder Folgetag besucht hat, kennt die rechteckigen Holz- oder Alukisten, welche die Stände der Big Player säumen.

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Auftragslage der Modellbauer als Indikator für die Großen

In gewisser Weise spiegelt die Auftragslage der Modellbauer die der Großyachtwerften wider – und kann Hinweise auf Marktentwicklungen geben. Dazu sagt Giuseppe Capobianco, Gründer und CEO der Model Maker Group (MMG): „Wir stellen einen Rückgang der Projekte für sehr große Yachten fest. Es gibt weniger Konzepte und weniger 100-Meter-Yachten werden gebaut. Im 30/40-Meter-Segment hingegen ist viel Bewegung.“ Die Italiener fertigen rund 400 Modelle pro Jahr, für Werften wie Lürssen, Sunseeker, Baglietto oder direkt für Eigner. „Es gibt mittelgroße und kleine Yachten, die wir in großer Stückzahl herstellen. Bei den großen sind es deutlich weniger, weil sie eine sehr lange Produktionszeit haben“, verrät Capobianco.

Vor ihrer vorrangig emotionalen und kommerziellen Bedeutung erfüllten maritime Modelle einen überaus praktischen Nutzen. Im Boots- und Schiffbau wurden sie, zumeist in Form von Halbmodellen, als Visualisierungshilfe von Entwürfen genutzt. Für den Erbauer oder Konstrukteur und manchmal als Vertragsgrundlage für künftige Eigner. Rumpfhälften waren unumgänglich für die Beurteilung der Machbarkeit oder der Linien. Anfassen, mit den Fingern abfahren, von allen erdenklichen Winkeln aus betrachten – all das verwehrte einem die papierne Risszeichnung in 2-D.

Der Fokus lag auf den Rümpfen, meist fanden nur wenige Details Beachtung. Es ging um die pure Form. Als Verfechter und eifriger Produzent der Miniatur-Rümpfe trat auch Nathanael Herreshoff auf. Der „Zauberer von Bristol“ genannte US-Ingenieur gilt als größtes Erfindergenie des Segelsports und Schiffbaus und erlebte Ende des 19. Jahrhunderts seine wichtigste Schaffensphase. Von dieser Hochzeit zeugen mit Halbmodellen gepflasterte Wände von Museen oder Klubhäusern wie die des New York Yacht Club.

Model Maker Group arbeitet mit großer Detailliebe

Mit weitaus größerer Detailliebe und kleineren Maßstabszahlen arbeitet die Model Maker Group. Sie hat ihren Sitz in Itri, auf halber Strecke zwischen Rom und Neapel und zehn Kilometer von der Küste entfernt. Ganz passend liegt der Hauptsitz in der Via degli Artigiani, der „Straße der Handwerker“. Eine Gesamtfläche von 1900 Quadratmeter verteilt sich auf zwei nicht weit voneinander entfernte Standorte, an denen 33 Personen wie in einer Werft in unterschiedlichen Produktionsbereichen arbeiten.

Giuseppe Capobiancos Brot- und Buttergeschäft bilden Yachten zwischen 50 und 70 Meter, wobei die tatsächlichen Abmessungen der Yachten und die Maßstäbe der Modelle variieren. Bis 18 Meter wird in 1:30 gefertigt, zwischen 40 und 50 Meter beträgt der Maßstab 1:50, damit die Modelle nicht zu „gigantisch“ werden. Bei 70 bis 100 Meter Lüa skaliert MMG auf 1:75 oder 1:100 herunter. Die Preise reichen dann bis an die für Mittelklassewagen heran. Das größte maßstabsgetreue Modell einer Yacht ist eine 4,40 Meter lange Version des 47-Meter-Segelkatamarans „Artexplorer“, das für den Frankreich-Pavillon auf der Expo in Dubai entstand.

Da der 1:13-Kat insgesamt sechs Monate im Schaubecken verbrachte, erhielten die Rümpfe Antifouling-Anstriche und alles musste leicht zerlegbar, transportierbar und vom Kunden aufzubauen sein. „Wir haben eine Anleitung für den Auf- und Abbau erstellt. Bei großen Aufträgen sind wir bei Handhabung, Montage oder dem Versand behilflich“, weist Giuseppe Capobianco auf die weniger offensichtlichen Herausforderungen seiner Großprojekte hin, die teils für Refits oder Reparaturen auf die MMG-Tische zurückkehren. Der größte je realisierte Auftrag hatte den 300-Meter-Kreuzfahrer „Ulyssia“ zum Vorbild und mündete in einer etwa drei Meter langen Bonsai-Version des Espen-Øino-Designs für die Meyer Werft.

Der Norweger Øino verschaffte Capobianco Anfang der 2000er-Jahre die erste Order aus der Gigayachtwelt: „Ein wichtiges Ereignis war die Begegnung mit Espen Øino während des Entwurfs von ,Octopus‘. Er rief mich nach Antibes und bat mich, das Modell für ,Serene‘ (134 m, Fincantieri) zu bauen. Es war die Blütezeit der 100-Meter-Plus-Yachten. Wir zogen dann an einen neuen Standort um und erlebten unsere ersten bedeutenden infrastrukturellen Entwicklungen.“

Start mit Vollholzmodellen und ohne Pläne

Den Anfang nahm alles in Capobiancos Elternhaus, wo er vor über 25 Jahren mit Massivholz-Modellen begann, für die er keine Pläne hatte. Er verließ sich ausschließlich auf seinen Beobachtungssinn. Capobianco erinnert sich: „Um finanziell unabhängig zu werden, fing ich im Alter von 15 Jahren mit dem Bau von Schiffsmodellen an, die ich zunächst nur aus Spaß an der Freude baute und dann zu verkaufen begann. Ich startete mit Galeonen, historischen Booten und ähnlichen Dingen. Es war in keiner berühmten ,New Economy‘-Garage, sondern im Keller unseres Hauses.“

Eines Tages lernte er einen Yachtausrüster kennen, der ihn um Hilfe beim Bau eines Modells bat. Eine dauerhafte Freundschaft war geboren. Über ihn bekam er die Möglichkeit, sein erstes kommerzielles Modell, eine Technema 90, für Rizzardi Yachts zu bauen, eine Werft ganz in seiner Nähe. Die Unternehmung wechselte vom heimischen Keller in eine Garage von etwa 30 Quadratmetern, in der ein kleiner CNC-Stromabnehmer stand, den Giuseppe Capobianco von seiner Großmutter zum Schulabschluss geschenkt bekam. Nachdem sein Vater ihn für einige Jahre zu einem Schiffbaumeister und einem Stuckateur geschickt hatte, stellte sich der endgültige Erfolg ein. Über die Messe in Genua erweiterte sich der Kundenkreis um Benetti, die seinen Betrieb bis heute auf Trab halten.

Wie die präzisen Werkstücke bei der Model Maker Group entstehen

Heute werden Rümpfe und Aufbauten von fünfachsigen CNC-Fräsen aus Kunststoffblöcken unterschiedlicher Dichte geformt. Dabei werden die Maschinen mit denselben Rhino-3-D-Daten gefüttert, die den Werften, Designern oder Konstrukteuren vorliegen. So entstehen präzise Werkstücke mit Ankertaschen, Klüsen oder Fensterrahmen, die von Hand nachgeschliffen und für das Lackieren vorbereitet werden. Je mehr Details Berücksichtigung finden, desto realistischer wirkt das Modell und weicht von der naiven Anmutung ab, die durch Weglassen oder Maßstabsverzerrung aufkommt. Den MMG-Fräsen entspringen neuerdings sogar Teile für Yachten in Originalgröße.

Die Pedanterie auf die Spitze treiben „As built“-Modelle. Sie übertragen höchste Maßstabstreue auf noch so kleine Ausrüstungsgegenstände und erfordern Kataloge, die etwa die Details aller Decksmöbel listen. Das kleinste Schränkchen, das vor einigen Jahren noch ein weißes Objekt war, erhält nun Stahlkanten, eine Platte aus Calacatta-Marmor und Holztüren, deren Maserung dem Vorbild gleicht. Wenn es gilt, ganze Fitnessräume en miniature nachzuempfinden, unterstützen diverse 3-D-Drucker. Dann öffnen sich schon mal die Rumpfklappen von Geisterhand. „Die kompliziertesten Modelle sind jene mit Elektronik und beweglichen Teilen“, sagt MMG-Gründer Giuseppe Capobianco, der derzeit mit NFC-Antennen experimentiert. So lässt sich steuern, dass etwa beim Öffnen einer Tür mit Geschwindigkeit X das Licht in einem bestimmten Raum automatisch angeht.

„Komplexe Lösungen werden Kunden oft erst durch unsere Modelle vor Augen geführt und tragen in manchen Fällen zum Experimentieren bei“, freut sich Capobianco. So kann es vorkommen, dass die Kleinen die neuen Entwicklungen der Großen vorwegnehmen oder Innovationen lostreten.


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