Wenn ein Engländer früher in beengten Verhältnissen hauste, hatte er den passenden Spruch parat, um über den Abstand seiner eigenen vier Wände zu klagen: It’s too narrow to swing a cat – „zu eng, um eine Katze zu schwingen“. Allerdings war damit nicht gemeint, dass ein kreischender Vierbeiner im Kreis geschleudert werden sollte; mit cat war die berüchtigte „neunschwänzige Katze“ gemeint, jene Peitsche, die auf den segelnden Kriegsschiffen ehemals für Zucht und Ordnung sorgte und deren (im wahrsten Sinne einschneidende) Wirkung selbst Landmenschen noch heute vertraut ist – etwa aus so farbenprächtigen Hollywood-Schinken wie jenem von der „Meuterei auf der ,Bounty‘“. Doch die Zeiten haben sich geändert: Inzwischen gibt es Bootsleute auf der Insel, die solche Bewegungsengpässe „daheim“ nicht nur freiwillig auf sich nehmen, sondern sie genießen – und die es mit trockenem Humor (und einem gewissen Stolz) ohne Umschweife sogar als Auszeichnung ansehen, wenn „kein Platz für die Katze“ ist …
Die Rede ist von der stetig wachsenden Fangemeinde des Narrowboats: jenem lang gestreckten Kahn, der (für den Ahnungslosen) aussieht, als hätte man einen alten Eisenbahnwaggon einfach mit viel Gottvertrauen an nächstbester Stelle zu Wasser gelassen. Bunt bemalt, gehegt, gepflegt und urig eingerichtet (soweit der Platz unter Deck es eben zulässt), blicken die unverwechselbaren Boote mit den robusten Eisenrümpfen jedoch auf eine lange und wechselvolle Geschichte zurück. Und dieser ganz besondere Charme ist es auch, der dafür sorgt, dass nicht nur immer mehr narrows liebevoll restauriert, sondern auf kleinen Werften im ganzen Land sogar neu gebaut werden – als Haus- und Wohnboote oder für die zahlreichen Charterflotten, die in allen Ecken des weitverzweigten Wasserstraßennetzes der britischen Insel Stützpunkte haben. Jeder, der an Bord kommt, kann – im entspannten Schritttempo – ein Stück der eigentlich längst vergangenen Traditionen der Flussschiffer auf den historischen Kanälen zwischen Manchester und London nacherleben. Es wird also Zeit, ein wenig von dieser Geschichte zu erzählen.
In der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts waren die englischen Midlands noch eine friedliche Idylle aus grünen Hügeln und rosenumwucherten Dörfern. Frachtverkehr über Land gab es kaum, und die Flussläufe im Inneren wurden zwar genutzt, waren aber nicht untereinander verbunden und damit häufig Sackgassen, die im Nichts endeten. Doch der Schein trog, denn die Industrialisierung begann sich zu regen: Manufakturen und Fabriken entstanden, Erfindungen sparten Zeit ein, Dampf lieferte die mechanische Kraft dafür. Immer mehr Rohstoffe wurden immer schneller benötigt, und die fertigen Produkte mussten auf die Märkte geschafft werden. Doch während andere europäische Länder längst den Massentransport auf künstlichen Wasserwegen mit modernen Schleusen entdeckt hatten (der südfranzösische Canal du Midi etwa war bereits 1681 eröffnet worden), erinnerte die Infrastruktur auf der Insel in weiten Bereichen noch an das Mittelalter.
Kein Wunder, dass aufstrebende Fabrikanten und Adlige ungeduldig wurden. Der Mann, der ihre Wünsche wahr werden lassen sollte, stand aber schon bereit: James Brindley, ein Ingenieur von bescheidener Herkunft, aber mit großem Talent (und der nötigen Sturheit) ausgestattet, begann 1759 mit seinem „Großen Kreuz“: schiffbare Kanäle mit Schleusen, Aquädukten und Tunneln sollten die Landschaft durchziehen und die großen Seehäfen des Landes verbinden. Im Mittelpunkt des Grand Cross würde die wuchernde Stadt Birmingham liegen, das industrielle Zentrum des Landes. Den Anfang machte 1761 der Bridgewater Canal, weitere wurden in schneller Folge fertiggestellt.
„Narrow“ bedeutet schmal, in diesem Fall sehr schmal. Genau gesagt sind es 7 Fuß, die ein echtes Narrowboat zwischen den rustikalen Scheuerleisten messen darf. Denn lediglich 2,13 Meter betrug die nutzbare Breite der ersten Kanäle.
Engstellen auf den neuen Wasserwegen waren vor allem Schleusentore, Brückenbögen, Tunnel und Trogbrücken. Doch auch wenn dieser frühe, sehr sparsame Standard die weitere Entwicklung im wahrsten Sinne einschränkte, wurde er später (bis auf wenige Ausnahmen) aus Gründen der Einheitlichkeit beibehalten. Dabei hatte die begrenzte Breite zu Beginn der Narrowboat-Geschichte durchaus Sinn: Die Boote wurden nämlich weitgehend von Pferden gezogen; und während die kräftigen Shire-Kaltblüter durch die geringe Größe der Boote von rund 25 Tonnen bei voller Zuladung nicht überfordert wurden, ließen sich jene durch die schlanke Form besser steuern. Zudem war nie geplant, dass Personen dauerhaft an Bord leben sollten – von mehrköpfigen Familien ganz zu schweigen.
Während die narrows der ersten Stunde noch komplett aus Holz bestanden, wechselte man später zur Kompositbauweise und schließlich zur reinen Eisenkonstruktion. Ihre Breite war zwar festgelegt, die Länge erreichte in späteren Zeiten jedoch 20 Meter und mehr, wovon die kleine Kabine mit der offenen Plicht am Heck den geringsten Teil ausmachte. Von hier wurde und wird das Narrowboat mit einer langen Pinne – dem elum – gesteuert. Davor lag bei den alten Arbeitsbooten der offene Frachtraum, der mit einer langen, zeltähnlichen Persenning geschützt wurde (etwa bei Schüttgut wie Kohle) oder komplett geschlossen und mit großen seitlichen Ladeluken versehen war. Zwei Personen gehörten zur Besatzung; neben dem Steuermann führte ein zweiter Mann das Zugpferd auf dem Treidelpfad am Ufer. Bei Tunneln ohne Pfad war jedoch Muskelkraft gefragt: Rücklings auf der Ladung liegend, „liefen“ die beiden Männer im Gleichtakt an der Tunnelwand entlang und bewegten das schwere Boot so Schritt für Schritt dem anderen Ende entgegen. Diese mühselige und schmutzige Arbeit im Dunkeln wurde legging genannt.
Das neue Transportmittel fachte die aufflammende industrielle Revolution an wie frischer Wind, ein wahrer „Kanalrausch“ setzte ein, wobei eine technische Meisterleistung die nächste jagte. Das immer weiter wachsende Netz von Wasserstraßen (mit einer Länge von schließlich mehr als 7000 Kilometern) wurde zum Kreislaufsystem des wirtschaftlichen Aufschwungs, und auf seinen „Adern“ sorgten jetzt Narrowboat-Flotten für den lebenswichtigen Austausch von Rohstoffen und Gütern.
Doch dann kam der Schock: 1821 wurde mit der Stockton and Darlington Railway von Robert Stephenson die erste Eisenbahnlinie Englands eröffnet. Man musste kein Hellseher sein, um zu erkennen, dass das Narrowboat mit seinem vorgespannten treuen Zugpferd im Fuhrpark der Industrialisierung schon bald wieder zum alten Eisen gehören würde. Der Niedergang zog sich über ein gutes Jahrhundert hin, und die Narrows kämpften hart ums Überleben; besonders in Gegenden, die für die Erschließung mit der Schiene zunächst nicht attraktiv genug erschienen oder beim Transport von billigem Massengut wie Kohle und Eisenerz konnten sie sich Nischen bewahren. Doch die Bootsleute wurden hart getroffen: Die Frachtraten sanken und führten dazu, dass die Schiffer es sich nicht mehr leisten konnten, ihre Familie in einem Haus an Land unterzubringen. Frau und Kinder zogen also an Bord, und wenn es dort auch keine Möglichkeit der Schulbildung für sie gab und die meisten aufwuchsen, ohne jemals lesen und schreiben zu können, sorgte diese Notmaßnahme doch für weitere kostenlose Arbeitskräfte im täglichen Betrieb.
Die winzige, kaum sechs Quadratmeter große cabin im Heck wurde zur dauerhaften Heimat. Dort wurde zu jeder Jahreszeit gewohnt, gekocht und geschlafen. Ein Ofen sorgte für Wärme. Holzflächen waren mit Traumschlössern und blühenden Rosen bemalt, und Vorhänge aus geklöppelter Spitze schufen eine Illusion des Privaten. In einer Welt von Asche und Ruß wurde penibel auf Reinheit geachtet – alles musste glänzen und blitzen. Das entbehrungsreiche Leben führte dazu, dass sich bei den Familien ein eigener, fester Stolz herausbildete und die einfachen boatmen sich bald als verschworene Gemeinschaft verstanden, die kaum noch gesellschaftlichen Kontakt mit „denen am Ufer“ hatte. So nannten sie in klarer sprachlicher Abtrennung all jene, die nicht in ihrer engen Welt dicht über dem Wasserspiegel lebten.
Das endgültige Aus brachten dann die immer zahlreicheren und leistungsfähigeren Lastkraftwagen; zuvor hatte man sich mit Dampfschleppern, die mehrere Boote zogen, und zuletzt mit dem Dieselmotor über die Runden gerettet. Doch irgendwann war das Ende der Wirtschaftlichkeit erreicht – nicht nur die der Boote, sondern auch die der zu gering bemessenen Kanäle. Tausende Kilometer wurden geschlossen und gerieten in Vergessenheit. Der Kohlenstaub verflog, die Natur kehrte zurück.
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg begann sich langsam eine Bewegung zu formieren, die auf die Bewahrung des kulturellen Erbes drängte und in Tourismus und Naherholung eine Möglichkeit zur Wiederbelebung und Restaurierung der Wasserwege erkannte. Mit großem Erfolg: Ausflügler und Wanderer nutzen heute die Uferpfade überall im Land, eine Vielzahl von Vereinen widmet sich der Pflege von Technik und Traditionen (selbst Zugpferde dürfen wieder ihre Kraft unter Beweis stellen) – und auf den urigen Kanälen der Britischen Insel sieht man heute keinen Bootstyp häufiger als das Narrowboat.