Volle Auslastung, so manch eine Werft schiebt diese Floskel verheißungsvoll vor sich her. Diese weit gefassten Kalkulationen enthalten dann Projekte, die noch in der Gestaltungs- oder Konstruktionsphase sind oder gar auf Interessensbekundungen basieren. Nicht so bei Bering Yachts. Die Werft mit Firmensitz in Raleigh im US-Bundesstaat North Carolina schweißt in Antalya an elf Aufträgen: vier Bering 80 und je einer 145, 125, 117, 78, 75, 72 und 65.
Dass tatsächlich alle Bauplätze belegt sind, verdeutlicht eine Hallenerweiterung in Form einer Einhausung. Darin das Heck der Bering 75, die hinter einer Bering 80 steht. Andernorts lugt sogar eine stählerne Achterpartie noch unverkleidet aus der Halle hervor. Sie gehört zu einem von zwei jüngst aus Istanbul angeschleppten Bering-80-Kaskos, vier Einheiten sind vom 220-Tonner bereits verkauft und im Bau. Eines in Istanbul, ein anderes kam von dort und belegt nun eine Freifläche hinter den Kajen der Freihandelszone. Am Stahlrumpf werden die Füße kurzerhand in Form von Rohren angeschweißt und das 80-Fuß-Modell wie eine Polarstation auf Stelzen abgestellt.
Die Bering-Hallen verteilen sich auf die gesamte Freihandelszone, ein Zeichen für das schnelle unvorhergesehene Wachstum. Es habe einen regelrechten Covid-Boom gegeben, berichtet Bogdan Gusarev, der Bering Yachts in Europa vertritt. Eigner suchten nach Yachten, die überallhin kommen – und dort für einen längeren Zeitraum bleiben und schwersten Stürmen standhalten können. „Der Großteil unserer Kunden ist zwischen Mitte 30 und 60 Jahre alt und hat zuvor Erfahrungen mit GFK-Yachten gemacht, aber sich mehr Komfort gewünscht“, sagt Gusarev in der größten Halle, in der an fünf Kaskos gearbeitet wird und an die sich die Büros der Konstrukteure von Bering Naval anschließen.
Ohne hoch verdichtetes Metall geht bei Bering Yachts gar nichts, einst entstanden sogar die Aufbauten daraus. Auch der Rumpf des kleinsten Modells, der knapp 20 Meter langen Bering 65, besteht aus Stahl. Das ist Berings Alleinstellungsmerkmal und Nische. Es werden zehn Millimeter dicke Rumpf- und sechs Millimeter dicke Aluminiumplatten verwendet. Neben der Sicherheit stehe der Reisekomfort an oberster Stelle. Gusarev bittet ans Heck einer Bering 80 und zeigt auf den Skeg: „Das haben wir von Fisch-Trawlern übernommen. Die Welle dreht sich in einem Ölbad und verläuft horizontal zu tief liegenden Motoren.“ Der Skeg schützt die Ruderblätter und soll Kavitation verhindern. Allgemein sei die Effizienz durch bessere Anströmung höher, Vibrationen und Schallemissionen gingen zurück. Bei Bering-Yachten ist alles darauf ausgelegt, lange Passagen nachts zu bewältigen, während Gäste ruhig schlafen und den Tag in einer neuen Bucht genießen.
Auch für Seegang sind die teils hoch gebauten Explorer gerüstet. Allein aufgrund des niedrigen Massenmittelpunkts einen Meter über der Wasseroberfläche sollen sie wenig rollen. Der Bau folgt dem Motto: Gewicht ist unser Freund. So gleicht auch bei den kleineren Modellen die Verdrängung dem Volumen. Zusätzlich werden Flossenstabilisatoren verbaut, ab 24 Meter sind es zwei Paar. Unverzichtbar – auch bei 20 Metern – sind wasserdichte Schotten, doppelte Notausgänge, Fast-Mount-Paneele und Vibrationsdämpfer im Innenausbau, zwei Ankersysteme und der Zugang zum Motorenraum von außen und innen, um ein Fluten bei hoher See zu vermeiden.
Alexei Mikhailov empfängt in seinem Büro, an den Wänden hängen Aufrisse der neuen Bering 120. Er begrüßt in einem grauen Bering-Shirt. Es ist ein Teil der neuen Textil-Kollektion, das er an sich selbst ausprobiert und das ihm noch nicht zusagt. Den „hands-on approach“, wie es im Englischen so treffend heißt, verkörpert Mikhailov vortrefflich. Er stammt aus Magadan an der Küste des Ochotskischen Meeres im Nordosten Sibiriens. Nach dem Studium der Hydrogeologie zog es ihn 1990 in die freie Wirtschaft. Im Jahr des großen Umbruchs kaufte er 26-jährig mit einem Partner ein 42 Meter langes Stahlschiff für Crew-Transfers. Nach Konversion und zweijähriger Nutzung als Ausflugsboot verkauften sie es nach China.
Danach suchte Mikhailov sein geschäftliches Glück in den USA, wo er sich 1996 sein erstes Runabout zulegte. „Das nächste GFK-Boot brannte nach einem Kabelbrand innerhalb von zwölf Minuten vollständig aus. Wir waren in Küstennähe, meiner Frau und mir passierte nichts“, berichtet er. „Zwischen 2000 und 2005 hatte ich meine eigene Fischfangflotte im hohen Norden und erfuhr, welche Kräfte in der See schlummern.“
Mikhailov wusste exakt, was er wollte und machte aus dem Hobby ein Geschäft. Bering Yachts startete 2007 in den USA und mit ausgelagerter Werft in China. Vor zehn Jahren baute er mit knapp 20 Mitarbeitern die Fertigung in der Türkei auf, jetzt decken bis zu 60 Prozent der Arbeiten eigene Leute ab, und ein neuer Standort in Bulgarien steht kurz vor der Inbetriebnahme.
Worin die Zukunft nach dem Abarbeiten des Rekord-Orderbuchs liegt? „Im Charter“, gibt der Werftgründer Auskunft. „Unsere Yachten unter 24 Meter sind kommerziell klassifiziert, wie Superyachten ausgestattet und bieten den gleichen Komfort, sind aber deutlich günstiger.“ Eine eigene Flotte soll entstehen und auch Kojencharter angeboten werden. „Es wären Reisen zu exotischen oder abgelegenen Orten denkbar. Unsere Yachten dringen in sämtliche Gegenden vor, die per See erreichbar sind.“ Letzteres entspricht Berings simpler wie treffender Definition eines Explorers. Überallhin. Immer.