Ein Fall aus der Segel-Szene, dessen Hintergründe aber auch für Sportbootfahrer interessant sind: Eine deutsche Crew war mit einer Segelyacht in der Ägäis auf dem Rückweg von Santorin nach Kos mit dem Tagesziel Astypalea, bei knackigen Meltemi-Bedingungen von um die 20-25 Knoten Wind. Geplant war nach etwa 50 Seemeilen ein Ankerstop in der sehr geschützten Bucht Vathy an der Nordostseite der Insel. „Eigentlich wollten wir noch im letzten Tageslicht ankommen, aber der Schlag am Wind zog sich, so war es schon 22 Uhr und Dunkel, als wir etwa zwei Meilen in Luv der Insel kurz vor der Bucht waren“, berichtet Co-Skipper Peter Schnittker. „Es gab einen Knall. Ich war gerade unter Deck, hörte dann aber Steuermann Kai rufen, dass er kein Ruder mehr hat. Wir haben dann natürlich sofort die Segel eingeholt, den Motor angeschmissen, aber schnell gemerkt, dass uns das nicht weiterbringt, da das Ruder sich quer stellte, überhaupt nicht mehr reagierte.” Mit der eilig installierten Notpinne ließ sich das Schiff nur bedingt kontrollieren. Nur zu zweit mit enormen Kraftaufwand ließ sich das Boot unter Motor überhaupt noch in der rauen See auf Kurs halten.
Aufgrund des starken Windes mit 20 bis 25 Knoten und zwei bis drei Meter hohen Wellen aus Nord-West entschloss sich die Crew, nicht die geplante, relativ enge Zufahrt in die Bucht im Norden zu wagen, sondern stattdessen östlich um die Insel herum zu gehen, um in Leeschutz den Haupthafen Astypalea im Südwesten anzulaufen. Da der Unfall in einer Legerwall Position am Nordufer passierte, entschlossen sich Skipper und Co-Skipper einen Pan Pan-Ruf abzusetzen um falls nötig schnell Hilfe anzufordern.
Nur zwei Minuten später leitete die griechische Küstenwache Athen die Meldung an die Küstenfunkstation Kalymnos weiter, die dann kurz darauf der Crew mitteilte, dass das Ausflugsboot „Kallasopuli” unterwegs zu ihnen sei. Bis zur Ankunft sollten es allerdings noch fast zwei Stunden sein. „Nachdem wir erstmal erleichtert waren, dass uns so schnell geholfen wird, kam dann doch wieder Unruhe auf, wir wussten ja auch gar nicht: Was ist da jetzt eigentlich passiert? Dringt vielleicht Wasser irgendwo ein?”, berichtet Peter Schnitker. Nach einer Inspektion der Bilge war das zum Glück nicht der Fall und als die „Kallasopuli“, ein etwa 20 Meter langes Ausflugschiff, endlich auftauchte, konnte die beschädigte Yacht die Ostküste herunter bis hinters Südöstliche Kap dem Bergungsschiff sogar noch aus eigener Kraft in ruhigeres Gewässer folgen. Die Crew ist heilfroh, das alles so glimpflich ausgegangen ist, die Situation war für alle eine ziemliche Herausforderung. Sie nimmt das Schleppseil der „Kallasopuli“ an und lässt sich nach Astipalyea in den Hafen bringen.
Nicht klar ist der Crew zu diesem Zeitpunkt, dass sie damit im Widerspruch zum Chartervertrag gehandelt hat. Denn dort ist in den AGB’s explizit, wie in vielen Verträgen der Branche, geregelt, dass vor Annahme einer Schlepphilfe auf jeden Fall zuvor vereinbart wird, was für die Hilfeleistung berechnet werden soll. Fast jede Charterbasis gibt für solche Notfälle den Crews auch eine 24-Stunden Notfall-Mobilnummer der Basis mit, die unbedingt kontaktiert werden soll. In der Regel ist das die Nummer der Basisleitung.
Das ist für eine Urlaubs-Crew in bedrohlicher Lage, nachts in viel Wind auf Legerwall, natürlich leichter gesagt als getan, der gesunde Menschenverstand würde da wohl sagen: „Not kennt kein Gebot“ - einfach machen.
Juristisch ist die Folge die Inanspruchnahme einer Schlepphilfe ohne vorherige Absprache relativ klar geregelt, wie Ben Tanis, Anwalt von European Yachting Lawyers, der Kanzlei Tanis von der Mosel erklärt:
“Gab es keine Absprache zum Bergungs- oder Schlepplohn, greift nach einem internationalen Abkommen das sogenannte Lloyds Open Form (LOF). Es ist ein in der Schifffahrt bekanntes und international akzeptiertes Vertragswerk für Bergungen, welches im Notfall weitere Vertragsverhandlungen zwischen dem Bergungsunternehmen und der Schiffsführung erübrigt. Im Internet findet sich die weit verbreitete Auffassung, dass es sich dabei um ein ‘faires’ Vertragswerk handelt. Der Satz ‘No cure – no pay’ (Keine Rettung – keine Bezahlung) ist dabei der bekannteste Regelungsinhalt. Tatsächlich handelt es sich beim Lloyds Open Form um ein für die Berufsschifffahrt entwickeltes Vertragswerk, welches zur Festsetzung des Bergungslohns auf die ‘International Convention on Salvage 1989’ (Internationales Übereinkommen über das Bergungswesen von 1989) Bezug nimmt und den Lohn des Bergungsunternehmers nicht konkret festsetzt, sondern von einer Vielzahl von Faktoren, wie z.B. Wert des Schiffes, Wert der Ladung, durch die Bergung entstandener Schaden und verhinderter Umweltschaden abhängig macht und im Zweifel zur Überprüfung durch ein britisches Spezialgericht stellt. Bergungslöhne in Höhe von 10 % des Schiffswertes sind dabei keine Seltenheit. Wir empfehlen einer havarierten Besatzung immer – sofern die Situation es erlaubt – zunächst Kontakt mit der Charterbasis oder der eigenen Kaskoversicherung aufzunehmen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Beide unterhalten in der Regel Notfall-Hotlines, welche rund um die Uhr erreichbar sind.“
Wir empfehlen einer havarierten Besatzung immer, zunächst Kontakt mit der Charterbasis oder der eigenen Kaskoversicherung aufzunehmen.”
Eine Rückfrage beim Yachtversicherer Pantaenius ergibt, dass die Erfahrung mit dem Lloyds Open Form-Vertrag durchaus positiv sind. Dort beziffert man die üblichen Berge-Margen auf oft um die 10 Prozent. Das ist aber natürlich auch von den Umständen der Bergung abhängig.
In vielen Skipperkreisen kursiert zu diesem Thema noch immer zusätzlich die Meinung, dass hohe Kosten nur dann entstehen, wenn man eine fremde Leine übernimmt, nutze man dagegen eine eigene, sei es keine Bergung mit entsprechenden Ansprüchen, sondern nur Schlepphilfe. Das ist so aber nicht korrekt, merkt Rechtsanwalt Tanis an.
Doch zurück zum Fall der Chartercrew. Am Fährkai in Astypalea angekommen, wird die Crew von der Küstenwache empfangen, die die Schiffsdokumente und auch das Logbuch umgehend konfisziert. Das Schiff liegt erstmal an der Kette. Ein bei Schäden an Charteryachten übliches Vorgehen, wenn die Behörden von dem Fall Kenntnis bekommen, wie hier geschehen. Der Reparaturservice des Vercharterers setzte die Yacht bereits am folgenden Tag wieder instand. Ursache für die Havarie war lediglich eine gebrochene 5mm-Schraube des Radflansches am Steuerbord-Rad. Dadurch hatte sich das Rad so sehr geneigt, dass sich die Steuerkette löste, zudem war in Folge das Steuerseil vom Ruderkoker gesprungen. Ein Gutachter muss danach das Schiff freigeben, was etwas komplizierter ist, so verliert die Crew einen weiteren Tag.
Dann durfte die Oceanis 45 wieder auslaufen und die Crew machte sich auf direktem Wege zum Check-out in der Heimatmarina auf der Insel Kos, um die Rückflüge nicht zu verpassen. Und tatsächlich erfuhren der Skipper und seine Begleiter im Büro des Stützpunktleiters der vercharternden Firma, dass der Kapitän der „Kallasopuli“ inzwischen 100.000 Euro Bergehonorar gefordert hat. Wohl aber erst, nachdem die Charterflotte ein erstes, deutlich niedrigeres Angebot abgelehnt hatte.
„Damit haben wir natürlich nicht gerechnet. Ich konnte aber nachvollziehen, dass der Kapitän erstmal mit den Ketten rasselt. Ich nehme aus beruflichen Gründen öfter mal an Gerichtsverfahren teil und weiß, dass häufig zunächst die Maximalforderung auf den Tisch kommt und am Ende einigt man sich deutlich darunter”, so Peter Schnitker.
Zwar bestehen die Bergelohnansprüche gegenüber dem Eigner, in diesem Fall dem Vercharterer, doch der versucht die Crew in Regress zu nehmen. Nach der Rückreise nach Deutschland beginnt eine rege Diskussion mit dem Vercharterer und der Crew, beziehungsweise deren Charter-Agentur 1A Yachtcharter, bei der die Deutschen gebucht hatten, die nun zwischen den beiden Seiten vermittelt.
Gemeinsam mit der Agentur werden die nächsten Schritte besprochen. Dabei war zunächst wichtig zu wissen, dass Bergungsansprüche grundsätzlich Versicherungsschäden darstellen. Da eine Skipper-Haftpflicht-Versicherung abgeschlossen war, galt es herausfinden, ob die Versicherung den Vorfall zahlen würde, oder ob die Kasko-Versicherung des Eigners einspringen muss.
Doch die Versicherung stufte die Bergung als Kaskoschaden ein. Was in diesem Fall für die Crew bedeutete, dass die Kosten über die hinterlegte Kautionssumme hinaus glücklicherweise gedeckelt waren.
Zwischenzeitlich hatte auch der Vercharterer sich mit dem Kapitän der „Kallasopuli“ auf ein faires Bergehonorar von 8.000 Euro einigen können, sodass der Vorfall für alle Beteiligten glimpflich ausging. Die mögliche Frage, nämlich zu klären, ob der Schaden nicht ein Mangel des Bootes war, den der Vercharterer zu tragen hat, wird nicht weiter hinterfragt. Die Crew akzeptiert das Einbehalten der Kaution, die Versicherung des Eigners trägt den Rest.
Einen letzten Tipp hat Marvin Kather von 1a Yachtcharter aber noch: „Grundsätzlich empfehlen wir allen Kunden eine Kautionsversicherung. Diese beträgt in der Regel weniger als zehn Prozent der Kautionssumme und deckt das Einbehalten der Kaution im Schadensfall ab, egal ob berechtigt oder unberechtigt.”