Nils Leiterholt
· 14.07.2025
Nur zwei Pallhölzer unter ihrem Heck sorgen dafür, dass die klassische GfK-Yacht vom Typ Hornet 32 noch gerade liegt. Sie steht auf ihrem Kiel und Yachttransport-Profi Nico Bilzinger hat das Holzgerüst, auf dem sie den Winter in der Halle verbracht hat, fast vollständig abgebaut, um seinen Trailer unter den Rumpf fahren zu können. Mit dem soll die „Sandra III“ über die Sliprampe des nahegelegenen Hamburger Yachthafens in Wedel, wieder ins Wasser gehen.
Der Eigner ist sichtlich nervös, als Bilzinger mit seinem LKW rückwärts setzt, bis dessen Anhänger unter dem liebevoll gepflegten Schiff die Transportposition erreicht hat.
„Wenn ich, wie das hier der Fall war, die Schiffe selber abgestellt habe, dann weiß ich genau, worauf ich mich einlasse“, sagt Bilzinger später. Er ist Geschäftsführer des Wedeler Unternehmens H. D. Wrede Bootstransporte. Einige Aufträge führen ihn quer durch Europa, das meiste seiner Arbeit spielt sich allerdings in Norddeutschland ab. Bilzinger ist Experte, darin, Schiffe ohne Lagerbock abzustellen und sie dann im Frühjahr wieder zu Wasser zu bringen. „Das macht sonst eigentlich keiner so“, sagt der 48-Jährige.
Neben dem Geschäft mit Segelbooten bringt Bilzinger auch immer wieder Motorboote an Orte, wo ihre Eigner sie entweder nicht hinfahren können oder auch nicht wollen. So auch zuvor am Morgen. „Während wir früher noch ganz viele Langkieler transportiert haben, haben diese mittlerweile Seltenheitswert. Aber auch der Anteil der modernen Segelyachten ist rückläufig, dafür transportieren wir immer mehr Motorboote“, so Bilzinger.
Er war bereits am Vorabend aus Hamburg nach Neustadt in Holstein gefahren und hatte in seinem Lkw auf dem Gelände des Hafens übernachtet. „Es ist wirklich angenehm, dass ich einen guten Draht zu den meisten Hafenbetreibern habe, wo ich regelmäßig bin“, erzählt er. „In Neustadt habe ich beispielsweise einen Schlüssel, mit dem ich 24 Stunden am Tag die sanitären Anlagen benutzen kann“. Die Nutzung der Hafen-Infrastruktur sei um einiges komfortabler, als Raststättenanlagen benutzen zu müssen, sagt er. „Das sehe ich als echten Vorteil an meiner dann doch recht besonderen Ladung an“, so Bilzinger schmunzelnd.
Während andere Fahrer allerdings, insbesondere im Fernverkehr, auf standardisierte Maße und Normen zurückgreifen können, wie etwa beim Transport von Containern, stellt die Ladungssicherung Bilzinger jedes Mal aufs Neue vor besondere Herausforderungen. Zwar habe er mit der Zeit ein geschultes Auge und ein gutes Gespür für Gewichtsverteilung und Lasten bekommen, trotzdem ist seinen Schilderungen ein großer Respekt vor der Aufgabe anzuhören: „Welches Schiff hat schon einen Haken verbaut, der abgenommen ist und wo zugesichert ist, dass der das Bootsgewicht unter allen Umständen hält?“, fragt er etwa und antwortet selbst: „Also, ich kenne keins!“
Vor dem Verladen durch den Kran des Hafens auf seinen Auflieger manövriert Bilzinger das Motorboot, Typ Zodiac XC10, mit seinen zwei 350 PS starken Motoren zunächst auf dem Wasserweg an den Kranplatz. Erst dann fährt er seinen Lkw rückwärts zum Travellift. Während des Aufladens des Schiffes stellt Bilzinger den Auflieger hydraulisch auf die Länge des Bootes ein. Als es aufgeladen und die Stützen des Trailers eingestellt sind, sichert Bilzinger das Schiff mit Spanngurten. Dann steht er auf dem schnellen Schlauchboot. „Der Eigner hat vergessen, den kleinen Mast abzuschrauben, das mache ich jetzt eben“, sagt er.
Seine persönliche Affinität zur Schifffahrt sei etwas, das seine Kunden wertschätzten. „Viele andere Fahrer würden das Schiff auch nicht im Wasser bewegen, für mich gehört das allerdings zu meinem Service dazu“, erklärt Bilzinger. Weil er sich eben auch diese Arbeiten zutraut und sich die Zeit dafür nimmt, ist ein Transport bei Wrede Bootstransporte in vielen Fällen etwas kostspieliger als bei seiner Konkurrenz.
Außerdem bekommen die Bootseigner bei Bilzingers Angebotserstellung einen Komplettpreis. „Ich käme nie auf die Idee, einem Kunden ein günstiges Transportangebot zu machen, und den Auftrag zu fahren, um dann im Nachhinein die mir im Vorfeld bekannten Punkte als teure, unerwartete Transportnebenkosten abzurechnen“, sagt er. Seine Angebote enthielten immer den erwarteten Komplettpreis inklusive der Genehmigungen, potenzieller Begleitfahrzeuge, eventuellem Polizeigeleit und Ähnlichem, so Bilzinger.
Für das Bewegen des Zodiacs hat der Eigner die Luft aus den Schläuchen gelassen. „Wir dürfen in Schleswig-Holstein glücklicherweise meist bis zu 3,80 Metern Breite ohne Begleitfahrzeug transportieren“, sagt Bilzinger. Das hätten seine früheren Kollegen und er sich durch ihre Zuverlässigkeit erarbeitet.
Nico Bilzinger betreibt seine Firma mittlerweile alleine. Während H. D. Wrede Bootstransporte früher noch eine Flotte von mehreren Fahrzeugen hatte, besitzt er heute nur noch eine große Zugmaschine. Daneben hat er einen ehemaligen Mitarbeiter, der heute im Ruhestand ist und ihm des Öfteren mit seinem eigenen 3,5-Tonnen-Pkw-Anhänger hilft.
Seine Liebe für Bootstransporte hat Bilzinger schon in frühen Jahren entdeckt. Er erinnert sich: „Meine Eltern hatten immer ein Schiff. Außerhalb der Saison stand es in der Winterlagerhalle des Segelvereins. Da hat die Firma Wrede die Yachten schon immer ins Wasser geslippt und sie auch wieder herausgeholt.“ Das habe ihn so beeindruckt, dass er mit Erlaubnis seines Vaters im Alter von zehn Jahren angefangen hat, dem ehemaligen Geschäftsführer beim Slippen der Boote zu helfen. „Mit 18 Jahren hat der Chef dann meinen Führerschein bezahlt“, denn Bilzinger half immer noch regelmäßig beim Slippen der Boote.
Sein Berufsleben begann er dann allerdings nicht etwa bei Wrede. Zunächst absolvierte Bilzinger eine Ausbildung zum Speditionskaufmann, später arbeitete er in der Industrie, dann eine Zeit lang in der Schifffahrt. Mit Mitte 20 begann er dann noch zu studieren. „Das fand meine jetzige Frau damals schon amüsant, ich habe dann auch doch relativ schnell gemerkt, dass ich nicht zum Studieren gemacht bin“, erinnert sich Bilzinger.
Während der ganzen Zeit habe er seine jetzige Firma ohnehin weiter beraten und ausgeholfen, wo er gefragt gewesen sei, erinnert sich Bilzinger, der das Unternehmen vor knapp 20 Jahren schließlich übernahm. Und seither führt er es in Eigenregie.
Während der Fahrt von Neustadt nach Bönningstedt, wo das Zodiac XC10 bei Gründl abgeladen werden soll, erreichen Bilzinger immer wieder Anrufe seiner Kunden. Einer hat etwa Probleme mit der Bezahlung seiner neuen Yacht. Da der verkaufende Broker das Geld nur in schwedischen Kronen akzeptiert, könnte der Vorgang bei der Bank den Verdacht der Geldwäsche erwecken. Unbezahlt will der Verkäufer die Yacht aber nicht vom Hof rollen lassen. Bilzinger lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen, bietet dem Kunden maximale Flexibilität an und kann die Situation dadurch entschhärfen.
Das es beim Umgang mit seinen Kunden persönlich zugeht, ist dem Dienstleister sehr wichtig. „Unter Wassersportlern gilt für mich immer das ‚Du‘, das gehört sich einfach so“, sagt Bilzinger. Die Kontaktfreude ist ihm in den Kundengesprächen anzumerken. Es gibt kaum eine Situation, zu der er keinen flotten Spruch auf Lager hat.
Nachdem die Hornet 32 auf dem Straßentrailer aufgeladen wurde, fährt Bilzinger das Schiff nach Wedel in den Hamburger Yachthafen. Und obwohl die Slipbahn dort bei seinem Eintreffen frei ist, geht er trotz augenscheinlich optimaler Bedingungen und einem wartenden Kunden zunächst in Ruhe einen Kaffee trinken. Auf die Frage nach dem Warum klärt der Profi über die Eigenheiten des Tidenreviers auf: „Der Wasserstand lässt das Slippen noch nicht zu, wir waren heute Morgen mit allem zu schnell und müssen noch etwa eine halbe Stunde warten“, erklärt er.
„In den 80er-Jahren hatten wir vier Fahrzeuge, die alle gut ausgelastet waren“, erinnert sich Bilzinger. Mit denen hätten die Mitarbeiter der Firma Wrede über 500 Schiffe ins Winterlager transportiert und auch im Sommer wieder ins Wasser gebracht, erzählt er. Heute sind es noch ungefähr 60 Schiffe. Doch Bilzinger wirkt mit der jetzigen Größe seines Betriebes zufrieden. Zwar hat er immer noch einige ehemalige Angestellte in der Hinterhand, den Großteil seiner Aufträge arbeitet er aber ganz alleine ab.
Neben dem ehemaligen Mitarbeiter, der für ihn noch ab und an Schiffe mit dem Pkw-Anhänger aus dem Winterlager holt, hat Bilzinger noch einen weiteren Ex-Angestellten, der ihm bei Bedarf hilft. Er hat sich selbstständig gemacht und begleitet Schwertransporte mit seinem Begleitfahrzeug. „Er macht auch mal die ein oder andere Urlaubsvertretung“, erklärt Bilzinger. Außerdem würden die ehemaligen Kollegen ihm zur Seite springen, wenn er kurzfristige Hilfe brauchte, so der Geschäftsführer.
Wie es mit der Firma weitergeht, sollte er irgendwann in den Ruhestand wechseln? „So richtig weiß ich das noch nicht“, gibt Nico Bilzinger zu. Aufgrund der Spezialisierung auf das Abstellen von Schiffen ohne festen Lagerbock und dessen Komplexität schätzt er, dass er einen potenziellen neuen Geschäftsführer mindestens fünf Jahre lang einarbeiten müsste. Aber auch dieser müsste in dieser Zeit aus dem Betrieb leben können. Außerdem bestehe immer ein Restrisiko, dass der potenzielle Käufer des Unternehmens kalte Füße bekäme und sich doch kurzfristig anders orientiere.
Bis sich Bilzinger zur Ruhe setzt, wird es allerdings voraussichtlich auch noch ein paar Jahre dauern. „Ich habe Spaß an meiner Arbeit und möchte das eigentlich gerne machen, solange ich es auch körperlich noch gut bewerkstelligen kann“, sagt er. Aber vor allem die Arbeit im Nahverkehr aus den Winterlagern ist durchaus körperlich fordernd. Dabei muss Nico Bilzinger häufig absteigen, die Holzgestelle auf- und abbauen und so weiter. Dennoch wird er weitermachen und auch im kommenden Herbst wieder über 50 Schiffe ohne Lagerbock im Winterlager abstellen.